Berlin: Revanchisten vertreiben!

Eduard Beneš 23.10.2007 02:24
Am 22.10 fand ab 17.00 Uhr gegenüber dem Kronprinzenpalais (Unter den Linden in Berlin) eine Kundgebung statt. Im Palais feierte zeitgleich der Bund der Vertriebenen den 50. Jahrestag seiner Gründung.
Bundeskanzlerin Merkel hielt eine Festrede und der Präsident des Roten Kreuzes durfte eine Grußbotschaft verlesen. Nicht nur, dass das Bestehen einer solchen Organisation über einen so langen Zeitraum ein Skandal ist. Zudem feierten die "Vertriebenen" und ihre UnterstützerInnen auch noch gleich bei der Universität, in der die Großraumpläne der Nazis erst ausgearbeitet wurden. Ein Bündnis Berliner Antifaschistinnen und Antifaschisten war vor Ort um dies nicht unkommentiert zu lassen und sorgte mit rund 100 TeilnehmerInnen dafür dieses Treffen wenigstens kritisch zu begleiten. Neben passender Musik gab es auch etliche Redebeiträge - einer wird hier dokumentiert:

Get out of our way!!! Gegen die politisch-ideologische Wegbereitung eines “Zentrums gegen Vertreibungen“...

Mit der Ausstellung „Erzwungene Wege“ versucht der „Bund der Vertriebenen“ (BdV) eines seiner zentralen Projekte – die Einrichtung eines sog. „Zentrums gegen Vertreibungen“ – vorzubereiten und voranzutreiben. Diese Ausstellung zieht seit ihrer Eröffnung im Spätsommer 2006 als Wanderausstellung durch das gesamte Bundesgebiet und soll die geschichtsrevisionistischen und revanchistischen Umtriebe des Vertriebenendachverbandes nachhaltig in der öffentlichen Debatte verankern. Dabei findet das reaktionäre Geschichtsbild der sog. „Vertriebenen“ Anschluss an den im Rahmen der geschichtspolitischen Debatten der jüngeren Vergangenheit aktualisierten Erinnerungsnationalismus der Berliner Republik.
Begleitet wurde die Einrichtung dieser Ausstellung und das mit ihr verbundene Werben für ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ von massiver Kritik, vor allem aus den osteuropäischen Nachbarstaaten Polen und Tschechien. Aber auch in einzelnen Kommentaren aus Deutschland wurden Gestaltung und Ausrichtung der Ausstellung teilweise als geschichtsrevisionistisch kritisiert.
Allerdings blieb diese Kritik in der öffentlichen Debatte merkwürdig unterbelichtet und spielte in den Auseinandersetzungen um die vom BdV halluzinierten „Erzwungenen Wege“ nur eine marginalisierte Rolle. Geprägt war die Auseinandersetzung eher von Lobreden auf die Ausstellung und den BdV, in welchen den sog. „Vertriebenen“ und ihrem Dachverband ein Lernprozess attestiert wurde. Allerdings stellt sich die Frage, auf welcher Grundlage die Deutschen in der Betrachtung ihrer Geschichte und im Besonderen der Aktivitäten der immer zahlreicher und prominenter unterstützten Vertriebenenlobby in Deutschland zu solchen Einschätzungen gelangen können.
Der BdV steht klar für die postnazistischen Kontinuitäten in der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Auch nach einem Generationswechsel innerhalb des Verbandes hat sich im Auftreten und in den Aktivitäten des BdV nichts geändert. Die für die Ausstellung titelgebenden „Erzwungenen Wege“ stellen einen der zahlreichen der durch den BdV unterstützen Versuche dar, die mörderische deutsche Vergangenheit zu „europäisieren“ und dergestalt eine Entlastung der Biografien deutscher Täter und Täterinnen zu organisieren.
Seit Mitte der 90er Jahre kam es zu Veränderungen in den deutschen Geschichtsdebatten. Sie sind seitdem nicht mehr vordergründig von Verharmlosung und Leugnung geprägt. Die Verbrechen der Nationalsozialisten wurden im Einklang mit dem nach der sog. „Wiedervereinigung“ geprägten deutschen Selbstverständnis, für die deutschen Verbrechen nicht mehr verantwortlich gemacht werden zu können, durchaus benannt und teilweise auch in ihrem historischen Kontext dargestellt. Allerdings geschah dies unter einem besonderen Vorzeichen: Der II. Weltkrieg wurde fortan als ein nebulöser „europäischer Schicksalsschlag“ begriffen und nicht mehr als ein von den Deutschen entfesselter Vernichtungskrieg. Selbst wenn dabei auf die explizit deutschen Verbrechen eingegangen wurde, diente dies nur dazu, im gleichen Atemzug und umso unverblümter die Deutschen als Opfer ihrer eigenen Geschichte darzustellen und sich heute als selbstbewusste, weil unvorbelastete Nation zu präsentieren.
All diese Spezifika deutscher Geschichtspolitik finden sich auch in der "Erzwungene Wege"-Ausstellung wieder: „Vertreibung“ wird als ein europäisches Problem begriffen und das Hauptaugenmerk auf die „Vertreibung der Deutschen“ gelegt und damit die deutsche Schuld europäisiert. Gleichzeitig werden die historischen Unterschiede und Ursachen der verschiedenen „Vertreibungen“ vollkommen nivelliert und damit entkontextualisiert, ganz so, als wäre die Umsiedlung aus heiterem Himmel über die Deutschen gekommen.
So fehlt in der Ausstellung der Bezug auf den historischen Kontext. Es ist keine Rede davon, welche Rolle die sog. „Volksdeutschen“ in den osteuropäischen Ländern vor und nach der Besetzung durch die Wehrmacht und SS spielten, keine Rede von NSDAP-nahen Parteiorganisationen wie der „Sudetendeutschen Partei“, keine Rede von Vertreibungen der polnischen und tschechischen Bevölkerung durch die Deutschen und auch keine Rede von Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung kurz vor und nach dem Einmarsch der Wehrmacht. In der Geschichtsschreibung der Ausstellung tauchen solche Ereignisse, die etwa der Geschichtswissenschaftler Erich Später als exemplarisch für den Zusammenhang zwischen deutscher Volksgemeinschaft und Vernichtung ansieht, nicht auf. So wird verschwiegen, dass genau jene nach dem Krieg umgesiedelten Deutschen die durch Mord, Vertreibung und Vernichtung eroberten Ostgebiete besiedeln sollten und damit eine zentrale Größe in der deutschen Volksgemeinschaftsideologie waren.
In der Ausstellung "Erzwungene Wege" wird propagiert, dass jene sich selbst als deutsch verstehenden Angehörigen osteuropäischer Staaten, die in großer Zahl NationalsozialistInnen waren oder zumindest das Mitmachen dem Widerstand vorzogen, auch für die späteren Folgen ihres millionenfach mörderischen Handelns nicht auch ganz selbstverständlich verantwortlich gemacht werden könnten.
Für diese Ausblendung spielt gerade die Methode der „oral history“ in der Machart eines Guido Knopp eine entscheidende Rolle, weil sie historische Prozesse mit subjektiv erlebter Geschichte verzerrt und weil sie aus einem individuellen Leiden, das die historischen Voraussetzungen gar nicht reflektieren kann, historische Fakten schaffen will. Auch in der „Erzwungene Wege“-Ausstellung sollen anhand persönlicher Schicksale - aufbereitet in Interviews, die in Bild und Ton abrufbar sind - die „Leidenswege“ der Deutschen exemplarisch nachgezeichnet und damit die Erinnerung, die aus der TäterInnenperspektive resultiert, an die Stelle historischer Fakten gesetzt werden.
Auf diese Weise wird ebenso der wichtige Beitrag abgewertet, den ZeitzeugInnen-Interviews mit den Überlebenden der Shoah für die schon von Theodor W. Adorno vergeblich geforderte "Aufarbeitung der Vergangenheit" darstellen. Gerade durch die in Deutschland populäre, zu einer einseitigen Darstellung führende und entkontextualisierende Praxis einer "oral history", die den Anspruch verfolgt, TäterInnen und Opfer vorrausetzungsfrei und gleichberechtigt zu Wort kommen zu lassen, wird das Andenken an die Opfer durch die Erinnerungen der TäterInnen kontrastiert und dergestalt mit Füßen getreten. Inzwischen gelten die Erzählungen der TäterInnen als Beitrag zur Historisierung der Nazi-Herrschaft und müssen als Versuch angesehen werden, die geschichtliche Faktenlage und die Verantwortung der deutschen Bevölkerung in Bezug auf die Shoah und die Verbrechen der deutschen Wehrmacht während des 2. Weltkrieges in Frage zu stellen.
In der Ausstellung "Erzwungene Wege" selber kulminiert diese Art relativierender Geschichtspolitik in der vollkommenen Ausblendung der Shoah, ein für sich selbst sprechender und bezeichnender Hinweis auf das Geschichtsbild der sog. "Vertriebenen".
Das Gesagte verdeutlicht, dass es notwendig bleibt, dem deutschen Opfermythos und den in diesen eingeschriebenen Relativierungen der deutschen Geschichte, der in Deutschland praktizierten Verharmlosung des Nationalsozialismus und den exemplarisch vom BdV vorgeführten erinnerungspolitischen Angriffen auf das Gedenken an die Shoah in jeder Form entschieden entgegenzutreten!
Deutsche TäterInnen sind keine Opfer!!!
Deutschland...Halt’s Maul!!!
:desperados: Berlin
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Ergänzungen

Merkel: Vertriebenenzentrum in Planung

NO TEARS FOR SCHLEYER 23.10.2007 - 02:46
50 Jahre Bund der Vertriebenen
Merkel bekräftigt Pläne für Vertriebenen-Mahnmal


Deutschland will trotz anhaltender Kritik mit einem sichtbaren Zeichen an das Schicksal von Vertriebenen erinnern. Man werde in Kürze ein entsprechendes Konzept vorlegen, versprach Kanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede beim Festakt zum 50-jährigen Bestehen des Bundes der Vertriebenen (BdV) in Berlin. Darauf habe man sich im Koalitionsvertrag geeinigt und das werde man auch umsetzen.

Artikel mit vielen Hintergrundinfos

Initative Recherche 23.10.2007 - 04:10

50 Jahre Parallelwelt!

machnow 23.10.2007 - 10:14
Es ist sehr wichtig den folkloristischen und bürgerlichen Nazis etwas entgegenzusetzen. Leider war die Kundegebung zu weit weg vom Eingang zum Kronprinzenpallais, wo ungestört die Gäste vorfahren konnten. Die Polizeipräsenz war recht gering. So hätte wenigstens versucht werden können, sich etwas näher an die Adressaten des Protestes heran zu wagen. Genug und ambitionierte Leute waren ja da. Denn die Gefahr das ein Vertriebenenmahnmal entsteht steigt stetig. Merkel befürwortet neuerdings ein solches ganz offensiv und möchte demnächst ein Konzept vorlegen. Die Ober-Vertriebene, Erika Steinbach, scheint seit gestern auch ein wenig übermütig geworden zu sein. Sie fordert gegenüber der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung einen "nationalen Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibungen". Dieser erneute Vorstoss der bekloppten Trachtengang BdV, die es nicht unterläßt permanent sein „vollständiges und wahrhaftiges deutsches und europäisches Geschichtsbild“ präsentieren zu wollen, wobei ebenso dauerhaft die Shoa und die Kriegsverbrechen der Nazis relativiert werden, scheint nun aber in der Mitte der gesellschaft angekommen zu sein. Sogar der Zentralrat geht auf den BdV zu. Der FAZ gegenüber äußert ihr Vizepräsident Dieter Graumann, das Gedenken an Vertreibung nicht als Anlass und Objekt von Streit und Provokation gegenüber Polen und Tschechien zu sehen, sondern stattdessen als "immense Chance, im gemeinsamen Erinnern ein Stück Annäherung und eine friedvolle Zukunftsperspektive zu gewinnen".

@machnow / Kritik

Krusty (The Clown) 23.10.2007 - 10:38
das stimmt nicht, es waren nicht genug Leute vor Ort gewesen und von Team Green waren leider auch zuviele da! Wenn du mal in die Nebenstraße geschaut hättest dann hättest du gesehen das dort neben einem Eingang noch ca. 10 wenn nicht sogar noch mehr Cops standen die ziemlich aggresiv drauf waren!

Bilder...

ak_antifa potsdam 23.10.2007 - 16:20

Text von Erfurter Antifas zum BdV

finder 23.10.2007 - 23:17
BdV auflösen - 50 Jahre sind genug!

Am 22. Oktober 2007 feiert der "Bund der Vertriebenen" sein 50jähriges Jubiläum. Seit Anbeginn war der "Bund der Vertriebenen" als Dachverband sogenannter Landsmannschaften ein Sammelsurium reaktionärer und revanchistischer Verbände.
Im Neuen Deutschen Opferdiskurs der wiedererstarkenden Weltmacht Deutschland will der BdV seine eigenen völkischen Ziele durchsetzen und bemüht daher den über 50 Jahre gehegten Opfer-mythos der "deutschen Volksgruppen".

ausführlicher Text der Antifaschistischen Koordination Erfurt [AKE]

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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@Eduard Beneš / Richtigstellung — Krusty (The Clown)

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