Oaxacawahlen zwischen Repression und Aufstand

Hans Meier 13.10.2007 20:21 Themen: Globalisierung Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Der Artikel besteht aus einem Bericht zu den Wahlen in 151 Landkreisen im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca, wobei auch auf den sozialen und politischen Kontext in Form von Repression, Aufstandsbewegung und anderen aktuellen Konflikten eingegangen wird.
Am 7. Oktober sollten in 152 von insgesamt 570 Landkreisen des mexikanischen Bundesstaates Oaxaca Wahlen stattfinden. In 151 Landkreisen wurden Wahlen abgehalten, in dem Landkreis Santiago Loallaga konnte keine Abstimmung stattfinden, da dort die Sicherheit nicht garantiert werden konnte.


Kontext der Wahlen

Die Landkreiswahlen fanden in einem gewalttätigen politischen und gesellschaftlichen Kontext statt: Der soziale Konflikt im Zusammenhang mit der breiten Aufstandbewegung der APPO aus dem letzten Jahr ist weiterhin ungelöst. Beispielsweise existieren gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen AnhängerInnen der Lehrergewerkschaft Sektion 22 und der neugegründeten Sektion 59. Verbrechen im Zusammenhang mit Organisierter Kriminalität, etwa in Form von Exekutionen, insbesondere in der Region Istmo de Tehuantepec nehmen stark zu. Die Guerillaorganisation EPR verübt verstärkt Anschläge, um die Forderung nach Auskunft über den Verbleib zweier ihrer Mitglieder, welche im Mai 2007 mutmaßlich von Polizisten verschleppt wurden, zu untermauern.

In den vergangenen zwei Wochen wurde die lokale Medienberichterstattung in Oaxaca von einem Skandal über mehrere Fälle von organisiertem Kindesmissbrauch in Privatschulen überdeckt. Dadurch wurde viel öffentliche Aufmerksamkeit von den Bedingungen im Vorfeld der Wahlen und der Charakteristika des Wahlkampfes abgezogen. Darüberhinaus ist der Umgang der Strafverfolgungsbehörden in den Missbrauchsfällen ein Beispiel für die mangelnde Rechtsstaatlichkeit .

Auch auf Ebene der Landkreise existieren zahlreiche Konflikte.
Darunter fallen insbesondere Probleme im Zusammenhang mit dem Missbrauch öffentlicher Mittel zu Zwecken der persönlichen Bereicherung durch politische RepräsentantInnen und der Unterstützung der eigenen AnhängerInnenschaft. Neben Amtsmissbrauch sind auch Korruption und die fehlende Durchführung von notwendigen Infrastrukturprojekten sowie das Fehlen öffentlicher Sicherheit zu beklagen. Damit in Verbindung stehen zahlreiche Landkonflikte sowie mehrere Fälle von Selbstjustiz.

Konflikte zwischen verschiedenen Flügeln innerhalb einzelner politischer Parteien um die Kandidatur für die jeweiligen Posten hatten Verleumdungskampagnen und exzessive Ausgaben schon vor dem eigentlichen Wahlkampfauftakt zur Folge. Die Parteienaktivitäten im Vorfeld des Wahlkampfes unterliegen keinerlei Kontrolle durch das oaxaquenische Wahlinstitut IEE, da dafür keine gesetzlichen Regelungen existieren. Die geltende Wahlgesetzgebung sieht ebensowenig eine Offenlegung der Ausgaben im Rahmen das Wahlkampfes vor.

Wie schon bei Wahlen in Oaxaca in der Vergangenheit waren Stimmenkauf und Einschüchterungen zur Beeinflussung der Wahlentscheidung gängige Praxis. Die Verteilung staatlicher Lebensmittelhilfen und von Bargeld in Höhe bis zu 2 000 Peso pro Stimme waren die am häufigsten den Medien angezeigten Methoden der Einflussnahme. Das Anzeigen derartiger Praktiken vor der zuständigen Sonderstaatsanwaltschaft für Wahldelikte (FEPADE) ist jedoch kaum üblich, da diese Delikte nur schwer nachzuweisen sind und es sich zudem nur um „minder schwere Delikte” handelt, welche in der Praxis zumeist straflos bleiben.

Die Landesregierung Oaxacas, die seit Jahrzehnten von der PRI gestellt wird, hat mittels verschiedener Organe wiederholt darauf hingewiesen, dass die Wahlen in einem „Klima der Ruhe und des sozialen Friedens” stattfinden, obwohl andererseits die Existenz von „29 Brennpunkten” eingestanden wurde. Dabei handelt es sich um Landkreise von hoher politische Konflikthaftigkeit, darunter auch der Landkreis der Hauptstadt, Oaxaca de Juárez.

Entgegen der gesetzlich vorgeschriebenen Neutralitätspflicht des Staatsapparates ist die direkte Beeinflussung der Wahlen durch den Gouverneur Ulises Ruiz Ortiz zu Gunsten der Regierungspartei PRI belegt. Heimlich aufgezeichnete Aussagen des Gouverneurs vom 4. Oktober bestätigen, dass der Wahlkampf der PRI massive Unterstützung durch die gesamte Infrastruktur und die finanziellen Ressourcen der Landesregierung erhielt. Die Aussagen des Gourverneurs beeinhalten unter anderem die Erklärung, sein gesamtes Kabinett für den PRI-Hauptstadtkandidaten einzusetzen und die Drohung an die anwesenden höheren Beamten, diese zu entlassen, wenn sie sich im Wahlkampf nicht aktiv für die PRI einsetzten.


Die Wahlen am 7. Oktober 2007

Schon bei der Wahl der Landtagsabgeordneten am vergangenen 5. August 2007 errang die PRI die Mehrheit der Sitze; der Anteil der NichtwählerInnen betrug 64%. Bei den Oktoberwahlen zur Bestimmung der politischen RepräsentantInnen der Landkreise ergaben sich große lokale Schwankungen bezüglich der Wahlbeteiligung ; der NichtwählerInnenanteil lag zwischen 20-60% der Wahlberechtigten. Eine Konstante des Wahlkampfes, insbesondere am Wochenende der Wahl, war der Stimmenkauf in Verbindung mit der die Nötigung zur Stimmabgabe. Teilweise wurden WählerInnen von Dritten in die Wahlkabine begleitet oder die Wahlzettel von dem Vorsitzenden des Wahllokales selbst ausgefüllt und somit das Recht auf freie und geheime Abstimmung verletzt.

Die lokalen Medien berichteten über zahlreiche Zwischenfälle am Wahltag:
Stimmenkauf und die von politischen Parteien organisierte systematische Beförderung von WählerInnengruppen zu den Wahlurnen, fehlende Übereinstimmung der Anzahl bzw. der Nummerierung der Stimmzettel mit dem dazugehörigen WählerInnenverzeichnis, Verbrennung von Urnen durch AnhängerInnen der unterlegenen Parteien nach der Schließung der Wahllokale, die Festsetzung einer PRI-Kandidatin (während des mutmaßlichen Stimmenkaufs) durch AnhängerInnen konkurrierender Parteien, Bedrohungen und tätliche Angriffe gegen UnterstützerInnen der Oppositionsparteien.

Ein gravierendes Beispiel für die Anwendung von Gewalt zur Einschüchterung der Opposition ist der Fall von Santa Lucia del Camino :

In der Nacht von dem 6. auf den 7. Oktober wurde ein Attentat auf das Wahlkampfbüro des PRD-Kandidaten von Santa Lucia del Camino verübt. Dabei wurden mehrere Schüsse auf das Gebäude bzw. in das Gebäude abgegeben.
Am Tag der Wahl wurden drei Unterstützer der PT von Polizisten angegriffen. Die drei jungen Männer, einer davon ein bekannter Sprecher der Aufstandsbewegung APPO, waren mit dem Auto der PT-Kandidation von Santa Lucia unterwegs und beobachteten die Wahlen. Sie wurden gegen 18 Uhr von etwa 12 schwerbewaffneten Polizisten der Polizeiorganisation PABIC in Zivilbekleidung aufgehalten; unter den Angreifern erkannten die Opfer auch den Kommandanten der Polizeieinheit. Die PT-Sympathisanten wurden aus dem Auto gezerrt und es wurden ihnen die Augen verbunden. Sie wurden weiterhin ihrer Habe beraubt, massiv geschlagen, über ihre Beteiligung an der Aufstandbewegung befragt, mit dem Tode bedroht und aufgefordert, Oaxaca zu verlassen. Schließlich wurden die drei Männer gegen 20.15 Uhr an einem abgelegenen Ort ohne ihr Transportmittel ausgesetzt .


Wahlergebnisse

Die Wahlergebnisse stellen sich entsprechend dem vorläufigem amtlichen Endeergebnis des oaxaquenischen Wahlinstitutes IEE vom 11. Oktober wie folgt dar:
Die PRI erringt in 87 Landkreisen den Wahlsieg, auf die PRD entfallen 45 Landkreise, die PAN gewinnt 7 Landkreise, Convergencia erlangt die Mehrheit in 5 Landkreisen, die PT gewinnt 3 Landkreise, die PVEM erringt 2 Landkreise und die PUP einen Landkreis. In einem Landkreis besteht Gleichstand zwischen PRI und PRD.

Im Gegensatz zur Tendenz der vergangenen Wahlperioden gewinnt die PRI Stimmen und Landkreise zurück. Im Jahr 2004 regierte die PRI 73 Landkreise, 2001 waren es 84. Dennoch gelang es der Regierungspartei nicht, die Stärke der 90er Jahre wiederzuerlangen; im Jahr 1998 regierte die PRI 113 von 152 Landkreise. Zweitstärkste Partei bleibt die PRD, im Vergleich zu dem Wahlergebnis 2004 verliert sie jedoch 2 Landkreise; im Jahr 1998 regierte die PRD in nur 29 Landkreisen. Größter Verlierer der Wahl ist die PAN, welche 1998 9 Landkreise regierte und in den Jahren 2001 und 2004 von dem Fox-Effekt profitierte und 20 bzw. 21 Landkreise gewann.


Bewertung und Ausblick

Die ständige Präsenz des Gouverneurs bei Wahlkampfveranstaltungen der PRI und seine Aussagen vom 4. Oktober machen deutlich, dass entgegen der gesetzlichen Bestimmungen der Staatsapparat zugunsten der Regierungspartei agierte, so dass es sich in der Konsequenz bei den Landkreiswahlen in Oaxaca am 7. Oktober 2007 um staatlich beeinflusste Wahlen handelte.

Die Wahlen verliefen im Vergleich zu den Vorjahren relativ ruhig, dennoch existierten zahlreiche Verstöße gegen das Recht auf freie und geheime Wahl. Praktiken wie Stimmenkauf in Zusammenhang mit Nötigung zur Stimmabgabe wurden vielfach den Massenmedien gemeldet, aus mangelndem Vertrauen in die zuständigen staatlichen Institutionen jedoch selten vor der zuständigen Sonderstaatsanwaltschaft für Wahldelikte (FEPADE) angezeigt. Die FEPADE wird oft als „zahnloser Löwe” bezeichnet, da große Hürden für die Sanktionierung von Wahldelikten bestehen.

Die Spaltung der Opposition und das Auseinanderbrechen des Oppositionsbündnisses, das sich zu den Landkreiswahlen gebildet hatte, erleichterte den Wahlsieg der PRI. Auffällig sind in diesem Zusammenhang insbesondere die Wahlsiege der PRI in Landkreisen, die sich durch starke Beteiligung an der Aufstandsbewegung auszeichnen, wie Santa Cruz Xoxocotlán, Santa Lucia del Camino und der Hauptstadt Oaxaca de Juárez.

Im Vergleich zu den Wahlprozessen in den Vorjahren zeigt sich ein verstärktes Misstrauen gegenüber politischen Parteien. Vielfach besteht das Gefühl einer fehlenden politischen Alternative im gegebenen Parteienspektrum. In einigen Landkreisen wurden die Oppositionskandidaten bezichtigt, unter dem Einfluß der PRI zu stehen.
Die gängige Form der politischen Repräsentation in Oaxaca befindet sich in der Kriese. Dies äußert sich auch darin, dass dieses Jahr keine Wahlbeobachtung durch Nichtregierungsorganisationen stattfand.

In der Bevölkerung existiert große Unzufriedenheit über den Ablauf und den Ausgang der Wahlen, welche sich unter anderem in Form von Demonstrationen, Anfechtung der Wahlergebnisse und Besetzungen von öffentlichen Gebäuden in mehreren Landkreisen ausdrückt.

Der Senat auf Bundesebene hat in Folge der Forderung der Oppositionsparteien PAN, PRD und Convergencia nach Annullierung der Wahlen aufgrund der bekannt gewordenen Aussagen des Gouverneurs Ulises Ruiz Ortiz einer Untersuchung der Vorgänge zugestimmt.

Der Wahlprozess endet mit der Amtsübernahme der neugewählten RepräsentantInnen am 1. Januar 2008. Bis dahin können weiterhin Einsprüche geltend gemacht werden.
Am Tag der Amtsübernahme ist mit weiteren Protesten zu rechnen, beispielsweise in Form von Besetzungen von Rathäusern durch AnhängerInnen unterlegener Parteien.


Oaxaca, den 12. Oktober 2007


Proyecto de monitoreo de los derechos políticos en Oaxaca














Abkürzungsverzeichnis:

APPO: Asamblea Popular de los Pueblos de Oaxaca
CEDH: Comisión Estatal de Derechos Humanos
EPR: Ejercito Popular Revolucionario
FEPADE: Fiscalía Espezializada para la Atención de los Delictos Electorales
IEE: Instituto Estatal Electoral
PABIC: Policía Auxiliar Bancaria, Industrial y Comercial
PAN: Partido Acción Nacional
PRD: Partido de la Revolución Democrática
PRI: Partido Revolucionario Institucional
PT: Partido del Trabajo
PUP: Partido Unidad Popular
PVEM: Partido Verde Ecologista de México
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Ergänzungen