Klage gegen niedersächsisches Polizeigesetz

AntiAtomPlenum Göttingen 28.09.2007 10:45 Themen: Atom Repression
Die Klage eines Göttinger Atomkraftgegners gegen eine Polizeiobservation wird erstmalig am 2. Oktober um 9:30 Uhr vor dem Verwaltungsgericht Göttingen verhandelt. LKA-Beamte hatten den Physikstudenten im Vorfeld des Castortransports 2004 zwei Wochen lang auf Schritt und Tritt verfolgt, dabei auch Informationen über die mit ihm in Kontakt stehenden Personen gesammelt, Videoaufnahmen gemacht und am Auto eines Bekannten einen Peilsender angebracht.

Öffentlicher Erörterungstermin am 2. Oktober vor dem Verwaltungsgericht Göttingen

Schon 2005 hatte der betroffene Student mit Erfolg gegen das polizeiliche Abhören seines Telefons geklagt – das Bundesverfassungsgericht hatte den zugrunde liegenden Paragrafen des niedersächsischen Polizeigesetzes für rechtswidrig erklärt. (§33a Nds. SOG, Az. 1 BvR 668/04) Die nun zu verhandelnde Klage betrifft zwei weitere Stellen des Gesetzes, das die vorbeugende längerfristige Observation regelt. (§§34 und 35 Nds. SOG)

In diesem Fall wurde die verdeckte Observation damit begründet, dass sie die einzige Möglichkeit wäre, angeblich geplanten militanten Castor-Blockaden auf die Schliche zu kommen. Weder Observation noch Telefonüberwachung erbrachten allerdings Erkenntnisse in dieser Richtung.

Grundgesetzwidriges Gesetz?

Bei der Klage geht es nicht nur um die unangemessene Anwendung des Polizeigesetzes, vielmehr wird das umstrittene Gesetz selbst zum Gegenstand der Verhandlung. Anwalt Johannes Hentschel attestiert dem Gesetzestext Beliebigkeit, Unverhältnismäßigkeit sowie mangelnde Normenklarheit und -bestimmtheit. Darüber hinaus überschreite das Gesetz die Kompetenz des Landes und sei somit rechtswidrig.

Der sehr vage formulierte Paragraf 34 Nds. SOG ermöglicht die Vorfeldüberwachung von Personen, bei denen „Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden”, also noch kein konkreter Verdacht besteht. In seiner Unbestimmtheit ermöglicht das Gesetz im Grunde die Überwachung jedes Menschen. Dass im vorliegenden Beispiel potentielle Atomkraftgegner und Castorblockaden ins Visier der Fahnder geraten – und nicht etwa Sprengstoffattentäter – spricht für sich.

Die Überwachung von Verdächtigen und deren Kontaktpersonen berührt den Kernbereich privater Lebensgestaltung und beeinträchtigt die unbefangene Meinungsäußerung und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die vage „Annahme, jemand könne in Zukunft eine Schienen-Blockade beabsichtigen”, rechtfertigt den Einsatz einer langfristigen Observation nicht! Doch auch das sich in Vorbereitung befindliche neue BKA-Gesetz sieht sehr ähnliche Befugnisse vor.

Anwalt Hentschel bestreitet auch die Gesetzgebungskompetenz des Landes Niedersachsen, da es nicht befugt ist, Gesetze zur „Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten” zu erlassen. Somit sind die Paragrafen 34 und 35 Nds. SOG auch aus formellen Gründen verfassungswidrig.

Die Polizeidirektion Göttingen gab als Begründung der Observation an, der Verdächtige sei „führuendes Mitglied” im Göttinger AntiAtomPlenum, einer Gruppe, die angeblich zu militanten Castorblockaden aufgerufen hätte. Als Beleg werden Publikationen wie Zeitungsartikel und Plakate angeführt, die aber nicht als direkte Aufrufe zu werten sind (z.B. die Abbildung von Regenschirmen auf eine Party-Plakat) und teilweise nicht einmal dem AntiAtomPlenum zugeordnet werden können (z.B. das Zitat aus einem anonymen Artikel: „kleinere brennende Blockaden halten den Zug nicht auf”).

Alles nur Bullen-Spekulationen

Um seine Mitgliedschaft zu belegen, wurden nach Polizeiaussagen über Monate hinweg die öffentlichen Treffen des AAP observiert und über die Teilnahme jeder Person Buch geführt. Als zusätzliche Begründung der Observation diente ein Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen im Zusammenhang mit einer Gleis-Barrikade aus Regenschirmen 2003. Das AAP hatte gemeinsam mit dem Betroffenen darauf gedrängt, die Unschuld in einer Gerichtsverhandlung klären zu lassen. Das Regenschirm-Verfahren wurde aber schon im Vorfeld auf Betreiben von Staatsanwaltschaft und Gericht nach §153 StPO eingestellt.

Die Polizeiberichte lassen erkennen, dass der Angeschuldigte dennoch als Urheber der Regenschirmblockade angesehen wird und mit derart militanten Blockaden Gefahren für Leib und Leben von Lokführer und Begleitpersonal in Kauf nehme.

Im Zusammenhang mit der für rechtswidrig erklärten Telefonüberwachung 2005 ließ sich der Göttinger Polizeisprecher sogar zu der vollkommen haltlosen These hinreißen, der Observierte hätte den Plan gehabt, ein Auto vor den Castor auf die Schiene zu rollen.

Beharrlich nimmt die Göttinger Polizei eine sehr eigenwillige Beurteilung von Situationen und Personen vor, die sich nicht mit den juristischen Auffassungen und Urteilen decken.

Nur durch diese Ignoranz ist es zu erklären, dass die Polizei auch in diesem Verfahren nicht eingesteht, mit der Observation eine völlig überzogene Polizeimaßnahme auf Grund einer fehlerhaften Prognose durchgeführt zu haben.

Widerstand gegen Überwachungsstaat und Verfolgungswahn!

Das AntiAtomPlenum unterstützt die Klage, da das Polizeigesetz augenscheinlich polizeilicher Willkür und paranoidem Verfolgungswahn Tür und Tor öffnet und damit eine Bedrohung aller politisch denkenden Menschen darstellt.

Auch persönlich sieht sich das AAP dieser Verfolgung ausgesetzt. Seit Jahren werden die öffentlichen Treffen und selbst Vorträge immer wieder von zivilen Polizeibeamten beobachtet und offenbar auch „Anwesenheitslisten” geführt. Die Unterstellung, das AAP oder einzelne Mitglieder würden zu militanten Blockaden aufrufen oder diese planen, lässt weitere Repressionen befürchten. Das AAP wird sich aber weiterhin offensiv gegen Kriminalisierungsversuche der Antiatombewegung einsetzen.

Der Erörterungstermin am 2. Oktober um 9:30 Uhr im Verwaltungsgericht könnte der Auftakt zu einem langwierigen Prozess werden und mit einem Verfassungsgerichtsurteil enden. Deutliche Tendenzen können jedoch schon am diesem 1. Verhandlungstag sichtbar werden.

Public Domain Dedication Dieses Werk ist gemeinfrei im Sinne der Public Domain
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Formulierung

Roland Ionas Bialke 28.09.2007 - 17:32
"Tatsachen die Annahme rechtfertigen" oder "Grund zur Annahme" werden später, falls es zu Strafverfahren kommt, oft umformuliert. Dann wird aus "Wir haben Tatsachen welche die Annahme rechtfertigen, dass X was böses tun will" "Wir wussten, dass X was böses tun will." Wahrscheinlich auch, weil einige Staatsanwälte nicht mit diesen Ausnahmeregelungen auseinandersetzen wollen/können. (Vermutung)

Bitte benachrichtigt mich über den Ausgang des Verfahrens, da ich von einen ähnlichen Gummi-Gesetz betroffen bin.

 http://www.juraforum.de/gesetze/WaffG/41/41_WaffG_waffenverbote_f%FCr_den_einzelfall.html

aap adresse

ist doch egal 28.09.2007 - 19:10
Zumindest die Web Adresse des erwähnten Göttinger Anti-Atom-Plenum:

 http://www.puk.de/aapgoe/

Dort ist auch ein Artikel zu den Verhandlungen zu finden (unter Aktuelles). Ob/wie häufig ge-updated wird, keine Ahnung.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 2 Kommentare an

ich will mehr!!! — rowdy

Peilsender? — Es sind ein oder mehrere Fehler aufgetreten!