Nachruf: In Gedenken an Ilse Schwipper

Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin 06.10.2007 22:41
ILSE PRESENTE!
In Gedenken an Ilse Schwipper (1937 - 2007)

Ilse Schwipper ist tot, sie starb am 26.September 2007 nach einer kurzen schweren
Krankheit. Ilse war eine von uns. Sie war Anarcha-Feministin, Antifaschistin, Stadtguerillera, Antiimperialistin. Sie lebt in uns und unseren Kämpfen weiter.
Ilse wurde 1937 in Berlin geboren und wuchs bei ihrer Großtante und ihrem Großonkel,
einem in der Antifaschistischen Aktion aktiven Anarchisten, auf. Bereits in ihrer
frühen Kindheit wurde sie über das wahre Gesicht des NS aufgeklärt.
1944 zog sie mit ihrer Mutter und dessen zweitem Ehemann nach Wolfsburg. Wie sie
uns jüngeren gegenüber immer betont hat ist Wolfsburg ein Musterbeispiel für die
Kontinuität des Nazifaschismus in der BRD. „Stadt des KdF-Wagens“ (Kraft durch
Freude) nannten die Nazis ihre Stadt. In diese braune Siedlungsprojekt zogen fast
ausschließlich Nazis und Vertriebene, wie gleichgeschaltet die Stadt war und blieb
zeigt sich am Wahlergebnis von 1946: damals erhielt die SAP, Nachfolgepartei der
NSDAP 96%.
Von Bombenangriffen der Alliierten verschont wurde Wolfsburg nach dem Krieg zum Kern
des VW-Imperiums, und lieferte auch schon bald Kleinbusse, die von den Amerikanern
in Vietnam eingesetzt wurden. Deswegen sabotierten Ilse und andere 1971 die Gleise
der Zuliefer-Strecke. Zuvor hatten sie bereits eine NPD-Wahlveranstaltung verhindert,
indem sie den Veranstaltungssaal niederbrannten.

Die Opposition gegen den Vietnamkrieg und Deutschlands (indirekte) Beteiligung, sowie
gegen die Kontinuität des Faschismus in der BRD waren wichtige Inhalte der Sozialen
Revolte der 60er Jahre. Wenn heute von 68ern gesprochen wird so sind damit nur die
Studenten gemeint. Einen Teil der Bewegung machten allerdings Leute aus, die aus
Verhältnissen wie Ilse stammten, proletarische Jugendliche. Ilse verkörpert für
uns in vieler Hinsicht die damaligen Entwicklungen: Sie lebte in einer Kommune, wurde
von den Jusos ausgeschlossen weil sie gegen das KPD-Verbot agitierte, und sah letztlich
ihre politische Perspektive im bewaffneten Kampf.

Von 1971 bis 1973 saß sie bereits, ähnlich wie die ersten Kader der RAF, in Isolationshaft.
Später stand sie im längsten Prozess in der Geschichte der BRD vor Gericht, dem
Schmücker-Prozess. Schmücker war ein VS-Agent im Umfeld der „Bewegung 2.Juni“,
er wurde 1974 im Grunewald in Berlin erschossen. Die Tat wurde Ilse und den anderen
Leuten aus ihrer damaligen Kommune in Wolfsburg angelastet. Der Prozess wurde allerdings
aufgrund der Verwicklungen des VS viermal wiederaufgerollt und dauerte letztlich
17 Jahre. Er endete 1991 in einem Freispruch. Auch während dieser Zeit hat Ilse
lange in Isolationshaft gesessen. Sie hat viel unter dieser „Weißen Folter“
gelitten, ihre Kinder wuchsen ohne sie auf und distanzierten sich später von ihrem
politischen Engagement und ihrem Lebensweg. Für Ilse ein schmerzhafte Erfahrung.
Nach ihrer Entlassung hat sie sich vor allem für andere politische Gefangene eingesetzt
und in anarcha-feministischen Zusammenhängen gearbeitet.
Ein Schwerpunkt ihrer politischen Arbeit nach der Entlassung war die Situation der
politischen Gefangenen in der Türkei. Während des Gefangenwiderstandes gegen die
Einführung der Isolationsfolter in den türkischen Gefängnissen von 2000 bis 2007,
stand sie – als eine der wenigen anarchistischen Linken deutscher Herkunft - solidarisch
an der Seite der kämpfenden kommunistischen Gefangenen und ihren Angehörigen. Sie
selbst sprach auf einem Symposium der türkischen Gefangenen und Angehörigenorganisation
TAYAD in Istanbul über die ihre persönlichen Erfahrungen mit Repression und die
grausamen Auswirkungen der Isolationshaft.
Internationalismus war für Ilse nie Projektion deutscher Befindlichkeiten oder kulturelle
Revolutionsromantik sondern selbstverständliche gelebte Solidarität.
Bereits 1961 hatte sie mit einer Unterschriftensammlung gegen die Lebensverhältnisse
von Gastarbeitern in Wolfsburg gekämpft. Deren Siedlung war nämlich ein eingezäuntes
Lager, ähnlich wie sie heute in Spanien zu finden sind.

Vor allem beeindruckt an Ilse hat uns, dass sie im Gegensatz zu der Mehrheit der
sogenannten „68ern“ ihre Vergangenheit nicht geleugnet hat, sondern ihre Leben
lang politisch gekämpft hat. Sie war für uns ein Beweis das dass Streben nach revolutionärer
Veränderung nicht mit 30 aufhört, dass es möglich ist seinen Utopien und Träumen
ein Leben lang treu zu bleiben und sich auch nicht durch Knast und Iso-Folter brechen
zu lassen. Noch Anfang diesen Jahres sagte sie „ohne Gewalt geht’s nich“ und
erklärte sie sei nach wie vor gegen das Gewaltmonopol des Staates. Sie hat ihre
Erfahrungen mit Jüngeren geteilt und wir haben viel von ihr gelernt. Wir werden
sie niemals vergessen.

ILSE PRESENTE!

Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin , Oktober 2007

Gedenkveranstaltungen:

Freitag | 12.10. | 20 Uhr | Schnarup Thumby | Scharnweber Str.32
Samstag | 13.10. | 20 Uhr | Schreina 37 | Schreinerstr.47
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Liebe zum Detail

antifaschist aus wolfsburg 06.10.2007 - 23:44
"Deswegen sabotierten Ilse und andere 1971 die Gleise
der Zuliefer-Strecke. Zuvor hatten sie bereits eine NPD-Wahlveranstaltung verhindert,
indem sie den Veranstaltungssaal niederbrannten."

Das ist so leider nicht ganz richtig. Das niederbrennen des Veranstaltungssaals war leider nicht mehr als ein Brandsatz der gegen die Außenwand einer Aula geworfen wurde. Das Feuer griff nicht über. Und die Sabotage des VW-Autotransports hat leider auch nicht hingehauen.

Fehler im Text

Besserwisser 07.10.2007 - 11:23
Die Partei, welche nach der Nazi Zeit hohe Stimmenanteile in Wolfsburg uns anderswo verbuchen konnte hieß SRP = Sozialistische Reichspartei uns war die Nachfolgepartei der NSDAP. Ganz im Gegensatz zur SAP = Sozialistische Arbeiterpartei, welche als Abspaltung der SPD 1932 gegründet wurde, um mit den Kommunisten zusammen gegen die Nazis kämpfen zu können. Viele Mitglieder der SAP kämpften im Untergrund, oder wurden inhaftiert (Otto - Brenner...)

Also bitte sauberer schreiben!

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 3 Kommentare an

nähe und distanz — bomplont