Drei Jahre Knast für eine kaputte Kamera

transgresora 07.07.2007 22:32 Themen: Repression Soziale Kämpfe Weltweit
In Spanien ist es 2004 / 2005 zu heftigen Auseinandersetzungen um die Schließung von Werften gekommen. Zwei Gewerkschafter aus Gijón in Asturien wurden jetzt wegen einer dieser Demonstrationen zu drei Jahren Knast verurteilt. Sie sollen eine Kamera zerstört haben, mit der das Werftgelände überwacht wurde. Für dieses drastische Urteil wurde das Gesetz herangezogen, das in Spanien gegen die "Kale borroka", die Straßenmilitanz im Baskenland erlassen wurde.
Die beiden Gewerkschafter Cándido González Carnero und Juan Manuel Martínez Morala sind am 16. Juni verhaftet und in den Knast Villabona gebracht worden. Nach 19 Tagen wurde ihnen der "dritte Grad" zuerkannt, nach dem Haftstrafen in Spanien in "Halbfreiheit" abgesessen werden können, sodass sie den Knast am 5. Juli erstmal wieder verlassen konnten. Zu dieser Entscheidung haben sicher die vielen Mobilisierungen nach dem Urteil in verschiedenen Städten Spaniens beigetragen, und auch die breite Unterstützung von Prominenten. Einer der Unterstützer ist der Regisseur Fernando León de Aranoa, dessen preisgekrönter Film "Montags in der Sonne" auf den Erfahrungen der Werftarbeiter von Gijón beruht, und der bei den Arbeiten an dem Film die beiden jetzt verurteilten Gewerkschafter kennengelernt hat.

Die Proteste gegen das Urteil werden sicher weitergehen. Hier folgt die Übersetzung eines Artikels aus der Zeitschrift Diagonal.

Originalartikel:  http://www.diagonalperiodico.net/article4278.html



Drei Jahre im Schatten für die Gewerkschafter, auf deren Anregung der Film "Montags in der Sonne" basiert.

von Patricia Simón (Piravan.es), Gijón.

Am Tag, nachdem sich zum 30. mal die ersten Wahlen jährten, wurden die Gewerkschafter Cándido und Morala verhaftet und ins Gefängnis gebracht, unter der Anklage, die Verbindungsleitungen einer Überwachungskamera zerstört zu haben.


Mit abgewirtschafteter Überheblichkeit wachen die Kräne der Werft Astilleros Gijón über die Luxusapartments, die sie umringen, über das Kantabrische Meer, wo so viele neu fabrizierte Schiffe in See gestochen sind, und über die gegenüberliegende moderne Polizeiwache. Dies war der Rahmen einiger der wichtigsten gewerkschaftlichen Mobilisierungen der letzten Jahre.

Deren Anführer, die Generalsekretäre der CSI (Corriente Sindical de Izquierdas – Linksgewerkschaftliche Strömung), sind jetzt im Gefängnis. Sie werden beschuldigt, während einer der Demonstrationen 2005, den Verbindungskasten einer Überwachungskamera gesprengt zu haben, die auf das Werftgelände gerichtet war.

Die Anzeige entstammt einer Schadensmeldung, die ein Angestellter des Stadtrates von Gijón (PSOE-IU) entsprechend den Regeln der Versicherung bei der Polizei machte. Dies war das erste Mal, dass der Stadtrat Schäden anzeigte, die bei Demonstrationen von ArbeiterInnen entstanden waren. Laut Polizei sind Carnero und Morala die Verursacher der Schäden (ein brennendes Auto und die Explosion der Kamera). Von dem ersten Vorwurf wurden sie in einem ersten Prozess freigesprochen. Da die Staatsanwaltschaft beim Verfassungsgericht Berufung eingelegt hat, sehen sie diesem Prozess weiterhin entgegen. Trotzdem hat das Provinzgericht das Urteil des Richters Lino Rubio vom Strafgericht Nr.1 in Gijón bestätigt, der sie zu drei Jahren Haft, Entzug des passiven Wahlrechts, einer Geldstrafe von jeweils 2170 Euro und einer Entschädigungszahlung von 5625 Euro an den Stadtrat von Gijón verurteilt hat.

Die Gewerkschafter haben auf Unregelmäßigkeiten im Vorgehen der Justiz hingewiesen. So wurde ein Polizeivideo nicht als Beweismittel zugelassen, in dem der Moment der Kamerazerstörung festgehalten ist, und in dem man die Verursacher in Arbeitskleidung sieht, während Carnero und Morala nach Aussagen der Polizei Straßenkleidung trugen. Aber am meisten umstritten war beim Vorgehen des Richters, dass er ein Gesetz angewandt hat, das eigens gegen die "kale borroka" erlassen wurde, wobei er "keinen Unterschied zu den Mobilisierungen zur Verteidigung von Arbeitsplätzen macht", so der Justizminister von Asturien, Francisco Javier García Valledor (IU), und er fügt hinzu: "Was da passiert, ist verlogen, denn unter dem aktuellen Strafgesetzbuch wäre nach den Mobilisierungen um die Werft in den 80er und 90er Jahren halb Asturien im Gefängnis."

Regelmäßige Kundgebungen

Seit das Gericht sein Knasturteil gesprochen hat, haben regelmäßig Protestkundgebungen stattgefunden, bis zum 16. Juni. An diesem Nachmittag, an dem sich gleichzeitig der neue Stadtrat konstituierte, riefen 500 Leute auf dem Rathausplatz "Wir sind alle Cándido und Morala". Zur Unterstützung der Gewerkschafter gab es Umarmungen und aufmunternde Worte. Die Demonstration wurde durch ein zahlreiches Polizeiaufgebot von Spezialeinheiten und Nationalpolizei überwacht.

Knapp eine Stunde später wurde Cándido verhaftet, als er zusammen mit seiner Frau und einem Gewerkschaftskollegen nachhause ging. Die gleiche Szene wiederholte sich wenige Kilometer entfernt, wo das Auto angehalten wurde, in dem Morala und seine Familie unterwegs waren. Während sich auf der Straße bereits um die fünfzig Angehörige und Freunde versammelt hatten, wurden die beiden nach etwas mehr als einer halben Stunde auf der Wache in den Knast Villabona gebracht. Die UnterstützerInnen verabschiedeten sie mit dem Ruf "Freiheit, Freiheit". Die Stimmung war angespannt. Als einige versuchten, an die Autos heranzukommen, in denen die Gewerkschafter weggebracht wurden, gingen die Spezialeinheiten gegen sie vor.

Die politischen Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Wie damals bei den Arbeitern der Werft Naval Gijón, bekundeten sämtliche Kreise ihre Unterstützung. Der Justizminister Asturiens, García Valledor, besuchte Carnero und Morala einige Tage später im Gefängnis und unterzeichnete als erster eine Unterschriftenliste von asturischen Prominenten für Straferlass. Dieses Gnadengesuch liegt beim Justizministerium vor, zusammen mit vielen anderen, die von zahlreichen öffentlichen Institutionen wie dem Stadtrat von Gijón, von den größten politischen Parteien (PP, PSOE und IU), von sämtlichen Gewerkschaften (CSI, CCOO, UGT, CGT, SUATEA und STE) und von dutzenden sozialer Organisationen vorgeschlagen oder unterstützt werden. Selbst die Staatsanwaltschaft des Obersten Gerichtshofes von Asturien prüft eine mögliche Unterstützung.

Kriminalisierung des Protests

Die Gewerkschafter Carnero und Morala immer wieder erklärt, dass sie für die Verteidigung der Arbeitsplätze auch in den Knast gehen würden. Es handele sich dabei nur um "ein weiteres Glied in der Kette des politischen und polizeilichen Komplotts, mit dem die Arbeiterproteste kriminalisiert werden, um die werft zu schließen und Luxusapartments zu bauen". Die Bürgermeisterin von Gijón, Paz Fernández Felgueroso (PSOE) hat ihrerseits bei zahlreichen Anlässen betont, dass "der Stadtrat niemand konkret angezeigt hätte", und dass "die Polizei beim Stadtrat angefragt hat, ob die Kamera städtisches Eigentum wäre und wie viel sie kosten würde".

Währenddessen organisieren die Kollegen der Gewerkschafter weiterhin jeden Mittwoch Protestkundgebungen auf dem Rathausplatz, Demonstrationen zum Knast Villabona (Asturien) und Unterschriftensammlungen. Sie tragen T-Shirts mit der Forderung nach ihrer Freilassung und unternehmen andere Aktivitäten mit dem Ziel, dass ihre Situation nicht in Vergessenheit gerät. Cándido und Morala haben im Knast Schweißerkurse organisiert, während gleichzeitig die Arbeiter der Werft Naval Gijón weiterhin mit der Arbeit an den zwei bestellten Schiffen beschäftigt sind, die voraussichtlich im März 2008 beendet sein wird.
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Die Inspiration von Fernando León

Die kämpferische Verteidigung der Arbeitsplätze der Zeitarbeiter war für Fernando León de Aranoa der Auslöser, sich für seinen Film "Montags in der Sonne" in Gijón umzuschauen. "Ich habe in den Nachrichten Bilder von den Demonstrationen gesehen und gedacht: In welchem Beruf verteidigen diejenigen, die feste Arbeitsplätze haben, die der anderen Kollegen mit einer solchen Hartnäckigkeit? In meinem nicht." Vor Ort hat der Regisseur den Kampfgeist vorgefunden und Cándido und Morala kennengelernt. "Sie haben einen Begriff von Arbeit, der weit über den Arbeitsplatz hinausgeht. Es geht ihnen um den Reichtum der Region, um das Gemeinwohl, das für die zukünftigen Generationen bewahrt werden muss. In den Versammlungen habe ich unglaubliche Dinge gehört. Einige sind fast wörtlich in die Dialoge des Films eingeflossen. Da war eine Art von Moral, die mich überrascht hat." Auf die Frage nach der Haftstrafe von drei Jahren für die Gewerkschafter sagt er: "Wenn du in der ersten Reihe stehst, wenn du zu den Mutigsten gehörst, dann zahlst du irgendwann dafür".
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Ergänzungen

Gefangene frei gelassen worden (engl.)

Oswald Spark 08.07.2007 - 13:41
Spain: Morala and Carnero released from prison Print E-mail
By Mónica Iglesias (Asturias)
Friday, 06 July 2007

After being granted a conditional release (a provisional release on the open regime while their application for a pardon is being heard) by the Penitentiaries authorities, Morala and Carnero have been released from prison.

From 3:30 in the afternoon, dozens of people came to the prison to await their release. Faced with the number of people who turned up, the prison authorities issued an order banning the presence of comrades and sympathizers of the two trade-unionists, preventing further people from arriving and demanding that those already there leave.

Before this happened, we had gathered at the main gate of the prison, carrying placards that read "Freedom for Candido and Morala". At 5:30, comrades Candido Gonzalez Carnero and Juan Manuel Martinez Morala exited the Villabona prison.

Visibly moved, and amongst applause and embraces, they headed to those present to thank them for their support while they were in prison and to show that they were well and in high spirits and that they would not stop the struggle. Afterwards they made their way to the offices of the Corriente Sindical de Izquierdas (Left Trade Union Current), where many more comrades were waiting for them.

We are very pleased that the two comrades have been released from prison, however, we know that they are not free. Although they are no longer in prison, they must report to the authorities every week, and their release from prison is the result of jail regulations and not their acquittal. We reaffirm our solidarity with the comrades, and commit to continue struggling until this attack on the rights of all workers has been withdrawn.
Letter from Cándido and Morala to El Militante

We received the following letter from Cándido and Morala written before their release in response to a letter from the El Militante editorial board on June 27.

Villabona,

July 3, 2007

Dear comrades of El Militante,

We received your letter here at the residence the plural left insisted on putting us in for our vacation. We thank you for your support and solidarity and the enormous efforts you put into the struggle here as well as internationally. It was great to know that beyond the walls there were thousands of people such as yourselves who went to a lot of effort to mobilize the working class, in whom we trust and are sure one day will react against the injustice and corruption of the bosses' unions.

What can we say from here? You are acting well and thoughtfully, because the most important thing at difficult times is to remain calm and achieve your goals step by step.

We are well, despite being deprived of our liberty. Our morale is high and we want to continue along the path with everyone such as yourselves who want to see a better world. All of your initiatives seem excellent, including any that include the question of the repression against Morala and Cándido, as we are but a link in the chains of repression.

Regarding the calling of a general strike, it seems to us that the UGT and CCOO will not want to call for it, but we agree that we should continue to publicly appeal to them to do so. The longer we stay in, the more pressure will be on them. We hope that our imprisonment will at least serve to open the door for the unity of action of all the forces of the left and that the developing struggle will also mean that no other worker will be imprisoned for defending their legitimate rights. That all of this is happening now, when we are celebrating 30 years of democracy, is sufficient reason to assess the present situation we find ourselves in, as well as the social model they want to impose on us.

We don't think that we can make any proposals from here as to what can be done for us.

We thank you for your efforts and hope that when we get our freedom back we can continue down the path towards the world that we all demand.

Greetings to all the comrades of El Militante,

Morala, Cándido

 http://www.marxist.com/spain-morala-carnero-released-prison060707.htm

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