Ehrung für NS-Physiker an der Uni Greifswald

Zeitgenosse 20.06.2007 19:02 Themen: Antifa Bildung
Morgen jährt sich zum 50. Mal der Todestag des Physikers und Nobelpreisträgers Johannes Stark, der einer der prominentesten Vertreter des Nationalsozialismus im Bereich der Wissenschaft war. Der Antisemit Stark, der schon seit 1923 aktiver Nationalsozialist war und zweifellos einer der geistigen Wegbereiter des Holocaust ist, wird an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald auch 50 Jahre nach seinem Tod mit einer Gedenktafel geehrt.
Eine Vielzahl von Gedenktafeln erinnert in Greifswald an verdienstvolle Wissenschaftler der dortigen Universität, die seit 1933 den Namen von Ernst Moritz Arndt trägt. An herausgehobener Stelle, am Turm des alten Physikalischen Instituts gleich neben dem Hauptgebäude, ehrt seit dem Jahre 1974 eine Gedenktafel den Physiker Johannes Stark. 1919 war der damalige Direktor des Greifswalder Physikalischen Instituts für seine Bahn brechenden Entdeckungen im Bereich der Gasentladungsphysik mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden. Starks leidenschaftliches Engagement für die Wissenschaft verband sich dabei stets mit politischen Zielen, die ihn bereits zu Beginn der Weimarer Republik zum aktiven Vorkämpfer des Nationalsozialismus werden ließen. In Adolf Hitler fand Stark ein bewundertes Vorbild, hatte der Physiker doch schon 1912 von einem Ausgreifen Deutschlands nach Osten geträumt, in dessen Folge die „eingeborene kulturell niedrig stehende Bevölkerung“ unterworfen werde oder untergehen müsse - ein Ziel, das 30 Jahre später im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion seine blutige Umsetzung finden sollte.

Mit dem plumpen Versuch, einen Unterschied zu konstruieren zwischen der als „jüdisch“ diffamierten theoretischen Physik Einsteins und der wahren „Deutschen Physik“, geriet Stark bald in die wissenschaftliche Isolation. Nachdem er 1920 von Greifswald aus nach Würzburg gewechselt war, musste er auf äußeren Druck hin bereits 1922 von seinem Lehrstuhl zurücktreten. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten erfolgte 1933 ein steiler Aufstieg. Stark verwies darauf, sich als „Nobelpreisgekrönter deutscher Wissenschaftler und zugleich kämpferischer Nationalsozialist“ bereits 1923 Adolf Hitler persönlich zur Verfügung gestellt zu haben. Dafür wurde er mit einflussreichen Ämtern belohnt: seit 1933 Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt, wurde er 1934 zudem Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Ausgerechnet sein kompromisslos Beharren auf seinen antisemitischen Positionen, durch die er als einer der geistigen Wegbereiter des Holocaust zu gelten hat, brachte Stark jedoch schließlich in Widerspruch zu einflussreichen NS-Politikern, die die Bedeutung der von Stark bekämpften theoretischen Physik für militärische Zwecke erkannt hatten. Stark ging 1939 in den Ruhestand, setzte aber auch Privatmann seinen Kampf für die „Deutsche“ bzw. „Arische Physik“ fort. Nach Kriegsende wurde er als „Hauptschuldiger“ zu vier Jahren Zwangsarbeit verurteilt, jedoch bald wieder entlassen und die Strafe zu einer Geldstrafe reduziert. Am 21. Juni 1957 starb Johannes Stark in Traunstein.

1974 wurde zu Starks 100. Geburtstag eine Gedenktafel an der Universität Greifswald angebracht, die bis heute an prominenter Stelle den aktiven Nationalsozialisten Stark als vorbildhaften Wissenschaftler ehrt. Während sich die Universität auch weiterhin öffentlich mit dem Nobelpreisträger schmückt, hat eine kritische Auseinandersetzung mit Johannes Strak bislang an seiner ehemaligen Wirkungsstätte nicht stattgefunden. Zeit, dies anlässlich seines 50. Todestages nachzuholen!
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Ergänzungen

keine Überraschung

f#ck uni 20.06.2007 - 20:26
Bei einer Uni, die seit 1933 nach Ernst-Moritz-Arndt benannt ist, wundert mich nichts mehr.
Nur zwei Sätze von  http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Moritz_Arndt über den Namenspatron, den Rest kann mensch ja selbst nachlesen:
"Lange nach seinem Tod inspirierten seine antifranzösische Propaganda, sein Nationalismus und seine scharf antisemitischen Stellungnahmen reaktionäre Strömungen in Deutschland und Österreich. Die Nationalsozialisten betrachteten Arndt als einen ihrer Vorkämpfer."

DDR ehrt Nazis?

007 20.06.2007 - 20:33
1974 war Greifswald noch DDR. Er wurde für Dinge wie den Stark-Effekt (Aufspaltung der Spektrallinien in elektrischen Feldern) geehrt und es ging natürlich nicht darum, einen Nazi zu ehren. Es scheint so, daß sich die Leute an der Uni zu wenig informiert haben oder zu sorglos mit dem Thema umgehen. Passiert übrigens auch in jedem Schulphysik-Buch - egal ob aus Ost oder West. Daher ist es absolut wichtig, auf den Nazi Stark hinzuweisen. Vielleicht sollten auch mal diverse Fachbuchverlage angeschrieben werden.

Re: DDR ehrt Nazis?

ein Floh 21.06.2007 - 16:49
Es ist doch eine schöne (wenn auch wohl nicht einfache) padagogische Aufgabe, den SchülerInnen nebenbei zu vermitteln, dass große Leistungen keinen guten Menschen ausmachen.
An der TU Bln klebt irgendwo n Aufkleber mit ner Molekülstruktur und nem Atompilz: "Theorie - Praxis. Wissenschaft ist nicht wertfrei!" oder so ähnlich.
Im Falle Stark muss ja nicht ins (Physik-)Buch gedruckt werden "AUSSERDEM WAR ER EIN BÖSER, BÖSER NAZI UND WIR WÜRDEN IHN AM LIEBSTEN GAR NICHT ERWÄHNEN, WEIL ER SO SCHRECKLICH WAR!!" (one one eleven..).
Es gibt ja meist eine Version der Bücher für die Lehrenden, da könnte man einen Kasten einfügen "Wenn Ihre SchülerInnen an der Person Johannes Stark interessiert sind, können Sie die Gelegenheit Nutzen, um auf den subtilen Unterschied von 'im Dienste der Wissenschaft' und 'im Dienste des Krieges' einzugehen oder betonen, dass ein großer Physiker kein großer Mensch sein muss. Wenn Sie im Unterricht nicht die Zeit finden, regen sie die Diskussion an und nehmen sich dafür ein paar Minuten nach der Stunde" und so weiter.
Der 'Lehrkörper' ist viel zu oft mehr DienstleisterIn als LehrerIn und Mensch als Vorbild.

Gruß, ein Floh

PS: So schrecklich! Wir werden alle sterben!

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Bewältigungs-Nazis — G. Sindel

ohoh :/ — student