Auch 2. Feld kaputt: Gießen als Kampfplatz

feldbefreierIn 14.06.2007 16:05 Themen: Biopolitik Ökologie
„Das Feld mit gentechnisch veränderter Gerste ... ist in der vergangenen Nacht von unbekannten Tätern zum Teil zerstört worden.“ So begann die Universität Gießen ihre Presseinformation am 13.6.2007. Zuvor war gestern das einem Hochsicherheitsbereich ähnelnde Feld von Unbekannten attackiert und offenbar erheblich beschädigt worden. Kein Täter wurde gefasst – trotz Security, Wachhund, Flutlicht, Kameraüberwachung und ständigen Polizeistreifen am Feld entlang. Mit der erneuten Attacke wurde zum dritten Mal seit 2006 ein Feld zerstört. Quote damit: 100%. Mittelhessen wäre, sollte der Versuch erledigt sein und die Felder nicht illegal weiterwuchern, wieder gengerstefrei!
Mit der Attacke wird Gießen eindeutig zum umkämpftesten Gentechnikstandort in Deutschland. Seit die Universität 2006 wieder mit Freilandversuchen begann und dreimal auf dem Stadtgebiet Versuchsflächen einsäte, kam es zu ständigen Auseinandersetzungen. Während sich der Protest von klassischen Umweltverbänden und Parteien zunächst gar nicht und im zweiten Jahr eher sanft bis harmlos artikulierte, griffen mehrere GentechnikgegnerInnen unter dem Namen „FeldbefreierInnen“ Pfingsten 2006 in einer offen angekündigten Aktion trotz massiver Polizeibewachung das Feld an. Aktion und die chaotische Abwehrreaktion der Polizei beschädigten das Feld erheblich.
Seitdem herrscht Ausnahmezustand am ersten Versuchsfeld mit transgener Gerste in Deutschland. Drei Flutlichter bestrahlten Standort und Umgebung bei Dunkelheit. Ein Wachdienst beobachtete die Flächen und war ständig mit Hund auf dem Grundstück. Die Parzelle in der Mitte der ohnehin eingezäunten Fläche wurde mit Metallzaunelementen und einem Dach abgeriegelt. Eine Videoüberwachung beobachtete Tag und Nacht das Feld. Sie wird jetzt möglicherweise aufklären können, wie es den (nach Polizeiangaben) drei Tätern gelangt, all diese Sicherheitsvorkehrungen zu umgehen.
Die Sicherheitsbehörden hatten schon 2006 nach der „Feldbefreiung“ hart durchgegriffen. Sechs Personen wurden in Gewahrsam genommen, zwei einen Tag und zwei weitere vier Tage festgehalten. Gegen alle sechs sowie einen unabhängigen Journalisten laufen nun Gerichtsprozesse. Unabhängige Medienberichterstattung gehört offenbar ohnehin zu den unerwünschten Begleiterscheinungen der hochriskanten Gießener Genforschung. Schon das Filmteam des Hessischen Rundfunks, dass von der Feldbefreiung 2006 berichtete, bekam öffentlich Druck selbst aus Oppositionsparteien, den Gentechnikkritikern keinen Raum in der Berichterstattung einzuräumen. Die Sendeleitung verfügt daraufhin ein totales Sendeverbot für alle Aktivitäten und Erklärungen aus dem Umfeld der Projektwerkstatt in Saasen (nahe Gießen), in der die GentechnikkritikerInnen vermutet werden. Im regionalen Studio in Gießen waren schon seit Jahren AktivistInnen aus der Projektwerkstatt unerwünscht. Kritik am HR wurde mit Beleidigungsanzeigen quittiert.
Nach der Feldbefreiung wurde auch eine davon unabhängige Demonstration gegen das Gengerstefeld verboten und von der Polizei geräumt. Das Verwaltungsgericht Gießen wies eine Klage gegen das Verbot mit Hinweis auf die Bekanntschaft der Anmelderin mit militanten GentechnikgegnerInnen hin. Wörtlich sagt er: „Wer sich mit den falschen Leuten einlässt, muss sich nicht wundern.“
Am 1. April verhaftete die Polizei einen Journalisten, der Fotos vom Gengerstefeld machte. Er befand sich bei seiner Festnahme auf der öffentlichen Straße nahe des Feldes und hatte auch vorher keinerlei Privatflächen betreten. Ein umfangreiches Polizeiaufgebot war zum Standort geeilt, weil der Journalist in Begleitung von GentechnikkritikerInnen unterwegs war. Um den Angriff gegen die Pressefreiheit zu vertuschen, erfand die Polizei inzwischen die Verweigerung der Kennzeichnung als Pressevertreter und Tätlichkeiten des Journalisten, der zusammen mit den beiden AktivistInnen festgenommen wurde, die beim Fototermin nur anwesend waren – also ebenfalls keinen Grund für die Polizeiaktion darstellten.
„Der umfangreiche Schutz von hochriskanten und profitorientierten Genversuchen durch Polizei und Justiz zeigt, dass hier geballte Staatsmacht die Interessen der Herrschenden schützt. Die Menschen zählen nichts“, wirft einer der Feldbefreier den offiziellen Stellen vor. Auch die Stadt Gießen war und ist untätig, obwohl es einen einstimmigen Beschluss der Stadtverordnetensitzung gibt, dass zumindest kommerzielle Versuche in Gießen unerwünscht sind. „Kommerziellen Interessen dienen am Ende alle Genversuche. Prüfungen von noch nicht zugelassenen Sorten sind sogar gefährlicher, denn sie dienen der Markteinführung“, kritisieren FeldbefreierInnen die laufenden Versuche.
Bislang können die offiziellen Stellen in Gießen davon zehren, dass die Universität als Durchführende der Versuche in Gießen und in Groß Gerau (Südhessen) von den regionalen Medien bevorzugt behandelt wird. Regionale und auch fast alle überregionalen Medien verzichten bislang zudem auf jegliche Berichterstattung über die „FeldbefreierInnen“. Da es in Gießen aber sonst kaum einen organisierten Widerstand gibt, gehörte Gießen bislang nicht zu den in den Medien erwähnten wichtigen Gentechnikstandorten in Deutschland. Würde sich das ändern, käme eine Stadt in den Blickpunkt der Gentechnikdebatte, in der eine auf groß-agrotechnische Landbewirtschaftung spezialisierte Universität auf einen Widerstand trifft, der nicht nur Appelle schreibt, sondern offen (2006) und von unbekannter Seite, möglicherweise aber motiviert durch die harte Repression in Gießen, in nächtlichen Aktionen (zweimal 2007) immer wieder für ein gentechnikfreies Mittelhessen sorgt.
Die Staatsanwaltschaft Gießen hat wegen der Feldbefreiung 2006 Anklage erhoben. Der bevorstehende Prozess wird die bisher wichtigste öffentliche Auseinandersetzung um die Rechtmäßigkeit von Genversuchsfeldern, die Tricks, Täuschungen und Risiken bei den konkreten Versuchen in Gießen und um die einseitige Orientierung institutioneller Macht auf der Seite der Gentechniklobby – „obwohl einiges dafür spricht, dass diese täglich das Recht brechen“, wie es ein Feldbefreier ausdrückt. Auf der Internetseite zu den Genfeldern in Gießen ( http://www.gendreck-giessen.de.vu) sind die Versuche, Argumente gegen Mon810 und die transgene Gerste sowie Berichte aller Aktionen zusammengestellt.


Pressemitteilung Polizei Mittelhessen am 13.06.2007 um 15:33 Uhr:
Gießen (ots) - Gerstenfeld beschädigt
Gießen: In der Nacht zum Mittwoch, dem 13.06.07, gg. 02:50 Uhr, wurde das für die Biosicherheitsforschung angelegte Feld mit gentechnisch veränderter Gerste der UNI Gießen im Alten Steinbacher Weg von unbekannten Tätern beschädigt. Sie überstiegen die äußere Umzäunung, durchschnitten den inneren Zaun und zogen Pflanzen heraus. Bei den Tätern soll es sich um drei unbekannte männliche Personen gehandelt haben, die von einem Zeugen gesehen wurden. Der Umfang des Sachschadens steht noch nicht fest. Die Ermittlungen dauern an. Hinweise erbittet die Kriminalpolizei in Gießen unter der Tel.-Nr. ...

Die Seite zum Prozess gegen die FeldbefreierInnen ist über  http://www.gendreck-giessen.de.vu zu finden. Wer im Gießener Raum noch Energie hat: In Hessen gibt es mit Niedermöllrich dem auch von der Uni Gießen betriebenen Standort in Groß Gerau noch mehr zu tun. Und andersorts (vor allem im Nordosten) ohnehin ... eine größere gemeinsame Feldbefreiung soll es am 20. bis 22. Juli im Oderbruch geben ( http://www.gendreck-weg.de).
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Pressetext mit Foto in Gießener Allgemeine

feldbefreierIn 14.06.2007 - 21:54
Endlich das erste Foto von der Zerstörung. Danach lässt sich nun auch der Grad der Zerstörung ausmachen ... das sieht nicht gut aus für die Versuchsleitung. Auf dem Foto sind einige komplett zerstörte Reihen zu sehen. Innerhalb des Käfigs stehen nur rechts noch 2-3 Reihen. Da diese Seite zu den Kameras und zum Flutlicht zeigt, könnte es sein, dass die als Sichtschutz stehengelassen wurden. Aber das ist Spekulation - wie die Täter (sollen ja 3 Typen gewesen sein laut Polizei) das geschafft haben, ist weiter unklar. Die in der Zeitung gemachten Angaben zu Zielen des Versuchs sind weitgehend gelogen. Es geht um eine Markteinführung bei besseren Brau- und Tierverfütterungseigenschaften - also klassische Profitforschung, getarnt als Biosicherheit.

Verfassungsschutzbericht: Feldbefreiungen GI

Volker Bouffier 14.06.2007 - 22:16
Im hessischen VS-Bericht 2006 sind die Gießener Auseinandersetzungen breit thematisiert. Hier der Auszug dazu:

Ein Hauptaugenmerk der dieser Bewegung zuzurechnenden Anarchisten der Projektwerkstatt Reiskirchen-Saasen (Landkreis Gießen) richtete sich gegen die Anwendung der Gentechnologie. So wurden am 10. Mai anlässlich einer Demonstration von Studenten der Universität Gießen Flugblätter verteilt, in denen für Pfingsten Aktionstage rund um ein Genversuchsfeld und eine „Feldbefreiung“ in Gießen angekündigt wurden. Als Kontakt für Rückfragen wurde u.a. die Projektwerkstatt Reiskirchen-Saasen aufgeführt. Der Genversuch wurde insbesondere im Internet durch Gegner der Gentechnologie, unter ihnen auch der Anarchist und Leiter der Projektwerkstatt, thematisiert. Durch die Projektwerkstatt wurde zu unterschiedlichen Aktionsformen, insbesondere den so genannten „Feldbefreiungen“, die eindeutig auf eine Zerstörung des Versuchsfeldes abzielen, aufgerufen. Als weitere Aktionsform wurden Dauer-Mahnwachen angekündigt. Am 22. Mai wurde dann von einer Aktivistin der Projektwerkstatt Reiskirchen-Saasen für die Zeit vom 2. bis 5. Juni eine Mahnwache gegen gentechnisch veränderte Lebensmittel in unmittelbarer Nähe des Versuchsfeldes angezeigt. Am 2. Juni kam es zu der zu diesem Zeitpunkt überraschenden „Feldbefreiung“ indem Personen die Absperrungen überwanden und einen Teil der Pflanzen herausrissen. Die Polizei nahm insgesamt sechs Personen fest.

Presseinfo der FeldbefreierInnen dazu auf der Seite der Humanstischen Union Marburg:  http://www.hu-marburg.de/homepage/justiz/info.php?id=300

@zweifler

jb 15.06.2007 - 10:59
Schönen guten Tag, Herr Kogel (oder wer auch immer dessen Denken hier kopiert),
diese Simulation des guten Gentechnikforschers ist bei der Gengerstegeschichte in Gießen schon Standard. Hat ja auch geklappt ... bis zu SPD, Grünen und Linkspartei kommen alle mit dem "guten" Gerstenversuch klar und schimpfen über Monsanto. Bei genauerer Betrachtung sieht es aber wohl eher umgekehrt aus: Der Gersteversuch ist viel riskanter. Dass heute vor allem Sicherheitsforschung betrieben wird, hat vor allem Geldgründe. Rotgrün hat dafür halt viele Forschungsmittel bereitgestellt. Also muss mensch es als solches bezeichnen. Allerdings sind zwei Dinge wichtig: Erstens laufen mit der Gerste mehrere Versuche, erwähnt wird allerdings immer nur die Untersuchung der Auswirkungen auf die Bodenpilze. Der Rest wird verschiegen. Schon das ist unverschämt. Aber selbst die Bodenpilz-Geschichte ist bei näherer Betrachtung nichts als Markteinführungsforschung. Natürlich muss das Risiko einer Pflanze vor dem kommerziellen Einsatz geprüft werden. Und dass macht jetzt halt der Kogel. Dass der genau weiß, was er tut, ist immer dann zu hören, wenn er als Referent auf der anderen Seite auftritt. Dann redet er auch Klartext und labert unglaublichen Scheiß, z.B. dass seine Gentechnik gegen den Hunger auf der Welt hilft usw.
Kogel ist halt PR-Experte. Das schlimme: Sehr viele sind auf ihn hereingefallen. Zum Glück nicht alle und so ist das Gerstefeld wieder weg!
Die Kritik an der Gengerste ist übrigens auf  http://www.gendreck-giessen.de.vu auch umfangreich dokumentiert. Lesen hilft.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 5 Kommentare an

Macht Kaputt — ton

@ Zweifler — jetzt erst recht

In Zukunft — ich