100 Großpuppen beim G8-Protest

Marc Amann 13.06.2007 13:50 Themen: G8 Heiligendamm Kultur
Noch nie waren auf einer Demonstration in Deutschland so viele Großpuppen dabei wie am Samstag 2. Juni in Rostock – und auch bei den weiteren Aktionstagen tanzten viele Großpuppen mit.
Da sowohl in den bürgerlichen Medien, als auch den unabhängigen Medien wie indymedia, die gewaltförmigen Auseinandersetzungen im Vordergrund der Berichterstattung standen, wird hier mal ein Blick auf die Großpuppen geworfen.
Nicht vergessen werden sollen dabei die vielen Clowns, Samba- und Trommelgruppen, Theatergruppen und anderen, die auf ihre Weise ebenfalls für einen bunten, kreativen, fröhlichen, bissigen, Inhalte-vermittelnden, unübersehbaren, anfeuernden, mutmachenden, inspirierenden,... Protest gesorgt haben.
Spätestens seit den Protesten gegen die Welthandelsorganisation WTO in Seattle 1999 sind Großpuppen unübersehbarer Teil der Proteste für eine andere Globalisierung – wobei die Ursprünge des politischen Puppentheaters Jahrhunderte zurückgehen, und in verschiedenen Ländern und Regionen das politische Puppentheater sehr unterschiedliche Traditionen hat. In Deutschland hat es immer wieder sowohl einzelne Großpuppen bei Aktionen gegeben, als auch kleinere Inszenierungen mit Großpuppen im Rahmen von politischem Protest, aber so richtig verbreitet hat sich die Aktionsform Großpuppen erst im Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm.

Inspiriert v.a. von us-amerikanischen Protesten mit Großpuppen wählte das Aktionsbündnis Gerechtigkeit Jetzt! ( http://www.weltweit-taube-ohren.de/) Großpuppen als eine seiner zentralen Aktionsformen. In unzähligen Workshops in verschiedensten Städten sind seit Frühjahr 2006 über Hundert Großpuppen u.a. zum Thema gerechter Welthandel gebaut worden und viele kleinere Umzüge und Aktionen mit den Großpuppen wurden durchgeführt. Der Höhepunkt war schließlich das Zusammenkommen (fast) aller Großpuppen und ihrer ErbauerInnen und SpielerInnen bei der internationalen Großdemo gegen die G8 am Samstag 2. Juni in Rostock. Der erste Block des Demozuges vom Hauptbahnhof bestand aus über 80 Großpuppen, die begleitet von einer Samba-Band durch Rostock tanzten!!!

Neben Gerechtigkeit Jetzt! hatten sich aber auch andere Gruppen mit Figuren und Puppen auf den Weg nach Rostock gemacht, u.a. bespielte eine größere Gruppe mit Theater, Großpuppen, Trommeln und einem Zaun die ganze Demo ( http://de.indymedia.org/2007/06/183551.shtml), ein trojanisches Pferd wurde in die Demo getragen, KönigInnen mit Gerippen waren unterwegs, mehrere Wurm-Drachen bahnten sich ihren Weg durch die Demo,...

Außer auf der Großdemo waren viele Puppen beim Aktionstag zum Thema Globale Landwirtschaft dabei, und auch beim Gegengipfel und in spontanen Umzügen durch die Stadt waren immer wieder Großpuppen unterwegs.

Weitere Links:
Mehr Fotos von den Großpuppen auf der Großdemo gegen G8, 2. Juni in Rostock bei Gerechtigkeit Jetzt!:
 http://wto.gerechtigkeit-jetzt.de/index.php?option=com_ponygallery&Itemid=126&func=viewcategory&catid=23

Interview mit Nina Sachau von Gerechtigkeit Jetzt!: Große Puppen gegen G 8:
 http://de.indymedia.org/2007/06/182265.shtml

Sammlung zu politischen Großpuppen-Aktionen:
 http://kreativerstrassenprotest.twoday.net/topics/Figurentheater/

Ein politisches (Groß-)Puppen-Projekt:
 http://www.trojaspuppenkiste.de
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Ergänzungen

keine Bilder von der Finanzkapital-Puppe?

egal 14.06.2007 - 11:19
Erstmal: Ich finde die Puppen im Prinzip sehr witzig. Schön, dass so viele am Start waren, die meisten waren echt toll. Respekt auch vor den Leuten, die die schweren Teile in der Hitze so lange rumgeschleppt haben.

Manche der Puppen sind aber in ihren Aussagen nur als unmöglich zu bezeichnen.

Leider fehlt z.B. ein Bild von einer Puppe, die ich mir bei der Landwirtschaftsdemo anschauen konnte. Schwarz gekleidet, bemalt mit Dollar- und Eurozeichen. Das Gesicht erinnerte an eine standardmäßige Karikatur eines Juden im Stürmer. Inklusive Hakennase. Ein 3 Meter hohes Abbild klassischen antisemitischen Ressentiments. Aufgefallen ist das auf der Landwirtschaftsdemo niemandem. Das muss aber nicht verwundern.

Stolz präsentiert wurde gleich am Anfang der Landwirtschaftsdemo bei einer Zwischenkundgebung vor dem Lidl eine Lidlpuppe. Zweigeteilt. Die eine Hälfte, helle Gesichtshälfte, sollte die deutsche (bzw. europäische) Lidlverkäuferin darstellen, die andere die Lidlproduzentin im Drittweltland. Es steht außer Frage, dass Lidl sowohl seine Produzenten im Trikont als auch seine Angestellten in den Filialen bei uns ausbeutet. Ein kapitalistischer Betrieb eben. Warum man diese qualitativ und quantitativ so verschiedenen Level der individuellen Unterdrückung aber so plakativ gleichsetzten muss, was man damit aussagen will, warum man so verkürzt und vereinfacht, bleibt mir ein Rätsel.

Karneval, verkürzte Kapitalismus-Kritik

Marc Amann 14.06.2007 - 12:48
Bezüglich der vorherigen drei Kommentare:

Großpuppen sind tatsächlich eine Kunst- und Protestform, die ihre Ursprünge unter anderem in den frühen Formen des Karnevals haben (damals, als Karneval/Fasnacht noch Äußerung sozialen Unmuts war und nicht historisiert, auf traditionell gemachte „Brauchtumspflege“). Über Karneval und das Spiel mit Verkleidungen und Identitäten könnte viel gesagt werden, waren doch viele der Proteste der globalisierungskritischen Bewegung/Bewegung der Bewegungen sehr „karnevalesque“ (Reclaim The Streets, Pink-Silver, Clowns,...). Wer sich dafür mehr interessiert, dem seien die Bücher „go.stop.act! Die Kunst des kreativen Straßenprotests“ und das „Handbuch der Kommunikationsguerilla“ empfohlen.

Wenn hier Großpuppen und damit alle anderen Formen von Theater, etc. als „besser als gar kein Protest“ abgetan werden, dann kann ich am politischen Horizont solcher Kommentarschreiber nur zweifeln: Verschiedene Formen haben ihren Nutzen und ihre Berechtigung. Und was bitte ist „Hardline-Protest“??? Hört doch endlich auf, Eure Macker-Militanz als einzig richtigen Ausdruck abzufeiern und fangt mal an, selbstkritisch zu reflektieren.
Aber da Ihr solch ein Verständnis von einzig richtigem „Hardline-Protest“ habt, wundert es nicht, dass Euch die Potentiale des politischen Karneval bzw. der karnevalesquen Politik verborgen bleiben... Pink-Silver war ja auch nur Kinderkram, oder? (Falls das nicht sowieso vor eurer Zeit lag...)

Die Revolution wird alles auf den Kopf stellen - was sonst ist sie also, als ein großer nicht mehr endender Karneval.

Zustimmung hingegen an die Kritik der verkürzten/falschen Kapitalismus-Kritik:
Großpuppen sind als Form leider tatsächlich anfällig dafür, dass sich bei Stereotypen und Ressentiments bedient wird. Insofern finden sich in den Darstellungen leicht die typischen Bilder (z.B. an Juden erinnernde Finanzkapital-Manager mit Zigarre, Zylinder, Frack, Hakennase). Ebenso wie sich solche Darstellungen auch auf Transparenten, in Karikaturen und theoretischen Analysen zeigen. Dies gilt es tatsächlich zu kritisieren.
Gemessen an der großen Anzahl von Großpuppen in Rostock waren solche Darstellungen meines Erachtens aber selten, was auch damit zu tun hat, dass in den Großpuppen-Workshops auch genau über solche Darstellungen diskutiert wurde.
Ein Text der DGB-Jugend („"Warum wir keine Darstellungen von Zigarre rauchenden Kapitalisten mögen"), der sich damit beschäftigt und der bei Workshops verteilt wurde findet sich hier:  http://trojaspuppenkiste.de/Texte.htm
Da aber tatsächlich viele, viele Menschen Großpuppen gebaut und mitgebracht haben, war es auch nicht verwunderlich, dass es auch solche Darstellungen und Bilder gegeben hat
Hier ist auch weiterhin viel an Kritik und vermittelnder Diskussion notwendig (Großpuppen sind da, wie gesagt, nur Ausdruck dessen, was sowieso in einem Teil der Köpfe vorhanden ist).

Insgesamt bleibt also die Feststellung, dass die Suche nach neuen Bildern, Verständnissen und Identitäten weitergeht... und uns allen gut tun wird.

 http://kreativerstrassenprotest.twoday.net
 http://www.trojaspuppenkiste.de
htt://www.go-stop-act.de
 http://kommunikationsguerilla.twoday.net/


Karneval, verkürzte Kapitalismus-Kritik?

dennis 14.06.2007 - 16:02
Es müssen wohl ein paar Missverständnisse zurechtgerückt werden:

Ich gebe zu "besser als gar kein Protest" war eine schlecht gewählte Formulierung. Ich muss sagen, dass ich weder zur militanten Bewegung gehöre noch Mackergehabe und Gewalt auf Demos befürworte. Großpuppen, Verkleidungen, Pink-Silver Aktionen und RTSs sind gut und haben selbstverständlicherweise ihre Berechtiung in der Bewegung. Auch die Clowns-Army Bewegung aus England ist super. Je vielfältiger die Bewegung, desto besser.

Aber wenn das ganze in den Medien und von Außenstehenden nur noch als fröhlicher Karnevalsumzug gesehen und dann leider auch belächelt wird, dann erfüllt der "Karneval" nicht mehr seinen ursprünglichen Zweck. Nämlich eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen und ernsthafte Kritik an Strukturen und Herrschenden zu äußern.

Das Wort "Hardliner-Protest" ist aus Sicht des gutgesitteten Bürgers zu betrachten. Gemeint war: Wer ein wenig links aussieht und Parolen skandierend durch die Straßen zieht oder dieselbigen sogar unverschämterweise blockiert. Derartiges empfinden viele Bürger schon als Hardliner, Chaoten und unnützen Mob. Und dagegen hilft natürlich bunter Protest.

Nur sollte eben dieser Protest sich nicht selbst zu sehr ins Spaßhaftige ziehen (mit Ausnahme des überzogen Spaßhaften wie bei Clowns). Dafür sind die Themen leider alle zu ernst. Die Kritik richtet sich nicht gegen Puppen an sich, sondern gegen Puppen, die scheinbar bei Großdemos keinen wirklichen Bezug zum Thema haben, sondern einfach Großpuppen sind. (Bei RTSs ist das natürlich was anderes, weil es um die bunte Zurückeroberung des öffentlichen Raumes geht).

Wenn eine Großdemo zu sehr in der Ecke "Spaß" landet, kann es der Botschaft genauso schaden, wie wenn es zu ernst bzw. gewalttätig wird. Bunter Protest ist gut. Aber vor lauter Buntheit sollte man immer noch die Botschaft sehen.

Deshalb stimme ich voll und ganz zu: Die Suche nach neuen Bildern und Protestideen ist absolut wichtig! Es ist in der Tat Reaktionär, nur an einer Protestform festzuhalten.

Man stelle sich vor, die 80.000 Menschen wären gar nicht bis zum Hafen gelaufen, sondern hätten einfach mitten in der Stadt haltgemacht, um sie für 3 Tage auf bunte Weise zu blockieren.

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helau — alaaf

Einsatz — dennis