Guatemala: Zur drohender Wahlgewalt

pirata 09.09.2007 02:47 Themen: Repression Weltweit
Bei den anstehenden Wahlen am 9. September in Guatemala stehen auch die Bürgermeister auf dem Prüfstand der Wähler. Eine Besonderheit im Wahlrecht sorgt dafür, dass es hierbei besonders blutig zugeht. Niemand weiß genau, wieviel Kandidaten bereits umgebracht wurden. Und in 27 der 332 Gemeinden des Landes rechnet die Wahlaufsichtsbehörden in der Wahlnacht mit Ausschreitungen. Ein stricktes, dreitägiges Alkoholverbot und Tausende von Polizisten, Soldaten, Menschenrechts- und Wahlbeobachter soll das Schlimmste auch dieses mal verhindern. Und doch werden wohl auch diesmal wieder vereinzelt die Wahlurnen brennen...
San Pedro La Laguna, im Departement Solola, ist solch ein Ort, der bei der staatlichen Wahlkommission TSE auf der roten Liste steht. Hier könnte es in der Wahlnacht zu Ausschreitungen kommen, hier könnten die Wahlurnen brennen, hier drohen tödliche Ausschreitungen. Kurz zum Hintergrund: Seit Jahren ist das Dorf im guatemaltekischen Hochland, malerisch am einzigartigen Atitlan-See gelegen und ein Touristen-Magnet, tief zerstritten. Niemand weiss mehr so genau, wann der Zoff eigentlich anfieng und weshalb? Aber die Mehrheit der Bevölkerung weiss eines: Zwei Legislaturperioden sind mehr als genug, der amtierende Bürgermeister Guillermo Batz muß weg! Ihm werden Korruption, Vetternwirtschaft, Kungelei mit der Drogenmafia und Größenwahn vorgeworfen.
Gleich fünf Kandidaten treten nun an, um den von der Mehrheit so verhassten Bürgermeister der Regierungspartei GANA in die Wüste zu schicken. Doch das guatemaltekische Wahlsystem könnte ihm vier weitere Jahre als Gemeindeoberhaupt bescheren. Obwohl ihn die Mehrheit der Bürger nicht mehr im Rathaus sehen will. Die Wahlregeln sind dabei denkbar einfach: Bürgermeister wird, wer im ersten Wahlgang die einfache Mehrheit erhält. Und: Gemeinde- oder Stadträte gibt es nicht, der Bürgermeister stellt sich sein „Expertengremium“ nach der Wahl selbst zusammen.
Das bedeudet, dass er bereits mit 20 Prozent der Stimmen Bürgermeister bleiben kann. Es gibt ja keine Stichwahl, es reicht die einfach Mehrheit im ersten Wahlgang. Und ein kontrollierendes Dorfparlament existiert danach auch nicht.
Schon bei der letzten Wahl erhielt der Pseudo-Häuptling Batz keine absolute Mehrheit der Stimmen. Nur durch Wahlbetrug erang er überhaupt 43 Stimmen Vorsprung gegenüber seinem Gegenkandidaten. Batz besorgte Minderjährigen, ihm hörigen Jugendlichen das Wahlrecht, kaufte weitere Stimmen dazu und ließ Wahlurnen verschwinden.
Auch bei dieser Wahl ist es ähnlich, wieder sollen (so Gerüchte) manche, auserwählte 16-, 17jährige Wählen dürfen, wurden illegal in San Pedro lebende Ausländer noch schnell mit der guatemaltekischen Staatsbürgerschaft beschenkt, wenn sie versprechen, ihn zu wählen. Jedes Kreuz zählt! Und potentielle Gegner werden wohl auch diesmal wieder an den gleichen Wahltisch verwiesen, damit die Urne mit zuvor vorbereiteten, gefälschten Wahlzetteln in der Wahlnacht ganz fix ausgetauscht werden kann.
Vor vier Jahren hielten die San Pedraner noch still. Obwohl jeder wusste, dass der Bürgermeister nur durch Wahlbetrug den hauchdünnen Vorsprung errang. Zwischenzeitlich hat er aber einige weitere „ungeschickte“ Entscheidungen getroffen. Der Wasserpreis wurde auf einen Schlag um 330 Prozent erhöht, die Dorfschule im Zentrum soll abgerissen werden und einem modernen Markt mit Tiefgarage weichen.
Nachdem Bürger und Kinder die vom Abriss bedrohte Schule besetzten, die Schule gar unter Denkmalschutz gestellt wurde, schickte der Bürgermeister ein Schlägerkomando vorbei. Tische, Fenster und Stühle wurden zertrümmert, es gab etliche blutige Nase bei den Besetzern. Nur ein eiligst herbeigerufene Sondereinsatzkommando der Polizei konnte in den nächsten Tagen verhindern, dass im Gegenzug das Rathaus in Flammen aufging. In der Nacht des Angriffs durch „Bürgermeistertruppen“ konnte niemand so schnell reagieren. Aller waren handlungsunfähig und schockiert, ob der brutalen Gewalt aus der Gemeindeverwaltung. Das Rathaus lag nur 40 Meter entfernt, die Bürger in der Schule mussten aber erst mal ihre Wunden verarzten und den Schock verdauen. Im Morgengrauen rückten dann Aufstandsbekämpfungseinheiten der Polizei im beschaulichen San Pedro ein. Jeder weitere Widerstand wurde im Keim unterdrückt.
Bis heute ist die Schule allerdings von den Eltern, Lehrern und Kindern besetzt. Jeden Tag gibt es Unterricht für die Kids, am Wochenende kostenlose Kulturveranstaltungen für die breite Bevölkerung. Die Gratis-Kulturevents für ALLE sind übrigens etwas völlig Neues, so was gab es vorher nicht in San Pedro. Und die Schule nennt sich nun VOLKS-Schule und steht für alle Altersklassen offen.

Zwischenzeitlich ist Bürgermeister Batz auch bei der Staatsanwaltschaft aktenkundig. Er hatte bei einer Wahlveransaltung kürzlich offen dazu aufgerufen, einen Widersacher noch in der Wahlnacht anzugreifen. Dessen Sohn Chema lebt bereits in Angst. Gerüchte besagen, er solle entführt werden. Dessen Familie organisierte wiederum einen bewachneten Wachschutz, der jeden erschiessen soll, der das Grundstück betritt. Das Tape mit dem Gewaltaufruf des Bürgermeisters wurde derweil jedenfalls der Staatsanwaltschaft übergeben. Und das Dorf bangt: Gewinnt der Amtsinhaber, wird es eine heisse und gewalttätige Wahl-Nacht geben. Verliert Batz, bleibt wohl alles ruhig.

Die Attacke von Bürgermeister Batz auf diese Schule war wohl sein größter Fehler. Die Drohung eine einflussreiche Familie anzugreifen sein zweiter. Und dann erfolgten in seiner Amtszeit natürlich unzählige Willkür-Entscheidungen, von denen jeder San Pedraner etliche aufzählen kann. Fazit: Mehr als 20 Prozent der Stimmen traut ihm niemand mehr zu, Wahlbetrug eingeschlossen. Doch das könnte beim guatemaltekischen Wahlrecht ja auch schon reichen, dass der Demokratie-Alptraum im kleinen San Pedro am malerischen Atitlan-See weiter geht. Und dass sich in der Wahlnacht der Widerstand in einen flammenden Protest wandelt.
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