AntiraAktivistin zu 5 Monaten Haft verurteilt

Zuhörerin 31.07.2007 23:37 Themen: Antifa Antirassismus Repression
"Wie soll sich die Gesellschaft sonst gegen solche unverbesserlichen Leute schützen? (...) Der Gesetzgeber sieht nach Bewährungsstrafe eben nur noch Haft vor.", so Richterin Birkmann vom Amtsgericht Berlin am 31. Juli 2007 in einer Verhandlung wegen Hausfriedensbruch und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz.
Die Haftstrafe setzt sich aus drei Verfahren zusammen, die zusammengezogen wurden.
Die Angeklagte Andrea wurde beschuldigt am 19. August 2006 einen Naziaufmarsch (Rudolf-Hess-Ersatzmarsch  http://de.indymedia.org/2006/08/155276.shtml) in Berlin, durch Verbringen von Gegenständen auf die Fahrbahn, behindert zu haben. Außerdem hatte sie gefährliche Gegenstände wie ein Taschenmesser und Pfefferspray dabei. Das Gericht entschied sich für zwei Monate Haft wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz.
Am 5. Oktober 2006 hat sie zusammen mit anderen eine Ausländerbehörde in Lichtenberg (Nöldnerstr. 34, 10317 Berlin) betreten, um auf die rassistische Praxis der SachbearbeiterInnen in der Behörde aufmerksam zu machen ( http://de.indymedia.org/2006/10/158415.shtml). Weil sie die Behörde nicht sofort nach Aufforderung durch die Leiterin Silke Buhlmann verlassen hatte, wurde sie nun wegen Hausfriedensbruch zu vier Monaten Haft verurteilt.
Bei Gegenaktivitäten zum NPD-Aufmarsch 2007 ("Freiheit für Lunikoff"  http://de.indymedia.org/2006/10/159747.shtml) in Berlin-Tegel am 21. Oktober hatte sie sich vermummt. Dieses Verfahren wurde eingestellt, da die anderen Verfahren genügend zu Buche schlagen.

Durch die Zusammenführung der Strafen muss Andrea fünf Monate in Haft verbringen. Damit blieb die Richterin nur wenig unter den sieben Monaten, die Oberstaatsanwalt Jörg Raupach (Leiter der politischen Abteilung 81) gefordert hatte. Andreas Rechtsanwältin Studzinsky hatte aufgrund der geringfügigen Straftatbestände eine Geldstrafe gefordert. Die Kosten des Verfahrens muss die Hartz4-Empfängerin selbst tragen.

Im Detail

Die geladenen Zeugen waren alle wegen dem Hausfriedensbruch in der Ausländerbehörde da. Sie wurden gleich am Anfang nach Hause geschickt, da niemand Zweifel an der Schuld der Angeklagten hatte. Stark Sicherheitsdienst GmbH (Leipziger Str. 63, 10117 Berlin) hatte einen Mitarbeiter geschickt, weil die Firma in der Behörde die Pförtner stellt.
Die Amtsrätin der Ausländerbehörde LABO Abt. IV Frau Buhlmann war ebenfalls höchstpersönlich erschienen, um vorzusprechen. Sie hatte am 5. Oktober 2006 die Polizei gerufen, um die unerwünschten BesucherInnen aus der Behörde entfernen zu lassen. Ihre Vorgesetzte Frau Langheine stellte am nächsten Tag "aus rechtlichen Gründen" direkt beim LKA 534 Strafantrag.
Auch der junge Kriminalkommissar Timo Bank vom LKA 534 (früher Radsportler bei RC Charlottenburg) musste heute wieder abziehen und durfte nicht mal als Zuschauer an dem Prozess teilnehmen. Er war nicht nur Chefermittler im ganzen Verfahren wegen Hausfriedensbruch, sondern sollte heute auch den Prozess für seine Abteilung protokollieren.

Rund 40 ZuschauerInnen zeigten, dass dieses Verfahren von erheblichem öffentlichen Interesse ist. Die Richterin kündigte gleich zu Anfang an den Saal räumen zu lassen, falls irgendwer dazwischenplappert. Zehn Personen verweigerte sie den Zutritt, weil angeblich zu wenig Sitzplätze vorhanden waren und die Öffentlichkeit genügend vertreten sei. Der Antrag der Verteidigung zur Verlegung in einen größeren Saal wurde abgelehnt.
Dazwischen gequatscht wurde trotzdem und der tosende Applaus als Reaktion auf die Prozesserklärung der Angeklagten stand sicher auch nicht im Programm des eingespielten Teams Raupach (Staatsanwalt) – Birkmann (Richterin).

Die Akten wurden gewälzt – der erste Fall schien klar. Ja, klar sind da Sachen auf die Fahrbahn geflogen – ja Pfefferspray und anderen Kram hatte sie auch da bei. So ist das halt mit den Naziaufmärschen – mit Sitzblockaden lässt sich da schwer was reißen.

Bei dem Hausfriedensbruch in der Ausländerbehörde wurde es allerdings interessanter. Andrea verlas eine elendlange Erklärung über institutionellen Rassismus, Behördenblindheit, Naziaufmärsche, über Polizeigewalt und Festnahmen nach Quote, vertuschte Justizskandale, die Situation in den Knästen, Widerstand, gesellschaftliche Verantwortung und spontane Handlungsfähigkeit von sozialen Bewegungen. Nachdem sie fertig war, schlossen sich gleich hurtig die Plädoyers an.
Darin wurde die beliebte "Rechtgüterabwägung" je nach Prozessposition ausgelegt. Die Verteidigung setzte das Recht zur freien Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit und politischen Partizipation über das Recht der MitarbeiterInnen der Ausländerbehörde einen ruhigen Arbeitstag zu verbringen. Schließlich müssten sich Beamte, die täglich Flüchtlinge schikanieren und abschieben auch gefallen lassen ein Flugi in die Hand gedrückt zu bekommen. Das Hausrecht einer Behörde mit Öffnungszeiten sollte nicht so hoch angesiedelt sein wie bei einer Privatwohnung. Dass sich Andrea über das Hausrecht im Ausländeramt hinweggesetzt hat, um Protest an die SachbearbeiterInnen heranzutragen, spricht sogar für ihre bewusste Rechtsgüterabwägung. Eine quasi nicht vermeidbare Beugung untergeordneter Rechte zum Wohle der Allgemeinheit. Daumen hoch für die gute Argumentation von Überflüssigen-Aktionen ( http://ueberfluessig.tk/)

Staatsanwalt Raupach viel es nicht schwer dagegen zu argumentieren. Auf inhaltliche Diskussionen über gesellschaftlichen Rassismus und über die Bekämpfung der Nazis wollte er sich nicht einlassen. Seine Abteilung sei von allen Seiten unter Beschuss und er fand Andreas Erklärung anmaßend. Gähhn. Für ihn sei der Fall klar. Die Rechtsgüter der Behörde bzw. der MitarbeiterInnen dort wurden missachtet, weil da Leute waren die da nicht hingehörten und ziemlich genervt haben. Jetzt muss eine Verurteilung her, damit das nicht ständig passiert.

In einem Punkt waren sich alle Prozessbeteiligten einig: Die verhandelten Straftaten lohnten eigentlich den Aufwand nicht. "Knapp über Beleidigung" (Richterin Birkmann) und "unterster Strafrahmen" (Staatsanwalt Raupach). Was führte also letztlich zu der harten Verurteilung von fünf Monaten?

Schon bei der Befragung zu den Personalien konnte die Richterin es nicht fassen, dass die immerhin fast 40 Jährige Andrea keinen erlernten Beruf angeben konnte. Während sich das Publikum darüber freute, dass sich Andrea nicht über irgendeine Berufsbezeichnung definiert, kullerten Birkmann fasst mitleidvoll die Tränen als ihr das Ausmaß der Delinquenz gewahr wurde.
Die beachtliche kriminologische Karriere von Andrea beginnt 1988 mit Schwarzfahren und Ladendiebstahl. Auch später kommt sie nicht über das Level Körperverletzung und Sachbeschädigung mit politischem Hintergrund hinaus. Sie sei dennoch "sozialschädlich" und von der Gesellschaft fernzuhalten. Anstatt Andreas politisches Engagement zu würdigen, hielt Birkmann einen Vortrag zu Freiheitsrechten, die sich widersprechen aber dennoch super funktionieren würden. Sie schloss sich betreff behördlicher Rechtsgüterautorität dem Staatsanwaltschaft an. Die Richterin suggerierte in ihrer Urteilsbegründung, dass die unzähligen Geldstrafen und Arbeitsstunden, die politische AktivistInnen wie Andrea wegen geringfügiger Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ständig abdrücken müssen, keine wirklichen Strafen seien. Schließlich sei Andrea weiterhin aktiv und deshalb nur mit Knast daran zu hindern weiter Behörden ohne Termin zu betreten oder sich Nazis in den Weg zu stellen. Weil Andrea schon dreimal Bewährung hatte, müsse nun auch mal Haft dran sein. Dass es Menschen gibt, die trotz der staatlichen Repression, weiter für eine freie Gesellschaft eintreten, wollte die Richterin nicht verstehen.

Die gleiche Argumentation vertrat schon ein Gericht in Bayern, dass gegen Andrea im Juni 2007 eine Haftstrafe von vier Monaten verhängte. Sie hatte bei Gegenaktivitäten zum Gebirgsjägertreffen der ehemaligen Waffen-SS in Mittenwald ( http://mittenwald.blogsport.de/) am 28. Mai 2006 mal wieder ein Pfefferspray dabei. Für bayrische Gerichte ein Grund in Haft zu kommen. Diese Haft tritt Andrea bereits übermorgen an ( http://de.indymedia.org/2007/07/189280.shtml)
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Ergänzungen

Prozesserklärung der Beschuldigten

(muss ausgefüllt werden) 01.08.2007 - 00:15
Prozesserklärung der Beschuldigten Andrea im Verfahren wegen Hausfriedensbruch und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz am 31.07.2007

Als wir am 5. Oktober 2006 die Ausländerbehörde besuchten und um ein Gespräch mit der Leiterin baten, wurden wir schroff abgelehnt. Die Angestellten dieses öffentlichen Gebäudes sind es anscheinend weder gewöhnt auf gleicher Augenhöhe mit ihren Kunden zu sprechen, noch zeigen sie ein Problembewusstsein für das, was sie tagtäglich anrichten.
Seit Jahren schon steht die Behörde unter massiver Kritik von Verbänden und Politik, denn Handlungsspielräume der Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter fallen regelmäßig zu ungunsten der Flüchtlinge aus.
Das repressive Vorgehen gegen uns ist ein weiteres Beispiel dafür, wie gravierend die Missstände in der Ausländerbehörde tatsächlich sind, und wir konnten selbst erfahren, welchem aggressiven und abfälligen Umgangston die meist ausländischen Besucherinnen und Besuchern hilflos ausgeliefert sind.

Der Verein Pro Asyl nennt die Behörde 2005 zynisch "Integrationsverhinderungsbehörde" ( http://www.proasyl.de/fileadmin/proasyl/fm_redakteure/Newsletter_Anhaenge/106/classen.pdf) und deckt Mängel auf, die 2006 die Linkspartei wiederum dazu veranlassten, eine 55seitige externe Evaluation der Serviceangebote der Behörde erstellen zu lassen. Darin (Zitat): "werden Ziele der Verwaltungsreform und der Berliner Integrationspolitik von den Mitarbeitern nicht akzeptiert".
Selbst wenn also seitens der Berliner Politik Besserungen in der Situation von Flüchtlingen veranlasst werden, scheitern diese in der Praxis an den Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern. Dies war die Grundlage für unseren kritischen Besuch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz. Wir wollten an ihr Verantwortungsbewusstsein appellieren und sie durch eine symbolische Aktion dazu bewegen, ihre Praxis zugunsten ihrer Kunden zu ändern.

Einige Beispiele aus der Behörde am Nöldnerplatz, die teilweise bundesweit einmalig sind:

- Die Mitarbeiter verschanzen sich vor den Kunden hinter Panzerglas. Flüchtlinge, die zur Beratung kommen, müssen in einen kleinen Schalterraum. Hinter der Scheibe wartet der oder die Sachbearbeiterin. Wenn spontan die Duldung aberkannt wird, schließt jemand die Tür des Schalters von außen – die Person ist sofort fertig für den Abtransport in den Grünauer Abschiebegewahrsam. Die hauseigene Abteilung des Landeskriminalamts wacht zusammen mit einem privaten Sicherheitsdienst über die Kunden.
- Im Jahr 2004 wurde die bundesweite Absicht für ein Bleiberecht bosnischer Flüchtlinge ausschließlich von der Ausländerbehörde am Nöldnerplatz gezielt unterlaufen, indem Aufenthaltsmöglichkeiten in Berlin verweigert wurden. Die Flüchtlinge wurden angeblich aus Kapazitätsgründen abgelehnt ( http://www.abschiebehaft.de/presse/p412.htm)
- Die Wartezeit kann trotz Termin bis zu sechs Stunden andauern ( http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/pdf/protokoll_424_425.PDF)
- Dolmetscherinnen oder Dolmetscher stehen nicht zur Verfügung.
- Weitere Beispiele sind der Evaluation von Kerstin Gudermuth aus dem Jahr 2006 zu entnehmen. ( http://www.pds-fraktion-berlin.de/pdf/EvaluationABH2006.pdf)

Angesichts dieser unhaltbaren Situation sahen wir uns in der Pflicht als Menschen zu handeln, die nicht von diesen Schikanen betroffen sind. Also ergriffen wir die Initiative. Die Reaktion hat uns gezeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind und das Thema wieder neu verhandelt wird.

Der Besuch der Ausländerbehörde am 5. Oktober war außerdem Teil der Migrations-Aktionstage ( http://de.indymedia.org/2006/10/158585.shtml). Auf der Anklagebank sitze also nicht nur ich allein, sondern auch alle anderen, die sich gegen die rigide Abschottungspolitik der EU und gegen die miserable Situation der Flüchtlinge in Deutschland bei den Migrationstagen 2006 engagierten. Auch diejenigen sollten nicht vergessen werden, die gegen das inoffizielle Abschiebelager in der Spandauer Motardstraße demonstrierten ( http://de.indymedia.org/2006/10/158432.shtml) / jene 500 die in Oldenburg gegen den Abschiebegewahrsam Blankenburg eintraten ( http://de.indymedia.org/2006/10/158201.shtml) / die vier Bootsflüchtlinge in Lindau die symbolisch auf einem Floß versuchten den Bodensee zu überqueren ( http://de.indymedia.org/2006/10/158518.shtml) / jene 300 in Freiburg die auf die Situation afrikanischer Flüchtlinge aufmerksam machten ( http://de.indymedia.org/2006/10/158669.shtml) / die Aktionstheater "Grenzziehung" in Görlitz ( http://de.indymedia.org/2006/10/158747.shtml), Potsdam ( http://de.indymedia.org/2006/10/158703.shtml) Frankfurt/Main ( http://de.indymedia.org/2006/10/158769.shtml), und die 200 in Augsburg ( http://de.indymedia.org/2006/10/158931.shtml), die 400 in Köln ( http://de.indymedia.org/2006/10/158541.shtml) und 700 Menschen in Hamburg ( http://de.indymedia.org/2006/10/158576.shtml) auf antirassistischen Demos.

Wenn schon unser Beitrag zu den Migrations-Aktionstagen kriminalisiert werden soll, dann sollte der Kontext nicht in Vergessenheit geraten.
Im Juli 2006 verkündete der Berliner Innensenator Körting stolz einen Abschiebungsstopp für langjährig geduldete Flüchtlingsfamilien und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ( http://www.berlin.de/imperia/md/content/labo/auslaenderangelegenheiten/vaabhbln.pdf). Körting versprach auf der Innenministerkonferenz im November 2006 ein Bleiberecht für Flüchtlinge zu erwirken, die seit mehreren Jahren nur den unsicheren Status der Duldung haben. Mit unserem Besuch in der Ausländerbehörde wollten wir den Berliner Senat daran erinnern, Wort zu halten.

Das Gesetze in der Praxis der Behörden oftmals keine Rolle ist uns bewusst. Zu groß ist die Versuchung, die bestehenden Regelungen repressiv nach eigenen Gutdünken auszulegen. Deshalb demonstrierten wir mit unserer Aktion auch gegen die Strafverfolgungswut, welche Flüchtlinge in Deutschland ganz besonders hart trifft und erschreckend häufig zum Tode führt.
Im August 2006 starben gerade erst sechs Flüchtlinge aus Vietnam in einem Auto im Landkreis Königswusterhausen bei Berlin ( http://de.indymedia.org/2006/08/154329.shtml). Sie wurden von der Bundespolizei wegen illegaler Einreise verfolgt, verloren die Kontrolle über ihren Wagen und fuhren frontal gegen einen Baum. Es erschien uns angemessen, Protest zu äußern, war doch der Fall seit August schon wieder in Vergessenheit geraten und die Verfahren gegen die verantwortlichen Beamten eingestellt worden.

Einen Monat nach unserer Aktion hatten wir dann den Beweis, wie wenig Vertrauen in die große Politik gesetzt werden kann. Das von Körting versprochene Bleiberecht kam nicht zustande. Stattdessen entschieden sich die Innenminister der Länder für einen faulen Kompromiss ( http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/print_pe.php?sid=315), der den meisten langjährig geduldeten Flüchtlingen keine Besserung ihrer Situation bringt. Demnach wird nur dann ein Bleiberecht vergeben, wenn die betreffenden Flüchtlingsfamilien über ein entsprechendes Einkommen verfügen, umfangreiche Deutschkenntnisse vorweisen können und ihre Gesundheitsversorgung selber leisten. Für Menschen, die dauerhaft vom ohnehin prekären Arbeitsmarkt ausgeschlossen waren und die deshalb auch von keiner Krankenversicherung akzeptiert werden, ist diese Lösung inakzeptabel. Bis heute hat sich keine signifikante Verbesserung gezeigt, die auf diese Gesetzesänderung zurückzuführen ist ( http://de.indymedia.org/2007/02/169084.shtml).

Wer diese Entwicklungen aufmerksam verfolgt, muss feststellen, dass die lang vorbereiteten Gesetzesnovellierungen und Lippenbekenntnisse der Politikerinnen und Politiker in diesem Bereich zu keiner nennenswerten Verbesserung führen. Der Handlungsbedarf besteht also auch auf anderen gesellschaftlichen Ebenen.

Öffentliche Aktionen, wie die am 5. Oktober in Lichtenberg, welche auf Missstände hinweisen, gehören zur parlamentarischen Demokratie und sind notwendig, Diskurse anzuregen. Woher sonst kommt der Druck die Situation für Flüchtlinge in Deutschland zu verbessern, wenn nicht von uns, Pro Asyl, den Flüchtlingsräten oder anderen Menschenrechtsorganisationen? Wer diese Arbeit strafrechtlich verfolgt und vor Gericht stellt, verkennt unsere Funktion in den Aushandelungsprozesse.

Unser Besuch eines öffentlichen Gebäudes während der Öffnungszeiten hat verschiedene Ermittlungsverfahren gegen uns nach sich gezogen: Verstoß gegen das Versammlungsrecht, schwerer Landfriedensbruch, Körperverletzung, Hausfriedensbruch, Verstoß gegen das Waffengesetz und Verstoß gegen das Vermummungsverbot.

Diese gegen uns angestrengte Strafverfolgung steht jedoch in keinem Verhältnis zu der von uns durchgeführten symbolischen Aktion. Der Aufwand, der hier betrieben wurde, zeigt, wie repressiv hier mit Kritik umgegangen wird und wie wenig Interesse an der menschenwürdigen Betreuung von Flüchtlingen besteht.

Während für die Strafverfolgung scheinbar unbegrenzt Ressourcen zur Verfügung stehen, ist für ein paar Dolmetscherinnen oder Dolmetscher in der Ausländerbehörde das Budget offenbar zu knapp.

Die Überreaktion der Exekutive in unserem Fall legt offen, dass wir mit unserer Aktion einen sensiblen Punkt getroffen haben. Unser bescheidener Hinweis, dass in den Gängen dieser Behörde institutioneller Rassismus am werkeln ist, wurde als ein Angriff auf den scheinbar so objektiven Verwaltungsapparat wahrgenommen. Und als dieser symbolische Angriff war die Aktion auch gedacht.

Dieser Prozeß heute hier ist nur ein weiteres Beispiel für die Kriminalisierung von emanzipatorischem Widerstand und Aktionen.
Heute werden bei jeder angemeldeten politischen Aktion die Teilnehmenden von der Polizei abgefilmt. Es gibt immer öfter Personalienkontrollen im Alltag - unter den fadenscheinigsten Gründen, wie dass jemand vom Äußeren oder Verhalten her nicht einer gesellschaftlichen Norm entspricht. "Ingewahrsamnahmen" bei Demonstrationen sind an der Tagesordnung und werden - so scheint es - oft nach einer vorgegebenen Quote durchgeführt. Die Polizei konstruiert Straftaten wie z.B. angebliche Sachbeschädigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte oder Körperverletzung. Vor Gericht haben diese Konstrukte leider Bestand, da die ZeugInnen ihre Aussagen abstimmen oder wie in letzter Zeit in Berlin gehäuft, nur noch als Nummern als codierte Belastungszeuginnen auftreten und behaupten irgendeine Straftat gesehen zu haben. Besonders aktiv werden Polizei, Verwaltung und Justiz, wenn ihre Institutionen als Teil einer herrschaftsförmigen Ordnung selbst Gegenstand von emanzipatorischer Kritik und Widerstand sind. Diese Reflex konnten wir hier sehr gut am Medikamentenskandal sehen oder an der Vertuschungstaktik der Justizsenatorin wegen der ungewöhnlich vielen Todesfälle in den Knästen oder derselben Taktik in Dessau bei der Tötung von Oury Jalloh im Gewahrsam ( http://initiativeouryjalloh.wordpress.com/).
Wieso aber werden emanzipatorische Bewegungen dermaßen kriminalisiert:

Zum einen sollen soziale und politische Bewegungen, die mit ihren Aktionen in die herrschende Ordnung eingreifen, zerschlagen oder zumindest in friedliche und militante gespalten werden. Die vom Polizeiapparat ausgehende Gewalt und Kriminalisierung soll Angst verbreiten und Menschen einschüchtern, die sich gegen die herrschenden Verhältnisse wehren. Gerne nutzen Polizisten ihre Machtposition auch individuell, um z.B. für sie unbequeme Demonstrierende gezielt abzustrafen, etwa durch verdeckte aggressive Übergriffe gleich vor Ort oder im Nachhinein durch Straftatvorwürfe.
Staatliche Institutionen wie Behörden oder Polizei wollen der Öffentlichkeit "Erfolge" vorweisen. Kriminalisierung soll auch martialische und teure Großeinsätze wenigstens nachträglich begründen und Vorwände schaffen, Überwachungs- und Kontrollapparate weiter auszubauen.
Soziale, emanzipatorische Bewegungen wollen die eigene Handlungsfähigkeit und in gleichem Maße auch die der anderen Menschen erweitern. Staatliche Repression darf nicht einfach leise akzeptiert werden, sondern wir können uns dagegen direkt und solidarisch wehren - im Alltag, im Kontakt mit Behörden und auf der Straße.

Dieses sich wehren und bekämpfen im Alltag gilt ebenso auch für den Kampf gegen Nazis. Proteste und antifaschistische Aktionen bei Naziaufmärschen oder -kundgebungen bedeuten leider auch, sich an den Terminen der Nazis aufzureiben. Erforderlich ist aber auch ein entschlossenes, kontinuierliches antifaschistisches Engagement im Alltag. Direktes Eingreifen und Widerstand, wenn in der Schule, im Bus rassistische Sprüche geklopft werden; wenn Neonazis versuchen, durch gewalttätiges Auftreten Stadtteile nach ihren rassistischen Vorstellungen zu organisieren, damit die Bewegungsfreiheit Anderer einschränken; wenn jüdische Gedenkstätten geschändet werden, Zeitungsläden nationalistische Medien verbreiten; wenn für Probleme Menschen ohne deutschen Pass verantwortlich gemacht werden; wenn die Verbrechen der Nazis relativiert oder geleugnet werden; wenn Staatsbüttel versuchen, MigrantInnen abzuschieben.
Ein Termin der Nazis war der 20.Oktober 06, damals wollten Neonazis von NPD bis Freie Kameradschaften und Autonome Nationalisten für die Freiheit von "Lunikoff", dem Sänger der Naziband Landser, vor der JVA Berlin-Tegel demonstrieren.
Der in der JVA Tegel sitzende Neonazi Michael Regner alias Lunikoff, ist führendes Mitglied der Berliner Neonazigruppierung "Die Vandalen" und begann im Judith-Auer-Club, einem Jugendclub, der Rechte Jugendliche förderte ( und später von Antifas durch Brand geschlossen wurde und in dem auch der Mörder von Silvio Meier verkehrte) seine musikalische, ideologische Karriere dort in einem Übungsraum, indem er dort mit seine Band "Endlösung", später in "Landser" umbenannt probte.
2003 wurde er vom Berliner Kammergericht neben andren Mitgliedern der Naziband "Landser". wie André Mörike, Christian Wenndorff zu drei Jahren und vier Monaten Haft verurteilt, da die Band als kriminelle Vereinigung eingestuft wurde. Die Verurteilung brachte ihm eine Art Märtyrerstatus in der Neonaziszene ein.

Die Verurteilung der Bandmitglieder nach § 129 ist im Übrigen einer der exotischen Fälle, wo der §129/129a ausnahmsweise nicht gegen linke Aktivistinnen anwendet wird, um die aktuell interessante Szene auszuforschen und abzuschrecken.
Bevor Regener am 11. April 2005 seine Reststrafe von 2 Jahren und 10 Monaten in der JVA Berlin-Tegel antreten musste, gab er im Thüringen bei einer Veranstaltung zum Landesparteitag der NPD sein Abschiedskonzert mit seiner neuen Band "Die Lunikoff Verschwörung". Die Nazibands stellen über die Musik ein verbindendes Element zwischen Nazis aller Couleur her. Durch diese informelle Vernetzung von militanten Nazis mit Rechtsrockfans und NPD-Parteivolk gewinnen die Nazis leider an Stärke, deshalb ist es wichtig sich nicht nur an ihren Demos abzuarbeiten, sondern ihre Rückzugsräume, Infrastruktur, Merchandising, etc. anzugehen.

Wie wichtig es ist gegen Nazis allgemein auch im Alltag vorzugehen und auch sich gegen die Aufnahmen der Nazis, die diese von ihren politischen GegenerInnen machen zu wehren, durch unkenntlich machen, zeigen auch zwei Fälle aus der jüngster Zeit. Zum einen beruhte die Inhaftierung des Antifaschisten Mattias Z. allein auf den Aussagen von zwei Nazis, die mit Fotos von ihm zur Polizei gingen und behaupteten, er sei an dem Überfall auf sie beteiligt gewesen.
Zweitens wurde der Antifaschist Christian S. von Nazis mit Mord und Aufforderung zum Selbstmord bedroht, die Nazis wünschten ihren einsitzenden Kameraden viel Spaß und crossposteten das ganze auf indymedia ( http://de.indymedia.org/2007/07/188457.shtml). Zudem feierten sie in dem Artikel die Verlegung von Christian vom offenen Vollzug in Hakenfelde in den geschlossenen in die JVA Tegel, die Tatsache, dass die Nazis sofort über die Verlegung Bescheid wussten zeigt, wie eng die Verbindungen der Nazis draußen mit ihren einsitzenden Kameraden sind und es ist auch ein allseits bekannt, dass rechtsradikale als Sozialarbeiter oder Schließer im Knast arbeiten.

Bereits im Jahresbericht von 2001 des Arbeitskreis Kritische Justiz findet sich folgendes::.. "Es zeigt sich, dass es in den Strafvollzugsanstalten Rechtsextremismus in vielfältigen Formen gibt. Zugleich wird sichtbar, dass neben einer kleinen Zahl engagierter Anstaltsleitungen und Landesregierungen eine größere Zahl von Anstaltsleitungen und Justizbehörden nur mangelhafte Informationen hat und dazu neigt, die Problematik zu bagatellisieren.
Optisch und akustisch ist Rechtsextremismus in den Anstalten präsent in Form der Ausgestaltung der Zellen mit rechtsextremen Symbolen, entsprechenden Tätowierungen an Körpern_ der rechtsextremen Inhaftierten und vor allem auch durch das laute Abspielen von Musik mit rechtsradikalen Inhalten, die sich, wie verschiedene Gefangene berichten, der Wahrnehmung vieler Bediensteter entziehen. Es wird berichtet, dass von rechtsextremen Gruppierungen Propagandatätigkeit durch Verbreitung von Inhalten (z.B. durch entsprechende Zeitungen) oder die Besetzung einflussreicher Positionen innerhalb der Gefangenenhierarchie ausgeht. Eine besondere Rolle spielt die HNG ("Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige"), die für eine Vernetzung der rechtsradikalen gefangenen, Informationsverbreitung und auch soziale Betreuung sorgt." ( http://www.zakk.de/ulmerecho/ArchivUlmerEcho/Ue2-01/Themen/Rechtsradi.html)

Ebenso wie draußen wird also auch in den Knästen eine Organisierung der Nazis geduldet und gefördert während linke Aktivisten wie Thomas Meyer-Falk ( http://www.freedom-for-thomas.de/), Christian Klar etc. in Isolation gehalten werden, die Kommunikation nach draußen behindert wird, sie knastintern mit Repression überzogen werden und Vollzugslockerungen wie offener Vollzug rigoros abgelehnt werden. In diesem Land wird im Namen der Sicherheit ein schwer traumatisierter Mensch wenige Tage nach einer komplizierten Herz OP aus einer ReHa -Klinik heraus verhaftet und in Totalisolationshaft gesteckt. Ich spreche hier von dem türkischen Aktivisten Mustafa Atalay, der aufgrund von Aussagen eines Spitzels nach § 129b (angebliche DHKP-C Mitgliedschaft) inhaftiert wurde und nach 9 Monaten Totalisolation kürzlich, lediglich in ein Haftkrankenhaus verlegt wurde, von denen wir in Berlin nur zu gut auch wissen, wie miserabel die Behandlung dort ist ( http://de.indymedia.org/2007/07/186859.shtml).
Politische Justiz dient als Instrument Bewegungen zu spalten und politisch missliebige Personen zu kriminalisieren und schließlich einzuknasten.
Staatsschutz und Staatsanwaltschaften kriminalisieren mit dem Versammlungsgesetz jeglichen antifaschistischen Protest bereits im Vorfeld. Protest-Vorbereitungen und der bloße Aufruf, sich den Nazis entgegenzustellen werden zu Straftaten. So geschehen im Münchner Landgericht, das den KZ-Überlebenden Martin Löwenberg wegen Aufruf zu Straftaten verurteilte, weil er auf den Schwur von Buchenwald verwies und die Antifaschisten aufrief präsent zu sein, wo die Nazis sind. Das Fazit aus dem Urteil lautet: Nazis darf man sich nicht ungestraft in den Weg stellen. So wird der geforderte zivilgesellschaftliche und gewaltfreie Protest gegen Neonazismus und Rassismus von Staatswegen behindert. Selbst ein pädagogisch, antifaschistisches Engagement wie das des Heidelberger Lehrers Michael C. führt zu Kriminalisierung bis hin zum Berufsverbot.

Um Handlungsfähigkeit zu erhalten und zu erweitern, muss eine emanzipatorische Strategie staatliche Repression, Polizeigewalt und Kriminalisierung zum Thema politischer Auseinandersetzungen machen und aktiv bekämpfen. Denn man sollte nie davon ausgehen, dass man keine Chancen und Handlungsmöglichkeiten hätte. Für mehr spontane, kreative Aktionen, wo wir Zeitpunkt und Inhalt selbst bestimmen und wirklich agieren können.

Keine Durchhalteparolen

unwichtig 01.08.2007 - 15:35
Die Durchhalteparolen heit gehen mir ein wenig auf die Nerven. Wenn eine Genossin in den Knast muss, ist dies schließlich kein Grund, ein lautes "weiter so" zu rufen.
Bei aller Sympathie: auf Kundgebungen und Demonstrationen in Mittenwald Pfefferspray mittzunehemn ist doch ein wenig verpeilt. Dass wir dies derzeit nicht durchsetzen können, ist doch klar. Dann muss mensch sich entweder überlegen, wie das Zeug vorher dorthin kommt (was um alles in der Welt will derzeit eigentlich jemand in Mittenwald mit Pfefferspray?) oder das Döschen wird halt zu Hause gelassen. Mensch, ich laufe doch auch nicht mit Helm und Gasmaske in die Polizeisperre und wundere mich hinterher, dass ich den Tag im Knast verbringen kann. (Natürlich müssen wir unseren Selbstschutz organisieren und dafür kämpfen, dass diese Kleidungsstücke wieder zur normalen Demo-Ausrüstung gehören können, aber doch nicht so)
Es tut mit weh, wenn eine Genossin für Dinge in den Knast geht, die m.E. unvermeidbar/unnötig waren.
Natürlich alles gute für Andrea im Knast. Und nach den ganzen "bleib so" zu rufen bin ich jetzt doch versucht, dir ein "sei die nächste Zeit ein bißchen vorsichtiger" mitzugeben. Mal ganz abgesehen von deinem Leben und deiner Freiheit: Sieht so aus, als hätten wir Leute wie dich draußen nötiger als drinnen.

Weitere Verfahren in der Sache

ähh 17.11.2007 - 18:23
Am 12.11.2007 gab es wegen der Aktion in der Lichtenberger Ausländerbehörde ein weiteres Verfahren. Diesmal gegen einen Heranwachsenden, dem ebenfalls Hausfriedensbruch vorgeworfen wurde. Er wurde lediglich ermahnt ( http://www.ad-hoc-news.de/Aktuelle-Nachrichten/de/14140804/Verfahren-gegen-Schueler-nach-Protest-in. Auch er hat eine Prozeßerklärung abgegeben, die sich sehen lassen kann.

Prozesserklärung

Am 05. Oktober 2006 betrat ich mit mehreren anderen Personen die Ausländerbehörde »Flüchtlinge und Rückführung« in Berlin-Lichtenberg, um im Rahmen einer friedlichen Aktion auf die unmenschliche Praxis der Behörde aufmerksam zu machen.
Ich ging die Treppe hoch in die erste Etage und verteilte dort im öffentlichen Wartebereich Flugblätter, in denen die Zustände in der Behörde kritisiert wurden. Währenddessen begann ein Stockwerk tiefer eine Sambaband zu spielen und an die Wachmänner wurden Blumen verteilt, was den Zweck haben sollte, den Angestellten in der Behörde zu signalisieren, dass es sich um eine friedliche Protestaktion handelt und nicht um eine Stürmung oder ähnliches, wie es in der Anklage dargestellt ist. Nach ca. einer Minute, in der wir in der ersten Etage Flyer verteilt haben, kamen mehrere Mitarbeiter der Behörde durch die Tür aus dem nicht-öffentlichen Teil des Gebäudes. Einem wollte ich ein Flugblatt geben und ihm erklären warum wir diese Aktion durchführen, wozu es jedoch nicht kam, da er mich sofort anbrüllte, dass wir das Gebäude sofort zu verlassen hätten und dass wir einen Hausfriedensbruch begehen würden. Dieser Aufforderung leistete ich Folge, da ich merkte, dass uns von den Mitarbeitern keinerlei Verständnis für unser Anliegen entgegengebracht wurde und sich so die Situation allmählich zuzuspitzen drohte, was auch dann geschah. Nach der Aufforderung zum Verlassen des Gebäudes ging ich in Richtung der Treppe die nach unten führte, mit der Absicht das Gebäude zu verlassen. Jedoch kam ich nicht weit, da ich von hinten von mehreren Personen weg von der Treppe gezerrt wurde, mir die Arme auf dem Rücken verdreht wurden und mir gesagt wurde, dass ich jetzt hier bleiben solle. Obwohl ich mehrmals zu verstehen gab, dass ich mich weder wehren, noch weglaufen würde, wurden mir die Arme als Reaktion darauf noch mehr verdreht. Auf meine Frage wer sie überhaupt seien, antworteten sie schlicht: von der Polizei. Mehrmaliges Fragen nach dem Dienstausweis meinerseits blieb unbeantwortet und wurde ignoriert. Nach ein paar Minuten wurde ich ein- oder zwei Stockwerke höher gebracht, genau weiß ich das nicht mehr. Dabei wurden meine Arme nach wie vor von den zwei vermeintlichen Polizisten verdreht und ich wurde so die Treppe raufgezerrt. Aufgrund dieser Situation rutschte ich aus und fiel auf die Treppe. Jedoch wurde mir keine Möglichkeit zum Aufstehen gegeben, sondern ich wurde einfach weiter über die Treppe geschleift, was sehr schmerzhaft war und meine Knie verletzte. Nach ein Paar Treppenstufen war es den Personen vermutlich zu mühselig, mich weiter zu schleifen und sie ließen mich aufstehen. Oben angekommen wurden wir mit mehreren anderen Personen in den nicht-öffentlichen Bereich gebracht und dort gesammelt. Später kam die Polizei und durchsuchte uns im Zellenraum einzeln. Später wurden wir aufs Polizeirevier gebracht und erkennungsdienstlich behandelt.

Im folgenden möchte ich erklären, warum ich an der Protestaktion teilgenommen habe.

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ist die rechtliche und politische Grundordnung dieses Landes. Nicht umsonst stehen die ersten 19 Artikel der Verfassung an erster Stelle und bilden als Grundrechte zusammen mit dem Artikel 20 den elementaren Teil dieser. Die in Artikel 1 und 20 festgelegten Grundsätze, also der Kern staatlicher Grundordnung und der Grundrechte, dürfen nicht angetastet werden und genießen deshalb besonderen Schutz. Um meine Motivation zur erklären möchte ich vorweg aus dem Artikel 1 zitieren:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Der Artikel 1 des Grundgesetzes beschränkt sich nicht auf den deutschen Staatsbürger, sondern impliziert alle Menschen. Des weiteren ist die Landesausländerbehörde Teil staatlicher Gewalt.
Mit den folgenden Beispielen möchte ich versuchen zu verdeutlichen, auf welche Weise die Ausländerbehörde »Flüchtlinge und Rückführung« in Berlin-Lichtenberg eben genau diese, vom Grundgesetz am meisten behütete Würde des Menschen antastet und verletzt:

Allein der Zustand des Gebäudes lässt auf die Arbeitsweise der Mitarbeiter schließen. So stellt der Verein Pro Asyl e.V. in einem Bericht aus dem Jahre 2005 fest: (Zitat)„Das Gebäude ist baulich heruntergekommen, und die Sachbearbeiter verschanzen sich - bundesweit einmalig - allen Bemühungen um „Kundenorientierung“ zum Trotz hinter Panzerglas. Die „Kunden“ werden während der Vorsprache in einen vor die Scheibe montierten Glaskäfig gesperrt. Wegen des Panzerglases muss man sich anschreien, was die Aggressivität auf beiden Seiten fördert. Da die Glaskäfige sich im Warteraum befinden, bekommen gleich auch alle übrigen Wartenden mit, worum es geht - von Datenschutz keine Spur. Dafür gibt es nirgends Namenschilder, so dass man nicht weiss, mit welchem Sachbearbeiter man gesprochen hat”.(Zitat Ende)
Der Verein bezeichnet die Behörde nicht umsonst zynisch als (Zitat) „Integrationsverhinderungsbehörde Berlin“ und aus dem Bericht ist zu entnehmen, wie willkürlich und unverhältnismäßig die geltenden Gesetze von der Behörde ausgelegt werden:
(Zitat)„Besonders restriktiv legt die Berliner Ausländerbehörde das Arbeitserlaubnisrecht aus. Die Behörde erklärt Flüchtlingen, die nach bis zu 10jährigem Asylverfahren ein auf Dauer angelegtes Bleiberecht in Form einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erhalten, sie müssten weitere vier Jahre warten, bis sie auch eine Arbeitserlaubnis bekommen.
Dabei regelt die zum Zuwanderungsgesetz vom Wirtschaftsministerium erlassene
„Beschäftigungsverfahrensverordnung“ in § 9, dass Flüchtlinge mit Aufenthaltserlaubnis nach mindestens vierjährigem erlaubten oder geduldeten Voraufenthalt auch eine Arbeitserlaubnis für Tätigkeiten jeder Art erhalten. Entgegen der Praxis in allen anderen Bundesländern und der Kommentierung zum Asylverfahrensgesetz wollte
Berlin jedoch Asylverfahrenszeiten nicht auf diese vierjährige Wartefrist anrechnen.
Betroffen vom Berliner Arbeitsverbot für Bleibeberechtigte sind u.a. traumatisierte bosnische Flüchtlinge, die nach jahrelangem hin und her in Berlin erst jetzt eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben, Flüchtlinge mit menschenrechtlichem Abschiebeschutz (drohende Folter, Todesstrafe, Gefahr für Leib und Leben, u.a), sowie
Flüchtlinge mit Bleiberecht aufgrund einer Härtefallkommissionsempfehlung. Pikant: im letzteren Fall hatte Körting den Betroffenen zur Bedingung gemacht, ihren Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu sichern. Wie
das ohne Arbeitserlaubnis geht, bleibt sein Geheimnis...” (Zitat Ende)

Auch am Beispiel der Antragsformulare für eine Arbeitserlaubnis wird in dem Bericht deutlich, welcher Praxis sich die Ausländerbehörde Berlin betätigt: (Zitat)
„Arbeitsuchenden, die nach dem Formular fragen, wurde erklärt, sie müssten einen
„Vorvertrag“ für die beabsichtigte Tätigkeit vorlegen. Erst dann könne Ihnen das Formular ausgehändigt werden, das dann wiederum der Arbeitgeber ausfüllen muss, worauf der Antragsteller ein drittes Mal bei der Ausländerbehörde vorsprechen muss, die erst dann den Vorgang an die Arbeitsagentur geben kann. Frühestens bei der vierten Vorsprache könnte dann die Arbeitserlaubnis erteilt werden. Wenn Sachbearbeiter klagen, sie seien „überlastet“, wissen wir, woran das liegt.” (Zitat Ende)

Der komplette Bericht mit weiteren Beispielen für die menschenunwürdige Behandlung der Flüchtlinge ist auf der Internetseite des Vereins unter www.proasyl.de einzusehen.

2004 hat die TAZ kritisiert, dass politische Vorgaben durch die Behörde missachtet werden: (Zitat) "Reformen würden jedoch durch die "Blockadehaltung" der Ausländerbehörde am Nöldnerplatz stark behindert. So werde etwa mit der Verweigerung von Aufenthaltsmöglichkeiten für bosnische Flüchtlinge die bundesweite Absicht für ein Bleiberecht gezielt unterlaufen." (Zitat Ende)

Der Flüchtlingsrat Berlin kritisiert in seinem Protokoll die bis zu sechsstündige Wartezeit der Flüchtlinge in der Behörde. Als ich am 05. Oktober 2006 in der Ausländerbehörde protestierte, stellte ich verwundert fest, dass anscheinend mehr Geld in die Gitter an den Fenstern, die Wachmänner, das sich eigens im Gebäude befindende Büro des LKAs, die Netze im Treppenhaus um Selbstmorde im Haus zu verhindern und die hauseigene Zelle, welche sofortige und problemlose Abschiebungen gewährleisten soll, investiert wurde, als z.B. in genügend Sitzmöglichkeiten, Verpflegungsautomaten oder einfach nur frische Farbe an den Wänden, was evtl. die langen Wartezeiten angenehmer gestalten würde. Wenn für wartende deutsche Staatsbürger im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg im Warteraum eigens Flachbildfernseher installiert werden, um die durchschnittlich 30 Minuten Wartezeit zu überbrücken, warum werden dann den oftmals nicht genügend deutsch sprechenden Flüchtlingen in der Ausländerbehörde nicht einmal Dolmetscher zur Verfügung gestellt, zumal doch meist Anträge sofort ausgefüllt werden müssen, die Mitarbeiter nur deutsch sprechen wollen und die Anträge meist komplexe Fragen und selbst für deutsche Staatsbürger komplizierte Fragen und Wörter enthalten?

Weitere Beispiele für die menschenunwürdigen Vorgänge in der Ausländerbehörde sind in der "Externen Evaluation der Serviceangebote der Ausländerbehörde Abteilung 4 B (Nöldnerstraße) für Zuwandernde und in Berlin lebende Migrantinnen bzw. Migranten" von Kerstin Gudermuth im Auftrag der Linkspartei.PDS-Fraktion zu finden. Die Studie ist auf der Internetseite der Fraktion der Linkspartei unter www.pds-fraktion-berlin.de öffentlich einsehbar.

Stark kritisiert wird in dieser Evaluation unter anderem die Behandlung der Flüchtlinge in der Behörde: (Zitat) „Unfreundlichkeit der Sachbearbeiter/innen und eine häufig herablassende Behandlung bestimmen die Umgangsformen der Sachbearbeiter/innen. Eine insgesamt positive Haltung gegenüber Kund/innen ist in den Umgangsformen nicht erkennbar.“ (Zitat Ende)

Des weiteren sind die Sachbearbeiter anonym, da weder Namenschilder an den Türen noch in den Räumen oder an den Mitarbeitern befestigt sind. So heißt es in der Studie weiter: (Zitat) „Angesichts dieser Umgangsformen sind die Beschwerdemöglichkeiten für Betroffene gering. Es gibt keine unabhängige Stelle, die Beschwerden entgegen nimmt. Aus Angst, eine Beschwerde könnte negativ in der Akte vermerkt werden, beschweren sich Migrant/innen selten bei dem/der Sachbearbeiter/in. Unkenntnis der Namen der Sachbearbeiter/innen verhindert zielgerichtete Beschwerden an die Leitung der Behörde.“ (Zitat Ende).

Die von mir schon genannte mangelnde Sprachkompetenz der Mitarbeiter wird auch in der Evaluation wie folgt kritisiert: (Zitat) „Im Ergebnis der externen Evaluation entsteht das Bild, dass Mitarbeiter/innen im Kundenbereich der Behörde IV B weder über Sprachkompetenzen verfügen, noch dass es Sprachmittler/innen gibt. Kund/innen, die nicht über die nötigen Deutschkenntnisse für eine Verständigung in Amtsdeutsch verfügen, sind gezwungen, selbst Sprachmittler/innen mitzubringen. […]Keiner der Befragten hat je mehrsprachiges Informationsmaterial über das Aufenthaltsrecht oder anderes zum Thema Migration ausliegen sehen. An den Wänden hängen wenige Poster und einige Informationen von Anwält/innen.“ (Zitat Ende)

Des weiteren beschreibt die Studie die Arbeitsweise der Behörde und kommt so zum Ergebnis: (Zitat) „Eine rigide Entscheidungspraxis, die Ermessenspielräume nicht zugunsten der Migrant/innen nutzt und häufig sogar Rechtsansprüche nicht gewährt, verursacht den Migrant/innen hohe finanzielle, zeitliche und psychische Belastungen. Auffällig ist, dass Entscheidungen über Gewährung von Aufenthalt unverhältnismäßig lange Bearbeitungsprozesse haben, während über Versagen von Aufenthalt und Abschiebung sehr kurzfristig entschieden wird.“

Anhand der genannten Kritik von Vereinen, der Presse und der Politik ist deutlich ersichtlich, dass die Methoden der Mitarbeiter der Ausländerbehörde die Würde des Menschen antasten und missachten. Des weiteren wird ersichtlich, dass diese Praxis kontinuierlich über einen längeren Zeitraum angewandt wurde und nach wie vor angewandt wird.
Daraus ergibt sich, dass die Artikel 1 und 16a des Grundgesetzes in dieser Behörde bewusst missachtet werden, indem ein geradezu menschenverachtendes Klima geschaffen wird, die geltenden gesetzlichen Bestimmungen bewusst untergraben werden und Menschen in Hunger, Folter, Vergewaltigung und Tod abgeschoben werden.
Diese Tatsachen waren für mich ausschlaggebend an diesem Tag gegen die Bedingungen in der Ausländerbehörde zu protestieren! Für mich stellt eine friedliche Protestaktion in einem öffentlichen Gebäude keinen Hausfriedensbruch dar, sondern ist eine legitime Aktion, welche sich im Rahmen der Versammlungsfreiheit hält und noch dazu ausdrücklich im Sinne unseres pluralistischen Demokratiemodells ist.
Die Verleihung des Blutigen Füllfederhalters war ein friedlicher Protest in Form einer politischen Satire und ist nicht nur legitim, weil es bei einer Behörde möglich sein muss sich auch in dieser Form zu beschweren, sondern auch, weil die formulierte Kritik in diesem Akt der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit in einem öffentlichen Gebäude als Teil politischer Partizipation stattfand und es deshalb nicht nur das Recht eines jeden verfassungstreuen Bürgers, sondern auch die Pflicht sein sollte, auf offensichtliche Grundrechtsverletzungen aufmerksam zu machen, da diese den Inhalt unserer Verfassung und damit die gesamte politische und rechtliche Grundlage unserer Demokratie bewusst in Frage stellen.
Anstatt mich noch mal auf die Würde des Menschen und den Artikel 1 des Grundgesetzes zu berufen, möchte ich zum Schluss die innenpolitische Sprecherin für die Linkspartei- Fraktion im Abgeordnetenhaus und direkt in Lichtenberg gewählte Abgeordnete Marion Seelig zitieren und darauf verweisen, dass das Ziel, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit durch diese Aktion zu Erreichen, gelungen ist und sich auch im politisch-öffentlichen Raum in einem richtigen und rechtmäßigen Rahmen befunden hat:

„Der Protest gegen die katastrophalen Zustände in der Behörde ist legitim. […] Das Thema wird in der entsprechenden Koalitions-Verhandlungsgruppe auf der
Tagesordnung stehen, denn so kann es nicht weitergehen.“

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Halte durch!

Peter 01.08.2007 - 04:04
Soldarische Grüsse aus dem Norden! Halte durch und vorallendingen mache weiter so!
Nur so können wir eine veränderung in der Gesellschaft zu stande bringen!

bleib tapfer

tuwasdunichtlassenwillst 01.08.2007 - 08:18
solidarische grüße aus dem osten, halte durch und mach wirklich weiter! Wir brauchen mehr von deinem schlage. Es wäre irgendwie solidarischer wenn mensch direkte unterstützung in form von spenden geben könnte, habt ihr ein spendenkonto oder lieber direkt zur roten hilfe berlin?

grüße

Applaus

heisser Bäcker 01.08.2007 - 10:27
Finde sehr gut das du durchhälst und dich nicht einschüchtern lässt, mach weiter so denn das sollte für viele ein Vorbild sein. In diesem sinne solidarische Grüsse aus dem schönen Lüneburg.

Feuer und Flamme den Abschiebebehörden !!!

Ciao Bella!

BöBu 01.08.2007 - 11:28
Ciao Bella! HLV-A!

Fuck

Mensch 01.08.2007 - 13:50
Tja die "gewaltenteilung" nen schönes Wort.
Ich lass meine Wohnungstür jetzt immer auf und warte auf das was Nachts
so rumschleicht.
Da ich kein Pfefferspray benutzen darf verwende ich eine Wahlter PPK
und mein Jagdmesser.
Im schlimmsten Fall soll mir der zuständige Richter dann den Unterschied zwischen Notwehr-Selbstverteidigung erklären.
Wenn ich meine Person oder mein Leben nicht mehr verteidigen kann,sondern Polizei nach (20 minuten ect.)Kreidestriche um mich zieht denn läuft ihr in dem Land eh nix mehr richtig.

Prozessstrategie???

K.O.B.R.A. 01.08.2007 - 16:01
Leider geht aus dem Text nicht hervor, welche formale und sonstige Prozessstrategie verfolgt wurde. Die politische Erklärung ist offensiv - schon mal gut und selten für "linke Politik" vor Gericht, die oft genug in Anerkennung der Formalien besteht, eingefordert von den AnwältInnen (die mit RichterInnen und StaatsanwältInnen zusammen studiert haben und die gleichen Cafes besuchen). Warum aber konnten alle ZeugInnen wieder abgeladen werden? Was ist mit Beweisanträgen zu Rechts- und Menschenrechtsverletzungen der besuchten Behörde, die als Rechtsgut missachtet wurden und deshalb einen Besuch rechtfertigen könnten? Usw.
Ist es schon die letzte Instanz gewesen? Sonst könnte wenigstens bei einer Folgeverhandlung noch mehr rausgeholt werden. Offensive Rechtstipps unter  http://www.recht-extremismus.de.vu.