Demo gegen Abschiebehaft in Lippstadt

Bündnis gegen Abschiebung, Lippstadt 17.09.2007 15:57 Themen: Antirassismus Repression
Am 15.09.2007 fand in der westfälischen Kleinstadt Lippstadt eine Demonstration für die Abschaffung der Abschiebehaft und gegen die rassistische Abschottungspolitik der Festung Europa statt. Die Demonstration bezog sich auf den Hungerstreik der Häftlinge im Abschiebeknast Büren, welcher nur 30km von Lippstadt entfernt liegt.
Während einer Demonstration am 2. September vor den Toren der JVA Büren gegen die Abschiebepolitik wurde in einer Grußbotschaft eines Häftlings der Hungerstreik ausgerufen um so gegen die untragbare Realität der Abschiebehaft zu protestieren. Es wurde darum gebeten, mit verschiedenen Aktionen diese Botschaft weiter zu tragen. Daher versuchte man auch in Lippstadt sich mit den Häftlingen zu solidarisieren. Vorangegangen war der Demo an diesem Samstag bereits ein Infostand am vorherigen Wochenende in der Lippstädter City ( http://de.indymedia.org/2007/09/193862.shtml).

Durch Transparente und regelmäßige Lautsprecherdurchsagen wurden die zahlreichen Passant_innen auf das Anliegen der Demonstant_innen aufmerksam gemacht. In einer ersten Rede machte ein Vertreter der Büren-Gruppe Paderborn auf die Zustände in der Abschiebehaft aufmerksam. Ein zweiter Wortbeitrag beschäftigte sich mit der von der Abschiebung bedrohten Amina El Fatmi, die im Rollstuhl sitzt und der die Abschiebung aus Lippstadt droht ( http://de.indymedia.org/2007/08/190178.shtml).

Außerdem gab es am Asylbewerberheim einen Redebeitrag von einem dort lebenden Flüchtling aus Togo über die dortigen Missstände. Der auf Französisch gehaltene Beitrag wurde anschließend in übersetzt vorgetragen.

Den Abschlussbeitrag bildete die Junge Linke Lippstadt, die anhand des Themas Abschiebung versuchte eine allgemeine Gesellschaftskritik zu formulieren.

Die Demonstration war recht überschaubar - was an der kurzfristigen Mobilisierungszeit lag - aber erfüllte ihren Zweck. Die Reaktionen waren recht vielseitig. Vom rumpöbelnden Naziopa bis hin zu interessierten Passant_innen und Flüchtlingsheimbewohnern, die sich der Demo anschlossen, war alles vorhanden.
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Ergänzungen

Redebeitrag

Junge Linke Lippstadt 14.11.2008 - 21:22
Den Redebeitrag von Junge Linke Lippstadt gibt´s hier:

FÜR FREIES FLUTEN! KAPITALISMUS ABSCHAFFEN!
Redebeitrag zur Demo gegen Abschiebehaft in Lippstadt am 15. September 2007

Es war, ist und bleibt wichtig, das System der Abschiebeknäste in Europa immer wieder zu thematisieren, zu kritisieren und anzugreifen. Es ist sinnvoll darauf hinzuweisen, was sich die Länder der EU immer wieder Neues einfallen lassen, um Anderen eine Teilhabe am europäischen Wohlstand zu verweigern.

Doch zunähst ein Ausflug in die jüngere deutsch-europäische Migrationspolitik.
In der neugegründeten, postnazistischen BRD kam es unter anderem durch den Wegfall der Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter aus der NS-Zeit zu einem Arbeitskräftemangel. Dies versuchte man durch Gastarbeiter auszugleichen. Viele Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen, wurden in den betriebseigenen oder betriebsnahen ehemaligen Zwangsarbeiterlagern einquartiert, was durchaus bezeichnend für die Kontinuität des NS in die BRD hinein ist. Auch das Flüchtlingsheim in Lippstadt in der Hospitalstraße, diente als Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald.

Das so genannte "Wirtschaftswunder" fußte auch auf der von den Deutschen organisierten und durchgeführten Vernichtungspolitik im Nationalsozialismus. Nachdem man aber das Wirtschaftswunder "geschafft" hatte und die BRD international wieder voll integriert war, konnte man das Asyl- und Ausländergesetz nach und nach immer rigider gestalten.
Als 1993 der rassistische Mob auf den Straßen Deutschlands tobte und Flüchtlingsheime angriff und in Brand setzte, wurde zeitgleich das ohnehin schon ausgehöhlte Asylgesetz faktisch abgeschafft. Man trennte sich somit von einem ökonomisch äußerst unbequemen Relikt der Menschenrechterei und machte es nahezu unmöglich für Flüchtlinge legal nach Deutschland migrieren zu können.

Das bedeutet nicht, dass mit dem alten Asylgesetz alles gut war. Auch dort wurde die Einreise von Flüchtlingen durch Gesetze wie dem Asylverfahrensrecht und dem Ausländerrecht gesteuert und das Konstrukt von "Ausländer" und "Inländer", das in der BRD völkisch - nämlich als Blutrecht - begründet wurde zum Verfassungsrang erhoben.

Die restriktive Grenzpolitik der europäischen Staaten ist darauf ausgerichtet, möglichst viele Flüchtlinge am Erreichen des europäischen Bodens zu hindern. Fluchtrouten im Mittelmeer werden schwer bewacht - mit der Konsequenz, dass jährlich mehrere tausend Menschen auf dem Weg ihr Leben lassen.

Die europäische Antwort auf die illegalisierten Einwanderungsversuche sind militärische Abwehrmaßnahmen, die immer mehr ausgeweitet werden sollen - mit dem Ergebnis der Einrichtung von Internierungslagern in Nordafrika.
Wer es allen staatlichen Widerständen zum Trotz geschafft hat, sich einen zumindest vorübergehenden Aufenthalt in Deutschland zu erstreiten, findet sich in einem repressiven Klima wieder. Das heißt, was als Traum vom besseren, menschenwürdigeren Leben begann, endet in der Realität des Alltagsrassismus der deutschen Bevölkerung und dem System von Ausgrenzung, Schikanierung und Abschreckung, das die deutsche Asylpolitik kennzeichnet.
Grundlegende Bedürfnisse und Bürgerrechte werden eingeschränkt oder ganz verwehrt. Das heißt Chipkarten und Lebensmittelmarken oder vorverpackte Essenspakete machen die freie Wahl der Nahrungsmittel unerschwinglich bis unmöglich. Die seit 1983 bestehende Residenzpflicht verbietet es den Asylsuchenden den ihnen zugewiesenen Landkreis zu verlassen. Die Abschiebeknäste wie in Büren sind nur das letzte Glied in der Kette eines langwierigen Prozesses von Asylantrag, eventueller Duldung, Ablehnung und Ausreisepflicht.

Unsere Kritik soll hierbei aber nicht stehen bleiben. Die Asylpolitik ist im Spiegel der Gesellschaft zu betrachten.

Die Flüchtlinge aus den Elendsstaaten dieser Welt, die vor Bürgerkrieg, politischer Verfolgung und Perspektivlosigkeit fliehen und mit der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Europa kommen, stellen in den Rechnungsbüchern von Wirtschaft und Politik natürlich Kostenstellen dar, die sich ein Betrieb wie ein Staat oder auch Staatenbündnis nicht leisten will. Man muss sich vergegenwärtigen, dass Flüchtlinge auf ihre Ware Arbeitskraft beschränkt werden. So kann es nach staatlicher Logik auch mal vorkommen, dass Arbeitsmigration wie im Deutschland der 1950er Jahre zu gewähren als sinnvoll betrachtet wird. Wenn nun aber Migranten nicht kapitalistisch verwertbar sind, werden sie bekämpft und ausgewiesen. Mit den Worten "Wir brauchen weniger Ausländer, die uns ausnützen, und mehr, die uns nützen" brachte Günther Beckstein diesen Gedanken einmal auf den Punkt. Das System der Abschiebung und Abwehr gegen die Flüchtlinge ist dem Wesen der nationalstaatlich verfassten, kapitalistischen Welt immanent.

Daher denken wir, dass es mit moralischen Klagen und Betroffenheit über das Schicksal der Flüchtlinge in Deutschland nicht getan ist, offenbaren sich doch hierin bloß die Grundprinzipien dieser Gesellschaft in extremster Form. Die Flüchtlingssolidarität, die Menschen in konkreten Notlagen hilft und einen Gegenpart zur rassistischen Ausgrenzung durch Staat und Gesellschaft bildet und für Viele den Unterschied ums Ganze - nämlich ums Leben - macht, ist zweifellos unterstützenswert. Wir möchten aber zu bedenken geben, dass der Kampf gegen Abschiebung viel grundsätzlicher sein müsste und den Kapitalismus und die warenproduzierende Gesellschaft in den Fokus der Kritik rücken müsste, wenn er langfristig Erfolg haben will.

Der nationalstaatlich verfasste Kapitalismus will und kann nicht ohne die Migrationssteuerung auskommen, da Einschluss und Ausschluss, also das Gewähren und Verwehren von Teilhabe am Glücksversprechen einer Nation, wesentliche Elemente des modernen Nationalstaates sind. Eine Kritik innerhalb dieser gesellschaftlichen Bedingungen, die nicht selbige zum Objekt der Kritik erhebt, kann kaum dem Wunsch nach wirklicher Veränderung im Sinne der Freiheit aller Menschen gerecht werden.

In diesem Sinne:
Kein Friede den Zuständen!
Kapitalismus abschaffen!
Refugees welcome – Für freies Fluten!

Junge Linke Lippstadt, September 2007