Urteil gegen Marcus Winter

Antifaschistische Recherche 16.07.2007 23:06 Themen: Antifa
9 Monate Haft / Urteil im Prozess gegen den Neonazi Marcus Winter wegen Volksverhetzung

Heute wurde der mehrfach vorbestrafte Kopf der "Nationalen Offensive Schaumburg" (NOS) vom Landgericht Bückeburg wegen Volksverhetzung zu einer Gefängnisstrafe von neun Monaten Haft verurteilt.
9 Monate Haft / Urteil im Prozess gegen den Neonazi Marcus Winter wegen Volksverhetzung

Heute wurde der mehrfach vorbestrafte Kopf der "Nationalen Offensive Schaumburg" (NOS) vom Landgericht Bückeburg wegen Volksverhetzung zu einer Gefängnisstrafe von neun Monaten Haft verurteilt. Der zusammenfassende Bericht des ersten Verhandlungstages beziehungsweise des erstinstanzlichen Verfahrens vom 12. Juli 2007;  http://de.indymedia.org/2007/07/187732.shtml



Bückeburg, 16. Juli 2007. Neben dem "Zeugen" Jan Neumann erschien heute Marco Siedbürger als "Zuschauer". Wie schon am ersten Verhandlungstag, war der Gerichtssaal zum größten Teil mit Antifaschistinnen und Antifaschisten besetzt.

ICQ-Auswertung

Zunächst gab es weitere Zitate und Vorhaltungen aus der 181 Seiten umfassenden ICQ-Auswertung von Winters Computer, zu denen zwei Sachbearbeiter des Staatsschutzes Nienburg/Schaumburg befragt wurden. So musste Siedbürger zum Beispiel auf Anforderung von "Oberst" Winter Änderungen an einem Artikel vornehmen.

Winter beteuerte, nur für "die Gestaltung der Seite" verantwortlich gewesen zu sein. Die Veröffentlichung von Artikeln habe in der Verantwortung von Jan Neumann gelegen.

Passwort "antisem"

Die Auswertung des Staatsschutzes ergab hingegen "schlüssig", dass Winter regelmäßig an beiden Internetseiten arbeitete. Das Passwort für die gemeinsame "NO-Datenbank" (Schaumburg und Nienburg) hieß laut Bericht "antisem". Technische Hilfe holte sich Winter dabei gelegentlich von A. S. .

Abgelehnt hatte Winter, dass Rene Bischoff die Nienburg-Seite anmeldet. Den Bericht über das "erste Treffen nationaler Kräfte in Nienburg" am 12.01.2007 (veröffentlicht am 14.01.) musste Siedbürger von Winter genehmigen lassen: "Klingt zwar ein bisschen steif, aber okay."

Übrigens: Einen Tag vor dem "Treffen nationaler Sozialisten in Nienburg" - unterstützt "von Gruppenvertretern aus Schaumburg und Verden", denunzierte Winter Bischoff gegenüber dem Staatsschutz OWL. Er, Winter, traue Bischof nicht und könne nicht ausschließen, dass dieser immer noch "politisch links" sei.

"Mit dicken Titten"

Ansonsten dokumentierte der Bericht seitenlange Dokumentationen über "Geile Weiber!", "dicke Titten" oder Fragen wie "Bist du geil?"

Der Zeuge Jan Neumann

Die Staatsanwaltschaft gab auf Anfrage bekannt, dass sie gegen den Oberkirchener ein Ermittlungsverfahren wegen "Falschaussage" eingeleitet habe. Der Richter ergänzte, dass er in Sachen Neumann und A. S. sowie weiterer "Freunde" inzwischen "terminiert" hätte.

Nach rechtlicher Belehrung erklärte sich Neumann bereit, Aussagen zu machen. Auf die Frage, in welchem Verhältnis er zu Winter stehe, antwortete er, sie seien "befreundet". Er habe fast jedes Wochenende Winter besucht und von dort gearbeitet, weil sein Computer "kaputt" gewesen sei beziehungsweise er zu Hause über keinen Internetzugang verfügt habe. Von dort aus habe er auch "Anfang Januar" den inkriminierten Artikel auf der NOS-Seite veröffentlicht.

Der Artikel sei als "Vorschlag eines Bekannten" an sein E-Mail-Postfach bei sich zu Hause gesendet worden. "Dazu möchte ich nichts sagen", war die Antwort auf die Frage nach dem Namen des "Bekannten". Auf den rechtlichen Hinweis, dass er hier kein Aussageverweigerungsrecht besitze, benannte Neumann nach langem Zögern und mehreren Aufforderungen "Florian aus Bielefeld". Einen Nachnamen kenne er nicht, ebenso wenig "Florian" persönlich. Ohne Rücksprache mit anderen "Mitgliedern" der NOS habe er dann den Link von Altermedia geöffnet und als Dokument "unbearbeitet" auf die Schaumburg-Seite eingefügt. Über einen versteckten Link sei er mit Passwort und Namen zum Server gelangt.

Wie er ohne Internet zu Hause eine E-Mail bekommen haben könne, wollte die Staatsanwaltschaft wissen. Neumann konnte die Frage nicht beantworten beziehungsweise verstand sie schlicht und einfach nicht.

Auf nochmalige Anfrage versicherte Neumann erneut, den Artikel nicht bearbeitet zu haben. Vom Richter auf den Widerspruch hingewiesen, dass der Artikel auf der NOS-Seite sehr wohl "bearbeitet" sei und sich von der Version auf Altermedia unterscheide, antwortete Neumann, er könne sich nicht daran erinnern.

Wie er sich erklären könne, dass der Schmähtext am 30. Januar 2007 und nicht "Anfang Januar" auf der NOS-Seite veröffentlicht wurde?

Neumann konnte sich wiederum nicht erinnern.

Anschließend stellte sich durch intensive Befragung heraus, dass Neumann weder die Struktur, insbesondere die Rubriken, noch Texte der gelöschten Internetseite benennen konnte.

Auch wollte Neumann die Seite von diversen Internet-Cafés in verschiedenen Städten aus bedient haben. Trotz geduldigen Befragens war er nicht in der Lage, sich an nur eines oder an nur eine Weg- oder Ortsbeschreibung zu "erinnern".

"Intellektuell gar nicht in der Lage dazu"

Schließlich sagte Neumann aus, dass Winter und A. S. ihm "empfohlen" hätten, eine eidesstattliche Versicherung zu unterzeichnen, dass er der eigentliche Betreiber der Seite sei. Richter und Staatsanwaltschaft brachen die Befragung schließlich an diesem Punkt ab. In der mündlichen Urteilsbegründung hieß es dann später auch zutreffend, dass Neumann "intellektuell gar nicht in der Lage dazu" sei, eine Internetseite zu verwalten.

Trotz Bauernopfer stirbt der König

Das eingefädelte und abgesprochene Konzept der Verteidigung brach nun vollständig zusammen. Nach erneuter Belehrung musste sich Neumann damit abfinden, Fragen beantworten zu müssen, wenn sicher auch nicht wahrheitsgemäß. So seien er und Winter gleichberechtigte "Mitglieder" der NOS. Auch würde Winter nicht die aktuelle NOS-Seite betreuen: Aber: Winter habe die alte Internetseite erstellt, nach A. S. betreut und gestaltet. Diese eindeutige Aussage konnte Anwalt Böhmer nicht mehr grundlegend korrigieren und sprach später in seinem Plädoyer vom "verunsicherten Zeugen Neumann" (auf das neue Bauernopfer A. S. gehen wir noch ein).

Volksverhetzer Böhmer ...

stellte zum Ende der Beweisaufnahme den Antrag, das Verfahren auszusetzen, bis dass das Bundesverfassungsgericht "ein Stück Rechtsstaatlichkeit" wieder hergestellt habe, in dem es das "Gesinnungsstrafrecht" des § 130 als nicht mit dem Grundgesetz für vereinbar erkläre. Als "Opfer" dieses "Anschlages auf die freie Meinung Andersdenkender" zitierte Böhmer unter anderem David John Cawdell, der den Einsatz von Giftgas beim staatlich organisierten Massenmord an europäischen Jüdinnen und Juden im KZ Auschwitz-Birkenau bestritt.

Der aus einem Holocaustleugner-Prozess kopierte Antrag bezog sich allerdings auf Unterabschnitte des § 130, die im Winter-Prozess gar nicht angeklagt waren, so dass sich das Gericht nicht weiter damit auseinander setzen musste und auch nicht wollte.

"Der böse Neonazi aus Schaumburg"

Im Plädoyer sprach Böhmer von einer "hastig verkürzt dargestellten Indizienkette" des "Gesinnungsstrafrechts", die "schwachsinnig" sei und ein "absurdes Strafmaß" fordere. Diese Indizienkette beruhe auf "öffentlichen Druck" gegen "den bösen Neonazi aus Schaumburg", der "hämische Kommentare im Internet" ertragen müsse. Allein deshalb gäbe es ein Eilverfahren, das auf Zeitungsberichte und nicht auf Nachweisbarkeit beruhe. Die "Verfolgungsstrategie" des Staatsschutzes ziele darauf ab, "Zeichen zu setzen", die "Szene müsse zerschlagen werden".

Und weiter: In diesem Klima des "perversen Verbotsgeschreis" und "linksextremer Gewalt" sei es "leicht nachvollziehbar", dass nur "verbrannte Leute" für die Nennung als administrativer Ansprechpartner in Frage kämen.

Holocaustleugnung als Retourkutsche

Der inkriminierte Artikel sei eine "Retourkutsche mit drastischen Worten, um einen Gegenschlag auf die Verbots-Forderungen zu führen". Diese Kritik beträfe nicht "rechtmäßige Holocaustüberlebende", sondern explizit Holocaustüberlebende, die keine seien, sich aber dafür moralisierend ausgeben würden. Der Begriff "Mischpoke" hieße zum Beispiel nichts anderes als "Familienangehörige".

"Leugnung und Verharmlosung, das mach' mir mal einer vor in einem Satz!", lautete dann auch die Schlussfolgerung des vorbestraften Volksverhetzers. Bei den Vorstrafen seines Mandanten sei das aktuelle Verfahren doch nur eine "Bagatelle".

Böhmer vor dem Plädoyer wörtlich: "Die Putschfähigkeit unserer Armee ist leider auf den Nullpunkt gesunken!"

Neues Bauernopfer

Die NOS sei nicht justiziabel, so Böhmer, hier würden "Rechte" mit einem "Ausnahmerecht" verfolgt, das nur für sie geschaffen worden sei.

Da sich in der Beweisaufnahme die Indizien "gegenseitig neutralisieren" würden, forderte er einen Freispruch für Winter.

Wohl wissend, dass er dies nicht erreichen würde, forderte er hilfsweise, die Beweisaufnahme wieder aufzunehmen, um den 'eigentlichen' Tatverdächtigen, A. S. , vernehmen zu können. Ersatzhilfsweise bat er abschließend um eine "geringere" Freiheitsstrafe, die auf Bewährung ausgesetzt werden müsse.

Winter distanziert sich von Verteidiger

"Im "Großen und Ganzen" schloss sich Winter den Ausführungen seines Verteidigers an. Offenkundig nicht einverstanden, seinen "Kameraden" A. S. zu opfern, forderte er einen bedingungslosen Freispruch für sich. Im Gegensatz zu Neumann, der wegen des moderaten Jugendstrafrechts "im Höchstfall wohl eine Geldstrafe erhalten hätte" ('Prozessbericht von Winter auf der NOS-Seite von heute), hätte A. S. mit einer mittelbar vollstreckbaren Haftstrafe zu rechnen.

Narrenfreiheit für "Verteidiger"?

Das Plädoyer der Staatsanwaltschaft und die mündliche Urteilsbegründung des Gerichts haben deutlich gemacht, wer bei der NOS die Fäden zog und immer noch zieht.

Unverständlich bleibt, warum die Staatsanwaltschaft kein Ermittlungsverfahren gegen den Volksverhetzer Böhmer eingeleitet hat.

Wer in der Öffentlichkeit behauptet, dass Holocaustüberlebende, die keine seien, "Sozialschmarotzer" sind, die den deutschen Staat erpressen, kann nur dem Weg eines Horst Mahlers folgen!

"'Mischpoke' mag 'Familienangehörige' heißen, aber Arschloch ist auch ein Körperteil!"
(Vorsitzender Richter von Oertzen in der mündlichen Urteilsbegründung)

Diesen Worten müssen Taten folgen!
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Ergänzungen

Genauer Tatvorwurf, Exakter Straftatbestand?

stefan 17.07.2007 - 04:53
Ich bin Anwalt und erstatte für Opferverbände und/oder SPD-Politiker häufiger Strafanzeigen. Immer wieder werden aber in CDU-regierten Ländern im Falle des § 140 Abs. 4 StGB Ermittlungen wegen des vermeintlichen Fehlens einer Störung des öffentlichen Friedens abgelehnt. Was war hier der genaue Tatvorwurf ("inkriminierte Äußerung"), nach welchem Absatz ist Winter verurteilt worden?

Presseartikel

Zeitungsleser 17.07.2007 - 12:22
Neonazi-Prozess: Marcus W. muss ins Gefängnis

Berufskammer bestätigt erstinstanzliches Urteil: Neun Monate Haft wegen Volksverhetzung

Landkreis (rd). Es bleibt dabei: Neonazi Marcus W. (27) aus Lindhorst, Kopf und Sprachrohr der "Nationalen Offensive Schaumburg" (NOS), muss wegen Volksverhetzung neun Monate in Haft. Das hat gestern Nachmittag die Berufungskammer des Bückeburger Landgerichts entschieden und damit ein Urteil des Amtsgerichts Stadthagen aus erster Instanz bestätigt. Gegen die Entscheidung ist allerdings Revision möglich.

Nach einer umfangreichen Beweisaufnahme zweifelt die Kammer nicht daran, dass der Lindhorster Ende Januar einenüblen Hetz-Artikel auf die NOS-Homepage im Internet gestellt hat. Überlebende des Holocaust werden darin in Nazi-Terminologie als "Volksschädlinge" verhöhnt, deren Nachkommen als "Mischpoke". Der Verfasser des Textes, bei dem es sich übrigens nicht um den Angeklagten handelt, fordert die Ausweisung der Opfer nach Israel: "Schmeißt die Bande endlich raus."

In seiner Urteilsbegründung empfahl der Vorsitzende Richter Friedrich von Oertzen dem Angeklagten den Besuch einer KZ-Gedenkstätte. In dem Artikel, der auf anderen Seiten noch immer im Internet kursiert, ist vom "so genannten Holocaust" die Rede, als habe es millionenfachen Massenmord nie gegeben. Überlebenden wird unterstellt, eine "nebenberufliche Einnahmequelle" entdeckt zu haben.

"Unglaublich", kommentierte von Oertzen. "Da dreht sich einem der Magen um. Einfach schäbig." Wie bereits in der ersten Verhandlung hatte Marcus W. (Spitzname "Oberst") versucht, einen Gesinnungsgenossen aus Obernkirchen als Täter zu präsentieren. Vor Gericht nahm der 20-Jährige, der nicht zum Führungskreis gerechnet wird und vergleichsweise wenig Vorstrafen hat, tatsächlich die Schuld auf sich.

Hätten die Richter dies geglaubt, wäre der junge Mann das Bauernopfer gewesen und als Heranwachsender wahrscheinlich nach dem moderaten Jugendstrafrecht verurteilt worden. Gegen ihn hat die Staatsanwaltschaft wegen der mutmaßlichen Falschaussage bereits ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Wie schon am ersten Verhandlungstag (wir berichteten) sorgte der Prozess erneut für großes Publikumsinteresse, die Reihen waren voll. Sicherheit und Ruhe im Saal garantierte ein größeres Polizeiaufgebot. Ob Marcus W. länger ins Gefängnis muss als neun Monate, steht noch nicht fest. Zum Zeitpunkt der jüngsten Tat hatte der wiederholt vorbestrafte 27-Jährige, der bereits in Haft gesessen hat, zwei laufende Bewährungen, deren Widerruf nun drohen könnte. Nach eigener Darstellung lebt W. zwischenzeitlich von Hartz IV, will sich aber mit Dienstleistungen selbstständig machen.

Gegen das erstinstanzliche Urteil hatten sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung Berufung eingelegt. Beide Rechtsmittel wurden verworfen.

© Schaumburger Zeitung, 17.07.2007


Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Jaja, die Dorfjugend — Großstadtjunge

Sehr gut — Vaddi

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@grossstadtjunge — egal

@ großstadtjunge — dorfkind