Ein lehrreicher Samstag bei der SPD

Tim und Struppi 27.10.2007 21:30 Themen: Globalisierung Kultur Medien Repression Soziale Kämpfe
Hausverbot für kritische Jusos, massive Polizeirepression gegen eine harmlose Transpi-Aktion: Das Geschehen um den SPD-Bundesparteitag in Hamburg war heute alles – nur nicht demokratisch.
Man muss die SPD nicht gern haben, man mag die Jusos als Sprungbrett für Politkarrieristen verachten – dennoch bot die bevorstehende Abstimmung über den Leitantrag zur Teilprivatisierung der Bahn einer Gruppe von fünf AktivistInnen heute Anlass genug, um der ältesten Partei Deutschlands auf ihrem „größten Parteitag aller Zeiten“ (SPD-Selbstdarstellung) einen Besuch abzustatten.

Was äußerst motivierend begann, sollte recht schnell ein jähes Ende finden: Am frühen Vormittag wurde unmittelbar vor dem Eingang des Tagungsortes Congress Centrum Hamburg (CCH) ein Transparent mit der schwerfälligen, aber prägnanten Aufschrift „Halten die Genossen still, wenn Mehdorns Börsenbahn es will?“ entrollt. Hierbei kam bewusst die Arbeiterrhetorik zur Geltung, der sich in der SPD trotz der neoliberalen Politik immer noch gerne und häufig bedient wird. Mit der Aktion sollten die Delegierten des Parteitages aufgerufen werden, nicht einfach primitiv die Anträge ihres Präsidiums abzunicken, sondern stattdessen nach bestem Wissen und Gewissen frei zu entscheiden – eine Forderung also, die lediglich den Inhalt der SPD-Satzung wiedergibt und in den Augen aller BeobachterInnen dementsprechend moderat ausfiel.

Die Resonanz in der ersten halben Stunde war denn auch überwältigend: Mehrere Fotoanfragen sowie ein Interview mit einem der zahlreich vertretenen JournalistInnen, gepaart mit den zustimmenden Äußerungen vieler Abgeordneter, machten zunächst Hoffnung auf eine positive Außenwirkung und direkte Einflussnahme auf die EntscheidungsträgerInnen.
Bis zu diesem Zeitpunkt war weder der private Sicherheitsdienst eingeschritten, noch hatten die staatlichen Ordnungshüter oder pikierte SPD-Obere von sich hören lassen.
Nach knapp dreißig Minuten war es dann soweit – die Polizeimeister Scholz, Weiland, Hinrichs und Kollegen vom Polizeikommissariat 14 (Caffamacherreihe/Gänsemarkt) meinten offenbar, eine von unserem Treiben ausgehende Gefahr für ihr Revier erkannt zu haben und unverzüglich einschreiten zu müssen. Personalien wurden aufgenommen und geprüft, da eine/r aus der Gruppe ja womöglich „wegen Völkermordes“ (Zitat PM Scholz) oder ähnlichen Kapitalverbrechen hätte gesucht werden können.

Dass die „Magnum Security“, die Hamburger Polizei und die Bundes-SPD indes einer ganz anderen, vom Aussterben bedrohten Spezies schon am Vortag schwer zugesetzt hatten, wurde erst in der darauffolgenden Debatte mit den Beamten bekannt. Zwei Jusos, denen von der Parteitagsleitung wegen kritischer Äußerungen auf früheren Veranstaltungen ein Hausverbot erteilt wurde, solidarisierten sich mit der Aussage des Transparentes und versuchten, aus der misslichen Lage herauszuhelfen.
Der alles andere als kompromissbereit auftretende PM Scholz begründete seine Ablehnung des Ganzen damit, dass bei der Behörde keine Anmeldung vorliege, diese aber nach der bestehenden Rechtslage bereits bei Versammlungen mit mehr als drei TeilnehmerInnen notwendig sei. Auf den Vorschlag, dass nun zwei Gruppenmitglieder den Ort des Geschehens verlassen- und so die Auflagen umgangen werden könnten, reagierte Scholz unverändert ablehnend. Das ginge nun gar nicht, schließlich werde das Transparent „von vielen“ als störend empfunden und überhaupt sei der Anlass überhaupt „nicht aktuell“ genug, damit eine solch spontane Aktion toleriert werden könne. Dennoch bot er an, die Anmeldung einer Spontankundgebung unter dem Motto „Gegen Bahnprivatisierung und Polizeiwillkür“ von seinem Vorgesetzten und dem LKA (!) prüfen zu lassen, da er „die Polizeiwillkür“ akzeptiere (O-Ton).

Das Ergebnis des Prüfungsvorgangs fiel erwartungsgemäß negativ aus, stattdessen gaben die Beamten die Anweisung, sich zum nahe gelegenen Bahnhof Dammtor zu begeben, wo parallel eine weitere Aktion des Bündnisses „Bahn für alle“ stattfinde. Diese sei bis 17 Uhr angemeldet, dort könnten wir unseren Forderungen nach Herzenslust Ausdruck verleihen.
Im Anschluss an die Androhung einer Strafanzeige und Beschlagnahme des Transparentes seitens Scholz’ Kollegen Hinrichs entschieden sich die in Rechtsfragen unerfahrenen AktivistInnen schließlich dazu, das Feld vorerst zu räumen.
Am Bahnhofsvorplatz angekommen, bot sich ein enttäuschendes Bild: Die dort tätigen camp!act-Mitglieder hatten bereits mit dem Abbau des Infostandes begonnen, die Aktion war nach Angabe der anwesenden Polizeibeamtin bereits für beendet erklärt worden – da der Versammlungsleiter nicht mehr zugegen sei, bestehe trotz der Anmeldung bis 17 Uhr keine Möglichkeit mehr, das Transparent zu entrollen.
Erneut versuchten die AktivistInnen durch eine Dezimierung der Gruppenstärke von der Ordnungsmacht unbehelligt zu bleiben, die aufgebrachte Beamtin hatte jedoch eine weitere Belehrung parat. Das Hamburgische Versammlungsgesetz, so ihre fragwürdige Interpretation, schreibe eine Anmeldung bereits bei einer Teilnehmerzahl von mehr als einer Person vor.

Angesichts der geballten Unverschämtheit, die an diesem Tag von einer Vielzahl an übereifrigen Ordnungshütern ausging, blieb angesichts der massiven Polizeipräsenz nichts anderes übrig, als enttäuscht von dannen zu ziehen – dass der SPD-Chef Kurt Beck die Meinung seiner Basis später am Tag durch ein Machtwort und das Stellen der Vertrauensfrage tunlichst zu unterdrücken versuchte, um das endgültige Scheitern der Privatisierungspläne zu verhindern, wirkt vor dem Hintergrund des Erlebten lediglich als Bestätigung dessen, wie demokratisch es in unserer so genannten Parteiendemokratie zugeht.
Was bleibt, sind eine geballte Portion Wut sowie die Bestätigung dafür, dass die Hamburger Polizei selbst jene politischen Bewegungen bekämpft, die jegliche Systemkritik vermissen lassen – nach bestem Wissen und Gewissen eben.



Fotos zu der Aktion folgen.
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Ergänzungen

Tipp fürs nächste mal...

tödeldö-tamtam 27.10.2007 - 23:43

fotos

ada 28.10.2007 - 11:04
halten die genossen still, wenn mehdorn börsenbahn es will?

transpi

nele 28.10.2007 - 15:30
nochmal in nah

Proteste am Rande des SPD-Parteitags

http://www.welt.de/ 28.10.2007 - 16:23
Polizei trennt rechte und linke Gruppen am Tagungsort

Die befürchteten Zusammenstöße zwischen linken und rechten Demonstranten am Rande des SPD-Parteitages sind ausgeblieben. Ein massives Polizeiaufgebot verhinderte, dass sich die NPD-Anhänger und die Gegendemonstranten zu nahe kamen. Ohnehin konnten beide Lager nicht einmal ansatzweise in dem Umfang mobilisieren, wie befürchtet. An der NPD-Kundgebung vor dem Dammtorbahnhof, zu der die "braune Prominenz", wie der Bundesvorsitzende Udo Voigt oder der Hamburger Landesvorsitzende Jürgen Rieger kamen, nahmen inklusive Redner und Ordner laut Polizei nur 98 Personen teil. Das linke Spektrum konnte 1100 Anhänger mobilisieren, darunter etwa 650 als von den Sicherheitskräften als gewaltbereit eingestufte Autonome, die sich auf der Dammtorstraße versammelten.
Die Polizei war mit rund 1500 Beamten, darunter Hundertschaften aus anderen Bundesländern, im Einsatz. Bis 17 Uhr wurden durch die Einsatzkräfte vier Personen festgenommen, die sich vermummt hatten, sich mit Steinen bewaffneten oder mit Böllern warfen. Bereits eine Stunde nach Beginn der Neonaziversammlung registrierte die Polizei starke Abwanderungen bei den Gegendemonstranten.
Das befürchtete Verkehrschaos in der City blieb aus. Viele Autofahrer hatten offenbar auf ihren Wagen verzichtet. Auch waren rund um das CCH die Absperrmaßnahmen in geringerem Umfang nötig, da weniger Demonstranten als erwartet kamen.

Kameraden gegen Genossen

Taz 28.10.2007 - 16:26
Am Rande des SPD-Bundesparteitages haben am Freitag knapp 60 NPD-Mitglieder gegen ein Verbot ihrer Partei demonstriert. Ihnen standen rund 1.100 Gegendemonstranten gegenüber.

Die Uhrzeit hatte die NPD bewusst gewählt. Gegen 15.30 Uhr marschierte die älteste rechtsextreme Partei Deutschlands gestern vor dem Bundesparteitag der SPD auf. Nach der Tagesordnung sollten um dieser Zeit die SPD-Delegierten im Congress Centrum Hamburg (CCH) einem neuen Fahrplan zum Verbot der NPD zustimmen. Den Rechten passte das gar nicht: Das sei ein "Schaufensterantrag" vom SPD-Bundesvorsitzenden, der sogleich ein Indiz für den zunehmenden Wandel zum "Ideologiestaat" sei, "in dem das antifaschistische Credo zur verbindlichen Staatsideologie erhoben" werde, wetterte die NPD. Die Kundgebung auf dem Dag-Hammer-Skjöld-Platz verlief allerdings nicht wie die NPD-Führung erhofft hatte.

"Wer hat uns verraten, Sozialdemokraten" riefen die NPD-Anhänger, als sie vom Bahnhof Dammtor den Platz vor dem CCH betraten. Doch sie skandierten zu sich selbst. Laute Pfiffe, Trillerpfeifen-Lärm und "Nazis Raus"-Rufe empfingen sie. Trotz eines massiven Polizeiaufgebotes waren einige Gegendemonstranten bis auf den Platz gelangt.

Zuvor hatten sich keine hundert Meter Luftlinie entfernt, getrennt von Polizeiabsperrungen, an die 1.100 Gegendemonstranten versammelt - NPD-Gegener aus allen gesellschaftlichen Bereichen. Punks standen neben älteren Damen, Autonome neben Gewerkschaftern. Sie allen waren einem Aufruf des "Hamburger Bündnis gegen Rechts" gefolgt. An die 1.500 Polizeibeamte waren im Einsatz. Wasserwerfer standen bereit. Bis Redaktionsschluss waren die von der Polizei zuvor befürchteten Ausschreitungen von "Linksextremisten" nicht eingetreten.

Auf der Gegenkundgebung wurde wiederholt vor der NPD gewarnt. "Sie nutzen die Demokratie um ihre undemokratischen Positionen zu verbreiten", sagte Olaf Harms, Sprecher des Bündnisses. Dem Hamburger Senat warf Antje Möller, innenpolitische Sprecherin der GAL vor, die rechtsextreme Gefahr immer wieder kleinzureden. Der Verweis des Senats, dass die meisten rechtsextremen Straftaten in der Hansestadt Propagandadelikte seien, dürfe nicht beruhigen. "Ausländerfeindlichkeit ist die Einstiegsdroge", sagte Möller.

Wolfgang Rose, von Ver.di, warnte vor weiterem Sozialabbau, der den Rechtsextremen Zulauf schaffen würde. Christiane Schneider, von Die Linke, forderte "dieser verfassungsfeindlichen Partei" das Parteienprivileg zu entziehen.

"Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen", stand auch auf einem Transparent, das die Jusos kurz vor dem Eintreffen der NPD auf dem Platz aufhängten. Doch nicht nur der Empfang verstimmte den Hamburger NPD-Chef Jürgen Rieger, der sich bei Reden mit Journalisten durch Zwischenrufe gestört fühlte. Die Beteiligung der Kameraden musste die extra angereiste Parteiprominenz, wie der Bundesvorsitzende Udo Voigt und Niedersachsens Spitzenkandidat Andreas Molau, auch noch schönreden. An die 150 NPD-Freunde hatte die Partei angekündigt. Gekommen waren knapp 60 Kameraden. "In Niedersachsen machen gerade etliche Mitglieder wieder Wahlkampfaktionen", versuchte Molau das Fernbleiben der Anhänger zu erklären. Mit der Wahrheit soll der Spitzenkandidat aber gerade so seine Probleme haben. Vor kurzem erklärte er, dass nach einer Forsa-Umfrage die NPD bei fünf Prozent läge. Mittlerweile erwirkte Forsa offenbar eine Unterlassungserklärung. Woher Molau das Forsa-Ergebnis wissen will, wollte er nicht sagen. Seinen Informanten wolle er schützen, erläuterte Molau indes der taz.

NPD demonstriert bei SPD-Parteitag

http://www.abendblatt.de/ 28.10.2007 - 16:28
Polizei im Dauerstress

Es ist ein gespenstisches Bild: Während drinnen Kurt Beck als Parteivorsitzender der ältesten demokratischen Partei Deutschlands im Amt bestätigt wird, marschieren draußen am Hamburger Dammtorbahnhof rund 100 Anhänger der rechtsextremen NPD auf.

Hamburg

Mit der Willy-Brandt-Parole „Mehr Demokratie wagen“ fordern sie: „Hände weg von der NPD“. Die Sozialdemokraten verabschiedeten am Freitag während des NPD-Aufmarsches auf ihrem Hamburger Bundesparteitag einen Antrag auf ein Verbot der rechtsextremen Partei.

Bis zu 1 100 linke Gegendemonstranten rufen unterdessen in Steinwurfnähe: „Nazis raus“. Wasserwerfer fahren am Dammtorbahnhof auf, Dutzende Hundeführer sichern unterdessen den Parteitag. Bis zum Abend bleibt es zunächst friedlich. „Wir versuchen ein Aufeinanderprallen der beiden Gruppen zu verhindern, sind aber für alle Fälle gerüstet“, sagt Polizeisprecherin Christiane Leven. Unter den Gegendemonstranten befinden sich auch schwarz gekleidete Autonome. „Am Gänsemarkt haben Fahrradfahrer Pflastersteine herausgebrochen und mitgenommen, ist mir gemeldet worden“, sagt ein Polizist zu seinem Kollegen. „Ihr müsst euch darum kümmern, wir sind für den Parteitag zuständig.“

Insgesamt 1 500 Beamte sind im Einsatz, die wegen des NDP-Aufmarsches zwei „Großbaustellen“ sichern müssen - für den Doppeleinsatz wurden Hundertschaften aus Bremen und Schleswig-Holstein angefordert. Zum Schutz von Kurt Beck, Peer Steinbrück, Franz Müntefering, Gerhard Schröder und Co. sind auch Landes- und Bundeskriminalamt im Einsatz, das Kongresszentrum CCH ist weiträumig abgesperrt. Die 500 Delegierten und 2000 Journalisten müssen Kontrollen wie am Flughafen über sich ergehen lassen. Am nahe gelegenen Dammtorbahnhof ankommende Passagiere müssen zum Teil Umwege in Kauf nehmen, rot-weiße Absperrgitter versperren den Durchgang.

„Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“, ruft SPD-Parteivorstandsmitglied Niels Annen am Nachmittag dem Bundesparteitag in der Debatte um das NPD-Verbot zu. Draußen haben Juso-Mitglieder ein Plakat mit diesem Slogan als Willkommensgruß für die NPD-Anhänger an einer Brücke aufgehängt. „Als Innenminister von Schleswig-Holstein möchte ich mich bei meinen Polizeibeamten bedanken, die dafür sorgen, dass es draußen friedlich bleibt“, sagt Ralf Stegner, der auch SPD-Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein ist. Unterdessen bereitet sich die Polizei auf eine lange Nacht vor, da die NPD-Anhänger bis in den späten Abend hinein demonstrieren wollten.

weiterer versuch ergänzung

nel 28.10.2007 - 16:57
transparent

Hauptaugenmerk auf Bahnprivatisierung

nele 28.10.2007 - 19:03
Die Proteste gegen Nazis am Rande des SPD-Parteitags haben natürlich einen großen Teil der Aufmerksamkeit auf sich gezogen.
Was wir jedoch mit unserer Aktion erreichen wollten, war, die Delegierten nochmal auf die Option hinzuweisen, gegen die geplante Privatisierung der Deutschen Bahn zu stimmen. Jeder Delegierte soll nach seinem Gewissen entscheiden, und nicht danach, den scheinbaren Frieden innerhalb der SPD wiederherzustellen.
Den gestrigen Tag hätte man als letzte Chance bezeichnen können, die Bahnprivatisierung aufzuhalten, zu zeigen, dass wir nicht einverstanden sind.
Leider kennen wir nun das Ergebnis. Doch wir bekamen gestern stark zu spüren, dass die Wenigsten mit der Bahnprivatisierung/teilprivatisierung einverstanden sind. Das hat uns ein bisschen Hoffnung gemacht.

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xc — cx

Kennen wir doch alles — blablubb