Nazis in Halberstadt

Jack Sparrow 12.06.2007 22:51 Themen: Antifa
Nazis greifen Künstlergruppe an.
Sorry für das heiße Thema, aber mir brennt's auf der Seele, und ich sehe keine Grund, das Thema totzuschweigen.

Anlass ist mal wieder mein Heimatkaff Halberstadt, das es mit den jüngsten Eskapaden sogar bis in die Tagesschau geschafft hat:

Zitat:
Staatsschutz ermittelt

Brutaler Überfall nach Premierenfeier in Halberstadt

Nach dem brutalen Überfall auf Mitglieder des Nordharzer Theaterensembles am Samstagmorgen im sachsen-anhaltischen Halberstadt ermittelt jetzt auch der Staatschutz. Die Täter stammen vermutlich aus der rechtsextremen Szene. Bei der Schlägerei wurden fünf Darsteller so schwer verletzt, dass sie im Krankenhaus behandelt werden mussten; eines der Opfer wurde stationär aufgenommen. Bei den Verletzungen handelt es sich nach Angaben der Polizei um Hautabschürfungen, Augen-, Kiefer- und andere Gesichtsverletzungen.

Wie ein Polizeisprecher mitteilte, befanden sich die 14 Künstler auf dem Heimweg von der Premiere der "Rocky Horror Show" im Bergtheater Thale außerhalb von Halberstadt. Sie wollten Samstag früh gegen 3.00 Uhr nach der offiziellen Premierenfeier noch in einem Lokal einkehren, wurden dort aber abgewiesen. Wenige Meter entfernt seien sie dann von acht Männern angegriffen und zusammengeschlagen worden, die nach den Beschreibungen der Küstler dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen seien.

Suche nach dem MotivDer Polizei ist nach eigenen Angaben ein Täter namentlich bekannt, nach den anderen läuft die Fahndung. Über das mögliche Motiv rätseln die Beamten noch. Ein Künstler habe im Zusammenhang mit der Aufführung eine Punkfrisur gehabt, sagte der Polizeisprecher. Ein ausländerfeindlicher Hintergrund scheint abwegig, da sich in der Gruppe lediglich ein Franzose befand, der nach Angaben des Ensembles nicht als Ausländer auffiel.

Ensemble unter Schock"Das ganze Ensemble steht unter Schock", sagte die Chefdramaturgin des Theaters, Aud Merkel, nach den Ereignissen. Die für Samstag geplante Aufführung der "Rocky Horror Show" wurde abgesagt. Erst am 15. Juni wird sich der Vorhang wieder für eine Vorstellung heben.


Quelle: tagesschau

Zitat:
Polizei räumt "Fehler und Pannen" ein

Nach dem Überfall rechtsextremistischer Schläger auf eine Theatergruppe in Halberstadt hat die Polizei "Fehler und Pannen" eingeräumt. "Der Einsatz war geprägt von einer Mehrzahl von Fehlleistungen", sagte Halberstadts Polizeipräsidentin Christiane Marschalk am Montag. Der zuständige Dienstgruppenleiter sei von seiner Position entbunden worden.

Im Deutschlandfunk sagte die Polizeichefin, es seien interne Ermittlungen eingeleitet, die auch zu disziplinarrechtlichen Schritten führen könnten. Marschalk sagte, es gebe für sie bisher keine schlüssige Begründung, warum der Hauptverdächtige nicht schon am Tatabend festgenommen wurde. Der 22 Jahre alte Neonazi ist wegen Körperverletzung und der Verwendung von Symbolen verfassungsfeindlicher Organisationen vorbestraft.

Der mutmaßliche Haupttäter soll in der Nacht zum Sonnabend mit sieben weiteren Schlägern einige der 14 Mitglieder des Nordharzer Städtebundtheaters angegriffen haben, die nach einer Premiere in Thale in einer Halberstädter Gaststätte gefeiert hatten.

Der Mann wurde schließlich am Sonntagabend festgenommen, Haftbefehl erging am Montag. Nach dem Überfall jedoch hatte die Polizei seine Personalien überprüft, ihn zunächst aber wieder laufen lassen. Die 19 bis 32 Jahre alten Opfer mussten mit Prellungen, Blutergüssen, Schürfwunden und einer Nasenbeinfraktur ins Krankenhaus. Drei von ihnen konnten die Klinik inzwischen wieder verlassen. Nach den sieben mutmaßlichen Mittätern wird gefahndet. Der Staatsschutz ermittelt.

Die Opfer werfen der Polizei vor, zu lange die Personalien der Schauspieler aufgenommen zu haben, während die Täter unbehelligt hätten fliehen können. Sie wollen eine Dienstaufsichtsbeschwerde einreichen. Innenminister Holger Hövelmann (SPD) erklärte, der Vorfall werde nicht nur in der Polizeidirektion Halberstadt, sondern in der gesamten Polizei Sachsen-Anhalts ausgewertet: "Wir brauchen ein Klima des Vertrauens zu unserer Polizei."



Quelle: mdr

Die aktuelle Medienaufarbeitung lässt es erscheinen, als handele es sich hier um einen bedauerlichen Ausnahmefall, für den eine fehlgeleitete Minderheit verantwortlich ist. Aber als gebürtiger Halberstädter kann ich euch versichern: Das ist totaler Mist und bei weitem nicht mal die Spitze des Eisberges!

Viele Punkte hier charakteristisch für die gegenwärtige Situation dort:
- Eine größere Gruppe Neo-Nazis prügelt wahllos auf alles ein, was ihnen gerade nicht passt.
- Die Polizei steht tatenlos daneben und nimmt lieber die Personalien der Opfer auf, als sich an die Verfolgung der Täter zu machen, obwohl sie noch in Sichtweite sind - das muss man sich mal vorstellen! Das unsere Provinzbullen offensichtlich Angst haben, sich mit Nazis anzulegen, ist längst kein Geheimnis mehr. Sowas kam schon öfter vor.
- Einer der Täter wird nach Aufnahme der Personalien gleich wieder freigelassen, und erst nach öffentlichem Protest festgenommen. Um die anderen hat man sich gar nicht erst gekümmert. Rechte Gewalttaten werden ja sowieso kaum geahndet.
- Die lokale Politik stell sich sofort hinter die offensichtlich fehlhandelnde Polizei (siehe hier).

Daraus lässt sich folgern, was sich schon des öfteren angedeutet hat: Lokalpolitik und Polizei haben sich mit den Nazis auf ein stilles Leben-und-leben-lassen vereinbart, anstatt hart gegen die stetig wachsende rechte Szene vorzugehen.

Das zeigte sich bereits letztes Jahr in der ebenfalls nationalweit diskutierten Konstantin-Wecker-Affäre: Ein von Wecker geplantes Konzert gegen Rechtsextremismus, das in einer Schulaula stattfinden sollte, wurde von der Stadtführung untersagt, und zwar auf Grund eines Protestschreibens der NPD! Man scheute da offensichtlich eine politische Auseinandersetzung mit der rechten Szene. Unnötig zu erwähnen, dass die ganze Geschichte trotz starkem Protests, der bis in den Bundestag getragen wurde, letztendlich ohne jegliche Folgewirkungen blieb, auch wenn das Konzert später nachgeholt wurde.
Siehe hier, hier, hier (wobei zu Bedenken ist, dass Versuche der Veranstalter, dea Konzert kurzfristig in eine außerschulische Lokalität zu verlegen, ebenfalls abgewiesen wurden), hier.

Der Kommentar unseres Landtages damals war übrigens, in erschreckender Parallele zum Wecker-Interview: "Wir haben hier kein Problem mit Nazis." Man wollte die negativen Schlagzeilen von Halberstadt fernhalten, aber diese Aussage ist eine unverhohlene Verkennung der Lage, eigentlich eine glatte Lüge. Man will in erster Linie Ärger mit den Rechten von sich fernhalten.

Wie gesagt, das sind hier nur die populären Beispiele. Wie der hässliche Alltag aussieht, kann man nur als "Einheimischer" beurteilen. Hier mal ein paar vereinzelte Beispiele aus meinem Erfahrungsschatz:

- Die Mitschüler (am Gymnasium!) hören während der Klassenfahrt die Zillertaler Türkenjäger in Endlosschleife.
- Ein Jugendlicher Neo-Nazi erzählt seiner begeisterten kleinen Schwester, wie cool es doch ist, mal so richtig Türken aufzuklatschen. Die Mutter ist genauso kahl wie er.
- Zwei Dreikäsehochs kommen mit Hitlergruß an mir vorbeigeradelt. Ich zeig ihnen den Finger, sie kommen zurück und versuchen - sehr alberner Anblick - einen auf Dicken zu machen. Ich lass sie einfach stehen, während sie mir noch Parolen nachrufen. Sicherheitshalber nehme ich doch lieber einen Umweg über die Hinterhöfe, falls die Kleinen noch ein paar ihrer großen Freunde treffen, die in dieser Gegend leider sehr zahlreich sind.
- Beim Heimspiel vom Vfb Germania Halberstadt (Vereinsfarben: Schwarz-Rot-Weiß) wird der Schiri von ein paar Nazis lauttsark als "Drecksjude" beschimpft. Die Hausfrauen und Hartz-IV-Empfänger im Publikum amüsiert es bloß. Polizisten stehen tatenlos daneben, während die "ganz normalen" Menschen im Publikum über die "olle Kaffeebohne" in der Gegnermannschaft ablästern. Die "Eine U-Bahn..."-Gesänge sind ja eh längst Alltag. Von der Tribüne wehen Harzfront-Fahnen.
- Das linke Jugendzentrum Zora wird regelmäßig Opfer brutaler rechter Überfälle. Die Polizei stört's nicht weiter. Auch die Punkszene wird zusehends gewaltbereiter, ist aber in der Unterzahl.
- Ein asiatischer Imbissbesitzer wird schwerverletzt ins Krankenhaus eingeliefert. Ein anderer hatte Glück: Sein Imbisswagen wurde lediglich mit Hakenkreuzen beschmiert.
- Vorletztes Wochenende: Schienenersatzverkehr von Magdeburg nach Halberstadt. Der Bus ist prallgefüllt mit angetrunkenen Fussballfans. Die Stimmung ist gespannt, denn der FCM hat den Aufstieg in die 2. Liga verpasst. Draußen steht ein Afrodeutscher, der wohl eigentlich auch mitwollte. Neben ihm ein ratloser Bahnangestellter, während die Fussballfans ihn aufs Übelste verhöhnen.
- Wenn ich durch die Stadt gehe, sehe ich eigentlich immer irgendwelche Nazis. Und das sind nur die, die man auf den ersten Blick erkennt.
- Das erste Mal, dass ich den Namen Hitler hörte, war in einer Hofpause während der dritten Klasse, kurz nach der Wende, durch einen älteren Schüler, der über irgendwas Witze machte, was ich nicht verstand.
- Manchmal ertappe ich meine Eltern dabei, wie sie rassistisch gefärbte Kommentare fallen lassen, woraufhin ich sie dann gleich zur Rede stelle. Sie tun dann so, als hätten sie es nicht ernst gemeint, aber ich kann in ihren Augen sehen, dass es ihnen peinlich ist.

Halberstadt ist ein kleines, 40.000-Seelen-Kaff im östlichen Vorharz, Sachsen-Anhalt. Nicht mal die Spitze eines Eisbergs...
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Ergänzungen

Sachsen Anhalt / Halberstadt : Nazis, Polizei

Initative Recherche 13.06.2007 - 02:50

SZ | Macht | 24.10.2006 19:00 (25 Kommentare)
Der langsame Arm des Gesetzes. Jagdszenen aus Sachsen-Anhalt
 http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/343689

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 http://www.mobile-opferberatung.de/

16.10.2006
Mobile Opferberatung vor dem Aus
Opferhilfe beklagt Anstieg rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt
Moderation: Doris Simon
Angesichts von 1.100 rechtsextremistischen Straftaten in Sachsen-Anhalt hat die Projektleiterin der mobilen Opferberatung des Landes, Heike Kleffner, Mittelkürzungen des Familienministeriums beanstandet. Die mobilen Beratungsteams für Opfer rechtsextremer Gewalttaten würden nur noch bis zum 30. Juni 2007 arbeiten können.
 http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/553535/

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Warum starb Oury Jalloh - Der Prozess
 http://www.prozessouryjalloh.de

Initiative in Gedenken an Oury Jalloh
 http://oury-jalloh.so36.net

Initiative Oury Jalloh Halle
 http://www.oury-jalloh.tk

 http://de.wikipedia.org/wiki/Oury_Jalloh

 http://www.thevoiceforum.org/dessau

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Sachsen-Anhalt
GlobeHort für rechte Schläger
Klubhaus in Halberstadt: Hier wurden vier Theaterleute brutal zusammengeschlagen. Foto: ddp
12.06.2007 16:36 Uhr
 http://www.tagesspiegel.de/politik/rechtsextremismus/Rechtsextremismus-Sachsen-Anhalt-Rechtsextremismus-Halberstadt;art2647,2319088

Keine weitere heiße Spur nach Neonazi-Überfall
Halberstadt (dpa) - Nach dem brutalen Überfall auf eine Theatergruppe in Halberstadt und der Verhaftung des Hauptverdächtigen sucht die Polizei nach sieben weiteren Verdächtigen. 12.06.2007
 http://magazine.web.de/de/themen/nachrichten/panorama/gewalt/4148158-Polizei-raeumt-nach-Neonazi-Ueberfall-Fehler-ein,articleset=4147602.html

Keine weitere heiße Spur nach Neonazi-Überfall in Halberstadt
Halberstadt (dpa) - Nach dem brutalen Überfall auf eine Theatergruppe in Halberstadt und der Verhaftung des Hauptverdächtigen sucht die Polizei nach sieben weiteren Verdächtigen.
Der gestern verhaftete 22-jährige habe zwar seine Tatbeteiligung eingeräumt, verweigere aber Aussagen zu den Mittätern, sagte ein Polizeisprecher.
Bei dem Angriff waren 5 von 14 Ensemblemitgliedern nach einer Premierenfeier verprügelt worden.
Unterdessen wird der von Pannen begleitete Polizeieinsatz intern untersucht.
erschienen am 12.06.2007 um 11:50 Uhr
© Berliner Morgenpost
 http://www.morgenpost.de/appl/newsticker2/index.php?channel=new&module=dpa&id=14838602

Überfall Darsteller verletzt
Polizei ließ rechte Schläger wieder laufen
In Halberstadt überfielen Neonazis die Schauspieler eines Musicals.
Die Täter wurden nicht verhaftet.
Erst Stunden später griff die Polizei dann durch.
 http://www.abendblatt.de/daten/2007/06/12/754094.html

Überfall in Halberstadt: doch eine Festnahme
Neonazi, den Beamte erst laufen ließen, nun festgenommen. Dienstgruppenleiter der Polizei wurde suspendiert
 http://www.taz.de/dx/2007/06/12/a0088.1/text.ges,1

Neonazi-Überfall in Halberstadt: Polizei gesteht 'Fehler und Pannen' ein
veröffentlicht am: 12.06.2007
 http://www.europolitan.de/cms/?s=ep_tagesmeldungen&mtid=7029&tid=2

ZEIT online, Tagesspiegel | 11.06.2007 23:50
Polizei räumt "Fehler und Pannen" ein
Nach dem Überfall von Neonazis auf eine Theatergruppe in Halberstadt hat
die Polizei zahlreiche "Fehler und Pannen" eingestanden.
Der Dienstgruppenleiter wurde inzwischen von seinem Posten entbunden.
 http://www.zeit.de/news/artikel/2007/06/11/2318906.xml

Nach Neonazi-Überfall
Polizei in Erklärungsnot
Große Versäumnisse festgestellt - Werbung für «Thor-Steinar»-Shop im Revier
von Katrin Löwe und Stefan Kruse, 11.06.07, 22:20h
 http://www.mz-web.de/servlet/ContentServer?pagename=ksta/page&atype=ksArtikel&aid=1181464930822

ZEIT online, dpa 11.6.2007 - 17:12 Uhr
Auf dem rechten Auge blind
Nach dem Neonazi-Überfall auf eine Theatergruppe in Halberstadt räumt die Polizei Fehler und Pannen ein und suspendiert den Dienstgruppenleiter . Es ist nicht das erste Mal, dass sie versagt hat
 http://www.zeit.de/online/2007/24/rechte-halberstadt

Die Bürger mal wieder und die üblich dämliche Metapher:
"Auf dem rechten Auge blind"
Blind, also ein körperliches Handikap und keine bewußte, interessensgeleitete Unterlassung...

MIT KLISCHEEGLATZEN FOTO
zuletzt aktualisiert: 11.06.2007 17:01
Halberstadt
Nach Nazi-Angriff: Polizei räumt Fehler ein
Rechtsradikale haben in Halberstadt eine Theatergruppe angegriffen.
Foto: ddp
Halberstadt (RPO). Die Polizei hat in Zusammenhang mit dem brutalen Überfall auf eine Theatergruppe in Halberstadt Ermittlungspannen eingeräumt.
Polizeipräsidentin Christiane Marschalk erklärte, der zuständige Dienstgruppenleiter sei von seiner Funktion entbunden worden. Sie räumte zahlreiche "Fehler und Pannen" ein.
 http://www.bbv-net.de/public/article/aktuelles/panorama/deutschland/447372

Nazischläger konnte einfach gehen
Von Frank Jansen, Berlin und Mathias Kasuptke, Halberstadt
11.06.2007 16:28 Uhr
 http://www.tagesspiegel.de/politik/;art771,2318848

15:55
Polizei räumt nach Neonazi-Überfall Fehler und Pannen ein
 http://www.focus.de/politik/schlagzeilen?day=20070611&did=400428

Politik
Polizei räumt nach Neonazi-Überfall „Fehler“ ein
Nach dem Neonazi-Überfall auf eine Theatergruppe in Halberstadt mit fünf Verletzten hat die Polizei zahlreiche „Fehler und Pannen“ bei der Fahndung nach den Tätern eingeräumt.
Von Stefan Kruse
Veröffentlicht 11.06.2007 16:22 Uhr
Zuletzt aktualisiert 11.06.2007 20:22 Uhr
 http://www.haz.de/politik/298301.html

Neonazi-Überfall
Polizei ließ Täter stehen
11.06.2007 11:36 Uhr
 http://www.tagesspiegel.de/politik/Deutschland-Rechtsextremismus-Halberstadt;art122,2318551

Halberstadt
Polizei räumt nach Neonazi-Überfall «Fehler und Pannen» ein
Interne Ermittlungen - Einschlägig vorbestrafter Rechtsextremer verhaftet
erstellt 11.06.07, 10:57h, aktualisiert 12.06.07, 10:51h
 http://www.mz-web.de/servlet/ContentServer?pagename=ksta/page&atype=ksArtikel&aid=1181464930358

11. Juni 2007 HALBERSTADT
Polizei räumt Fehler nach Neonazi-Überfall ein
Nach dem brutalen Neonazi-Überfall auf eine Theatergruppe in Halberstadt mit fünf Verletzten hat die Polizei zahlreiche "Fehler und Pannen" bei der Verfolgung der Täter zugegeben - der zuständige Dienstgruppenleiter wurde suspendiert. Heftige Kritik kommt vom Zentralrat der Juden.
 http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,487966,00.html

11. Juni 2007
Erste Konsequenzen nach Überfall in Halberstadt
 http://www.net-tribune.de/article/110607-309.php

11. Juni 2007
Überfall in Halberstadt: Polizei räumt Fehler ein
 http://www.net-tribune.de/article/110607-337.php

Polizei räumt nach Überfall in Halberstadt Fehler ein
Haftbefehl gegen Tatverdächtigen erlassen AFP
 http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/print/politik/661313.html

Rechtsextreme überfallen Theaterensemble in Halberstadt
10.06.2007 17:46
 http://www.adf-berlin.de/wbb2/thread.php?postid=22417

Halberstadt
GlobeOpfer von Rechtsextremen: Vorwürfe gegen Polizei
10.06.2007 15:36 Uhr
 http://www.tagesspiegel.de/politik/rechtsextremismus/Rechtsextremismus-Rechtsextremismus-Halberstadt;art2647,2318221

Sachsen-Anhalt
GlobeNeonazi-Überfall auf Schauspiele
09.06.2007 17:41 Uhr
 http://www.tagesspiegel.de/politik/rechtsextremismus/Rechtsextremismus-Rechtsextremismus;art2647,2317924

Sachsen-Anhalt Polizeichef als Nazi Schützer

Initative Recherche 13.06.2007 - 02:56
12.05.2007 "Das ist doch nur für die Galerie"
Ein Polizeichef in Sachsen-Anhalt soll versucht haben, die Bekämpfung rechter
Kriminalität zu bremsen Von Frank Jansen
 http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/12.05.2007/3259746.asp

ZEIT online, Tagesspiegel | 11.05.2007 15:13
Rechtsextremismus: "Das ist doch nur für die Galerie"
In Sachsen-Anhalt ist die Zahl rechter Delikte im Jahr 2006 um fast zehn Prozent
getiegen. Nun droht noch ein Polizei-Skandal: Ein Polizeichef soll versucht
haben, die Bekämpfung rechter Kriminalität zu bremsen.
Von Frank Jansen
 http://www.zeit.de/news/artikel/2007/05/11/102441.xml

Rechtsextremismus
Bremste Polizeichef Ermittlungen gegen Rechte?
In Sachsen-Anhalt ist die Zahl rechter Delikte im Jahr 2006 um fast zehn Prozent
gestiegen. Nun droht noch ein Polizei-Skandal: Ein Polizeichef soll versucht
haben, die Bekämpfung rechter Kriminalität zu bremsen. Von Frank Jansen
(11.05.2007, 15:13 Uhr)
 http://www.tagesspiegel.de/politik/nachrichten/rechtsextremismus-dessau-polizei/\
102441.asp

Sachsen-Anhalt
Hemmt Polizeichef Kampf gegen Rechts?
Ministerium prüft Vorwürfe aus Dessau - Staatsschützer gehen
von Katrin Löwe, 11.05.07, 19:13h, aktualisiert 11.05.07, 20:13h
 http://www.naumburger-tageblatt.de/ntb/ContentServer?pagename=ntb/page&atype=ksA\
rtikel&aid=1174661674123&openMenu=1013016724285&calledPageId=1013016724285&listi\
d=1018881578312

Titel 12.05.2007 Wollte Polizeichef Verfahren gegen Nazis bremsen?
 http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/12.05.2007/3260058.asp
 http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/12.05.2007/3260381.pnn

 http://wortschatz.uni-leipzig.de/wort-des-tages/2007/05/12/Dessau.html

@ Al Capone

rutger als roy 13.06.2007 - 11:31
In der Tat gibt es die Möglichkeit, über Jugendamt, Konfliktberatungsstelle, usw. eine "Herausnahme" aus der Familie zu erwirken. Gründe können vielfältig sein, Misshandlungen, Sozialinkompetenzen, ... - eigentlich alles was in die Rubrik "Entwicklungshemmnisse" fällt. Die Unterbringung erfolgt nicht nur im Heim, auch in sog. Jugenddörfern oder mitunter in betreuten Wohngemeinschaften. In der Regel kommt es zu Unterhaltsleistungen der Eltern. Beratung lohnt, um die tatsächliche und die gefühlte Schwere der eigene Lage zu überdenken. Es ist möglich, sich anonym beraten zu lassen bzw. auf Schweigepflicht zu bestehen.

Ich persönlich finde aber auch den Ansatz nachdenkenswert, dass Du in dieser Situation Erfahrungswerte sammelst, die einer ganzen Bewegung zugute kommen können. Irgendwann bist Du älter und kannst diese sinnbringend zur Verfügung stellen. Der Bedarf ist da. Es geht auch anderen Jugendlichen so. Und die besten Lösungen zu jeder misslichen Lage haben noch immer diejenigen gefunden die wissen, wie es ist.
Warum soll die linke Bewegung nicht Undercover- Agenten im Familieneinsatz haben?

Wenn sich etwas ändern soll reicht es nicht zu wissen, was man nicht (mehr) möchte. Es geht konkret um: WAS WILL ICH STATTDESSEN? und erst danach um die Planung der Strategie Wie komme ich gezielt da hin?

PANORAMA ARD DO.14.6. 21:45 Uhr

Initiative Recherche 14.06.2007 - 01:01
Aktion Wegschauen - wie die Polizei Rechtsextreme schont
Sendung vom 14.06.2007 21:45 Uhr

Der Intendant des Nordharzer Städtebundtheaters, Andre Bücker (l.), besucht im Krankenhaus Halberstadt das Ensemblemitglied Alexander Junghans.

Grossformatiges Bild

Eigentlich wollte die Theatergruppe aus Halberstadt nur ihre Premiere feiern. Stattdessen werden sie von Nazis angegriffen und auf offener Straße brutal verprügelt. Als die Polizei anrückt, stehen die Täter noch immer am Tatort - doch festgenommen wird keiner von ihnen. Die Polizei in Sachsen-Anhalt schaut weg.

Ein Verhalten, das offenbar System hat. In der Polizeidirektion Dessau bekamen Polizisten angesichts der hohen Zahl rechtsextremer Straftaten sogar die Anweisung, etwas weniger zu arbeiten. Drei Staatsschützer, die erfolgreich gegen Nazis ermittelten, wurden zum Dienstgespräch zitiert - und vom stellvertretenden Polizeipräsidenten angeblich darauf hingewiesen, "dass man nicht alles sehen müsse." Die Polizei äußert sich nicht zu dem Fall. Die Beamten aber wurden inzwischen versetzt. Statt Nazis zu jagen heißt es für jetzt Streife Laufen und Radarfallen aufstellen ...

 http://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2007/t_cid-4052508_.html

Der langsame Arm des Gesetzes Jagdszenen aus

Initiative Recherche 14.06.2007 - 01:01
Hab vorhin erst gemerkt das der erste Link zu einem Bezahlfenster führt.
Information als Ware. :-(
Dann klemmte indymedia.
Nun also mit Verspätung, die Volltext Version


Süddeutsche Zeitung, Mi 25.10.2006 Seite 3

Die Seite Drei
Wie konsequent wird rechte Gewalt eigentlich verfolgt?
Jagdszenen aus Sachsen-Anhalt

Der langsame Arm des Gesetzes
Polizisten, die schon mal wegschauen, eine Justiz, die sich Zeit lässt, in Angst erstarrte Opfer - warum rechtsradikale Täter oft glimpflich davonkommen
Von Hans Holzhaider

Quedlinburg , im Oktober - Diese Nacht im Café in der Reichenstraße wird Lars Reichert (Name geändert) nicht so schnell vergessen. Es war kurz nach zwei Uhr morgens am 18. Juni 2005, als die Kerle kamen, zehn waren es ungefähr, und so, wie sie aussahen, war klar, dass es Rechte waren. "Die ham sich so 'n bisschen breitgemacht, dann fingen sie an Billard zu spielen, und dann wurden sie langsam kiebig", erinnert sich Lars Reichert. Valerin H., genannt "Vale", dem Pächter des Cafés, schwante nichts Gutes, er rief vom Hinterzimmer aus die Polizei an. Als er auf die Straße gehen wollte, um auf den Streifenwagen zu warten, stand einer von den Kerlen, ein ziemlich dicker, in der Tür und sagte: "Hier geht keiner raus." Vale sagte: "Ich bin hier der Chef", und der Dicke erwiderte: "Jetzt bin ich hier der Chef", und er rammte Vale die Billardstange in die Rippen. Dann flogen wie auf Kommando die Bierflaschen und die Billardkugeln durch den Raum. "Zwei haben mich runtergezogen, und einer hat mit dem Barhocker auf mich eingeschlagen", erzählt Lars Reichert. "Ich dachte wirklich, die schlagen mich tot. Ich hab' gebrüllt, da haben sie losgelassen, ich kam hoch, und da schlug die Billardkugel ein."

In aller Seelenruhe

Die Kugel traf Lars Reicherts Oberlippe. Die wurde glatt durchgeschlagen, "da konntest du den Finger durchstecken", und drei Zähne waren weg. Das Ganze dauerte nur ein, zwei Minuten. Dann hauten die Kerle ab, gerade als zwei Streifenwagen um die Ecke bogen. "Wir haben denen gesagt: ,Da laufen sie, fahrt hinterher‘, aber das haben die geflissentlich überhört", sagt Lars Reichert. Er blutete sehr stark aus der Oberlippe, es war nicht zu übersehen, was hier geschehen war. Aber die Polizisten fingen erst mal seelenruhig mit der Befragung der Zeugen an; die Angreifer verschwanden unerkannt im Dunkeln.

Das Café in der Reichenstraße ist der Polizei wohl bekannt. Quedlinburg ist eine wunderschöne kleine Stadt, sie steht auf der Weltkulturerbe-Liste der Vereinten Nationen, aber abends ist hier ziemlich tote Hose, jedenfalls für Jugendliche, die es sich nicht leisten können, in Touristenlokalen zu sitzen. Die treffen sich im Café in der Reichenstraße. Das Haus gehört der Stadt; Träger des Cafés ist ein soziokultureller Dachverein, und das bedeutet, dass die, die hierher kommen, definitiv nicht zur rechten Szene gehören. Nachmittags sitzen hier Schüler und machen ihre Hausaufgaben und kriegen auch ein preiswertes Mittagessen, abends gibt es hier Kino oder auch mal ein Konzert, eine Juke-Box steht da und ein Billardtisch. Und immer wieder mal gibt es Zoff mit denen aus der rechten Ecke, und von denen gibt es nicht gerade wenige in dieser Gegend. In den neunziger Jahren, erzählt Stefan Helmholz, der Geschäftsführer des Trägervereins, gab es hier regelrechte Straßenschlachten, einmal, es war an Himmelfahrt 1996, haben die Rechten das Café kurz und klein geschlagen. Das hat jetzt aufgehört, aber was nicht aufgehört hat, sagt Stefan Helmholz, sind die ständigen Provokationen - wenn man denn das, was hier am 18. Juni 2005 passierte, eine Provokation nennen will.

Amtsgericht Quedlinburg, 10. Oktober 2006: Daniel B., 26, ist angeklagt des Hausfriedensbruchs und der Körperverletzung. Nicht wegen der Sache am 18. Juni des Vorjahres, nein, so weit ist die Justiz noch nicht. Daniel B. hatte schon zwei Wochen vor jenem Überfall einen Auftritt in der Reichenstraße. Er sei, erzählt einer der Gäste, ins Café gekommen, habe herumgepöbelt und nach "Assis" und "Zecken" gesucht, worauf der Pächter die Polizei gerufen und ihm Hausverbot erteilt habe. Ein paar Stunden später sei B. aber in Begleitung mehrerer Männer zurückgekommen und habe den Mann, der den Türdienst versah, zu Boden geworfen und mit Faustschlägen und Fußtritten traktiert. Die Polizei kam erst nach einer Viertelstunde; die Beamten, erinnert sich ein Zeuge, hätten gesagt, sie hätten das Café nicht gleich gefunden. Es war deshalb auch bei dieser Gelegenheit leider nicht möglich, die Personalien der anderen Angreifer festzustellen.

Die Verhandlung vor der Einzelrichterin Antje Schlüter dauert nicht sehr lange. Ein Zeuge ist nicht erschienen, die Verhandlung muss vertagt werden. "Ich sag' Ihnen gleich, dieses Jahr wird das nichts mehr", kündigt Richterin Schlüter an. Aber einen kleinen Fortschritt in der Sache gibt es doch. Der Angeklagte hat zwei seiner Kumpels mitgebracht, und einer der Zuschauer erkennt diese beiden. Die, sagt er, seien bei dem zweiten Überfall am 18. Juni dabei gewesen. Was ist zu tun?

Zaudern im Gericht

Im Publikum sitzt Heike Kleffner, 40. Sie hat als Journalistin für die taz gearbeitet und mehrere Bücher über Rechtsradikalismus veröffentlicht. Jetzt leitet sie die Mobile Opferberatung in Magdeburg, eine vom Bundesfamilienministerium finanzierte Einrichtung, die sich um Opfer rechtsradikaler Gewalttäter kümmert. Jetzt geht Heike Kleffner auf den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft zu, den Oberamtsanwalt Dietmar Kral. Amtsanwalt Kral ist nicht sehr vertraut mit der Materie - er hat die Akte der Strafsache, in der er hier tätig ist, gerade mal am Vortag auf den Schreibtisch bekommen. Und nun kommt also diese sehr bestimmt auftretende Frau auf ihn zu und sagt: "Stellen Sie mal die Personalien dieser Leute fest." Amtsanwalt Kral zögert. Es liegt ihm doch nichts vor gegen diese beiden Herren. "Also bitte", sagt Frau Kleffner, "hier ist ein Zeuge, der hat die beiden wiedererkannt." Der Amtsanwalt zögert immer noch. Frau Kleffner wird jetzt etwas lauter. "Was sind Sie eigentlich? Sind Sie eine Strafverfolgungsbehörde oder was?" Mag sein, dass die Anwesenheit eines Journalisten mit gezücktem Schreibblock die Entscheidungsfreude des Oberamtsanwalts Kral beeinflusst - jedenfalls tritt er jetzt auf die beiden Begleiter des Angeklagten zu und nimmt deren Personalien auf.

Heike Kleffner ist nicht sonderlich schockiert über das zögerliche Verhalten des Amtsanwalts. So ist das hier. Dass der Verfolgungseifer von Polizei und Staatsanwaltschaft gegenüber rechtsradikalen Schlägern sich in Grenzen hält, erlebt sie immer wieder. Oschersleben, zum Beispiel, am Himmelfahrtstag 2006. Gegen halb elf Uhr abends jagen Neonazis eine Gruppe Jugendlicher durch den Ort. Die flüchten sich zum nahe gelegenen Polizeirevier in der Hoffnung, dort Hilfe zu finden. Die Tür ist verschlossen. Sie klingeln, sie hämmern an die Tür, nichts geschieht. Inzwischen haben ihre Verfolger sie eingeholt. Die Neonazis prügeln mit Fäusten auf die Jugendlichen ein. Dann merkt einer der Schläger, dass sie direkt vor der Polizeiwache stehen. Sie laufen davon. Der wachhabende Polizeibeamte gibt später an, er habe das Klingeln wohl gehört, aber nicht geöffnet. Stattdessen hat er einen Streifenwagen gerufen. Als der eintrifft, sind die Täter längst über alle Berge.

Noch ein Beispiel? Quedlinburg, in der Neujahrsnacht 2006. Der 17-jährige Fabian war in einem Konzert im Café in der Reichenstraße. Gegen zwei Uhr nachts will er mit seinem Freund Zigaretten holen. Der Freund hat eine Punk-Frisur. Sie kommen an einer Gruppe von etwa 15 Leuten vorbei, in der Dunkelheit merken sie nicht, dass es Neonazis sind. "Plötzlich reißt mich einer zu Boden", erzählt Fabian, "und dann hab' ich nur noch die Stiefel im Gesicht gespürt." In Sichtweite des Geschehens steht ein Streifenwagen der Polizei. Die Beamten haben die Neonazis beobachtet, weil es schon kurz zuvor eine Schlägerei auf dem Marktplatz gegeben hatte. Fabians Freund läuft zu dem Streifenwagen, bittet um Hilfe. Die Beamten, sagt er, seien im Auto sitzen geblieben, sie hätten gesagt, sie müssten Verstärkung anfordern. Fabian wird ins Krankenhaus gebracht, er hat einen doppelten Kieferbruch. Bis heute ist gegen keinen der Täter Anklage erhoben. "Das ist das Schlimme", sagt Fabians Mutter, "dass du das Gefühl hast, es passiert nichts. Die Polizei kann dich nicht schützen."

Öffentlichkeit unerwünscht

Christiane Marschalk ist seit November 2005 Polizeipräsidentin in Halberstadt. Sie kennt alle diese Geschichten. Sie ist nicht glücklich darüber. "Es stimmt, dass da ein Stück Vertrauen verlorengegangen ist", sagt sie, "deshalb achten wir da jetzt drauf." Sie war schon im Café in der Reichenstraße in Quedlinburg und hat sich die Probleme schildern lassen. Sie hat mit den Jugendlichen gesprochen, die vor dem Polizeirevier Oschersleben vergeblich Hilfe gesucht haben. Gegen den Beamten, der die Tür nicht geöffnet hat, wurden Ermittlungen aufgenommen. Sie hat auch die Mutter von Fabian empfangen, des Jungen, dem in der Neujahrsnacht in Quedlinburg der Kiefer gebrochen wurde. Gegen die beiden Polizisten, die dort angeblich nicht eingegriffen haben, läuft ein Ermittlungsverfahren wegen unterlassener Hilfeleistung. Sie haben bisher keine Aussagen gemacht.

Das ist ihr gutes Recht, aber einen guten Eindruck macht es nicht, Polizeipräsidentin Marschalk weiß das wohl. Aber sie wehrt sich gegen den Vorwurf, dass ihre Beamten auf dem rechten Auge blind seien. Sie dringe darauf, sagt sie, dass Straftaten mit rechtsradikalem Hintergrund in den Pressemeldungen der Polizei auch als solche benannt werden. Aber sie weiß auch, dass eine solche Öffentlichkeitsarbeit in dieser Gegend keineswegs von allen geschätzt wird. Als, zum Beispiel, die Berliner Zeitung ziemlich breit über die Geschichte mit Fabian berichtete, da bekam die Autorin eine Menge bitterböser Briefe aus Quedlinburg, und bei der Polizeipräsidentin in Halberstadt standen alle Bürgermeister der Region auf der Matte. Solche Berichte schaden dem Tourismus, und Quedlinburg lebt zu einem guten Teil vom Tourismus. Aber Tatsache ist: In keiner anderen Region der Bundesrepublik häufen sich rechtsradikale Straftaten so wie in dem Landstrich zwischen Magdeburg, Dessau, Halle und Halberstadt.

Heike Kleffner und ihre Mitarbeiter führen seit vier Jahren eine Chronik über Straftaten mit rechtsradikalem Hintergrund in Sachsen-Anhalt. Es vergeht kaum eine Woche ohne einen oder mehrere solcher Vorfälle. 30. Juli 2005: Auf dem Herbstfest in Zerbst wird ein 16-Jähriger, der ein T-Shirt mit der Aufschrift "Gegen Nazis" trägt, von einem mehrfach vorbestraften Rechten angegriffen. Der 29-Jährige stößt dem Jungen ein dünnwandiges Bierglas ins Gesicht und fügt ihm tiefe Schnittwunden zu. Der Jugendliche verliert sein rechtes Auge. Der Täter wird festgenommen, aber nach kurzer Befragung wieder freigelassen. Die Polizei fährt ihn sogar zum Bahnhof, damit er seinen letzten Zug nach Hause nicht versäumt. Jugendliche, die aus Anlass dieses Überfalls einige Tage später auf dem Herbstfest gegen Neonazis demonstrieren, bekommen einen Bußgeldbescheid wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. Der Kulturamtsleiter der Stadt spricht in der Lokalzeitung von einem "wenig erquicklichen" Vorgang. Er meint die Demonstration, nicht den Überfall. 12. August 2005: Unbekannte Täter beschmieren ein Hotel in Tanne mit einem Galgen und dem Spruch: "Ich hatte einen Traum, ein Neger hängt am Baum." Die Parole richtet sich gegen das dunkelhäutige Adoptivkind der Hotelmanagerin. 17. August 2005: Jugendliche aus der rechten Szene greifen ein internationales Sommercamp in Gröbzig (Landkreis Köthen) an. Sie brüllen "Ausländerschweine" und "Kanaken raus" und bewerfen die Teilnehmer mit Bierflaschen.

Für das Jahr 2005 verzeichnet die Chronik 170 Vorfälle. Im ersten Halbjahr 2006 sind es schon 110. 12. August 2006, Eisleben: Ein Paar mit einem achtjährigen Kind wird von drei Rechten angegriffen. Ein 24-jähriger Neonazi schlägt dem Mann eine Bierflasche auf den Kopf. Als der Angegriffene sich zur Bahnhofsaufsicht flüchten will, schließt der Bahnbedienstete die Tür ab. 11. September 2006, Quedlinburg: Eine Punkerin wird auf dem Heimweg von einem Mann mit Thor-Steinar-Tarnjacke vom Rad gestoßen, als "Scheiß-Zecke" beschimpft und mit voller Wucht ins Gesicht getreten. Sie erleidet einen Nasenbeinbruch. 18. September 2006, Sangershausen: Unbekannte brechen den Imbisswagen einer Vietnamesin auf und besprühen ihn mit Hakenkreuzen, SS-Runen und der Parole: "Kanacke verrecke".

Die Opfer solcher Überfälle sind oft wie gelähmt. Sie wagen sich nachts nicht mehr auf die Straße. Sie erstatten keine Anzeige aus Angst vor Racheakten, oder weil sie glauben, dass es sowieso nichts nützt. Gegen diese Resignation kämpfen Heike Kleffner und die Mitarbeiter ihres Teams. Sie begleiten die Opfer zur Polizei und zur Staatsanwaltschaft, sie ermutigen sie, im Gerichtsverfahren als Nebenkläger aufzutreten, sie kennen Rechtsanwälte, die sich solcher Fälle mit Tatkraft und Engagement annehmen. Das ist oft bitter notwendig. Die Mühlen der Strafjustiz in Sachsen-Anhalt mahlen, wenn es um Taten mit rechtsradikalem Hintergrund geht, langsam wie die Mühlen Gottes, aber bei weitem nicht so trefflich fein.

Eine späte Verhaftung

Der Berliner Rechtsanwalt Benjamin Raabe kann davon ein Lied singen. Er vertritt einen jungen Mann, der am 5. August des Jahres 2003 in Wernigerode von Rechtsradikalen erheblich verletzt wurde. 15 bis 20 Neonazis hatten kurz nach Mitternacht auf dem "Platz des Friedens" eine Gruppe von acht Punks angegriffen. Sie waren mit Baseballschlägern und Ketten bewaffnet und hatten einen Kampfhund dabei. Raabes Mandant wurde zu Boden gerissen und mit Fäusten, Stiefeln und einem Holzknüppel so schwer misshandelt, dass der vom Notarzt ins Krankenhaus gebracht werden musste. Aber die Staatsanwaltschaft Halberstadt stellt das Verfahren gegen die Tatverdächtigen im November 2003 ein, ohne den Geschädigten auch nur zu benachrichtigen. Erst im Juli 2004 werden die Ermittlungen auf eine Beschwerde von Rechtsanwalt Raabe hin wieder aufgenommen, sie ziehen sich über weitere eineinhalb Jahre hin. Im Januar 2006 endlich erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen acht Personen. Am 6. September beginnt die Verhandlung vor dem Amtsgericht Wernigerode. Am zweiten Verhandlungstag bleibt einer der Angeklagten der Verhandlung fern. Er wird nicht etwa zwangsweise vorgeführt - man will doch nicht, dass der junge Mann seinen Arbeitsplatz verliert. Da lässt man lieber den Prozess platzen. Er muss jetzt am 1. November noch einmal von vorne beginnen - drei Jahre und drei Monate nach der Tat.

Der Neonazi, der auf dem Herbstfest in Zerbst einem 16-Jährigen ein Auge ausgeschlagen hat, wird erst verhaftet, nachdem der Berliner Tagesspiegel über den Fall berichtet hat. Dann allerdings reagiert die Justiz für hiesige Verhältnisse schnell und hart. Der Täter wird im Februar 2006 vom Landgericht Dessau zu acht Jahren Haft verurteilt. Das Opfer und seine Familie sind von Zerbst weggezogen. "Mein Sohn hat sich kaum noch auf die Straße getraut", sagt die Mutter. Sie wohnen jetzt bei Leipzig. Und der Junge trägt wieder T-Shirts mit Anti-Nazi-Aufdruck. "Jetzt erst recht", sagt seine Mutter.

Bildunterschriften:
"Deshalb achten wir da jetzt darauf": Neonazi-Aufmarsch vom April in Halberstadt, das zu einer Region gehört, in der sich rechte Straftaten häufen.
Foto: dpa

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Nazis raus, — JM

Unbedacht — Halberstädter

Enttäuschend — Hetman