Interview: Spanien kein demokratischer Staat

Uschi Grandel, Info Nordirland 13.10.2007 22:56 Themen: Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Übersetzung: Interview mit dem Iren Alec Reid über den spanisch baskischen Konflikt
Der irische Priester Alec Reid spielte eine große Rolle im irischen Friedensprozess. Er agierte meist im Hintergrund. Bekannt wurde seine Vermittlungsrolle in der Öffentlichkeit, als er zusammen mit dem Methodistischen Pfarrer Rev. Harold Good im September 2005 bezeugte, dass die IRA ihr Waffenarsenal im Beisein der beiden Kirchenleute vernichtet habe.

Seit Jahren vermittelt Alec Reid im spanisch-baskischen Konflikt und hielt sich bislang dort ebenso im Hintergrund. Die Verhaftung eines grossen Teils der Führung der baskischen Partei Batasuna am 4. Oktober 2007 in Segura veranlasste ihn, seine Zurückhaltung aufzugeben. Er gab den baskischen Journalisten Gari Mujika (GARA) und Xabier Martin (Berria) das folgende Interview über seine Sicht auf den spanisch-baskischen Konflikt und seine Vorstellungen, wie dieser Konflikt gelöst werden kann.

Das Interview ist eine Übersetzung der ursprünglich in spanischer Sprache in der Zeitung GARA veröffentlichten Version.

Alec Reid: "Niemand (kann) Spanien als demokratischen Staat bezeichnen"

von Gari Mujika, GARA

Donostia/San Sebastian, 7. Oktober 2007: während der vergangenen Monate hatte der irische Priester Alec Reid das Scheitern des Versuchs, baskisch spanische Verhandlungen zur Konfliktlösung aufzusetzen, weder in Interviews kommentiert, noch seine Meinung dazu öffentlich geäußert. Aber nach den gestrigen Verhaftungen führender Mitglieder der baskischen Unabhängigkeitsbewegung erschien er wieder in der Öffentlichkeit. Im Gegensatz zu seiner Haltung während des Waffenstillstands der ETA, kritisierte er diesmal die Versuche der spanischen Regierung, eine "wichtige" Größe, die baskische Unabhängigkeitsbewegung, aus der Gleichung zu eliminieren, als "politischen Wahnsinn".

Am Tag nach den Verhaftungen redete der Priester mit Journalisten der (baskischen Zeitungen) Berria und GARA über seine Vorstellungen, was für die Lösung des politischen Konflikts des Landes nötig sei. Aus seiner Sicht waren die Anklagen gegen die Führungsleute der Batasuna nach ihrer Verhaftung am Donnerstag "konstruiert", weil sie lediglich angeklagt wurden, an einem Treffen oder an einer Demonstration teilgenommen zu haben.

"Ich hätte nie gedacht, dass so etwas irgendwo in Europa - mit Ausnahme der Türkei - passieren könnte", erklärte Reid gleich am Anfang. So ein Verhalten sei ein "Missbrauch von Menschenrechten" und in einer Demokratie undenkbar. Und er ist sehr besorgt darüber, dass Vertreter der baskischen Unabhängigkeitsbewegung wegen ihrer politischen Aktivitäten "als Kriminelle" behandelt werden: "So etwas wäre in Irland oder England undenkbar und nicht akzeptabel".

Dialog und Menschenrechte

"Ich komme langsam zu der Meinung, dass niemand Spanien als demokratischen Staat bezeichnen kann, nicht auf Basis der Standarddefinitionen eines demokratischen Landes", betont Reid. Er weiß wohl, dass diese Meinung bei der spanischen Regierung nicht gut ankommt, erklärt aber dennoch, dass "jeder, der zum Beispiel aus Irland, England oder Deutschland kommt, mir hier zustimmen würde."

Er identifiziert eines der - seiner Meinung nach - zentralen, kulturellen Probleme "spanischer Politik" und "vielleicht auch der baskischen: es gibt keine Kultur des Dialogs." Dazu komme, betont der irische Priester, das mangelnde Bekenntnis zu Menschenrechten.

Nach der Entwicklung der letzten Monate bekräftigt Reid, dass der Konflikt im Baskenland ein politischer Konflikt sei, seit Jahrzehnten und Jahrhunderten, und dass die Existenz der ETA dies "belege". Allerdings ist sich der irische Priester absolut sicher, "dass Du einen Konflikt wie diesen nicht mit Waffen lösen kannst; das geht nicht." Und er bekräftigt seine Gegnerschaft zu bewaffneten Aktionen: "Um einen Konflikt, wie den irischen oder den baskischen zu lösen, muss man diskutieren; man braucht den Dialog aller Beteiligten. Es gibt keinen anderen Weg", sagt er eindringlich.

Aus der Erfahrung des irischen Konfliktlösungsprozesses, in dem er eine große Rolle spielte, weiß er, dass Dialog das "mächtigste" Instrument ist, um Konfliktlösung auf "demokratischem Wege" zu ermöglichen. Warum? Aus einem einfachen Grund, weil sich im Dialog alle Beteiligten akzeptieren müssen und eine Lösung unter Wahrung der Rechte aller Beteiligten gesucht wird. Rechte. Das hält Reid für die Wurzel des Konflikts: fehlenden Respekt und die Verletzung demokratischer Rechte.

Eine andere Lehre aus der irischen Erfahrung ist die Tatsache, dass "jeder Versuch der Autoritäten fehlschlägt", einen Konflikt politischer Natur "gegen die Menschen, die ihren Protest auf die Strasse tragen, (unter Zuhilfenahme von Notstandsgesetzen und Sicherheitsmassnahmen) zu beenden". Er erwähnt in diesem Zusammenhang die Maßnahmen gegen ETA und stellt fest, dass "in der Realität eine Organisation wie ETA oder die IRA nicht besiegt werden kann."

Reid erklärt dies so: "Wenn Du nicht die Menschenrechte aller Beteiligten identifizierst und ein Aktionsprogramm hast, alle staatlichen Menschenrechtsverletzungen zu beseitigen, wirst Du die nicht loswerden, die ihre Waffen benutzen, um ihre Rechte zu verteidigen."

Das Recht auf Zustimmung und Widerspruch

Der Priester begründet seine Aussagen mit den Ähnlichkeiten zwischen der irischen und der baskischen Realität. Und er diskutiert Möglichkeiten, den Konflikt zu lösen. Reid ist sich bewusst, dass das Baskenland die Existenz einer "historischen und politischen Bevölkerung mit einer eigenen Identität" widerspiegelt, die sich im Konflikt mit einer anderen "historischen und politischen Bevölkerung mit einer eigenen Identität", der spanischen, befindet. Er kommt wieder auf die irische Situation zu sprechen. In Nordirland existiert ein Konflikt zwischen der nationalistischen Bevölkerung und der unionistischen Bevölkerung. Die Unionisten hatten immer schon Rechte, die aus ihrer historischen und kulturellen Identität als Briten resultieren, obwohl sie (in Irland) eine Minderheit sind. Die erfolgreiche Lösung des irischen Konflikts basiert nach Meinung von Reid auf dem Respekt und der Akzeptanz der Rechte der unionistischen Bevölkerung. Damit benötigen Regelungen, die das politische Leben beider Bevölkerungsgruppen betreffen, "die Zustimmung" der Unionisten. Die dominierende Bevölkerungsgruppe in Irland, die nationalistische, anerkennt und akzeptiert "das Zustimmungsrecht" der unionistischen Bevölkerung.

Überträgt man die irische Situation ins Baskenland, so kommt Reid zu dem Schluss, dass "ein Teil der Bevölkerung im Baskenland eine eigene kulturelle, politische und historische Identität hat. Das bedeutet, dass die baskische Bevölkerung Rechte hat, die aus dieser Identität erwachsen." Deshalb betont er, dass - wie in Irland - Regelungen, die das politische Leben aller betreffen, nicht ohne "die Zustimmung" der baskischen Bevölkerung erzielt werden können.

Reid geht auch auf die Dauer des politischen Konflikts ein: "Der Konflikt began, als die spanische Verfassung geschrieben wurde, ohne die Rechte der baskischen Bevölkerung anzuerkennen", die aus ihrer kulturellen, politischen und historischen Identität stammen. Stattdessen bestätigt die spanische Magna Carta nur die Rechte der Spanier. Reid kommentiert dies mit den Worten, die nationalistische Bevölkerungsgruppe in Irland würde eine Verfassung nicht akzeptieren, in der ausschließlich ihre Rechte verankert wären: "Sie hielten dies für unmoralisch."

"Man kannt Spanien nicht gestalten, ohne den Basken das Recht auf Zustimmung oder Ablehnung von Regelungen, die sie betreffen, zu geben. Das ist eine Menschenrechtsangelegenheit. Dies verursacht den Konflikt und dies ist der Grund für die Existenz von ETA", fügt er als Schlussfolgerung hinzu.

Beteiligung von Batasuna ist essentiell

Nach Alec Reids Meinung ist einzige Möglichkeit zur Lösung des baskischen Konflikts der Dialog.

Er nimmt zu den repressiven Ereignissen (des Vortags) Stellung und nennt die Aktionen der spanischen Regierung "politischen Wahnsinn" und einen Fehler. Der irische Priester stellt fest, dass Batasuna signifikante Unterstützung in der Gesellschaft hat und ihre Präsenz am Verhandlungstisch "essentiell" ist. Sie ist essentiell, weil es ohne ihre Präsenz kein Abkommen geben wird, das die Rechte beider Bevölkerungsgruppen wahrt, und damit (ohne die Teilnahme Batasunas) keine demokratische Lösung gefunden werden kann. Reid fügt hinzu, "wenn die Regierung ETA als Konfliktpartei aus dem Spiel bringen will, sind die einzigen Leute, die das zustande bringen (ETA zu überzeugen, aufzuhören) die Führer von Batasuna. Niemand sonst hat die Macht oder den Einfluss dazu; nur die Führung der Batasuna. Sie einzusperren, wie es die spanische Regierung tut, ist politischer Wahnsinn; es ist Wahnsinn!" Davon ist er überzeugt.

Er sagt: "Eigentlich ist das alles gesunder Menschenverstand", und stellt anschließend fest, dass "die spanische Regierung nicht mit viel gesundem Menschenverstand ausgestattet ist."

Aber selbst in der schlimmsten Situation weist Alec Reid auf die positiven Aspekte hin. In diesem Fall lässt er keinen Zweifel an seiner Unterstützung für die politischen Vorschläge der baskischen Unabhängigkeitsbewegung. Insbesondere erwähnt er den Vorschlag "Demokratischer Rahmen", der während der Gespräche im Pavillion Anaitasuna vorgestellt wurde. Er sagt, dieser Vorschlag habe die Kraft, einen demokratischen Prozess zu starten und biete die Möglichkeit, dass "ETA nicht nur aufhört, sondern wie die IRA ihre Waffen niederlegt."

Er geht noch einen Schritt weiter und argumentiert, dass die Position, die die baskische Unabhängigkeitsbewegung vertritt, die richtige und notwendige Position sei: "Die baskische Unabhängigkeitsbewegung sagt, dass Verhandlungen der einzige Weg seien. Es ist wichtig zu berücksichtigen, dass - meiner Meinung nach - die baskische Unabhängigkeitsbewegung eine sehr demokratische Haltung in diesem Konfliktlösungsprozess einnimmt. Und dies schließt ETA ein. Weil ihre Position ist, dass ein Abkommen zwischen allen am Konflikt Beteiligten erreicht werden muss und dass ein Abkommen auch die Rechte der hier lebenden spanischen Bevölkerung einschließen muss, inklusive des Zustimmungsrechts."

Mit den Hausdurchsuchungen und Verhaftungen in Segura sind Gespräche erst einmal vom Tisch. Aber Alec Reid ist sich sicher, dass die Verhaftungen der Führer der baskischen Unabhängigkeitsbewegung ein endgültiges Abkommen zwar verzögert, aber nicht verhindert.

Die deutsche und auch eine englische Übersetzung sind unter Info Nordirland zu finden.

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