Gießen: Bibliothek der praktischen Solidarität

k.o.b.r.a. - antirepressionsplattform 01.10.2007 13:53 Themen: Antirassismus Repression
Als Aktion gegen staatlichen Rassismus und Einschüchterung durch Polizei und Justiz wurde in Gießen am Sonntag, den 30.9.2007 die Bibliothek der praktischen Solidarität eröffnet. AktivistInnen und VertreterInnen verschiedener Organisationen wie dem AusländerInnenbeirat, kurdischen Vereinen, dem Umsonstladen, der Projektwerkstatt und der Partei Die Linke sowie einige BesucherInnen stellen eigene Bücher in die bisher leeren Regale des Zentrums, damit sie dort gelesen und geliehen werden können. Das Besondere war, dass alle Bücher im Eigentum der LeiherInnen bleiben sollen, um sie vor den häufige gegen ausländische Verein gerichteten Beschlagnahmen bei Polizei-Razzien zu schützen. "Wir wollen mit diesem Trick das Kulturzentrum vor den oft willkürlichen Maßnahmen schützen", begründete einer der Initiatoren die Aktion.

Hintergrund

Am 26. Juli dieses Jahres wurden mehrere Wohnungen und Einrichtungen kurdischer Kulturvereine und der in ihnen aktiven Menschen von der Polizei unter einem absurden Vorwand durchsucht, Menschen stundenlang eingesperrt und u.a. viele Computer beschlagnahmt (siehe Bericht im Gießener Anzeiger, 3.8.2007). Das geschah in Gießen und vielen anderen Orten bundesweit. Der konkrete Vorwurf lautete, es gäbe Planungen einen Polizisten, der 1993 in Hannover einen Kurden ermordet hätte (und natürlich freigesprochen wurde), zu bestrafen. Näheres liegt bisher aber ebensowenig vor wie Begründungen, was die Angriffsziele mit allem zu tun hätten. Alles deutet darauf hin, dass hier staatliche Macht unerwünschte Vereine und Menschen einschüchtern soll. In der Brutalität des uniformierten Vorgehens kommen Sicherheitsfanatismus und staatlicher Rassismus zusammen.

 

Die Aktionsidee

Der Aufbau einer Bibliothek in den betroffenen Räumen des mesopotamischen kurdischen Kulturzentrums soll ein Symbol dafür sein, dass sich Menschen ihre Lebensräume zurückerobern, mit Ideen und Inhalten füllen. Sie soll aber auch ein klares Zeichen sein, dass die Betroffenen und UnterstützerInnen nicht gewillt sind, das Ausleben von Macht weiter widerstandslos hinzunehmen. Jedes Buch soll ein Ausrufezeichen sein des: Hier treffen sich Menschen, sie leben und lesen hier - und sie lassen sich das nicht von den Interessen der Herrschenden kaputtmachen.

In den Räumen des mesopotamischen kurdischen Kulturvereins in der Ederstraße 14 in Gießen soll eine Bibliothek der praktischen Solidarität entstehen - genau in den Regalen, die leer blieben, nachdem die deutschen Ordnungstruppen in anderen Zentren alles mitnahmen, was Ton, Buchstaben und Bilder enthielt. Im Aufruf zu der Eröffnung der Bibliothek hieß es:

Wir möchten Euch einladen, 1, 2 oder 3 Bücher auszuwählen, die Ihr in diese Regale stellen wollt, in denen Ihr z.B. notiert: "Dieses Buch gehört ... (Name). Ich möchte das Buch der Bibliothek der praktischen Solidarität leihen. Dieses Buch soll allen Menschen zugänglich sein, die es lesen und leihen möchten. Gegen eine Beschlagnahme durch Ordnungsbehörden werde ich mich deshalb wehren."

  • Flugblatt mit der Einladung (und auch der Ankündigung der Veranstaltung am 9.10., die noch aussteht) als PDF

 

Der Tag der Eröffnung

Am Sonntag, den 30. September 3007, wurde nun im mesopotamischen kurdischen Kulturzentrum diese besondere Bibliothek eröffnet. Und es kamen tatsächlich etliche Menschen aus verschiedenen Gruppen sowie einige weitere. Dass das erst ein kleiner Anfang sein konnte, wurde schnell klar. Denn aus den umgebenden Stadtteilen waren nur wenige Interessierte und UnterstützerInnen erschienen. "Unsere Gesellschaft ist stark zerteilt - und die offizielle Politik betreibt diese Isolation von Menschen voneinander ja auch systematisch", formulierte eine Anwesende. Es werde noch viel Aktivität benötigt, um diese inneren Grenzen zu überwinden und damit auch Solidarität überhaupt wieder möglich zu machen gegen einen Staat, der davon lebt, einzelne angreifen zu können, während andere wegsehen. Von der Veranstaltung können noch weitere Fotos eingesehen werden.

 

Wie weiter?

Aus Anlass der Polizeirazzien hat sich in Gießen eine kleine Runde von Interessierten, z.T. aus betroffenen oder im Umgang mit Polizei und Justiz erfahrenen Gruppen gebildet. In Planung sind weitere Aktivitäten, aber auch die Ausdehnung von Aktionen auf andere Treffpunkte nichtdeutscher Gruppen und Vereine, von staatlicher oder sonstiger Diskriminierung Betroffenener.

Am Sonntag wurden bereits weitere Veranstaltungen im Kulturzentrum (Ederstraße 14-16 in Gießen; Hinterhaus links hinter dem Supermarkt "Türhan") angekündigt:

  • Ton-Bilder-Schau "Fiese Tricks von Polizei und Justiz" am 9. Oktober um 19 Uhr (zum Inhalt)
  • Workshop zum richtigen Verhalten, wenn die Polizei kommt am 25. November um 15 Uhr (Internetseiten mit Tipps gegen Repression)

Zudem wurde ein nächstes Treffen der Runde festgelegt (Dienstag, 16.10. um 19 Uhr im Kulturzentrum). Aber das soll lang nicht alles sein - und auch nicht nur an diesem Ort ...

Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige den folgenden Kommentar an