§129a-Festnahmen: Ausnahmegesetzgebung

VerteidigerInnen 02.08.2007 15:34 Themen: Repression
Presseerklärung der Verteidigung in den aktuellen § 129a-Verfahren („militant(e) gruppe (mg)“)
In einem seit 2006 von der Bundesanwaltschaft geführten Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach § 129a Abs. 2 Nr. 2 StGB wurden in der Nacht 30./31.07.2007 drei der von uns verteidigten Beschuldigten wegen des Vorwurfes festgenommen, versucht zu haben, mindestens drei Lastkraftwagen der Bundeswehr auf dem Gelände der Firma MAN in Brandenburg in Brand zu setzen. Die drei Beschuldigten waren in der Tatnacht von der Polizei observiert worden. Am 31.07.2007 fanden bei vier weiteren Berliner Beschuldigten Hausdurchsuchungen statt, anlässlich derer ein weiterer Beschuldigter festgenommen wurde. Der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof erließ am 01.08.2007 Haftbefehle gegen die drei in Brandenburg sowie den in Berlin Festgenommenen.

Die aktuellen Verfahren, insbesondere die Begründung der Haftbefehle belegen einmal mehr, wie die Strafverfolgungsbehörden in Deutschland die Terrorismus-Ausnahmegesetzgebung gegen bestimmte Straftatverdächtige und Bevölkerungsteile einsetzen, nämlich unverhältnismäßig und ohne rechtstaatliche Skrupel. Im aktuellen Fall wäre in einem rechtsstaatlichen Verfahren gegen die drei in Brandenburg Festgenommenen der Tatvorwurf der versuchten Brandstiftung gem. § 306 StGB erhoben worden. Die unbestraften und in geordneten sozialen Verhältnissen lebenden Beschuldigten wären aufgrund fehlender Fluchtgefahr nicht in Untersuchungshaft genommen worden. Verfehlt erscheint schon, das versuchte In-Brand-Setzen von drei Autos unter Ausschluss einer Personengefährdung als Terrorismus zu bezeichnen. Immerhin setzt selbst der weite Straftatbestand des § 129a StGB voraus, dass die Straftaten bestimmt sind, „durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich zu schädigen“.

Die Verteidigung ist aber vor allem über die in den Haftbefehlen ausgeführte Annahme, die sieben Beschuldigten hätten in einer terroristischen Vereinigung agiert, empört.

Bezüglich eines der drei in Brandenburg Festgenommenen heißt es, dass obwohl „keine polizeilichen Erkenntnisse vorliegen“, dies der „Annahme des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nicht entgegen“ stehe. Wie sich vielmehr „aus den Schriften der militante(n) Gruppe(mg)“ ergäbe, entspräche dies „damit vielmehr genau den Anforderungen, die diese Vereinigung an ihre Mitglieder stellt.“ Wie beliebig diese Begründung ist, wird dadurch belegt, dass einem anderen Beschuldigten Erkenntnisse aus einem gegen ihn laufenden Ermittlungsverfahren vorgehalten werden. Die Ermittlungsbehörden gehen aufgrund der durchgeführten Überwachungsmaßnahmen davon aus, dass es zu Kontakten zwischen einem der drei in Brandenburg und einem der in Berlin Festgenommenen gekommen ist. Die einzigen beiden Treffen zwischen diesen Personen sollen konspirativ vereinbart worden seien. Die Behörden haben keinerlei Erkenntnis darüber, was bei den Treffen im Februar und am April 2007 überhaupt besprochen worden sein soll. Es wird jedoch ein sehr weitgehender Schluss aus den angeblichen Treffen gezogen:

„Dieses konspirative Halten zwischen H und L lässt sich nur dadurch erklären, dass auch L in die terroristische Vereinigung „militante(n) Gruppe(mg)“ als Mitglied eingebunden ist und die konspirativ vereinbarten Treffen im Zusammenhang damit standen.“

Diese zwei konspirativen Treffen sind in der Argumentation der Karlsruher Strafverfolger nicht nur konstitutiv für den Terrorismusvorwurf, sondern die einzige Verbindung zwischen den in Brandenburg Festgenommenen und den vier in Berlin lebenden weiteren Beschuldigten. Die Verdachtsmomente gegen die vier weiteren Berliner sind an Absurdität kaum zu überbieten. So heißt es u.a.:

- „Eine von dem Sozialwissenschaftlicher ... 1998 in der Zeitschrift .. veröffentlichte wissenschaftliche Abhandlung enthält Schlagwörter und Phrasen, die in Texten der „militante(n) Gruppe (mg)“ gleichfalls verwendet werden. Die Häufigkeit der Übereinstimmung ist auffallend und nicht durch thematische Überschneidungen erklärlich.“

- „Als promovierter Politologe ist er zum einen intellektuell in der Lage, die anspruchsvollen Texte der „militante(n) Gruppe (mg)“ zu verfassen, zum anderen stehen ihm als Mitarbeiter eines Forschungszentrums Bibliotheken zur Verfügung, die er unauffällig nutzen kann, um die zur Erstellung der militanten Gruppe erforderlichen Recherchen durchzuführen.“

- „Für eine Mitgliedschaft in der militanten Gruppe spricht ferner, dass .. im Juni 2005 in der Zeitschrift … in einem Artikel über einen 1972 fehlgeschlagenen Anschlag der terroristischen Vereinigung „RZ“, bei dem ein Hausmeister zu Tode kam, berichtete und der selbe Anschlag in einem Text der militanten Gruppe vom Frühjahr 2005 thematisiert wurde.“

- „Als Promotionsstipendiat verfügt …, ebenso wie … über die intellektuellen und sachlichen Voraussetzungen, die für das Verfassen der vergleichsweise anspruchsvollen Texte der militanten Gruppe erforderlich sind.“

Als weitere Indizien werden stereotyp vielfältige Kontakte eines Teils der Beschuldigten in die militante linksextremistische Szene von Berlin behauptet. Einem der in Brandenburg Festgenommenen wird darüber hinaus zur Last gelegt, dass er bis 1992 in Berlin-Reinickendorf aufgewachsen sei und daher über die guten Ortskenntnisse verfügt, die die im Zeitraum 2001 bis heute verübten Anschläge der militanten Gruppe im Ortsteil Berlin-Reinickendorf und im Wedding erforderlich machten.

Die Erhebung des Terrorismusvorwurfes gegen die sieben Beschuldigten in diesem neuen § 129a-Verfahren ist höchst spekulativ nicht haltbar. Die Haftentscheidungen gegen vier der Beschuldigten sind skandalös. Das Vorgehen der Bundesanwaltschaft und des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof belegen einmal mehr, wie deutsche Strafverfolgungsbehörden mit den Terrorismus-Sondergesetzen in unverhältnismäßiger und rechtlich haltloser Weise gegen missliebige Tatverdächtige vorgehen.

Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V.
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Ergänzungen

Koordinerte Bundesweite Aktionen

Antifa 02.08.2007 - 16:25
Bundesweit werden immer häufiger Leute mit Repression überzogen. Der §129 muss weg.
Diverse Hausprojekte werden geräumt. Der Widerstand dagegen verläuft meistens gleich.
100-200 Leute machen öffentliche Aktionen, organisieren Demos. Nach einem halben Jahr war es das dann wieder.
Das es Solidarität gibt und diese kräftig sein kann zeigen Kopenhagen oder Hamburg.
Wenn die Strukturen vor Ort nicht sehr stark sind, müssen sie eben in eine Bundesweite
Aktion miteinbezogen werden. BUNDESWEIT & INTERNATIONAL.

Weg mit § 129 !
Freiheit für Christian Klar und alle anderen politischen Gefangenen !
Auf in den heissen Herbst !



weitere infos zum §129a StGB

auch unter 02.08.2007 - 21:26
www.soligruppe.de

www.freilassung.de

»Unhaltbar und skandalös«

junge Welt 03.08.2007 - 00:09
»Militante Gruppe«: Verteidigung sieht in Terrorismusvorwurf gegen vier Berliner ein Konstrukt. Ein Gespräch mit Sven Lindemann. Interview: Peter Steiniger

Sven Lindemann ist Anwalt und gehört zum Verteidigerteam der einer Mitgliedschaft in der »Militanten Gruppe« bezichtigten Berliner Florian L., Oliver R., Axel H., Andrej H.

Der Bundesgerichtshof hat am Mittwoch Haftbefehle gegen vier Berliner erlassen, drei davon wegen eines versuchten Brandanschlags auf Bundeswehrfahrzeuge in Brandenburg. Wie beurteilen Sie das von der Bundesanwaltschaft eingeleitete Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach Paragraph 129a?

Dieser Paragraph an sich ist schon hochgradig spekulativ. Seine Anwendung ist nicht gedeckt: Es hat eine versuchte Brandstiftung gegeben, Tatbekennungen dazu gibt es nicht. Das reicht schlichtweg nicht aus. Dahinter müßte eine Vereinigung stehen, die gewisse Ziele hat und auf Dauer angelegt ist.

Räumen die Beschuldigten eine Beteiligung an der versuchten Brandstiftung ein, oder äußern sie sich zu ihren Motiven?

Nach Aktenlage kann man von einem gewissen Tatverdacht ausgehen. Es hat gegenüber den Behörden keinerlei Einlassungen zur Sache gegeben, von keinem der Beschuldigten. Nach dem Haftbefehl soll sich der dringende Tatverdacht der Mitgliedschaft in der »Militanten Gruppe« (mg) aus dem dort dargestellten Anschlagsversuch, der nächtlichen Tatzeit und der Tatausführung mittels Brandsatz ergeben. Es ist absurd. Auf das Anschlagsziel Bundeswehr hat danach angeblich die mg ein Monopol.

Wie kam das Bundeskriminalamt dazu, die Beschuldigten zu observieren?

Überspitzt gesagt, Pol Pot lebt: Wer schreiben kann und sich zu bestimmten Themen äußert, scheint schon mal dringend verdächtig zu sein. Und die sogenannte Militante Gruppe schreibt ja viel. Die sollen sich beispielsweise zum Thema Stadtentwicklung geäußert haben. Nun hat auch unter den Beschuldigten jemand mit dem Thema zu tun. Solche Übereinstimmungen in Beiträgen haben ausgereicht, um Leute im Ermittlungsverfahren nach Paragraph 129a als Beschuldigte zu führen und den ganzen Apparat der Überwachung auf sie anzusetzen.

Die Strafverfolger führen zwei konspirative Treffen zwischen einem der drei in Brandenburg und einem in Berlin Festgenommenen an. Zitate der Beschuldigten in Publikationen wurden zusammengetragen, zurückreichend bis 1998. Das alles wurde sicher nicht über Nacht gesammelt ...

Nein, sicher nicht. Es handelt sich um die in 129a-Verfahren üblichen Nachfragen der Ermittlungsbehörden.

Man kann also davon ausgehen, daß die Observation dieser Leute schon länger andauert?

Ja, sie hatten gewisse Leute wohl schon länger im Visier.

Die Beschuldigten wurden wie Staatsverbrecher mit dem Hubschrauber nach Karlsruhe transportiert.

Das ist völlig unverhältnismäßig, reine Propaganda und Abschreckung. Auch in 129a-Verfahren sind die Leute ganz normal mit dem Auto nach Karlsruhe gebracht worden. Das jetzt ist ein Rückgriff auf Zeiten der 50er, 70er und 80er Jahre. Gerade ist uns ein Trennscheiben-Beschluß zugegangen. Das heißt, wir dürfen unsere Mandanten nur durch die Trennscheibe sehen. Das ist alles völlig unhaltbar und skandalös.

Das Bundeskriminalamt zeichnet seit Jahren ein Bedrohungsszenario, in welchem der mg eine wichtige Rolle zukommt. Warum wurde der angebliche Fahndungserfolg erst am Donnerstag öffentlich gemacht?

Ein Interpretation wäre, daß sie sich selbst nicht sicher waren, ob ihr Konstrukt vor dem Bundesgerichtshof bestehen würde. Im Unterschied zu Bundesanwaltschaft und BKA sage ich allerdings, das ist eine Möglichkeit und nicht die einzige Möglichkeit.

Wie kritisch hat der Bundesgerichtshof die Argumentation der Anklagebehörden geprüft?

In den Fällen der drei Beschuldigten, denen eine unmittelbare Verwicklung vorgeworfen wird, in meinen Augen überhaupt nicht. Das war absolut unkritisch. Bei der vierten Person, der keine direkte Beteiligung an der Tatausführung vorgeworfen wird, wurde zumindest der Eindruck erweckt, daß da eine kritische Prüfung stattfindet.

Worauf zielt nun die Strategie der Verteidigung?

Wenn wir hier über versuchte Brandstiftung sprechen würden, wäre die Staatsanwaltschaft Potsdam zuständig und die Beschuldigten wären sofort draußen. Doch die war offensichtlich niemals involviert. Erst einmal brauchen wir die Akten. Wir haben bisher nur sehr rudimentäre Aktenauszüge bekommen. Das Ziel ist ganz klar: So schnell wie möglich die Freiheit der Mandanten zu erreichen und daß der 129er-Vorwurf fallengelassen wird. Er ist haltlos, ein Skandal und der einzige Grund, warum Bundesanwaltschaft und BKA zuständig sind.

03.08.2007, junge Welt
http://www.jungewelt.de/2007/08-03/056.php

Weiterer Pressespiegel

ALB 03.08.2007 - 12:39
Auf antifa.de gibt es einen Artikel mit weiterem Pressespiegel (unter anderem den Beitrag der Abendschau).

Am Samstag um 18h wird es eine Knastkundgebung in Berlin-Moabit geben.

Zur Vorstellungswelt der BAW

J.B. 03.08.2007 - 13:59
"Als promovierter Politologe ist er [...] intellektuell in der Lage, die anspruchsvollen Texte der „militante(n) Gruppe (mg)“ zu verfassen"

Weil sie es schaffen vier Seiten vollzuschreiben? Ihre Texte strotzten nun wahrlich nicht vor neuen und intelligenten Ideen. So Texte kann wohl jeder verfassen, der einige Jahre in der Linken rumgesprungen ist und zu viele '80er Jahre Texte gelesen hat.

"Dieses konspirative Halten zwischen H und L lässt sich nur dadurch erklären, dass auch L in die terroristische Vereinigung „militante(n) Gruppe(mg)“ als Mitglied eingebunden ist und die konspirativ vereinbarten Treffen im Zusammenhang damit standen."

Für das BKA ist ein Treffen dann konspirativ, wenn sich am Telefon nicht schon vorher besprochen wird, worüber gequatscht wird oder wenn dem präparierten Kneipentisch doch der Spaziergang vorgezogen wird. Das bedeutet konspiratives Treffen und demzufolge bin ich wohl Mitglied in so drei bis vier terroristischen Vereinigungen.

Haftbedingungen

Freiheit für alle 03.08.2007 - 14:57
Die Gefangenen werden behandelt wie Terroristen. Sie werden gefesselt im Hubschrauber nach Karlsruhe und zurück geflogen, ihnen wurde in den Stunden nach den Verhaftungen der Kontakt zu Anwälten verweigert, bei Besuchen gibt es eine Trennscheibe. Und das alles nur wegen angeblicher versuchter Brandstiftung.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 8 Kommentare an

Rechts-Staat — links blind

selbst schuld — egal

egal — illegale

@egal — tagmata

@Wegmit§129a! — auch mg?

?? — wegmit§129a