Sozialismus gegen Kapitalismus vor Gericht

Renate Hartmann und Ulf Petersen 27.10.2007 14:21 Themen: Repression Weltweit
Türkei/İstanbul: Prozessauftakt gegen 23 KommunistInnen

Nach 14 Monaten Untersuchungshaft begann am gestrigen Freitag, 26. Oktober, der Prozess gegen 23 kommunistische Journalisten, Gewerkschafterİnnen und Jugendaktivisten. Ihnen wird der "Versuch eines Umsturzes der Verfassungsordnung" und die führende Position in einer in der Türkei illegalen Organisation (der MLKP, Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei Türkei/Nordkurdistan) vorgeworfen.
Für 13 der Angeklagten wird mehrfach lebenslänglich, für die restlichen 10 werden Haftstrafen zwischen 10,5 und 45 Jahren - insgesamt 3000 Jahre Gefängnis - gefordert. Sowohl die Angeklagten als auch die Verteidigerİnnnnen lehnten zu diesem Zeitpunkt eine juristische Verteidigung ab, da ihnen bis zum Prozessbeginn die 13.500 Seiten umfassenden Ermittlungsakten größtenteils vorenthalten wurden. Dies macht eine Verteidigung unmöglich. Die Anwälte forderten in ihrem Antrag die vollständige Akteneinsicht, eine Vertagung der Verhandlung, Freilassung aller Angeklagten aus der Untersuchungshaft sowie die Entfernung der offenkundig gefälschten und bedeutungslosen Beweisstücke aus den Akten.

Für die Angeklagten geht es in dem Verfahren um eine inhaltliche Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Kapitalismus. In ihren sehr ausführlichen und fundierten Redebeiträgen erklärten sie die Ziele des Sozialismus und kritisierten die weltweit und in der Türkei herrschende Ordnung. Eindringlich umrissen sie die Vision einer Welt ohne Ausbeutung, Unterdrückung und soziales Elend. Dabei erklärten sie die Details sozialistischer Programmatik zur Überwindung patriarchaler Herrschaft und Unterdrückung von ethnischen Minderheiten. Auch die Auflösung der Polizei als Teil einer Unterdrückungsmaschinerie und ihre Ersetzung durch kommunale und über demokratische Räte kontrollierte Strukturen wurde erläutert. Die anwesenden Militärpolizisten (Jandarma) erwachten bei diesem Beitrag aus ihrem Schlummer und wurden hellhörig.

Arif Celebi sagte: „Ich bin Kommunist und Atheist. Ich gehöre der kurdischen Nation an, ich bin Alevit und meine Muttersprache ist Kurdisch." Er betonte, „eine Ordnung, die einen Völkermord an den Armeniern verübte, die Kurden mit Assimilation und Völkermord wie auch die in der Türkei lebenden Griechen auszulöschen versuchte" habe sich schon lange überlebt.
Seyfi Polat begann mit den Worten: „Hier soll heute die MLKP angeklagt werden und die Weltanschauung, die sie vertritt." Er sagte, dass „die Entscheidung über dieses Verfahren die Zeit und unser Volk fällen werden", und es für ihn eine Ehre sei, die MLKP zu verteidigen.

Das Verfahren vor dem Staatsicherheitsgericht DMG dauerte sechs Stunden. Die Richter verhielten sich den Angeklagten und Verteidigern gegenüber anders als in den bisherigen Verfahren respektvoll und hörten aufmerksam zu. Vor Prozessbeginn gab es vor dem Gericht eine Pressekundgebung mit ca. 200 TeilnehmerInnen. Wegen der angespannten Lage mit Kriegsvorbereitung und nationalistischer Hysterie auf den Straßen waren viele UnterstützerInnen und Freunde der Angeklagten nicht gekommen. Erfreulich war die Teilnahme von 11 internationalen ProzessbeobachterInnen aus Italien, Frankreich, Belgien und Deutschland. Nach hartnäckigen und wiederholten Diskussionen mit Polizei und Justiz erlaubte der vorsitzende Richter nach zwei Stunden den Einlaß der ausländischen BeobachterInnen.

Dieses ist der erste Prozess, der nach dem neuen türkischen Anti-Terror-Gesetz vom Sommer letzten Jahres durchgeführt wird. Europaweit gibt es die Tendenz, politischen Widerstand als "Terrorismus" zu kriminalisieren. Aktuelle Beispiele sind das Vorgehen im Vorfeld der G8-Proteste in Deutschland, die Operationen gegen die Neue Kommunistische Partei Italiens und die baskische Partei Batasuna. Es ist höchste Zeit über den Tellerrand zu schauen und internationale Solidarität zu praktizieren.

Renate Hartmann und Ulf Petersen aus Istanbul
(Prozessbeobachter)
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Ergänzungen

Soli mit den Angeklagten

Memik Horuz 27.10.2007 - 18:26
Solidaritat mit den Angeklagten

Kemal Yalcın



Wir, die unterzeichnenden Intellektuellen, Künstler, Journalisten, rufen allen dazu auf, sich mit Özge Kelekci, Mitarbeiterin der Zeitung Atilim, Emin Orhan, Redakteur der Zeitung Atilim, Halil Dinc, Direktor von Özgür Radio und Sinan Gercek, Mitarbeiter des Radios Özgür Radyo, die nach 6 Monaten Haft ihre erste Gerichtsverhandlung haben werden, zu solidarisieren.  http://www.dengeazadi.de/news/fast-200-intellektuelle-kunstler-und-journalisten-rufen-zur-solidaritat-mit-den-angeklagten-am-13-april-auf

1. Haluk Gerger (Wissenschaftler, Schriftsteller)
2. Varlık Özmenek (Journalist, Schriftsteller)
3. Perihan Magden (Schriftstellerin)
4. Ece Temelkuran (Schriftstellerin)
5. Akın Birdal (Stellvertretender Vorsitzender der Föderation der Internationalen Menschenrechte)
6. Vecdi Sayar (Präsident der Abteilung Türkei des Internationaler PEN - internationale Schriftstellervereinigung, siehe de.wikipedia.org/wiki/PEN)
7. Ragıp Zarakolu (Türkeivertreter des Internationalen PEN, Journalist, Schriftsteller)
8. Ercan İpekci (Vorsitzender der Gewerkschaft der Journalisten der Türkei)
9. Sanar Yurdatapan (Sprecher der Initiative für die Meinungsfreiheit)
10. Necati Abay (Sprecher der Solidaritätsplattform mit den Inhaftierten Journalisten, Schriftsteller)
11. Ahmet Abakay (Vorsitzender des Vereins Zeitgenössischer Journalisten - CGD)
12. Müge Sökmen (PEN Türkei Vorsitzender der Komitee für die inhaftierten Schriftsteller)
13. Jonathan Heawood (Direktor der PEN Zentrum in England)
14. Lucina Kathmann (Stellvertretender Vorsitzender des Internationaler PEN und Schriftsteller)
15. Jana Beranová (Schriftsteller, Mietglied von PEN Holland)
16. Chiara Macconi (Italien PEN)
17. Eugene Schoulgin (Schriftsteller)
18. Memik Horuz (Journalist, Schriftsteller)
19. Celal Baslangıc (Journalist, Schriftsteller)
20. Abdurrahman Dilipak (Schriftsteller)
21. Ahmet Sık (Journalist bei der Zeitschrift Nokta)
22. Vedat Türkali (Schriftsteller)
23. Aslı Erdogan (Schriftsteller)
24. Edip Akbayram (Sänger)
25. Prof. Dr. Baskın Oran (Schriftsteller)
26. Mehmet Bekaroglu (ehemaliger Abgeordneter und Schriftsteller)
27. Berat Güncıkan (Journalistin, Schriftsteller)
28. Turgay Olcayto (Journalist, Schriftsteller)
29. Erol Önderoglu (Journalist, Schriftsteller)
30. Hakan Gülseven (Redakteur des Zeitschrift Red Dergisi)
31. Hasan Kıyafet (Schriftsteller)
32. Emin Karaca (Schriftsteller)
33. İhsan Caralan (Chefredakteur der Zeitung Evrensel)
34. Mehmet Güc (Mitarbeiter der Zeitung Birgün)
35. Yüksel Genc (Chefredakteur der Zeitung Gündem)
36. Ferzende Kaya (Chefredakteur der Zeitschrift Esmer Dergisi)
37. Sibel Özbudun (Schriftsteller)
38. Temel Demirer (Schriftsteller)
39. Ercan Kanar (Rechtsanwalt, Schriftsteller)
40. Ragıp Duran (Journalist, Schriftsteller)
41. Cezmi Ersöz (Schriftsteller)
42. İsmail Besikci (Schriftsteller)
43. Oral Calıslar (Schriftsteller)
44. Sükran Soner (Schriftsteller)
45. Sebnem Korur Fincancı (Doktor und Schriftsteller)
46. İlkay Akkaya (Sängerin)
47. Kutsiye Bozoklar (Schriftstellerin)
48. Cengiz Bektas (Musiker, Architekt)
49. İbrahim Okcuoglu (Schriftsteller)
50. Fikret Baskaya (Schriftsteller)
51. Metin Yegin (Schriftsteller)
52. Askın Ayrancıoglu (Maler, Karikaturist)
53. Ayse Cekic Yamac (Schriftsteller)
54. Beyhan Aksoy (Sängerin)
55. Hüseyin Habip Taskın (Schriftsteller)
56. Roni Alasor (Journalist, Schriftsteller)
57. Medeni Ferho (Journalist, Schriftsteller)
58. Rojan Hazim (Schriftsteller)
59. Dervis M. Ferho (Vorsitzender des Kurdischen Instituts Brüssel)
60. Yener Orkunoglu (Redakteur der Zeitung Özgür Politika)
61. İrfan Ucar (Journalist)
62. Erling Folkvord (Ehemaliger Abgeordneter in Norwegen, Stadtverordneter in Oslo und Schriftsteller)
63. Mehmet Sahin (Journalist, Schriftsteller)
64. Haydar Isık (Schriftsteller)
65. Sükrü Erbas (Dichter)
66. Adnan Gerger (Journalist, Schriftsteller)
67. Süleyman Kaplan (Dichter)
68. Ruhan Mavruk (Dichterin)
69. Cetin Güzel (Schriftsteller)
70. Mukaddes Celik (Journalist, Schriftsteller)
71. Aykan Erden (Dichter)
72. Bedrettin Aykın (Dichter)
73. Hüseyin Can (Journalist, Schriftsteller)
74. Aziz Özer (Zeitung Yeni Dünya İcin Cagrı)
75. Hasan Saglam (Musiker)
76. Hasan Oguz (Schriftsteller)
77. Hasan Öztoprak (Schriftsteller)
78. Cafer Solgun (Journalist, Schriftsteller)
79. Ali Keskin (Journalist)
80. Hatice Eroglu Akdogan (Schriftstellerin)
81. Hacay Yılmaz (Schriftsteller)
82. Candan Yıldız (Journalist)
83. Bahadır Kurbanoglu (Schriftsteller der Zeitschrift Haksöz)
84. Hamza Türkmen (Herausgeber der Zeitschrift Haksöz)
85. Alper Turgut (Schriftsteller, Korrespondent der Zeitung Cumhuriyet)
86. Alp Altınörs (Redakteur der Zeitung Atılım)
87. Senol Gürkan (Redakteur der Zeitung Atılım)
88. Mehmet Özer (Dichter)
89. Meltem Kaya (Dichterin)
90. Suzan Samancı (Schriftstellerin)
91. Suna Parlak (Schriftstellerin)
92. Songül Özbakır (Mitarbeiter des Radios Özgür Radyo)

ESP-Mitglieder zu insgesamt 43 Jahren verurte

Hacı Orman 27.10.2007 - 18:45
Im März 2006 wurden 14 Mitglieder der ESP (”Sozialistische Plattform der Unterdrückten” Webseite) in Ankara festgenommen, weil sie auf der von Berufsorganisationen und Gewerkschaften im November 2005 organisierten Kundgebung für das Recht auf Gesundheit “illegale” Parolen gerufen haben sollen. Unter ihnen war auch Deniz Bakir, der Vertreter der ESP in Ankara.
Erst nach 10 Monaten Haft wurden sie am 17. Januar 2007 vor das Gericht für schwere Straftaten gebracht. Ohne dass ein konkreter Beweis vorlag wurden sie zu „Mitgliedern der MLKP” (”Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei”, in der Türkei verboten. Mehrsprachige Webseite: www.mlkp.info) erklärt und zu Haftstrafen zwischen 20 Monaten und 7 Jahren und 6 Monaten verurteilt.
Rahsan Aytac, Anwältin der angeklagten ESP-Mitglieder: “unter dem, was als Beweis vorgelegt wurde, war nichts, was eine Mitgliedschaft der Angeklagten in der MLKP beweisen würde”.
Eine am am gleichen Tag stattfindende Protestaktion wurde unter anderem von Familien von TAYAD, dem Menschenrechtsverein IHD, Angehörigen der Gefangenen und dem Dichter Mehmet Özer unterstützt.

dengeazadi

Katinka Wedskosja 27.10.2007 - 21:58
Am 22. Januar 2007 hat das Justizministerium der Türkei einen Erlass veröffentlicht, der an die Staatsanwaltschaft der Republik übermittelt wurde. Bis zu 10 Gefangene sollen nun zu bestimmten Zeiten zusammen kommen können, die Isolation in den F-Typ-Gefängnissen wird stark abgemildert. Der Erlass wurde vom Rechtsanwalt Behic Asci, seit 293 Tagen im Hungerstreik, als positiv empfunden. Genauso betrachteten es die Gefangenenangehörigen, demokratischen Massenorganisationen und Berufsorganisationen. Behiç Asçi und Gülcan Görüroğlu (263 Tage im Hungerstreik) haben ihren Hungerstreik ausgesetzt und sich in ein Krankenhaus begeben.
Weitere Infos und Links bei indymedia.de: “Todesfasten unterbrochen”.
 http://www..de/news/hungerstreik-nach-erlass-des-justizministeriums-ausgesetzt

Polizei und Militaer

Karl 28.10.2007 - 02:21
Das türkische Militaer hat in der Bevölkerung und in der ganzen Propaganda des Staates ein sehr grosses Ansehen. Die Polizei nicht so. Im Prinzip macht aber die Polizei bei der Verteidigung des Staates gegen alles mögliche die Drecksarbeit, Arbeitsbedingungen sind weit davon entfernt, perfekt zu sein und dabei kommen auch immer mal wieder PolizistInnen um ect.. Das gefaellt der Polizei natürlich garnicht. In dieser Situation herrscht bei einfachen BeamtInnen eine gewisse Unzufriedenheit: Wir machen die Drecksarbeit und keiner mag uns.

Das macht die noch lange nicht zu SypathisantInnen von wie auch immer gearteten RevolutionaerInnen, aber erklaert vielleicht ein bisschen, wieso die hellhörig werden, wenn es um ihre Rolle geht.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Kemal Yalcın

Verhaftet 27.10.2007 - 22:04
ja ......... VERHAFTET --- SöLI solo .............................

Ach

herrje... 28.10.2007 - 00:32
soll ich mich mit einem MLPK-Mitglied solidarisieren? Definitiv Nein! Eine Partei mit diesem Namen wird definitiv - egal wo - nicht die Interessen der Benachteiligten dieser Welt vertreten! Es klingt gut im Kampf gegen Kapitalismus, aber MLK ist seinem Wesen nach nicht besser und als System menschenrechtsverachtend pur. Sorry, ich verstehe ihn und die Unterzeichnenden des Unterstützerausrufes nur zu gut - aber mir tuts um den Menschen leid und ich fühle mit ihm in seinem Kampf gegen das gegenwärtige System, aber das, wofür er steht, ist sowas von widerwärtig!