Terrorprozessende in Madrid ohne Überraschung

Ralf Streck 04.07.2007 07:46 Themen: Repression Weltweit
Nach einem 12stündigen Prozesstag wurde am Montag der Prozess um die Anschläge auf die Pendlerzüge am 11. März 2004 in Madrid nach gut vier Monaten abgeschlossen ( http://de.indymedia.org/2007/02/168515.shtml). Den Anschlägen in der spanischen Hauptstadt fielen 191 Menschen zum Opfer. "Ich danke ihnen für ihr Verständnis und ihre Unterstützung, nun steht das Urteil aus", sagte der Gerichtspräsident Javier Gómez Bermúdez zum Abschluss. Das Urteil zu den schwersten Anschlägen in Spanien wird im Oktober erwartet. Damit ist das Ziel erreicht, den Prozess zu beenden, bevor die Angeklagten nächstes Frühjahr nach Verbüßung von vier Jahren in Untersuchungshaft freigelassen werden müssen. Die Ermittlungen hatten sich zuvor zäh in die Länge gezogen
Es ist Bermúdez gelungen, das Verfahren vor dem Nationalen Gerichtshof nicht in einem Chaos versinken zu lassen, das sonst oft Massenprozesse vor dem Sondergericht, vor allem gegen die linke baskische Unabhängigkeitsbewegung, beherrscht. Die ziehen sich oft lange hin ( http://de.indymedia.org//2006/02/139637.shtml), Akten sind nicht zu finden oder es tauchen geheime Akten auf ( http://de.indymedia.org/2006/03/140329.shtml). Doch auch nun konnte der Zeitplan nur gehalten werden, weil nur die Hälfte der 600 Zeugen und statt 100 Gutachter nur 70 gehört wurden.

Ob das der Wahrheitsfindung diente, sei dahingestellt. Nach einer gescheiterten parlamentarischen Untersuchung ( http://de.indymedia.org/2005/06/121581.shtml), bizarren Ermittlungen ( http://de.indymedia.org/2005/08/126427.shtml) und politischen Interessen der großen Parteien war aber kaum damit zu rechnen, dass hier die gesamte Wahrheit ans Licht kommt. Die Anschläge sorgten für einen plötzlichen Wahlsieg der Sozialisten (PSOE) vier Tage später, weil die ultrarechte Volkspartei (PP) versuchte, sie der baskischen ETA in die Schuhe zu schieben, um von einem Zusammenhang ihrer Irak-Kriegsbeteiligung abzulenken. Dass es nach der Propaganda auch Tote im Baskenland gab, durch spanische Sicherheitskräfte, wird ohnehin ausgeklammert ( http://de.indymedia.org/2005/07/123360.shtml).

Egal wie die Urteile gegen die 28 Angeklagten ausfallen, dunkle Punkte bleiben offen, die von einer unabhängigen Kommission geklärt werden müssten. Das fordert auch die große Opferorganisation weiter ( http://de.indymedia.org/2006/03/141100.shtml). Schließlich waren die Sicherheitskräfte über Spitzel und infiltrierte Agenten in die Anschläge direkt beteiligt.

Doch die saßen zum Teil nicht einmal auf der Anklagebank ( http://de.indymedia.org/2007/02/167717.shtml), auch wenn sie sogar am Bau der Bomben beteiligt waren. Erstaunlich ist auch, dass die Staatsanwaltschaft auch den Spitzel der Guardia Civil, Rafa Zouhier zum Hauptangeklagten stempelte. Statt 20 Jahre als Unterstützer fordert sie nun fast 40.000 Jahre Haft ( http://de.indymedia.org/2006/04/144005.shtml). Dabei hatte dessen Kontaktbeamter im Prozess bestätigt, dass er die Guardia Civil von den Sprengstoffdeals der spanischen Polizeispitzel unterrichtete, in die er verwickelt war. Zwar wird für den spanischen Spitzel José Emilio Suárez Trashorras die Höchststrafe gefordert, doch die Forderung gegen seinen Schwager bleibt mit 23 Jahren gering. Ohne deren Sprengstofflieferungen, wären die Anschläge unmöglich gewesen.

Auffällig waren auch, das Gutachter erklärten, dass Übersetzungen von Telefonaten aus Italien falsch sind, mit denen sich einer der Hauptangeklagten Rabei Osman El Sayed als Drahtzieher der Anschläge selbst bezichtigt haben soll. Beim Hauptangeklagten Marokkaner Youssef Belhadj brach die Anklage praktisch zusammen, als ein Gutachter die Stimme auf einem Bekennervideo einer anderen Person zuordnete. Trotz allem wurde der Strafantrag bei ihm noch erhöht.

Peinlich war der Prozess für die PP, die weiter an einer Verbindung zur ETA fabuliert, wofür es keine Hinweise gibt. Die mussten herbeigelogen werden, was Konsequenzen für den PP-Europaparlamentarier und Ex-Polizeichef Agustín Díaz de Mera hat. Er behauptete, es gäbe ein geheimes Gutachten darüber, brachte aber keinen Nachweis. Seine Quelle wollte er nicht nennen, doch der Kollege trat schließlich als Zeuge auf und demontierte Mena.

© Ralf Streck, Donostia den 03.07.2007
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Ergänzungen

Hintergrund ....

Ralf 05.07.2007 - 09:04
Das schwächste Glied aus der Kette brechen

Erneut waren spanische Staatsangehörige Ziel einer Attacke, der Druck, die Truppen auch aus Afghanistan oder dem Libanon abzuziehen, wächst
Zunächst sorgte letzte Woche ein schwerer Anschlag auf spanische Soldaten im Libanon für Aufruhr. Ihm fielen sechs Personen zum Opfer. Nun wurden sieben Touristen mit spanischem Pass an dem Tag Opfer eines Selbstmordanschlags im Jemen, als der Prozess zu den Anschlägen vor drei Jahren in Madrid beendet wurde. Islamistische Gruppen drohten Spanien zu Beginn des Prozesses und forderten stets den Abzug der Truppen aus Afghanistan, wo Angriffe auf Spanier ebenfalls zunehmen. Sie setzen nach dem spanischen Abzug aus dem Irak offenbar erneut am schwächsten Glied der Kette an. Die spanische Regierung leugnet die Zusammenhänge, dabei rechnet sie selbst vor den Wahlen im nächsten Frühjahr mit neuen Anschlägen.

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