Hartz IV-Praxis in Gö. ohne Rechtsgrundlage

Bündnis gegen Ein-Euro-Jobs 26.09.2007 16:28
Hartz IV-Praxis in Göttingen ohne Rechtsgrundlage

Voraussichtlich sind die meisten Zuweisungs- und Kürzungsbescheide des
Jobcenters Göttingen unrechtmäßig. Betroffene können die zu Unrecht gekürzten
Leistungen zurückfordern.
Seit dem 1.1.2005 hat die Stadt Göttingen die Beschäftigungsförderung Göttingen
mit der Durchführung der Organisation des Jobcenters beauftragt. Im Rahmen einer
öffentlich-rechtlichen Vereinbarung wurden ihr die Aufgaben Arbeitsvermittlung,
Fallmanagement, Jugendbüro und Bewirtschaftung von Integrationsleistungen im
Rahmen des SGB II zugewiesen. Die zentrale Aufgabe ‚Fallmanagement’ wird in der
Vereinbarung bezüglich der Aufgabenübertragung nicht hinreichend beschrieben –
es wird nur lapidar erklärt, dass die Aufgabe zwischen dem Fachbereich Soziales
der Stadt Göttingen und der Beschäftigungsförderung Göttingen geteilt wird.
Auf dieser Grundlage hat die Beschäftigungsförderung seit dem 1.1.2005 sowohl
Zuweisungs- als auch Sanktionsbescheide nach dem SGB II erlassen.
Das Sozialgericht Hildesheim hat nun bei der Überprüfung eines
Kürzungsbescheids im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Auffassung
vertreten, dass diese Praxis voraussichtlich rechtswidrig ist: Die
Beschäftigungsförderung Göttingen hat hiernach keine rechtlichen Befugnisse zum
Erlass von Verwaltungsakten im Bereich des SGB II.
Weder Landes- noch Bundesrecht sehen in diesem Bereich eine Überlassung
hoheitlicher Aufgaben an Dritte vor.
Sämtliche Bescheide, die von der Beschäftigungsförderung seit dem 1.1.2005
ausgestellt wurden, dürften daher voraussichtlich rechtswidrig sein. Dies
betrifft sowohl Zuweisungen in 1-Euro-Jobs, andere so genannte
Qualifizierungsmaßnahmen als auch Leistungskürzungen. Da bei rechtswidrigen
Verwaltungsakten eine 4-jährige Überprüfungsfrist gilt, können alle Hartz
IV-EmpfängerInnen, deren Leistungen von der Beschäftigungsförderung gekürzt
bzw. deren Leistungen auf Grund von Verstößen gegen die
Eingliederungsvereinbarung oder Maßnahmen des Jobcenters gekürzt wurden, die
einbehaltenen Leistungen zurückfordern.
Wir fordern den Landkreis Göttingen im Rahmen der Wahrnehmung seiner
Fachaufsicht auf, selbsttätig die Bescheide der Beschäftigungsförderung zu
überprüfen und den Betroffenen die zu Unrecht gekürzten Leistungen nach dem SGB
II nachträglich zurückzuzahlen.
Im Übrigen hat die Beschäftigungsförderung in Kenntnis der Rechtswidrigkeit ab
sofort den Erlass von Verwaltungsakten im Rahmen des SGB II zu unterlassen.


Anwaltskanzlei Sven Adam und Bündnis gegen 1-Euro-Jobs


Kontakt:


Sven Adam
Anwaltskanzlei
Lange Geismarstr. 55
37073 Göttingen
Tel. 0551 – 4 88 31 69
Email:  kontakt@anwaltskanzlei-adam.de

Bündnis gegen Ein-Euro-Jobs
Email:  gegen-1-euro-jobs@web.de
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

das schreibt die lokalpresse

ist ausgefüllt 26.09.2007 - 16:34
Stadtradio
Sozialgericht erklärt Göttinger Hartz-IV-Bescheide „voraussichtlich“ für rechtswidrig

Nach Ansicht des Sozialgerichts Hildesheim sind die Hartz-IV-Bescheide der Beschäftigungsförderung Göttingen womöglich rechtswidrig.

In einem Beschluss vom 3. September schreibt das Gericht, ein Änderungsbescheid der Beschäftigungsförderung vom Juni dieses Jahres werde sich – Zitat – „voraussichtlich als rechtswidrig erweisen“. Nach Angaben des Göttinger Rechtsanwaltes Sven Adam bedeutet das, dass die Beschäftigungsförderung womöglich gar nicht befugt ist, Hartz-IV-Empfängern die Leistungen zu kürzen. Adam sagte dem StadtRadio, im vorliegenden Fall habe die Beschäftigungsförderung für eine Hartz-IV-Empfängerin eine neunmonatige Qualifizierungsmaßnahme angeordnet. Als die Betroffene der Maßnahme fernblieb, weil sie ihr nichts brachte, kürzte die Beschäftigungsförderung die Leistung um 30 Prozent. Die Stadt Göttingen bestätigte diesen Schritt. Adam erklärte, der Landkreis Göttingen als so genannte Optionskommune habe zwar die Stadt Göttingen für bestimmte Aufgaben herangezogen. Dies bedeute aber nicht automatisch, dass die Stadt Befugnisse an die Beschäftigungsförderung weitergeben könne. Der Landkreis hat bis zum 4. Oktober Zeit, gegen den aufschiebenden Beschluss des Sozialgerichts Beschwerde einzulegen.


GT 26.9.2005
Gericht hält Sanktionen durch städtische Anstalt für nichtig


Leistungskürzung aufgehoben / Zweifel an Aufgabenübertragung an Beschäftigungsförderung / Beschwerde angekündigt


Göttingen (ft). Bescheide der städtischen Kommunalen Anstalt für Beschäftigungsförderung an Langzeitarbeitslose sind möglicherweise grundsätzlich nichtig. So sieht es jedenfalls das Sozialgericht Hildesheim in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren.
Das könnte zu einer Überprüfung aller Verwaltungsakte nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II der Anstalt führen. Die Stadt Göttingen müsste dann in jedem Fall neue Bescheide ausstellen. Die Stadtverwaltung hält die Übertragung von hoheitlichen Aufgaben an ihre Anstalt aber weiterhin für rechtens. Der Beschluss des Gerichts könne so nicht nachvollzogen werden, sagte Göttingens Sozialdezernentin Dagmar Schlapeit-Beck gestern auf Anfrage. Die Form einer kommunalen Anstalt sei gewählt worden, weil sie auch hoheitliche Aufgaben erfüllen könne. In Abstimmung mit der Stadt wolle der Landkreis Beschwerde einlegen. Trotz dieser Auffassung wolle die Stadt Änderungen vornehmen, um künftig keine formalen Angriffspunkte mehr zu bieten. Von der Kreisverwaltung war gestern noch keine Stellungnahme zu bekommen.
Rechtliche Grundlage fehlt
Der Landkreis Göttingen hat als eine von bundesweit 69 sogenannten Optionskommunen die Betreuung und Vermittlung von Arbeitslosengeld-II-Beziehern vom Bund übernommen. Teilweise sind Aufgaben an Städte und Gemeinden sowie auch an die städtische Anstalt abgegeben worden. Das Sozialgericht und Klägeranwalt Sven Adam sehen rechtlich aber keine Grundlage für eine Übertragung an Dritte, in diesem Fall die Beschäftigungsförderungsanstalt.
Anlass ist eine neunmonatige sogenannte Coaching-Maßnahme, die eine Göttingerin abbrach, weil sie keinen Sinn darin sah. Gegen die Sanktion, eine 30-prozentige Leistungskürzung durch die Anstalt, wehrt sie sich. Schon eine Zumutbarkeit der Maßnahme lasse sich nicht feststellen, so das Gericht. Aber auch wegen fehlender Befugnis zum Erlass von Verwaltungsakten werde sich die Sanktion „voraussichtlich als rechtswidrig erweisen“. Im SGB II gebe es keine Ermächtigungsgrundlage. In der Vereinbarung zwischen Stadt und Anstalt gebe es auch keine klare Abgrenzung im Aufgabenbereich Fallmanagement. Aktenzeichen S33AS1015/07.