Nachtrag zum Castor 2006 nach Gorleben

pvmobil2007 22.10.2007 20:55 Themen: Atom
Fast ein Jahr nach dem Castortransport von La Hague nach Gorleben im letzten November möchte ich hier eine Messung der radioaktiven Strahlung an vorbeifahrenden Castoren vorstellen. Am frühen Morgen des 13.11.2006, während der Fahrt des Castortransportes vom Verladekran Dannenberg zum Zwischenlager in Gorleben habe ich an der Kreuzung vor dem Verladekran Strahlungsmessungen an den Castoren durchgeführt. Die gefundenen hohen Strahlungswerte sind auch deshalb interessant, weil die nächsten Transport nach Gorleben eine höhere Strahlenfracht mitbringen werden. Ursache dafür ist der erhöhten Abbrand der zuletzt aus deutschen Atommeilern nach La Hague gelieferten Brennelemente. Die für den Transport nach Gorleben in den nächsten Jahren eingesetzten Transportbehälter müssen die daraus resultierende höhere Wärmeleistung aushalten und die ebenfalls enorm erhöhte Gamma- und Neutronenstrahlung wirksam abschirmen können. Eine Überwachung der Transportstrecke mit Strahlungsmessgeräten an möglichst vielen Stellen zwischen La Hague und Gorleben wäre somit ein möglicher Hebel weitere Castoren nach Gorleben zu verhindern.
Zwei verschiedene Strahlungsarten durchdringen die Wände des Castors: Gammastrahlen und Neutronenstrahlen. Die Gammastrahlung entstammt den radioaktiven Atomen, die bei der Energiegewinnung im Atomkraftwerk aus der Spaltung von Uran entstehen. Neutronenstrahlung entsteht u.a. im Castor selbst durch verschiedene Reaktionen, wie der Spaltung von sehr schweren Atomen wie Uran und Plutonium (Spaltneutronen). In einer im November 2000 vorgelegten Studie der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) [GRS2000] war damals festgestellt worden, dass die potenzielle Strahlenexposition für die Bevölkerung und die begleitende Polizei bei Castor-Transporten sehr gering sei. Die Studie ging dabei von drei Transporten pro Jahr mit jeweils 6 Castoren aus. Sowohl für die Anwohner der Hauptanfahrstraßen als auch für die unmittelbaren Anlieger am Castor-Verladekran sah die Studie keine Gefahr. Nach der Aufhebung des vorläufigen Transportverbots im Frühjahr 2001 fahren wieder jährlich Castortransporte nach Gorleben. Mich interessierte die von den Castoren tatsächlich ausgehende Direktstrahlung. Diese Ganzkörperbestrahlung stellt eine starke Gefährdung für Mensch und Tier in der näheren Umgebung der Transporte dar. Im letzten November war ich mit einem Strahlenmessgerät im Wendland und wollte es genau wissen.


Am frühen Morgen des 13.11.2006, während der Fahrt des Castortransportes vom Verladekran Dannenberg zum Zwischenlager in Gorleben habe ich an der Kreuzung vor dem Verladekran Strahlungsmessungen an den vorbeifahrenden Castoren durchgeführt. Ich habe an der von den Initiativen „X-tausendmal quer“ und „Widersetzen“ gemeinsam organisierten Sitzblockade teilgenommen. Die Messungen haben innerhalb der Einkesselung der Sitzblockade am Verladekran stattgefunden, nachdem diese kurz zuvor aufgelöst worden war.

Die Strahlungsmessung wurde mit einem Gamma Scout ( http://www.gamma-scout.com) durchgeführt. Dieses Gerät ist Endfensterzählrohr, das nach dem Geiger-Müller-Prinzip funktioniert. Die Entfernung zum Castor betrug ca. 6 - 7 Meter. Dazwischen befanden sich Polizeikräfte und auch Einsatzwagen. Die eventuelle Abschirmung durch diese wurde in der folgenden Berechnung des Strahlenwertes nicht berücksichtigt. Die Messung ist somit eher eine Unterschätzung der tatsächlich vorhandenen Strahlung. Die Messhöhe war ungefähr 2 Meter und somit etwas über den Köpfen der Polizeikräfte. Es wurde während der gesamten Zeit, in der Castor-Behälter (insgesamt 12) an der obengenannten Stelle vorbeifuhren, gemessen. Die maximale gemessene Gammastrahlung war 1.54 µSv/h (siehe Foto). Es wurden noch höhere Werte gemessen, allerdings nicht fotografiert.


Berechnung der Gesamtdosisleistung:

Die Messung der örtlichen Hintergrundstrahlung im Zeitraum von einigen Stunden vor der Ankunft des Transport wurde mit dem mitgeführten Gerät zu 0.11 µSv/h bestimmt. Dieser Wert liegt etwas höher als der mit professionelleren Geräten üblicherweise gemessene Hintergrundstrahlung in Dannenberg von circa 0.08 µSv/h. Der Grund dafür ist die gerätebedingte cut-off Energie beim Gamma Scout, die bei 20 keV liegt. Die Ansprech-empfindlichkeit des Gamma Scout Zählers ist daher circa viermal niedriger als bei den teureren Geiger-Müllerzählern.

Nach Abzug der Hintergrund Gammastrahlung ergibt sich aus dem gemessenen Maximalwert eine korrigierte Gammastrahlung von 1.43 µSv/h. Erfahrungsgemäß besteht die bei Castor-transporten abgegebene Strahlung zu 70% aus Neutronenstrahlung. Die Annahme, dass der Anteil der (hier nicht gemessenen) Neutronenstrahlung 70% der Gesamtstrahlung ausmacht, basiert auf früheren Messungen an Castor-Behältern vom Typ HAW 20/28 [SSK98]. Zur Berechnung der wirksamen Gesamtdosisleistung wird für die Neutronenstrahlung gemäß der Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) ein Qualitätsfaktor von 10 verwendet. Der Faktor 10 für die Neutronenstrahlung ist in der StrlSchV für einen Energiebereich von 2 MeV bis 20 MeV vorgegeben. Der Qualitätsfaktor gibt an, mit welchem Faktor die physikalische Dosis zu multiplizieren ist, um Aussagen über deren biologische Schadwirkung (biologische Dosis) zu erhalten. Für die Gammastrahlung beträgt der Qualitätsfaktor 1. Die gemessene Gesamtdosisleistung beträgt somit 1.43*100/30 = 4.8 µSv/h.

Die Strahlungswerte für einen Abstand von 2 m Entfernung vom Transportfahrzeug sind von besonderer Bedeutung, da in den Vorschriften für Gefahrguttransporte für diesen Abstand ein Grenzwert festgelegt ist. Laut international geltender Transportbestimmungen für Gefahrgüter vom Typ B, und dazu gehören die Castortransporte, darf in 2 m Entfernung vom Gefahrgut eine Strahlendosisleistung von 100 µSv/h an keinem Punkt überschritten werden. Mit zunehmendem Abstand vom Castorbehälter nimmt die Strahlungsintensität ab. Diese Abnahme folgt in geringer Entfernung vom Behälter einer Abnahme mit dem Quadrat der Distanz (1/r^2 Abhängigkeit). Da die Entfernung zum Castorbehälter etwas schwankte, wurde die Gesamtdosisleistung für eine Entfernung von 6.5 m berechnet. Der oben ermittelte Messwert von 4.8 µSv/h kann so auf eine entfernungskorrigierte wirksame Gesamtdosisleistung von etwa 101.4 µSv/h im Abstand von 2m extrapoliert werden. Der internationale Transportgrenzwert für Behälter mit hochradioaktiven Abfällen ist auf 100 Mikrosievert pro Stunde in zwei Meter Abstand festgelegt. Dieser Wert entspricht in etwa dem 1400-fachen des Durchschnittswertes der natürlichen Strahlung in der Region.


Mögliche Fehlerquellen und Vergleich mit anderen Messungen:

Eine Betrachtung möglicher Fehlerquellen der Strahlungsmessung ergibt, dass sich der Fehler der Messung hauptsächlich aus der Messgenauigkeit für Gammastrahlung - die aufgrund der relativ kurzen Messzeit etwa 10% betrug - und dem Fehler der Entfernungskorrektur von ca. 16% zusammen. Aus dem sich so ergebenden Gesamtfehler von 19% kann die Gesamtdosisleistung in 2 m Abstand mit 101 ± 19 µSv/h angegeben werden. Selbst der untere Wert von 82 µSv/h liegt immer noch sehr nahe am Grenzwert der Transportverordnung. Nicht berücksichtigt bei der Bestimmung des Gesamtfehlers blieb der Fehler des Qualitätsfaktors für Neutronen. Nach Einschätzungen eines unabhängigen Wissenschaftlers müsste der Wert sogar 75 betragen [KUN2000].

In der Literatur wird eine Gesamtdosisleistung in 2 m Entfernung von 55 µSv/h bei Castorbehältern angegeben [GRS2000]. Der gefundene Wert von 101 µSv/h überschreitet bisherige Messungen um fast das Doppelte. Die bei diesem Transport im November 2006 gemessene Gesamtdosisleistung ist höher als der von Robin Wood e.V. im März 2001 festgestellte Maximalwert von 60 µSv/h in 2 m Abstand vom Castor [RWM2001]. Diese Messung wurde in einem Abstand von 24.5 m durchgeführt. Eine Messung von Robin Wood e.V. im November 2001 ergab einen geringeren Wert von 38 µSv/h [RWN2001]. Castorbehälter haben unterschiedlichen Gehalt an Radioaktivität, die für die Strahlungsintensität maßgebend ist, und daher kann es auch zu Schwankungen zwischen Einzelmessungen an verschiedenen Castoren kommen. Der hier gemessene Wert ist der Höchstwert, der an einem der 12 vorbeifahrenden Behälter erreicht wurde. Die maximale gemessene Gesamtdosisleistung erreicht den festgelegten Grenzwert von 100 µSv/h in 2 m Abstand von der Fahrzeugoberfläche. Neu gegenüber den Messungen von Robin Wood e.V. ist der geringe Abstand zu den Castoren. Im Gegensatz zu den Transporten im Jahr 2001 werden mittlerweile zwölf statt sechs Behälter transportiert, was mit großer Wahrscheinlichkeit auch eine Erhöhung der Gesamtdosisleistung an einem bestimmten Punkt in der Nähe der vorbeifahrenden Castoren zur Folge hat.

Laut Fachgruppe Radioaktivität der BI Lüchow-Dannenberg unterscheidet sich die Analyse der Messdaten zum Castortransport im Jahr 2006 nicht von denen der vorangegangenen Jahre ( http://www.castor.de/technik/messung/2006/2006.html). Mit einem Detektor wurde Gammastrahlung am Straßenrand während der Transportzeit erfasst. Der Abstand des Detektors zum vorbeifahrenden Castor ist jedoch nicht bekannt. Er liegt aber ebenfalls im Bereich des quadratisch abfallenden Intensitätsbereiches. Die Fachgruppe Radioaktivität will die aus ihren Messwerten abgeleiteten Strahlungsintensitäten aufgrund der Unischerheiten nur als Werte mit orientierenden Charakter verstanden wissen. Betrachtet man beide Messungen als richtig würde dies bedeuten, dass es auch schon in den letzten Jahre extrem hohe Strahlungsintensitäten gab.


Schlussfolgerung:

Dem Grenzwert der Strahlenschutzverordnung liegt noch immer der alte Wichtungsfaktor von 10 für die biologische Wirksamkeit von Neutronen zu Grunde, obwohl die International Strahlenschutzkomission ICRP in ihrer Empfehlung 60 von 1991 [ICRP60] einen Wichtungsfaktor von 20 für Spaltneutronen empfohlen hat. Die Frage ist, ob diese Qualitätsfaktoren den weltweiten strahlenbiologischen Forschungsergebnissen entsprechen. Die Annahme einer linearen Beziehung zwischen der physikalischen Energieabsorption und der biologische Wirkung trifft nicht in allen untersuchten Fällen zu. Abhängig von der Neutronenenergie und biologischen System ergeben sich Unterschiede von mehr als Faktor 100. Tatsächlich können bei geringer Dosisleitung relativ mehr Radikale (aus der Radiolyse des Zellwassers) zur Auslösung von Mutationen zur Verfügung stehen als bei höheren, da der Effekt der Selbstauslöschung von Radikalen zum Teil wegfällt. Eine überlineare Dosis-Wirkungs-Beziehung ist die Folge.

Die Menschen, die sich beruflich, als Demonstranten oder als Anwohner im Nahbereich des Castor aufhalten, sind nach diesen Messungen einem erhöhten Gesundheitsrisiko ausgesetzt. Der nächste Castortransport sollte an vielen Stellen der Transportstrecke mit Strahlenmeßgeräten überwacht werden. Anti-Atomgruppen sollten sich überlegen mobile Gammastrahlen-Messgeräte anzuschaffen oder zu leihen, am besten auch Geräte zur Messung der Neutronenstrahlung.

Insgesamt sind 2008, 2009 und 2010 noch jeweils drei Transporte aus Frankreich nach Gorleben geplant, bei denen je elf Behältern mit Abfällen aus der Wiederaufarbeitung angeliefert werden sollen. Beim Transport im Herbst 2008 werden offensichtlich französische Behälter vom Typ TN85 verwendet. Dieser französische Behältertyp hat im Mai diesen Jahres unter Protesten eine Kalthantierung in Gorleben durchlaufen.

Wegen erhöhten Abbrands der zuletzt aus deutschen Atommeilern nach La Hague gelieferten Brennelemente muß der Transportbehälter die daraus resultierende höhere Wärmeleistung aushalten und die ebenfalls enorm erhöhte Gamma- und Neutronenstrahlung wirksam abschirmen können. Die Wärmeleistung erhöht sich von 45 kW um über 20% auf 56 kW. Etwa eine Minute Aufenthalt in 1 m Entfernung eines unabgeschirmten Castorbehälters würde beim Menschen eine tödliche Dosis verursachen. Das Gesamtinventar eines Behälters entspricht etwa 20% der bei der Tschernobylkatastrophe freigesetzten Strahlung. Die BI Lüchow-Dannenberg bemängelt, dass der exakte Stand der Dinge zum Behälter der Öffentlichkeit bislang trotz Anfragen bei Genehmigungsbehörden verschwiegen wird.
Mehr siehe  http://www.castor.de/presse/biprmtlg/2007/quartal3/0905.html


Quellenangaben:

SSK98
Strahlenschutzkommission; „Strahlenschutz und Strahlenbelastung im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen anläßlich von CASTOR-Transporten“; Bonn 1998

GRS2000
G.Schwarz, H.-J.Fett, Y.Francois, F.Lange; „Sicherheitsanalyse zur bestimmungsgemäßen Beförderung von radioaktiven Abfällen und bestrahlten Brennelementen in der Region Gorleben“; GRS-A-2814, GRS 2000

RWM2001
Stefan Hild; „Gammadosisleistungsmessungen an CASTOR-Behältern (März 2001)“; Robin Wood e.V.

RWN2001
Dr. Helmut Hirsch, Stefan Hild; „Messungen von Neutronen- und Gammastrahlung an Behältern vom Typ CASTOR HAW 20/28 CG“; Robin Wood e.V.; 16.11.2001

KUN2000
Kuni, H.; „Wichtungsfaktoren“; in: Strahlengefahr für Mensch und Umwelt, Berichte des Otto Hug Strahleninstitutes Nr. 21-22, April 2000

ICRP60
International Comission on Radiological Protection, Publication 60,
Recommendations of the International Comission on Radiological Protections, Annals of the ICRP, Vol. 21, No.1-3, Pergamon Press, Oxford, New York, Seoul, Tokyo, 1991
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Ergänzungen

Castor 2006 Dokufilm

cine rebelde 23.10.2007 - 10:59
Danke für diesen detaillierten Nachtrag.
Nur zur Erinnerung es gibt einen Dokumentarfilm über den Castor Transport 2006.

 http://www.cinerebelde.org/product_info.php?products_id=35

Der Film wurde neulich auf Englisch vertont. Wäre cool, wenn Leute die Info in Englisch sprechenden Kreisen streuen könnten.

Sorry, but

don't count 13.11.2007 - 00:29
Some of the calculations and expressions seems to be wrong - please read comment of

 http://de.indymedia.org/2007/11/199213.shtml

thanks!

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Diet 23.10.2007 - 04:00
xx

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tagmata 23.10.2007 - 07:49
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