Chile: Mapuche-Gefangene im Hungerstreik

diverse 24.08.2007 08:48 Themen: Repression Soziale Kämpfe Ökologie
Die Kriminalisierung, Vertreibungen und gewaltsame Repression gegen indigene Gemeinschaften zugunsten multinationaler Konzerne, sei es u.a. in der Holz,- Öl,- oder Agrotreibstoffindustrie, nehmen weltweit immer unduldsamere Dimensionen an. Um das genozitäre Panorama der Globalisierung aktuell zu halten, die neuesten Berichte über die Mapuche in Chile und die dortige, als faschistisch definierte Rechtslage ...
POLITISCHE MAPUCHE-GEFANGENE IM HUNGERSTREIK
22. August 2007
Am 16. Dezember 2006 sah sich der Mapuche-Gefangene Waiklaf Manuel Cadin Calfuno gezwungen, nach 70 Tagen einen Hungerstreik abzubrechen, den er aus Protest gegen seine Verhaftung und die für die Verteidigung des Mapuche-Territoriums erlittenen Misshandlungen, begonnen hatte. Seine Festnahme war aufgrund der Anschuldigung erfolgt, bei einer Konfrontation zwischen Polizei und Mapuche-Indianern, die den Holzeinschlag und die Errichtung weiterer Strommasten durch die Firma Frontel S.A. auf ihrem Gebiet verhindern wollten, Sicherheitsbeamte angegriffen zu haben. (siehe:  http://de.indymedia.org/2007/08/189958.shtml ) Die Mapuche waren zu den Vorgängen auf ihrem Land zu keinem Zeitpunkt befragt worden.

Heute ( 22.08.2007 ) sind es bereits 9 Tage seit Beginn eines weiterern Hungerstreiks von Mapuche-Indigenas: Am 07. August traten Juana Calfunao Paillaef und ihre Schwester Luisa Calfunao, die ungerechterweise im Gefängnis von Temuco inhaftiert sind, in einen Hunger,- und Durststreik. Damit protestieren sie gegen den fehlenden politischen Willen des chilenischen Staats, die durch die Konvention 169 der OIT bestätigten, von ihren Ahnen ererbten Stammesrechte der Mapuche anzuerkennen.

Das ungerechte Strafsystem, das die jahrhundertealte Idendität der Mapuche-Gemeinschaft aus westlicher Logik heraus verurteilt, fordert wegen der Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechtes als Volk für die bereits Inhaftierten Gefängnisstrafen zwischen 10 und 15 Jahren. Die Rechteerklärung hat ihnen, ihren Familien und der Germeinschaft der Mapuche einmal mehr die polizeiliche Repression und Strafverfolgung bestätigt.

Die Lonko Juana Calfunao Paillaef, die stets einen gemeinsamen Weg mit den jahrunderte alten Völker/Gemeinschaften von Kanada, den Vereinigten Staaten, Südamerikas, dem Wayúu-Volk, dem Volk der Emberá Katío und den AfrokolumbinaerInnen von Bajo Atrato sowie mit den MestizInnen von Meta, Putumayo und der Cauca-Provinz gegangen ist, besteht gegenüber dem chilenischen Staat auf ihrem Recht auf Freiheit und Idendität.

DAS NETZ FÜR ALTERNATIVEN ZU STRAFLOSIGKEIT UND DER GLOBALISIERUNG DES MARKTES SCHLIESST SICH DEM AUFRUF DER MAPUCHE-GEMEINSCHAFT CHILES AN

"Wir teilen den Inhalt des von Juana und Luisa Calfuno aus dem Unrechtsgefängnis von Temuco gesandten Briefes. Wir schliessen uns dem von der Ethikkomission gegen Folter und der Gruppierung sich politisch Äussernder von Chile erarbeiteten Info an: Die genannten Organisationen haben am 02.08.07 Waiklaf Manuel Cadin Calfuno im Hochsicherheitsgefängnis von Santiago besucht und ihn, ebenso wie den Werquen Antonio Cadin im Gefängnis von Temuco, in sehr schlechter gesundheitlicher Verfassung vorgefunden.

Wir rufen dazu auf, sich der Forderung nach unmittelbarer Freilassung der politischen Mapuche-Gefangenen sowie der Forderung nach dem Schutz der Gebiete der Mapuche-Gemeinschaft, d.h. nach einem Verbot der Ausbeutung von Ressourcen und der Realisierung von infrastrukturellen,- und agrarwirtschaftlichen Projekten, anzuschliessen. Wir rufen dazu auf, sich der Verteidigung des Lebens und des Territoriums der Mapuche in Chile anzuschliessen und sich mit ihnen und ihrem Kampf solidarisch zu erklären. Wir rufen hierzu auf, um der politischen Verfolgung des Mapuche-Volkes, den Morden und den justiziellen Ungereimtheiten und unfairen Prozessen ein Ende zu setzten. Wir rufen dazu auf, in Mapuche-Gebiet zu kommen und für den rechtlichen Schutz dieses Territoriums Präsenz zu zeigen.
Wir rufen dazu auf, sich dem Netz für Alternativen zu Straflosigkeit und die Globalisierung des Marktes (Red de Alternativas Alternativas a la impunidad y a la globalización del mercado ) anzuschliessen ( Zu diesem Netz, das sich auch intensiv mit Biodiversität befasst, gehören: Soldepaz Pachakuti, Comisión Intereclesial de Justicia y Paz (Colombia), RED Capicua (Colectivo Sur Cacarica de Valencia, Colectivo Guadauca de Extremadura, Comité Oscar Romero de Madrid, Entrepueblos, Ecologistas en Acción, Sodepaz-Balamil de Valladolid).
Kontakt::
 soldepaz.pachakuti@pachakuti.org
Tel: 0034 985 14 19 09
Siehe auch:
III Internationales Treffen vom Juni 2007 in Asturien:
www.gruposur.eu.org/III-Encuentro-Internacional.html

VERFASSUNGSGERICHT DEFINIERT IN CHILE ANGEWANDTE NORMEN DES STRAFRECHTS ALS EBENSO WILLKÜRLICH, WIE DIE DES NAZI-REGIMES

Die vom Verfassungsgericht am vergangenen 07. August gebilligte Resolution über ein Rechtsmittel hinsichtlich der Nichtanwendbarkeit der Anschuldigung der Missachtung des Gerichts seitens der Mapuche, das von den Staatsanwälten des Ministeriums für innere Angelegenheiten, Sergio Moya Domke und Cristian Paredes, eingelegt worden war, könnte ein glücklicher Indikativ werden - oder genauer gesagt - die Freiheit für die Lonko Juana Calfunao ihren Ehemann, den Indigea-Botschafter Antonio Cadin, deren Sohn und Tocher, Jorge und Carolina Landeros, sowie für weitere sieben Mapuche bedeuten. Sie alle waren wegen "Zwischenfällen" im Verlauf des Prozesses am Gericht von Temuco im November 2006 angeklagt, sprich ihnen wurde Widerstand gegen die Staatsgewalt, leichte Körperverletzung sowie Prozessbehinderung vorgeworfen.

Das Verfassungsgericht muss nun zum ersten Mal ein von Mitgliedern indigener Gemeinschaften eingelegtes Rechtsmittel prüfen, das an das Prinzip der Legalität und der Typifizierung appelliert. Dieses schreibt vor, dass das Gesetz die Staatsanwälte nicht als Staatsgewalt anerkennt, gegen die Widerstand oder ein versoss verübt werden kann. Von daher können die Mapuche eigentlich auch nicht wegen Verstosses gegen die Autorität angeklagt werden; ein Delikt das mit bis zu 5 Jahren ohne Bewährung bestraft wird.

Das von dem Rechtsanwalt Lorenzo Morales Cortés eingelegte Rechtsmittel wird im Namen der Mapuche-Gemeinde Juan Paillalef, Kommune Cinco, dem neunten Bezirk von Mercedes Paillalef Moraga, der 70 jährigen Mutter der angeklagten Lonko und Tochter deren Carolina Landeros Calfunao erhoben. Diese Gemeinde hat einen harten Kampf zur Verteidigung ihres Gebiets gegen das Ministerium für Öffentliche Arbeiten und den regionalen Elektrizitätskonzern Frontel geführt. Die Familie macht ausserdem die lokalen Grossgrundbesitzer für die Formierung paramilitärischer Gruppen verantwortlich, die gleich dreimal das Haus von Juana Calfunao in Brand gesetzt haben.

NAZI-STRAFRECHT

Die Nichtanerkennung des Prinzips der Legalität, so das Schriftstück des Verfassungsgerichts, bedeutet die Anwendung von Strafen des Typus "der Willkürlichkeit", wie sie dem Strafrecht der Nazis eigen waren... Dieses war dadurch charakterisiert, dass es nicht präzise definierte, welches Verhalten als Delikt angesehen wurde, sondern das Kriterium hierfür dem jeweils zuständigen Richter überlassen wurde. Mit dieser Begründung forderte das Höchste Gericht, die diesbezügliche Interpretation der Verfassung aufzuheben. Es entsprach damit dem Artikel 19 des Grundgesetzes, welches vorschreibt, dass über kein Gesetz Strafen eingeführt werden, ohne dass das sanktionierte Verhalten ausführlich darin beschrieben ist. "Wenn ein Richter Delikte schaft, so das Schriftstück, verwandelt er sich in einen Gesetzesgeber und der/ die BürgerIn, gerät in eine Situation der völligen Hilflosigkeit gegenüber der Macht". ( Am 07. März hatte die Abgeordnetenkammer ein Gesetzesprojekt gebilligt, mit dem die Verbesserung der Sicherheitsmassnahmen für die Staatsanwälte des Ministeriums für Inneres gefordert werden soltte:  http://www.camara.cl/diario/noticia.asp?vid=23998 )

Juana Calfunao und Antonio Cadin waren Anfang Juli 2007 bei einer mündlichen Anhörung von den schwersten bei einem Prozess im April 2006 erhobenen Anschuldigungen freigesprochen worden. Die angelasteten Delikte waren angeblich im Rahmen einer Strassenblockade zwischen den Orten Los Laureles und Pucón geschehen. Aber die Mapuche waren zu einer Geldstrafe von 600.000 Dollar wegen Sachbeschädigung am Traktor eines Grundbesitzers verurteilt worden..

Die Zwischenfälle bei dem Prozess im November 2006 hatten dann die Freilassung zunächst vereitelt und man hatte zudem Vorwürfe wegen einer weiteren Blockade hinzugefügt. Juana Calfunao hat die Staatsanwälte Luis Torres Contreras und Mauricio Torres Gutiérrez als Rassisten bezeichnet und ihrem im Hochsicherheitsgefängnis von Santiago inhaftierten Sohn Waikilaf Cadin, ihre Sichtweise geschrieben: "Meiner Meinung nach war das alles vorbereitet. Die Gendarme haben verholen agiert. Beim Hinausgehen stellten sie mir ein Bein, so dass ich auf den Staatsanwalt fiel und dieser schlug mich dann mit der Faust auf den Mund. Als die Familie das sah, ist sie auf die Gendarme losgegangen". Das Gericht klassifizierte daraufhin die anwesendenm Mapuche als "eine Gefahr für die Gesellschaft" und ordnete für einige von ihnen Sicherheitsgewahrsam an. Über andere wie die Mutter von Juana, Mercedes Paillalef, wurden Sicherheitsmassnahmen verhängt und der Besuch ihrer Angehörigen im Gefängnis untersagt.

Die daraufhin erfolgten Anschuldigungen hiessen nicht nur Angriff auf die Autorität sondern auch "leichte Körperverletzung" der anwesenden Beamten und Prozessbehinderung. Für Antonio Cadin wurden 17 Jahre und für Luisa Calfunao und Jorge Landero je drei Jahre Haft gefordert. Auf ebenfalls drei Jahre belief sich der Strafantrag für die übrigen Beschuldigten Ernesto Lincopan, Juan Carlos Garrido Lincoyan, Fernando Braulio Lincopan, Víctor Guíñez Hernández, Gloria Romero Cheuquepil, Carolina Landero Calfunao (Tochter Juana Calfunao) und Roknelia Neculman Calfunao (Tochter von Luisa Calfunao). Zudem sollten die insgesamt 11 Beschuldigten wegen Sachbeschädigung des Gerichts eine Geldstrafe von 700.000 Dollar entrichten sowie die Prozesskosten tragen.

Die Entscheidung des Gerichts über das nun eingelegte Rechtsmittel wird darüber bestimmen, ob der Prozess den üblichen Verlauf nehmen wird. In diesem Fall wird noch im August der Termin für die mündliche Anhörung der Lonko Juana Calfunao und den anderen 10 widerständigen Mapuche, die an dem Zwischenfällen im Gericht beteiligt waren, bekannt gegeben.

DER WIDERSTAND DER GEMEINDE JUAN PAILLALEF


Juan Paillalef hat eine lange Geschichte der Aberkennung von Recht hinter sich und bevor es beschloss, sein Territorrium zu verteidigen, hat es massive Unterdrückung erfahren. Allein während der letzten zehn Jahre wurden neun Beschwerdeerhebungen eingereicht, die alle kein positives Ergebnis erzielt haben:
1999 beim Obersten Zivilgericht wegen Demarkation und dem Verweigern des Zugangs zu den eigenen Gebieten. Im selben Jahr wegen des Verbrechens der ersten Brandstiftung am Haus der Familie. Im Jahr 2000 klagten die Mapuche gegen den Energiekonzern Frontel wegen illegaler Landnahme auf ihrem Territorrium und reichten ausserdem Klage gegen das kriminelle Vorgehen einer paramiltärischen Gruppe ein. 2001 erhoben sie Anklage bei der Militärstaatsanwaltschaft wegen Folterungen, die bei Juana Calfunao eine Fehlgeburt verursacht hatten. Aber nicht etwa die Carabinieris wurden verurteilt sondern Juana, wegen Widerstandes gegen die Autorität. 2004 reichten die Mapuche eine zweite Klage wegen Brandstiftung ein und wegen Mordes, denn in dem Feuer war ein alter Mann ums Leben gekommen. 2005 erfolgte die Klage wegen der dritten Brandstiftung. 2006 dann eine weitere Klageerhebung wegen Folter, Gewaltanwendung, Verschleppung und illegalem Eindringen in die Gemeinde. Die bislang letzte Anklage schliesslich 2007 ist die von Waikilaf Cadín, Hochsicherheitsgefängnis Santiago, wegen Folterungen.

( Quelle:  http://www.pachakuti.org/textos/campanas/indigenas/mapuche_presas_liber2.html )
www.pachakuti.org

Übersetzung: tierr@

Zu den Mapuche siehe auch:

Mapuche: Folter
 http://de.indymedia.org/2007/07/187020.shtml
Kampffront: Mapuche Askapena
 http://de.indymedia.org/2007/07/187588.shtml
Chile: Mapuche-Führer verhaftet
 http://de.indymedia.org/2007/03/171641.shtml
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Ergänzungen