Schule und Ausbildung - ein System

Paolo Pinkel 21.08.2007 19:43 Themen: Bildung Soziale Kämpfe
Beim Fachabitur in NRW kann man die Schwerpunkte entweder auf Hauswirtschaft, Wirtschaft & Verwaltung oder Technik legen. Letzte Woche fanden in einer Schule, die das Fachabi für Wirtschaft & Verwaltung anbietet, so genannte "Projekttage" statt. Es stellten sich viele große Unternehmen vor, die SchülerInnen wurden für Beratungsgespräche und Bewerbungen beraten und geschult.
Den SchülerInnen wurde beigebracht, wie man sich bei der ganzen Prozedur (der Weg zur Ausbildung ist lang) richtig zu verhalten hat. Denn längst reicht ein Bewerbungsgespräch nicht mehr aus.
Bei allen großen Unternehmen muss man mittlerweile, angefangen bei der einfachen Bewerbung, über "Assessment-Center", zu Vorstellungsgesprächen und Drogentests bis hin zu Einstellungstests, viele Etappen bewältigen, um eine Ausbildungsstelle zu bekommen. Dies gilt für alle kaufmännischen und viele andere Bereiche.

Schon bei der Bewerbung fängt der Druck für die Ausbildungs-Suchenden an. Denn manche Unternehmen verlangen einen handgeschriebenen Lebenslauf - damit Psychologen das Dokument überprüfen und anhand der Schriftart sagen können, ob man der richtige Typ für den Job sei.
Zudem wurde den SchülerInnen beigebracht, dass es eine bestimmte Norm beim Bewerben gibt. Man muss sich teure Bewerbungsbögen anschaffen, die einzelnen Blätter dürfen in keine Klarsichtfolie, das Bewerbungsfoto muss eine bestimmte Größe haben. Es soll sich also keine Bewerbung von einer anderen unterscheiden.
Dass die meisten SchülerInnen so manipuliert und unter Druck gesetzt werden, wurde spätestens dann offensichtlich, als eine besorgte Schülerin einen Vortragenden einer Krankenkasse fragte, ob man zuerst seine Stärken oder seine Schwächen bei einem Bewerbungsgespräch aufzählen soll.

Auch wurde von keinem der Unternehmen gesagt, wie man sich verhalten soll wenn man Fragen gestellt bekommt, die man als Arbeitgeber eigentlich nicht stellen darf. Dazu gehören Fragen wie „Sind Sie schwanger?“ oder „Sind Sie politisch aktiv?“
Ist ja klar, warum man darauf nicht vorbereitet wird. Denn die Unternehmen stellen diese verbotenen Fragen ja selbst.

Bei den Projekttagen in der Schule wird nicht über Sinn und Unsinn dieser Maßnahmen und unangenehmen Fragen der Unternehmen gesprochen und diskutiert. Viele SchülerInnen trauen sich auch nicht nachzufragen oder mal die Vorträge kritisch zu hinterfragen, denn wer macht schon den Mund auf, wenn der Lehrer neben einem sitzt? Für alle steht zu viel auf dem Spiel. Den SchülerInnen sind also die Hände gebunden und das wissen die Unternehmen auszunutzen.

Nach den Vorträgen vieler großer Unternehmen weiß man: sie kommen, erzählen dir wie du dich zu verhalten hast und sind wieder weg. Natürlich mit deinen Daten. Denn einen Zweck muss so ein Besuch ja auch erfüllen. Man wird erfasst und mit Werbung zugemüllt. Um an deine Daten zu kommen sagen sie „Geben Sie uns Ihren Namen und Ihre Anschrift und wir schicken Ihnen weiteres Material für die richtige Bewerbung zu“. Es wird also nicht offen gesagt, wofür die Daten eigentlich bestimmt sind.
Die Allianz zum Beispiel hat einen „Persönlichkeitstest“ angeboten. Solche Tests kann man eigentlich auch problemlos und kostenfrei im Internet machen. Auf Nachfrage wurde dann klar, was der Test soll: die Daten der SchülerInnen werden registriert und jede/r bekommt Werbung nach Hause. Was mit den persönlichen Antworten der Leute aus dem Test gemacht wird, wissen wohl nur die Unternehmen selbst. Auch vor Telefonanrufen oder Hausbesuchen machen sie erfahrungsgemäß keinen Halt.

Selbst wenn man alle Hürden überwunden und somit eine reale Aussicht auf den Ausbildungsplatz besteht, darf man noch lange keinen Vertrag unterschreiben. Häufig muss man zuerst ein mehrwöchiges Praktikum absolvieren. Man erhält für seine Arbeit also nicht mal Geld. Für die Arbeitgeber ist es ja ganz schön: meist noch junge Schulabgänger machen kostenlos die Arbeit, für die die Angestellten keine Zeit und Lust haben.

In der Ausbildung wird die Fähigkeit, Vorträge halten zu können (vor allem in kaufmännischen Berufen), vorausgesetzt. Menschen, die das nicht können, bekommen also sehr schwierig eine Ausbildung.


Wer oder was ist eigentlich dieses „Assessment-Center“?

Sollte die Bewerbung dem Arbeitgeber gefallen, lädt er den Bewerber/die Bewerberin zu einem „Assessment-Center“ ein. Der/Die Bewerber/in sitzt dann mit anderen Menschen, die sich auch auf den Ausbildungsplatz beworben haben, den Arbeitgebern, und oft auch externen Psychologen, in einem Raum.
Prompt soll man dann vor allen Leuten Vorträge halten. Entweder über aktuelle Themen (G8, Nahost-Konflikt,…), sein eigenes Leben oder persönliche Ziele etc. Dabei wird man von den Psychologen genau beobachtet und es wird ein eigenes Profil erstellt.
Auch Gruppendiskussionen finden statt. Man hat meist 20 Minuten Zeit zum Diskutieren, muss aber am Ende auf einen gemeinsamen Nenner kommen.

Warum eigentlich kommen kleine Eckläden nicht zu Wort? Sind die etwa nicht erwünscht? Entsprechen sie nicht dem Idealbild oder nutzen sie den großen Unternehmern nichts? Schaden sie ihnen sogar eher? Warum erzählt der Chef vom kleinen Kaufhaus nebenan nicht mal, wie dort ein Tagesablauf ist?

Stellt euch selbst solche Fragen und hinterfragt alles. Meiner Meinung nach geht alles in die falsche Richtung. Ich hoffe, dass solche Berichte vielen Menschen die Augen öffnen.
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Ergänzungen

ausbildung 2007

peter s. 21.08.2007 - 21:13
die unverschämtheiten zur lehrstellensuche werden in den medien auch noch zusätzlich aufbereitet.

fast täglich läuft in pro7 eine sendung in der "wertneutral" mehrere bewerber getestet werden. so etwa 3 tage lang geht der test und der "beste" bekommt dann einen ausbildungsvertrag. den jungen menschen wird von anfang an beigebracht, wie man möglichst gegeneinander arbeitet um einen platz zu bekommen. und das alles umsonst!

die richtung ist klar:
- es wird mal keine ausbildungsvergütung geben.
- die eltern werden die ausbildung bezahlen müssen (beim studium ist es ja schon so)
- es werden untertanen gezüchtet, die gehorchen und nicht aufmucken (bundeswehr braucht dann keine wehrpflicht mehr - die freiwilligen sind dann schon gute befehlsempfänger)

schöne neue welt !!!
das 21. jahrhundert wird das jahrhundert der duckmäuser und untertanen.

deshalb:
rebellion ist angesagt ...

Graphologie

anonym 22.08.2007 - 04:42
"Denn manche Unternehmen verlangen einen handgeschriebenen Lebenslauf - damit Psychologen das Dokument überprüfen und anhand der Schriftart sagen können, ob man der richtige Typ für den Job sei."

Das darf doch nicht wahr sein. Graphologie ist keine anerkannte Wissenschaft! Außer Links/-Rechtshänder lässt sich da nichts feststellen. Würde mich nicht wundern, wenn die Organisatoren dann noch ein paar Phrenologen im Schlepptau hatten.

Aber Pseudowisschenschaft und Esoterik sind unter Neoliberalen allgemein stark verbreitet. So lud schon Ronald Reagan regelmäßig eine Wahrsagerin ins Weiße Haus. Solche Leute müssen zum Wohle der Menschheit aus Führungsposten entfernt werden.

Unternehmen beim Namen nennen

Paolo Pinkel 22.08.2007 - 07:13
Bei den Seminaren in der Schule haben Henkel, Debeka, AOK, Balcke Dürr (machen irgendwas für Atomkraftwerke)und die Bahn teilgenommen. Letztere hat leider kurzfristig abgesagt - keine Ahnung, warum ;)

Kopfnoten

jacksmith 22.08.2007 - 15:29
In NRW wurden jetzt auch, zusätzlich zu den "normalen" Noten, Kopfnoten eingeführt. Dabei handelt es sich um Bewertungen seitens der Lehrer bezüglich folgender Punkte:

* Leistungsbereitschaft
* Zuverlässigkeit/Sorgfalt
* Selbstständigkeit
* Verantwortungsbereitschaft
* Konfliktverhalten
* Kooperationsfähigkeit.

Außerdem werden unentschuldigte Fehlstunden von nun an auf den Zeugnissen vermerkt.

Dies ist nicht bloß noch eine unnötige Form der Bewertung, nein, es kann sogar zu einem Problem bei zukünftigen Bewerbungen werden: Entsprechen deine "sozialen Kompetenzen" nicht dem Idealbild des Betriebs, nützen dir deine ohnehin schon schwer erarbeiteten "normalen" Schulnoten nicht.

Schüler, die schon ohnehin unter dem Leistungsdruck der einzelnen Schulfächer stehen, müssen demnach sogar "braves Verhalten" erlernen, mit anderen Worten: Man soll sich der Norm entsprechend verhalten und wird somit stigmatisiert.

Was zunächst als Schülerproblem scheint, betrifft natürlich auch die Lehrer: Sie müssen jetzt nicht nur bei jedem einzelnen Schüler in jeder Schulstunde 2 individuelle Noten für die mündliche und schriftliche Leistung vergeben; sie müssen jeden einzelnen Schüler nun ebenfalls 6 weitere Noten für ihr Sozialverhalten geben, Stunde für Stunde.
Schnell wird klar, dass sich dies als äußerst schwierig gestaltet, nicht nur, weil es mittlerweile Schulklassen mit über 30 Schülern gibt, sondern auch weil die Bewertungskriterien mehr als schwammig sind: Bin ich z.B. unkooperativ, wenn ich mal gegen die Meinung meiner Lehrer/Mitschüler bin oder bin ich nicht verantwortungsbereit, wenn ich meinem Lehrer nicht seinen Stuhl nach der Stunde an seinen pult stelle?

Diese Note wird übrigens schon in der Orientierungsstufe, also schon ab der 5. Klasse, mit einbezogen.

Die einzelnen Betriebe können und werden sich also ebenfalls danach orientieren, ohne den logischen Schluss zu fassen, dass ein Mensch sich z.B. im Laufe seines Studiums/seiner Ausbildung und im Laufe des Zivildienstes/der Wehrdienstabsolvierung charakterlich verändern könnte.

Ich besuche momentan die 13. Stufe eines Gymnasiums in NRW. Was diese Kopfnoten nun wirklich für Einschränkungen mit sich ziehen werde ich also erstmal nicht aus persönlichen Erfahrungen mit Bewerbungen sagen können, doch vermute ich nicht wirklich, dass sich dadurch ein Vorteil für mich als zukünftigen Hochschulabsolventen herausleiten lässt. Die bloße Existenz dieser Noten verärgert mich aber schon bereits.

manipulation pur

goliath 26.08.2007 - 13:40
habe auch an diesem assesment-center teilgenommen und kann mich euren meinungen nur anschließen : manipulation pur. der trick eines solchen centers ist, dass es sich über einen ganzen tag oder teilw. sogar über mehrere tage hinwegzieht. schon ein tag ist eine so lange zeit, dass man sein wahres gesicht bei dem permanenten (beobachtungs-)druck nicht mehr hinter einer maske verstecken kann. die beobachtungs-"experten" quetschen somit (je länger das ganze dauert und man gestresst wird durch all die vorträge die man halten muss, die gruppen-spiele bei denen man zu lösungen kommen muss die man vll. gar nicht persönlich gewählt hätte usw.) die individuellen schwächen und fehler aus den bewerbern heraus.
finde das ganze ziemlich krass - da werden einem fragliche, disziplinierte verhaltensformen (nach dem motto da ist der chef, du tust was er sagt UND VERSUCHST AM BESTEN IHM PERMANENT ZU GEFALLEN AUCH WENN DEINE INDIVIDUELLE ANSICHT DABEI FLÖTEN GEHT, hälst deine fresse und wirst am ende mit ein paar cents belohnt mit denen du dich nach feierabend glücklich konsumieren kannst) engeflößt und gleichzeitig jegliche gegenwehr durch die permanente drucksituation (du bist abhängig wenn du dich bewirbst und willst schließlich den job) erstickt.

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Chancenungleichheit — Sascha

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