Rieseby: Antifaschistisch lebt sich’s besser!

Antifaschistisch lebt sich's besser! 28.09.2007 13:31
Aktionsreihe gegen Neonazistrukturen und für eine antifaschistische Gegenkultur in der Schleiregion im September


Im September startete die Kampagne „Antifaschistisch lebt sich’s besser!“, die sich zum Ziel gesetzt hat, der zunehmend erstarkenden Neonaziszene in der Region nördlich von Eckernförde eine aktive antifaschistische Gegenkultur entgegen zu setzen.
In der 2600-EinwohnerInnen-Gemeinde Rieseby, existierte schon seit Jahren eine starke rechte Jugendsubkultur ohne dass dies in der Öffentlichkeit ein Thema gewesen wäre. In den vergangenen Monaten kam es zunehmend zu Bemühungen seitens des NPD Kreisverbandes Kiel/Plön und den „Freien Nationalisten Eckernförde“, das vorhandene neonazistische Potential zu organisieren. Hinzu kommt, dass mit dem bundesweit führenden Nazianwalt Jürgen Rieger in Hummelfeld und dem früheren Lübecker Dieter Kern in Kosel, gleich zwei Kader der extremen Rechten in der Region Immobilien besitzen, die als Treffpunkte für Neonazis genutzt werden sollen. Vor dem Hintergrund der Nazi-Strategie „die Städte vom Land aus erobern“ zu wollen stellt die in und um Rieseby vorhandene Mischung eine besondere Bedrohung da.


Vor der Kampagne

Nachdem besorgte Eltern neonazistische Umtriebe an der Riesebyer Grund- und Hauptschule öffentlich gemacht hatten, gründete sich der bürgerliche Arbeitskreis „Wir gegen Rechts“. Der NDR verkündete großspurig nun werde „Bewegung in das Dorf“ kommen. Tatsächlich war man aber trotz dem medienwirksamen Besuch des Innenministers einigermaßen ratlos, wie man mit gewalttätigen oder CDs an der Schule verteilenden Neonazis im Ort umgehen sollte. Auch trauten sich viele, vor allem jugendliche Menschen aus dem Ort aus Angst vor den Nazis in der Nachbarschaft nicht, offen Stellung zu beziehen. Schließlich gab sich vor allem die örtliche CDU alle Mühe, das Thema unter den Teppich zu kehren; als die Grünen eine Veranstaltung zu Nazis in Schleswig-Holstein machen wollten, wurde ihnen von allen Seiten ein Raum verwehrt. Die Veranstaltung wurde abgeblasen.
Als NPD und „Freie Nationalisten Eckernförde“ am 19.05. einen Infotisch mit dem Verteilen ihrer Umsonst-CDs in Rieseby durchführen wollten, erschien ein „neuer“ Akteur auf der öffentlichen Bildfläche: Autonome Antifas stellten den organisierten teil der ca. 60 spontan zusammengekommenen GegendemonstrantInnen. Unter den Pfiffen ihrer Gegner mussten die Neonazis ohne auch nur ein einziges Flugblatt oder eine einzige CD verteilt zu haben unverrichteter Dinge wieder abziehen. In den folgenden Monaten fand sich ein Bündnis von unabhängigen Antifa-Gruppen aus Rieseby, Eckernförde, Kiel, Ostholstein und Hamburg zusammen, um eine weitergehende Kampagne zu starten.


01.09.: Erfolgreiche Antifa-Demonstration zum Kampagnenauftakt mit 500 TeilnehmerInnen

Am 01. September demonstrierten zum Kampagnenauftakt etwa 500 Menschen durch Rieseby gegen die örtlichen Neonazistrukturen und für eine aktive, antifaschistische Gegenkultur.
Gute zwei Stunden zog die Demo, an der neben einem Großteil angereister Antifa-AktivistInnen auch viele Riesebyer BürgerInnen teilnahmen, durchs Schleidorf. In den Redebeiträgen wurde auf die besondere Gefahr, die von der Mischung der verschiedenen Nazierscheinungsformen in der Region ausgeht, hingewiesen. Darüber hinaus wurde für einen konsequenten und unabhängigen Antifaschismus geworben.

Die Demonstration übertraf mit 500 TeilnehmerInnen alle Erwartungen im Vorfeld und war damit ein absolut gelungener Auftakt der Kampagne. Besonders erfreulich war, dass viele Menschen auch aus Rieseby die Notwendigkeit antifaschistischer Gegenwehr im Ort erkannt hatten und sich der Demo anschlossen.


Behinderung durch CDU-Mehrheit im Gemeinderat

Neben der Unterstützung einiger AktivistInnen aus dem Umfeld des „Wir gegen Rechts!“-Bündnisses und der neu gegründeten Antifa Rieseby, stießen die Vorbereitungen der Kampagne von Anfang an auch auf Hindernisse im Ort. Schon bei der ersten Kontaktaufnahme verweigerte der Riesebyer Bürgermeister Kempe (CDU) die Bereitstellung von Gemeinde-Räumen für die geplante Infoveranstaltung am 13.9. und von Gemeindeflächen für das Antifa-Festival am 15.9..

Trotz der nicht zu bestreitenden Aktivität von Neonazis im Ort und einer drohenden „National befreiten Zone Rieseby“ setzte Bürgermeister Kempe auch nach der erfolgreichen Demo weiter auf den Erhalt der Friedhofsruhe und führte damit genau den falschen Umgang fort, der schon seit Jahren in Rieseby vorherrscht und die Neonaziszene immer weiter erstarken lässt. Dennoch schien es zwischenzeitlich nicht ausgeschlossen, dass der Bürgermeister sich dem medialen Druck und der Unterstützung von Riesebyer BürgerInnen und LokalpolitikerInnen für die Antifa-Arbeit beugen müsste: Er übertrug seine Kompetenz über die Vergabe von Gemeindebesitz zu entscheiden an den Gemeinderat. Zudem erklärten sich die Betreiber des örtlichen Jugendtreffs bereit, ihren Raum auch wider der Meinung Kempes für die Infoveranstaltung zu öffnen.

Am Montag, 10.09. sollte der Gemeinderat schließlich über die Genehmigung der Platznutzung des Alten Sportplatzes für das seit Wochen geplante Antifa-Festival entscheiden. Auf Drängen der CDU-Mehrheit wurde sich um eine solche Entscheidung gedrückt und die Kompetenz wieder an den Bürgermeister zurückgegeben. Dieser untersagte, wie schon im Vorfeld angekündigt, nun endgültig die Nutzung des Alten Sportplatzes für das Festival. Aus Protest verließen einige Gemeinderatsmitglieder aller Fraktionen mit Ausnahme der CDU, sowie einige ZuschauerInnen den Tagungssaal. Die verbliebene CDU-Mehrheit und ihr Bürgermeister Kempe verboten im restlichen Sitzungsverlauf auch gleich noch dem Riesebyer Jugendtreff unter Androhung der Schließung die Durchführung der Infoveranstaltung. Kempe verstieg sich gar in der Behauptung nicht die Rechtsextremen wären das Problem im Ort, sondern die Linken: „diese Vermummten, alles Kommunisten“.


Öffentlichkeit und Medien

Die Ereignisse von Rieseby sorgten nun auch für ein überregionales Medienecho. Neben diversen Artikeln auch in überregionalen Tageszeitungen, zeigte der NDR seine Dokumentation „Ein Dorf zeigt Mut!“ über das vergangene halbe Jahr in Rieseby. Dabei sprach er über die nun angelaufenen Antifa-Aktionen als eine angeblich zivilgesellschaftliche Kampagne. Landesweit sah sich die CDU im Kreuzfeuer der Kritik. Zu Zeiten des anlaufenden Wahlkampfes äußerten sich selbst SpitzenpolitikerInnen von SPD und Grünen wohlwollend über die autonome Kampagne; der grüne Landeschef Habeck forderte Ministerpräsident Carstensen (CDU) gar auf, an der Veranstaltung mit Speit teilzunehmen.


13.09.: Infokundgebung mit Andreas Speit

Da es trotz einer Medienöffentlichkeit und Appellen an den Bürgermeister beim Verbot der Infoveranstaltung am Donnerstag blieb, wurde eine Kundgebung unter dem Motto „Aufklären statt Totschweigen! Gegen Nazistrukturen und Friedhofsruhe in Rieseby!“ vor dem Jugendtreff angemeldet.

Vor etwa 100 ZuhörerInnen aller Altersklassen und zahlreichen MedienvertreterInnen referierte Journalist und Buchautor Andreas Speit unter freiem Himmel über Strategien faschistischer Organisationen und ihre Bedeutung für die Schleiregion. Zum Abschluss seines Vortrages kommentierte er die Gleichsetzung von politisch linker mit rechter Ideologie durch die örtliche CDU: Rechtsextreme Ideologien seien grundsätzlich von ihrem Programm her ausgrenzend und negierten den gleichen Wert aller Menschen, während alle linken Gesellschaftsentwürfe zum Ziel hätten, Gleichberechtigung und freie Entfaltung aller Menschen zu ermöglichen. Redner der Antifa-Kampagne bekräftigten ihre Forderung nach Rücktritt von Bürgermeister Kempe.
Auch die Infoveranstaltung, ebenfalls von relativ vielen RiesebyerInnen besucht, wurde also trotz der durch Kempes Raumverbot entstandenen, widrigen Bedingungen zu einem vollen Erfolg.


15.09.: Musikkundgebung im Riesebyer Bürgerpark

Auch für das verbotene Festival am Samstag den 15.09. sollte eine Kundgebung, diesmal unter dem Motto „Antifaschistische Kultur lässt sich nicht verbieten!“ und mit Musikbeiträgen, für gleichwertigen Ersatz sorgen. Schließlich kamen über 250 Menschen ab nachmittags in den Riesebyer Bürgerpark.
Zwischen verschiedenen Redebeiträgen traten mit den Disturbers (Kiel), Holger Burner (Hamburg), Frankies Freakshow (Eckernförde), Wunschkind (Eckernförde/Berlin) und Boutique Rouge (Kiel/Hamburg/Berlin) insgesamt fünf Bands auf einem zur Bühne umfunktionierten LKW auf. Neben antifaschistischen Infoständen war mit einem veganen Burgerstand, einem Kuchenstand und einem Getränkebus für ausreichend Verpflegung gegen Spende gesorgt, womit der Charakter eines Festivals trotz der widrigen Bedingungen aufrechterhalten werden konnte. Auch das recht gute Wetter und das grüne Ambiente im Bürgerpark trugen ihren Teil zu der guten Stimmung bei.

Ein zweites Mal konnte bewiesen werden, dass sie sich notwendiges antifaschistisches Engagement nicht verbieten lässt. Die Resonanz war trotz der, dem Verbot geschuldeten, wieder einmal unklaren Umstände über das Stattfinden und den Ort der Musikveranstaltung und ein abschreckenden martialischen Polizeipräsenz im Ort erfreulich hoch und die linke Jugendsubkultur im Ort konnte gestärkt werden.


Naziaktivität bisher relativ gering

Insgesamt schien die Riesebyer Naziszene nicht in der Lage, der antifaschistischen Präsenz effektiv etwas entgegenzusetzen. Ihre Aktivität beschränkte sich seit Kampagnenstart bisher auf eineinhalb Flugblattaktionen, großmäulige Ankündigungen und vorsichtige Präsenz am Rande der Antifa-Veranstaltungen.
Allerdings bemühte sich eine ominöse „Stockholm-Gruppe“ mit gefälschten Aufrufen zur Antifa-Demo, mehrmals im Internet durch gezielte Desinformation mit verdrehten und gänzlich falschen Informationen zur Riesebyer Naziszene, AntifaschistInnen als LügnerInnen zu denunzieren.
Bereits im Vorfeld der Demo tauchten dann Flugblätter mit eindeutig neonazistischem Inhalt in Rieseby auf, deren Inhalt sich auf jene gefälschte Aufrufe berief und außerdem die Namen vermeintlicher OrganisatorInnen der Antifa-Kampagne veröffentlichte.
Ein weiteres Flugblatt, in dem ein Bild gewaltgeiler Antifas konstruiert wurde, verteilten in der darauf folgenden Woche der Kieler NPD-Vorsitzenden Herrmann Gutsche und einige Kameraden in Riesebyer Briefkästen.

Die Präsenz am Rande der Antifa-Aktionen beschränkte sich auf Patroulliengänge im Vorfeld, Zusammenrottungen in weiter Entfernung und einen Hitlergruß eines bekannten Nazischlägers aus seiner Wohnung in Richtung Antifa-Demo, obwohl sie im Vorfeld immer wieder Gerüchte über Angriffsplanungen streuten.


Es wird weitergehen...

Insgesamt lassen die erfolgreich durchgeführten Aktionen weiter darauf hoffen, dass mit der Demo, der Infokundgebung und der Musikveranstaltung dazu beigetragen werden konnte, dass sich in der Schleiregion eine antifaschistische Gegenkultur etablieren kann. Das Kampagnenbündnis wird die kommenden politischen Entwicklungen in Rieseby aufmerksam weiterverfolgen und gegebenenfalls weiter intervenieren. Auch darüber hinaus sind für die nächste Zeit weitere antifaschistische Aktionen in der Region geplant. Mit Sicherheit konnte viel Staub aufgewirbelt werden. Was von den bisherigen antifaschistischen Denkanstößen in Rieseby übrig bleibt, werden die nächsten Monate zeigen. Dank gebührt soweit ausdrücklich allen RiesebyerInnen, die die Kampagne bisher tatkräftig unterstützt haben und allen anderen HelferInnen und TeilnehmerInnen, die die Veranstaltungen der letzten Wochen zu einem großen Erfolg für die antifaschistische Bewegung gemacht haben.



Mehr zum Thema:

Musikkundgebung, 15.09.:  http://de.indymedia.org/2007/09/194572.shtml
Infokundgebung, 13.09.:  http://de.indymedia.org/2007/09/194254.shtml
Verbot von Antifa-Veranstaltungen:  http://de.indymedia.org/2007/09/194084.shtml
Demo, 01.09.:  http://de.indymedia.org/2007/09/192997.shtml
Kampagnenstart:  http://de.indymedia.org/2007/08/192764.shtml
Aufruf:  http://de.indymedia.org/2007/08/190238.shtml
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

schöner leben

mit streetart 28.09.2007 - 14:52
Ersma vorweg Respekt für diesen Einsatz! Super, dass sich den "ländlichen" Gegenden angenommen wird!
Da aber kein Kontakt auf dem Konzertplakat war, nun hier eine kleine Anregeung zum Plakatieren. Achtet doch bitte drauf nicht so derbe zu bomben, das Konzertplakat hat ein von allen geliebtes Grafitti gekillt (es wurde sogar beim Streichen der Wand umstrichen!), nichtmal waagenbauplakate hingen dort (und die sind rigeros), nun ists ne weitere Plakatwand, schaaaade! schöner leben mit streetart ohne Naziläden!

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige den folgenden Kommentar an

@ schöner leben mit street art — keine großartige ergänzung