Mediaspree und der neoliberale Stadtumbau

Malah Helman 08.08.2007 23:32
Ankerplatz Zukunft: Medien, Märkte, Menschen:
Berlin ist „sexy“, Medien sind auch „sexy“. Die Medien- und Kreativbranche gilt als Wachstumsmarkt. Verschiedene Städte und Regionen springen auf diesen Trend auf und wollen mit einer Standortentwicklung positive Anreize für die Wirtschaft setzen. Berlin-Brandenburg ist eine der potentesten Medien- und IT-Regionen in Deutschland. So arbeiten in Berlin 150.000 Menschen in mehr als 12.000 Unternehmen aus der Medien- und Kommunikationswirtschaft, mit einem jährlichen Umsatz von mehr als 12 Milliarden Euro. Auch in der Filmbranche ist die seit der Kirch-Pleite 2002 grassierende Krise beendet und die Unternehmen erwarten auch hier eine positive Entwicklung, wie aus einer im August 2006 erstellten Studie von „Ernst & Young“ hervorgeht. Klaus Wowereit hat Kultur und Medien unlängst zur Chefsache erklärt, den Kultursenat eingespart, das Amt direkt in seiner Verwaltung verortet und wirbt persönlich für Europas kreative Kapitale. Auch die IHK hat mit Politik und wirtschaftsfördernden Institutionen eine Strategie erarbeitet, um Berlins „Kompetenzen in Medien und Kultur zu einem wettbewerbsfähigen Wirtschaftscluster auszubauen“ und Berlin zum „Medien- und Kommunikationsstandort Nr. 1“ in Deutschland und „Marktplatz im Zentrum Europas“ zu machen.
„Public Private Partnership“ heißt die Plattform, auf der die Akteure aus der Wirtschaft im Zusammenspiel mit öffentlichen Einrichtungen agieren. Privatwirtschaftliche Interessen vernetzen sich schnell und unbürokratisch mit öffentlichen Institutionen und werden von diesen gefördert und ausgebaut. Die in Berlin vorhandenen Förderungen, Strukturen und Plattformen in Wirtschaft und Medien wurden erweitert (z.B. Berlin Partner; Medienboard; Projekt Zukunft), die Zusammenarbeit mit privatwirtschaftlichen Initiativen vertieft. Es finden sich die üblichen personellen Verquickungen, die Übergänge zwischen Politik und Wirtschaft sind fließend. Zum Beispiel war der Vorstand des Branchenzusammenschlusses „media.net“, Bernd Schiphorst, u.a. Manager bei Bertelsmann und später Medienbeauftragter des Senats. Heute ist er im Bereich von PR und „Bluewashing“ (Weißwaschen von Unternehmen) tätig: Um die Geschichte seiner WMP Eurocom ranken sich verschiedene Affären, von Manipulation bis hin zu unrechtmäßig erhaltenen, öffentlichen Beraterverträgen.

„Mediaspree e.V.“, vormals „Spreemedia GmbH“, entstand 2002 aus einer privatwirtschaftlichen Initiative um Investoren aus der Bau- und Immobilienwirtschaft, die nach der Wende die Brachen auf dem ehemaligen Grenzgebiet erworben hatten und deren Entwicklung und Aufwertung nun betrieben werden sollte. Die Initiative ist mittlerweile ein “gemeinnütziger Verein” und verfolgt angeblich nicht eigenwirtschaftliche Zwecke, dennoch dürfen nur Personen Mitglieder werden, die Grundstückseigentum haben oder in anderer Form an dem Vorhaben beteiligt sind. Neben den Mitgliedern finden sich Partner in der Verwaltung (Senat und Bezirk), sowie das örtliche Arbeitsamt und als soziales Netzwerk die IHK, „Berlin Partner“, „media.net“ und „Medienboard“. „Mediaspree“ wird mit 300.000 Euro jährlich aus sogenannten GA-Mitteln (Fördermittel der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe “Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur”) finanziert, das sind 80% der Gesamtkosten. Die öffentliche Hand bietet zudem Investitionshilfen, mit denen Unternehmen wie Universal und MTV angesiedelt wurden. Mit Beihilfen des Senats wird das Gebiet erschlossen, 19,4 Millionen Euro gab es z.B. für das Anschutz-Areal. Über das Arbeitsamt können Förderungen für Arbeitsplätze beantragt werden. „Mediaspree“ übernimmt das Marketing, fungiert als Contactpoint, auch auf internationalen Business– und Immobilienmessen. Den “London Docklands” oder der “HafenCity Hamburg” ähnlich, will auch der Berliner Senat einen Platz für Hochfinanz und Medienkonzerne schaffen. Großflächige Bauprojekte sind Programm, die Medienbranche das Potenzial. Geworben wird mit Berlins Kreativen und auch mit Kultur. „Mediaspree“ wurde vom Senat als Stadtumbaugebiet beschlossen und ist nun Leitprojekt des Stadtentwicklungskonzeptes bis 2020.

Geplant sind zwischen Jannowitz- und Elsenbrücke diverse Hochhäuser, Büroblocks und exklusives Wohnen links und rechts der Spree. Für die Anwohner verbleibt lediglich ein zehn Meter breiter Uferstreifen und ein kleines Stück Park um die Eastside Gallery. Bisherige Nutzer von Freiräumen, alternative Gestaltungen und soziale Komponenten fehlen im Konzept völlig. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit vollzieht sich der Stadtumbau. Eindrücke vom zukünftigen Aussehen gibt es schon an einigen Ecken: Die Trias von der DG Anlagengesellschaft, der Bau der „O2 World“ an der Mühlenstraße, das „Quartier Orange“, die „Oberbaum-City“, Universal und die „Spreespeicher“. Der Berliner Immobilienmarkt ist in Bewegung, da er als unterbewertet gilt. Einen Aufschwung erwartet man sich auch durch die Einführung der börsennotierten Immobilientrusts (REITs). Einiges ist noch in öffentlicher Hand, Anderes wurde schon verkauft. Hier findet eine Privatisierung von Stadtraum auf einer sehr bedenklichen Ebene statt. Das Schlüsselprojekt „O2 World“ wurde von Anschutz, einem amerikanischen Unternehmen der Eventbranche, entwickelt. Finanziert wird die riesige Multifunktionshalle mit 17.000 Plätzen über die Namensrechte, die O2 erwarb. Ein Entertainment Center ist in Planung. Eine Autobrücke, von der Brommystraße über die Spree, soll kommen und die Zufahrt erleichtern. Die angrenzenden Bezirke Friedrichshain und Kreuzberg sollen „dynamisiert“ werden.

30.000 Arbeitsplätze erhofft sich Ingeborg Junge-Reyer, Senatorin für Stadtentwicklung. Auch Klaus Wowereit warb bei der Grundsteinlegung der „O2-World“ mit 1500 Arbeitsplätzen. Ein genauer Blick offenbart die zukünftig prekäre Beschäftigung im Service, zwischen Sicherheitspersonal, Würstchenverkäufern und Kartenabreißern, sowie obligatorischen Lächelkursen fürs Personal. Viele Arbeitsplätze werden auch nur zur Bauphase entstehen. Der Callcenter-Bereich verspricht eine hohe Rendite auf dem Rücken von Billiglohn-Beschäftigten. In diesem Bereich sind gleich zwei „Mediaspree“-Unternehmen tätig: Die im Turm der „Oberbaum-City“ ansässige Service-Tochter der BASF, mit 500 Arbeitsplätzen, sowie das neue „Vorzeige“-Callcenter der KarstadtQuelle AG. Gerade dieses Callcenter, das zukünftig auch für andere Unternehmen arbeiten will, besticht durch niedrige Löhne, die Umgehung der gesetzlichen Vorschriften für Bildschirmarbeit und zeichnet sich durch eine besondere Art der Mitarbeiterüberwachung aus. Zunächst wurden aus den 1000 versprochenen Arbeitsplätzen bei der KarstadtQuelle AG 500. Die Beschäftigten werden allerdings erheblich weniger Lohn erhalten und zu schlechteren Bedingungen arbeiten als im vormaligen Berliner Quelle Callcenter. Auch Wirtschaftschaftsförderungen sind im Gespräch, um neben billigen Löhnen dem in den Vorjahren durch Umsatzrückgänge und Mißwirtschaft angeschlagenen Riesen KarstadtQuelle AG wieder auf die Beine zu helfen. Arcandor, wie der Konzern seit Juli heißt, macht allerdings seit 2006 wieder Gewinne. Er wurde von Ex Bertelsmann Middelhoff saniert und läßt verstärkt in Asien produzieren. Trotzdem schreibt sich Arcandor Nachhaltigkeit und Soziales Engagement auf die Homepage. Arbeit und Arbeitsplätze um jeden Preis?

Berlin zeichnet sich nicht nur durch seinen Pool an kreativen und gut ausgebildeten Leuten aus, sondern auch durch traditionell niedrige Honorare. Eine gängige Praxis ist es, die Beschäftigung auf Projektdauer zu beschränken. Sucht man in den einschlägigen Suchmaschinen, so findet man zu den Begriffen „Berlin“ und „Media“ viele Praktika für qualifizierte Personen zu prekären Konditionen. Es gibt mittlerweile kaum ein Unternehmen, kaum einen Bereich, wo nicht Praktikanten eingesetzt werden, und die Vermutung liegt nahe, dass dies reguläre Arbeit verdrängt. „media.net“ bietet sogar einen regelrechten Praktikanten- und Diplomarbeitenservice an.

Obwohl die öffentliche Hand eine Menge an Fördermitteln bereitstellt, ist sie innerhalb von „Mediaspree“ strukturell nur durch die bezirkliche Ebene im Beirat vertreten und hauptsächlich für den engen stadtplanerischen Aspekt zuständig. Ergänzend zu den Plänen für Friedrichshain, Mitte und Treptow, wird im sog. Stadtentwicklungsprogramm „Stadtumbau West“ vorgesehen, auch das Kreuzberger Spreeufer zum „hochwertigen innerstädtischen Wirtschaftsstandort“ zu entwickeln und „zukunftsfähige Arbeitsplätze in der wissens- und produktionsorientierten Dienstleistungsökonomie“ zu schaffen. Wie aber könnte ein solcher, zukunftsfähiger Arbeitsplatz aussehen? Sowohl Franz Schulz, Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, als auch Klaus Wowereit, Wirtschaftssenator Wolf und Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer bleiben eine weitsichtige Antwort hierauf schuldig. Stadtentwicklung ist aber mehr als Wirtschaftsförderung oder Bebauung. Es geht um Bewohner und die soziale und kulturelle Entwicklung. Man beginnt sich zu fragen: Welche Visionen hat diese Stadt? Für welche ist Platz? Wer soll, wer muss draußen bleiben?
Gegen Verbauung und Verdrängung durch steigende Mieten bildete sich 2006 die BürgerInneninitiative „MediaSpree versenken“. Die außerparlamentarische Initiative will Alltagsfragen politisieren, „Armut“ - entgegen dem Verwertungsinteresse der Konzerne - zum Thema machen. Erste Aktionen gab es zum CSD im letzten Jahr, weitere Aktionen, Kiezspaziergänge und ein BürgerInnenbegehren sind in Planung. „Mediaspree“ jedenfalls gibt das Spektrum der profit-orientierten Gesellschaft wieder: Zwischen der Verflechtung von Kapitalinteressen, prekärer Beschäftigung, globalen Akteuren, Medienhype und Kreativwirtschaft. Und Klaus Wowereit wird den BürgerInnen im Verlauf der Amtsperiode sicherlich noch erklären, warum ihre Armut „sexy“ ist.

veröffentlicht auf www.abriss-berlin.de im Januar 2007
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