Eindrücke vom Streik bei der S-Bahn

Wladek Flakin 10.08.2007 14:15 Themen: Soziale Kämpfe
Der Berliner Ostbahnhof um 8 Uhr morgens ist erstaunlich still. An den S-Bahn-Gleisen stehen S-Bahn-Züge, die komplett leer sind. Aber bevor mensch die Rolltreppe hochgeht, kommen Bahn-MitarbeiterInnen in orangenen Westen entgegen: "Wo wollen sie denn hin? Die S-Bahn fährt jetzt nicht." Auf diese Bahnsteige kommen nur Fernsehteams, einige Touristen mit übergroßen Rücksäcken, die die Situation noch nicht kapiert haben, und Mitglieder der Gewerkschaft deutscher Lokomitivführer, die in den Streik getreten sind.
Dabei sind auch verschiedene linke AktivistInnen, unter anderem von der kommunistischen Jugendorganisation REVOLUTION, die sich mit den streikenden solidarisierten.

Nur einige wenige S-Bahn-Züge fahren durch. Um Punkt acht Uhr hielten die meisten Züge in den Bahnhöfen, wo sie gerade waren, und blockierten damit die Hauptverkehrsader durch Berlin – der genaue Ort der Blockade war reiner Zufall, zum Beispiel stehen drei Züge am Ostbahnhof, aber gar keiner am Hauptbahnhof. GdL-Mitglieder am Hauptbahnhof schätzen, es sind in den zwei Stunden von acht bis zehn lediglich vier Züge in westlicher Richtung durchgefahren. Ein DB-Mitarbeiter gibt an, es würde "alle 15 bis 20 Minuten" einer fahren.

Die Regionalbahnzüge sind natürlich überfüllt. Enrico Forchheim, Ortsgruppenvorsitzender der GdL bei der Berliner S-Bahn, wird von verschiedenen PendlerInnen angesprochen, als er mit seiner weiß-grünen Fahne von Bahnhof zu Bahnhof fährt. Er betont immer wieder, dass es in erster Linie nicht um das Geld geht: auch die Fahrgäste haben kein Interesse an LokführerInnen, die "wie Halbleichen durch die Gegend fahren". Und außerdem: "Ein Lokführer hat auch einen Anspruch auf ein soziales Leben!", was kaum möglich ist, wenn sie wegen Schichtdienst tagelang von zu Hause entfernt sind.

Diese Züge werden von LokführerInnen gefahren, die entweder unorganisiert oder bei der anderen Gewerkschaft TRANSNET sind - letztere dürfen nicht streiken, weil ihre Gewerkschaft bereits einen Tarifvertrag mit Lohnerhöhungen von 4,5% unterschrieben hat. Die GdL beharrt auf einen separaten Tarifvertrag für das Fahrpersonal und 2.500 Euro Bruttolohn. Immer mehr ArbeiterInnen von der Berliner S-Bahn treten in die GdL ein - manche erst fünf Minuten vor dem Streik - und bereits mehr als 50% von ihnen sind in der kleinen Gewerkschaft. Wie die Stimmung bei TRANSNET momentan ist? Enrico meint dazu: "Sie haben bald gar keine Stimmung mehr, weil die KollegInnen jetzt alle zu uns rennen!"

Am Ende der Gleise stehen meistens mehrere GdL-Mitglieder neben einem/r Fahrer/in. Sie reden miteinander, mit den unzähligen ReporterInnen oder geben Fahrgästen Tipps, wie sie ohne die S-Bahn weiterkommen. Viele dieser GdL'erInnen arbeiten im Fernverkehr und sind in ihrer Freizeit gekommen, um den Streik in der S-Bahn zu unterstützen. Eine Zugbegleiterin aus Ostberlin beschwert sich vor allem über Stoppuhren, die in letzter Zeit vom Management eingesetzt werden: "Früher hat man sich über die Stasi beschwert, aber sie sind auf jeden Fall schlimmer."

Die meisten Streikenden bestätigen, dass die Passagiere Verständnis haben. Der Streik wurde extra nicht während des Berufsverkehrs gelegt, sondern nach acht Uhr, wo der große Schwung vorbei ist. "Bei mir hat sich noch keiner beschwert, ich habe immer nur 'Daumen hoch' gesehen" meint ein S-Bahn-Fahrer an der Friedrichstraße. Schliesslich sollte der Streikauftakt erst im Güterverkehr stattfinden, aber diese Aktion wurde vom Arbeitsgericht Nürnberg verboten. Deswegen musste die GdL kurzfristig auf einen Streik bei der S- Bahn in Hamburg und Berlin umstellen.

Um 10 Uhr fahren die Züge weiter. Aber der Streik der GdL ist noch lange nicht vorbei.

von Wladek Flakin, 9. August 2007
von der unabhängigen kommunistischen Jugendorganisation REVOLUTION ( http://www.revolution.de.com)
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Junge Welt

Wladek Flakin 10.08.2007 - 15:00
Bericht von Daniel Beruhzi in der jungen Welt:
 http://www.jungewelt.de/2007/08-10/059.php

Breiter Unmut gegen Streikverbot für Lokführe

leser 11.08.2007 - 14:29
Breiter Unmut gegen Streikverbot für Lokführer10.08.07 - Die ersten Streiks im Berliner und Hamburger S-Bahn-Verkehr zeigten gestern bereits deutliche Auswirkungen. In Berlin sorgte der erst am Vorabend angekündigte Streik für zahlreiche Ausfälle von S-Bahn-Verbindungen vor allem in den inneren Stadtbezirken. In Hamburg blieben zeitweise bis zur Hälfte der Züge stehen. Das in den bürgerlichen Massenmedien teilweise heraufbeschworene "Verkehrschaos" blieb jedoch aus. Viele Reisende und Pendler zeigten Sympathie und Verständnis für den Arbeitskampf und stiegen auf U-Bahnen oder Regionalbahnen um.

Bei einer Umfrage von "rote fahne news" meinte unter anderem eine 35-jährige IT-Angestellte, die täglich zwischen Köln und Düsseldorf pendelt: "Was die Lokführer machen, ist die beste Methode, um etwas zu erreichen. Es ist doch natürlich, dass ein Streik wirtschaftlich schädigt. Wenn der Arbeitgeber es nicht einsieht, muss man ihn eben dazu zwingen."

Die in der Gewerkschaft GDL organisierten Lokführer und Zugbegleiter protestierten in Berlin und Hamburg mit Plakaten unter anderem gegen das Streikverbot durch das Arbeitsgericht Nürnberg (siehe rf-news-Artikel vom 9.8.07). Es richtet sich insbesondere gegen Streiks im Fern- und Güterverkehr der Bahn, die die Profitinteressen der internationalen Monopole insgesamt empfindlich treffen würden.

Nicht nur über das skandalöse Streikverbotsurteil, sondern auch über den Weg der Klassenzusammenarbeitspolitik soll offenbar alles vermieden werden, dass es zu der damit verbundenen politischen Zuspitzung kommt. So wurden jetzt die bürgerlichen Altpolitiker Kurt Biedenkopf und Heiner Geißler (beide CDU) als "Mediatoren" bzw. Vermittler vom Bahnvorstand sowie der GDL-Führung vorgeschlagen, um einen faulen Kompromiss zu finden. Sie sollen in der kommenden Woche Gespräche aufnehmen. Die GDL-Führung kündigte an, währenddessen keine neuen Streiks zu organisieren.

Gerade angesichts der großen Unterstützung aus der Bevölkerung gibt es keinerlei Grund, jetzt auf den vollen Einsatz der gewerkschaftlichen Kampfkraft zu verzichten und sich durch Verbotsurteile oder Vermittlungsgespräche die Hände binden zu lassen. Notwendig ist dazu die Organisierung einer breiten gewerkschaftlichen Solidarität, auch als Schritt zur Überwindung der Spaltung der Gewerkschaften im Bahnbereich.

Deshalb ist es zu begrüßen, wenn der DGB-Vorsitzende Michael Sommer gestern betonte: "Die Gewerkschaften werden das verfassungsrechtlich garantierte Streikrecht mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen jeden verteidigen, der es einschränken will." Dies betreffe "Richtersprüche" wie auch Forderungen der Unternehmerverbände nach Begrenzung oder "Neujustierung" des Streikrechts. "Das Motto kann nur heißen: Hände weg vom Streikrecht." Es ist jedoch eine Irreführung der Gewerkschaftsmitglieder und der Öffentlichkeit, wenn er von einem "verfassungsrechtlich garantierten Streikrecht" spricht. Tatsächlich ist in Deutschland in der Verfassung nur ein allgemeines Koalitionsrecht festgeschrieben, während alle Streiks außer denen zu Tariffragen nicht darunter fallen. Das "Gebot der Stunde" ist deshalb sowohl die Verteidigung des Streikrechts in Tariffragen als auch das Eintreten für ein vollständiges und allseitiges gesetzliches Streikrecht.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 6 Kommentare an

KÜNDIGUNG — NunArbeitsloser

Gekündigt also — homer

@NunArbeitsloser — LB2000

Kündigung! — Tüüüüp

@NunArbeitsloser — egal