Tödlicher Journalismus

ChristophMueller 24.08.2007 20:16 Themen: Medien Repression Weltweit
Die Situation der Menschenrechte in Russland. Ein Bericht.
Anna Politkovskaja will gerade den Fahrstuhl ihres Wohnhauses in der Moskauer „Lesnaja-Straße“ verlassen, als ihr ein junger Mann entgegentritt. Aus nächster Distanz feuert dieser drei Schüsse aus seiner Pistole der Marke Makarow ab, beugt sich über Politkovskaja und schießt ihr noch einmal mitten durch den Kopf. Ein so genannter „Kontrollschuss“. Üblich bei Auftragsmorden. Es ist gegen 16:30 Uhr, als der Täter unmaskiert und unter Aufsicht einer Überwachungs- kamera die Flucht antritt.
Der Mord an der russischen Journalistin Anna Politkovskaja ist über zehn Monate her. Zehn Monate und die russische Regierung hat den Mord weder verurteilt, noch ihr Bedauern darüber ausgedrückt. Zehn Monate, in denen niemand für das Verbrechen angeklagt wurde. Zehn Monate und noch immer ist keine internationale Untersuchungskommission zugelassen worden. Trotz des Drucks der Weltöffentlichkeit und diverser Menschenrechtsorganisationen.

Der grausame Tod Politkovskajas stellt keinen Einzelfall dar: 92 Morde an Journalisten zählte die „Forschungsstelle Osteuropa“ seit dem Amtsantritt von Präsident Wladimir Putin im Jahr 2000. Dazu hunderte gewaltsame Übergriffe, Einschüchterungsversuche und zerstörte Redaktionsräume. Was hat ein Land zu verbergen, das so mit seinen Journalisten umgeht?

Der Tschetschenienkonflikt

„Im Namen der Terrorismusbekämpfung“ führt Wladimir Putin zu Beginn seiner Amtszeit Russland in den zweiten Tschetschenienkrieg. Tschetschenien solle wieder unter die vollständige Kontrolle der russischen Zentralregierung gestellt werden. Ein Krieg gegen den Terror. Geführt mit verschleppten Männern, vergewaltigten Frauen, entführten Kindern, in Erdlöchern gesteckten Menschen und mit Elektroschocks gefolterten Zivilisten. Im Jahr 2000 hat die russische Seite den Krieg offiziell für beendet erklärt. Die Situation für die Bevölkerung hat sich seitdem kaum verbessert. Wiederaufbaumaßnahmen und Entschädigungsprogramme sind zwar aufgenommen worden, erreichen aber angesichts der weit verbreiteten Korruption selten die Bedürftigen. Dem gegenüber steht außerdem die Ausweitung des Konflikts auf Nachbarrepubliken wie Inguschetien oder Dangestan.

Die russischen Streitkräfte

Die Verbrechen des russischen Militärs beschränken sich nicht auf die tschetschenische Zivilbevölkerung. In Russland gilt eine allgemeine Wehrpflicht von 24 Monaten für wehrfähige Männer ab 18 Jahren. Die wehrpflichtigen Soldaten werden auch in Krisengebieten wie Tschetschenien eingesetzt. Die Menschenrechtsorganisation „amnesty international“ beschreibt zudem in ihrem „Länderkurzbericht“ des Jahres 2007 mit welcher Alltäglichkeit ältere Soldaten die neuen Wehrpflichtigen mit Duldung der Vorgesetzten schikanieren würden, um ihnen „Disziplin“ beizubringen. Rekruten müssten als »Arbeitssklaven« für Freunde ihrer Vorgesetzten Häuser bauen. Gehorchen sie nicht oder passt den Vorgesetzten nur ihr Aussehen oder ihre ethnische Herkunft nicht, drohen ihnen schwere Misshandlungen. Soldaten klagen über Willkür, Folter, Diebstahl, mangelnde Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten, sowie Misshandlungen.
Diese Umstände halten viele Rekruten nicht aus: Alleine im Jahr 2005 begingen 276 Soldaten Selbstmord, mindestens die Hälfte von ihnen brachte sich wegen Erniedrigung durch Vorgesetzte um. Die Zustände in der Armee bleiben oft unaufgeklärt, da das Militär „eine hermetisch abgeschlossene Zone, vergleichbar mit einem Gefängnis“ sei. Im Gegensatz zu anderen Staaten fehle in Russland die zivile Kontrolle über das Militär. Den Forderungen amnesty internationals, sämtlichen Misshandlungsvorwürfen in der Armee nachzugehen und die Täter in einem rechtsstaatlichen Verfahren zu einer angemessenen Strafe zu verurteilen, sowie den Opfern Schadensersatz und Wiedergutmachung zu leisten, ist die russische Regierung bisher nicht nachgekommen.

Lupenreine Demokratie

Zur Wiederwahl Putins im März 2004 erklärte der Vorsitzende der OSZE-Beobachterkommission die „notwendigen Prinzipien für einen gesunden Wahlprozess“ wären nicht eingehalten worden. Mit 71 Prozent der Stimmen wurde Wladimir Putin in seine zweite Amtszeit berufen. Zuvor hatten die meisten der Gegenkandidaten öffentlich erklärt, sie selber werden Putin wählen.
Iwan Rybkin, ein tatsächlich putinkritischer Gegenkandidat, verschwand fünf Wochen vor der Wahl spurlos. Er hatte die Tschetschenienpolitik Putins als „Staatsverbrechen“ bezeichnet und in einem Interview erklärt: „Der Westen soll aufhören, die entstehende Diktatur Putins weiter zu unterstützen“. Unter mysteriösen Umständen tauchte der Politiker Tage später in der Ukraine auf und erklärte, er hätte nur ein bisschen Urlaub machen wollen. Später gab er zu, wegen seiner Kandidatur entführt worden zu sein. Er versuchte den Wahlkampf „aus Sicherheitsgründen“ von London aus weiterzuführen. Nachdem die Wahlkommission und ein Gericht entschied, ihn nicht per Videoschaltung an einer Fernsehdebatte teilnehmen zu lassen, erklärte Rybkin „ich werde an dieser Farce nicht teilnehmen“ und zog seine Kandidatur zurück. Er empfahl den Wählern, die Wahl zu boykottieren.

Der russische Staatspräsident besitzt in der Verfassung festgelegte, sehr weitreichende Befugnisse. Er ernennt den Ministerpräsidenten und die übrigen Regierungsmitglieder. Putin nutzte diese Befugnisse, um zahlreiche Offiziere und Beamten des Geheimdienstes FSB in einflussreiche Stellungen zu bringen. Die Zahl der Offiziere unter den Gouverneuren Russlands hat sich unter Putin verdoppelt. In Moskau stellen sie inzwischen mehr als die Hälfte der Mitglieder des Sicherheitsrates und 35 Prozent der stellvertretenden Minister.
Fünf Monate nach seiner Wiederwahl legte Putin einen Plan vor, dass die bislang direkt gewählten Gouverneure künftig von ihm allein vorgeschlagen und von den regionalen Parlamenten bestätigt werden sollten. Am selben Tag unterstützte er einen Vorschlag der zentralen Wahlkommission, die gesamten Duma-Mandate künftig ausschließlich nach den Listen im Verhältniswahlrecht zu bestimmen. Beides ist inzwischen beschlossen worden.

Wo bleibt die Gegenwehr?

Das alles geschieht in Russland, ohne dass sich eine wirkliche Opposition bildet. Es sind Einzelne, die versuchen Menschenrechtsverletzungen aufzudecken und Proteste zu organisieren. Die Masse konnte nie für die Werte der Demokratie sensibilisiert werden. Die Voraussetzungen scheinen es außerdem unmöglich zu machen in der Russischen Föderation eine Opposition aufzubauen:
Es gibt kein unabhängiges Justizsystem. Also keine Gerichte, die Oppositionelle anrufen könnten, um ihre Rechte einzufordern.
Es gibt keine unabhängigen überregionalen Medien, die Massen für Proteste mobilisieren könnten. Der größte Teil der Printmedien, Rundfunkstationen, und Fernsehsender befinden sich unter staatlicher Kontrolle. Sind sie nicht direkt staatlich kontrolliert, sind sie in der Hand von staatlich kontrollierten Firmen, wie etwa die Tageszeitung Iswastija dem Gazprom Konzern gehört.
Es gibt außerdem keine unabhängigen Finanzierungsquellen, die eine substantielle Opposition finanzieren könnten.

Es sind Einzelne, wie Anna Politkovskaja, die trotz zahlreicher Drohungen und Einschüchterungsversuche nicht aufgeben, die herrschenden Missstände medial aufzudecken. Und so zu einem Dorn im Auge des Kremls werden. Politkovskaja bezahlte dieses Engagement mit ihrem Leben. Ihre Ermordung geschah an Putins 54. Geburtstag.

Nachdem die Umstände vom Mord an Politkovskaja kurzzeitig für internationale Empörung sorgten, ist die Debatte um Russlands Menschenrechtsverletzungen inzwischen wieder aus den Weltmedien verschwunden. Es ist Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft, der Medien und Regierungen, nicht die Augen vor den russischen Geschehnissen zu schließen, sondern Menschenrechtsverletzungen aufzudecken und zu kritisieren. Es sollte klar sein, dass dies bisher weder durch Schröders blinde Freundschaft zum „lupenreinen Demokraten“ Putin, noch durch Merkels oberflächliche Kritik an Putin geschehen ist. Immer wieder beklagte Anna Politkovskaja die Blindheit und mutwillige Ignoranz des Westens. Nun, da sich die Welt betroffen zeigt und um sie trauert, sollten wir endlich hören, was sie zu sagen hat.

Quellen und Buchtipps:

Anna Politkovskaja: Russisches Tagebuch. Dumont Verlag
amnesty international: Solidarität mit Russland. Eine Nation zwischen Demokratie und Wirklichkeit
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Ergänzungen

10 Verdächtige im Mordfall Politkowskaja

blogleser 27.08.2007 - 14:12
Auf FAZ.net findet sich eine News: 27. August 2007: Russland - Festnahmen im Mordfall Politkowskaja Zitat: "Fast ein Jahr nach der Ermordung der regierungskritischen russischen Journalistin Anna Politkowskaja hat Moskau die Festnahme von zehn Verdächtigen bekannt gegeben. Die russische Nachrichtenagentur Tass meldete unter Berufung auf die Moskauer Generalstaatsanwaltschaft, eine Anklage werde vorbereitet. „Wir haben große Fortschritte in den Ermittlungen zum Politkowskaja-Mord gemacht“, wurde Generalstaatsanwalt Juri Tschaika zitiert. Nähere Angaben zur Herkunft und zu einem möglichen Motiv der Verdächtigen machte er nicht. Frau Politkowskaja hatte über Korruption in Russland und über Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien berichtet."

Russland: Tödlicher Journalismus?

radio corax 29.08.2007 - 20:16
Der Mord an der russischen Journalistin Anna Politkovskaja ist über zehn Monate her. Zehn Monate und die russische Regierung hat den Mord weder verurteilt, noch ihr Bedauern darüber ausgedrückt. Zehn Monate, in denen niemand für das Verbrechen angeklagt wurde. Zehn Monate und noch immer ist keine internationale Untersuchungskommission zugelassen worden. Trotz des Drucks der Weltöffentlichkeit und diverser Menschenrechtsorganisationen. Diese Sätze standen vor wenigen Tagen auf indymedia. Geschrieben hat sie Christoph Mueller: Mit ihm sprach Depta von Radio Corax über die Situation der Menschenrechte in Russland.

@FSB

Lüne Burger 01.09.2007 - 13:05
Der Artikel stellt die Lage in Russland sehr gut dar. Nicht nur oppositionelle Politiker verschwinden schnell im Gefängsnis, sondern besonders die Journalisten haben unter dem von Putin errichteten Regime zu leiden.
Ein freies Russland wird es wohl nie geben. Der Klüngel um alte und neue Geheimdienstler beherrscht das Land. Erst vor kurzem hat Putin verkündet sein Land wieder massiv aufzurüsten. Militarisierung und Faschismus nehmen ihren Lauf. Ausbeuterische Unternehmen dürfen im "neuen" Russland tun und lassen was sie wollen, solange sie sich nicht in die Politik einmischen. Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst immer mehr.
Eine Freundin von mir die in Moskau wohnt, sagt das Putin ein sehr gefährlicher Mensch ist.

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