Medien und Manipulation beim Anti G8 Protest

Beobachterin 09.06.2007 23:31 Themen: G8 Heiligendamm Medien
Schon zu Beginn der Proteste in Heiligendamm tauchten Berichte auf, dass die Polizei verdeckte ErmittlerInnen einsetzt, die selber vermummt auftreten, oder sogar als agent provocateur versuchten Angriffe auf die Polizei anzuzetteln. Die Geschichte eines solchen Falls zeigt, was von der massenmedialen Berichterstattung zu halten ist, wenn ein Großteil der veröffentlichten Meinung in den Modus Hofberichterstattung schaltet.
Dies ließe sich an vielen Themen zeigen. Etwa die unkritische Reproduktion des Bildes von Deutschland als Vermittler in den internationalen Konflikten, scheinbar ohne eigene Interessen; oder bei der boulevaresken Aufbereitung des Rahmenprogramms, die jede Berichterstattung über internationale Treffen in Deutschland begleitet. Hier gäbe es einiges zu beschreiben und zu untersuchen. An dieser Stelle soll jedoch nur ein kleiner Ausschnitt gewählt werden. Ein Ausschnitt aus der Berichterstattung über die Protestaktivitäten.


Variante 1


Am Mittwoch den 6.06.07 taucht ab den Mittagsstunden in den meisten Nachrichtensendungen ein Bericht über die Enttarnung eines vermummten Zivilpolizisten auf, der nach Angaben der Protestierenden ProtestteilnehmerInnen zu Straftaten anstiften wollte. Die Polizei streitet zunächst ab, überhaupt ZivilpolizistInnen im Einsatz zu haben. Erst recht würden Polizeibeamte niemanden zu Straftaten auffordern. Inzwischen musste sie zumindest eingestehen, dass es sich bei dem Vermummten um einen Zivilpolizisten handelte. Die Berichte über diesen Vorfall liefen über alle Kanäle und ähneln ähneln sich sehr. Bei Spiegel Online heißt es im Video: „dann Aufregung bei der Blockade. Autonome greifen einen vermummten Demonstranten an, sie wollen ihn als Zivilpolizisten erkannt haben“.  http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,487554,00.html

Der Sonderstab der Polizei Kavala erklärt Spiegel-Online „Bremer Demonstranten hätten den Beamten erkannt, angegriffen und gewaltsam aus der Menschenmenge gedrängt.“ Es sei dem beherzten Eingreifen der friedlichen G8 GegnerInnen zu verdanken, dass nichts weiter passiert sei. So wird selbst die Enttarnung eines vermummten Polizisten noch als Gelegenheit genutzt die angebliche Spaltung zwischen „den Autonomen“ und den „friedlichen Demonstranten“ medial zu inszenieren.


Variante 2


Das reichte jedoch den KollegInnen vom Staatsfernsehen und anderen nicht aus. Und so greifen sie einen Tag später wieder auf das selbe Videomaterial zurück. In diesen 24 Stunden hat sich die Szenerie jedoch stark verändert. Über einen Zivilpolizisten weiß man bei „Heute“ und in der „Tagesschau“ im Gegensatz zur eigenen Berichterstattung vom Vortag nichts. Die Variante bei „Heute“ geht wie Folgt: Nach einigen Bildern über „bunten und friedlichen“ Protest kommt der Schwenk auf eine Auseinandersetzung innerhalb der Demonstrierenden. Obwohl der Bericht vom Donnerstag den 7.06.07 handelt, wird die Szene vom Vortag gezeigt. Kommentar: „Einige Demonstranten versuchen Vermummte aus ihren Reihen abzudrängen. 'Zeig dein Gesicht ', ruft die Menge, die sich offenbar von Gewalttätern distanzieren will.“
Als Videodatei findet sich der Bericht unter folgender Adresse:
mms://ms.mdcs.dtag.de/zdf/zdf/070607_protest_h17_h.wmv

Ähnlich in der Tagesschau. Nach Bildern, die über den Donnerstag berichten sollen taucht auf einmal die Szene vom Vortag auf. Aus dem Off die Kommentierung: „Mehrere Hundert Demonstranten beteiligten sich seit der Nacht an Straßenblockaden rund um Heiligendamm. Sie wollen bis zum Ende des Gipfels bleiben. In ihren Reihen dulden sie keine Vermummten.“  http://www.tagesschau.de/sendungen/0,,OID6887468_VID6887816_RESms256_PLYinternal_NAV_,00.html


Some things have changed


Man sieht: alles nur eine Frage des Blickwinkels. Waren die Attacken auf unseren Vermummten gestern noch von Autonomen ausgegangen, die nur schwer von den friedlichen Demonstrierenden zurück gehalten werden konnten, sehen wir nun friedliche BlockiererInnen, die gemeinsam einen Vermummten aus ihren Reihen entfernen wollen. Aus dem mutmaßlichen Verdeckten Ermittler oder agent provocateur ist über Nacht ein Autonomer geworden, die kleineren Attacken auf ihn, die v.a. darauf zielen sein Gesicht für alle Erkennbar zu machen sind nun ein Akt der Zivilcourage der „Friedlichen Protestierer“. Das Ziel der Übung wird deutlich im Kommentar von „Heute“. Die Menge der Demonstrierenden will sich „offenbar“ von „den Gewaltbereiten“ distanzieren.


Wie passiert so etwas?


Eine wirklich befriedigende Antwort wird es auf diese Frage vermutlich nie geben. Für viele wird es wahrscheinlich als Lehrstück über Meinungsmanipulation und „gezielte Desinformation des Bürgers“ (Indymedia) verbucht. Jedoch ist zumindest Vorsicht angesagt dahinter einen bewusst geplant und eingesetzten Propagandatrick zu wittern. Es ist zwar schon auffällig, dass gleich bei mehreren Stationen (mindestens ARD und ZDF) derselbe „Fehler“ zur gleichen Zeit passiert, aber die Wahrheit könnte trotzdem etwas banaler sein. Dazu gehört zunächst die banale Einsicht, dass JournalistInnen eben nicht objektiv berichten, sondern Informationen produzieren im Sinne dessen, was sie oder ihre AuftraggeberInnen schon im Vorfeld für ein Bild im Kopf hatten. Informationen werden immer im Sinne eines Darstellungsinteresses sowohl gesammelt als auch aufbereitet.

Seit den Auseinandersetzungen von Rostock gehörte zu diesem Darstellungsinteresse eine Isolierung der militanten Kräfte von den „friedlich-kreativen“ Protestierenden. Da diese Trennung jedoch für viele von denen, die in der Protestwoche an den direkten Aktionen beteiligt waren, nicht funktioniert, musste man kreativ werden. Die Frankfurter Rundschau (FR) z.B. hatte schon am Montag nach den Auseinandersetzungen das Handtuch geschmissen. Ihre rasenden ReporterInnen konnten keinen Vollzug melden bei der Mission „Suche Abgrenzungserklärungen bei den AktivistInnen“. Im Aktionscamp in Reddelich wollten sich partout keine Menschen finden lassen, die sich von „den Autonomen“ distanzieren, berichtet die FR unter dem Titel „Tag der Manöverkritik - Reaktionen von G8-Gegnern und Regierung“ (FR, 5.06.07.) Die Süddeutsche Zeitung (SZ) dagegen wurde schließlich doch noch fündig. Ihr Frontberichterstatter weiß, dass die Friedlichen die Autonomen längst isoliert haben und kann davon hautnah berichten: „Die Schwarzen haben seit Beginn der Proteste am meisten von sich reden gemacht. Sie haben die Auftaktdemo in Rostock aufgemischt, 1000 Menschen wurden da verletzt, und als Antwort hat das Bundesverfassungsgericht einen Sternmarsch zum Zaun verboten. Das hat die Autonomen viele Bundesgenossen gekostet. Immer, wenn der Treck der Friedfertigen in den Feldern jetzt über einen Wassergraben muss, packen helfende Hände zu. Immer wenn die Autonomen am Bach stehen, reißt die Kette der Hände ab.“ (SZ, 8.6.07)

Diese Geschichte macht das Problem deutlich. Vielleicht ist geschehen, was da berichtet wird. Vielleicht wurden hier, wo der Reporter der SZ vor Ort ist, wirklich „die Autonomen“ ausgegrenzt, vielleicht ist aber auch nur eine Bezugsgruppe unter sich geblieben und ist deshalb weiter gezogen, als alle von ihnen über dem Bach waren. Vielleicht ist die Geschichte auch genauso Produkt der Phantasie, wie die Beobachtung auch dem Off, dass sich friedliche Protestierende „offensichtlich“ von „den Vermummten“ distanzieren wollen, als sie gerade einen Zivilpolizisten aus der Demo schmeißen. Vielleicht ist diese eine Szene die einzige an dem Tag, vielleicht gibt es vergleichbares an anderen Stellen. Alle diese Fragen sind jedoch unwichtig. Für den Journalisten von der SZ hat die Szene ihre Schuldigkeit getan. So wie Gläubige bei einer weinenden Madonna die Wachsfigur nicht auf mögliche Einwirkung von Hitze untersuchen ist für den Journalisten die Evidenz des Augenblicks entscheidend. Es ist die Rhetorik des „Seht her – so ist es doch“ mit der er seiner Darstellung Autorität verschafft. Natürlich berichtet niemand über die Workshops in den autonomen Camps, die das Bild von den Krawall-Hooligans, denen Politik eigentlich Scheißegal ist, stören könnten. Natürlich wird keinE JournalistIn zugeben, dass ihm/ihr die meisten Redebeiträge, die von den Lautsprecherwagen des Schwarzen Blocks kamen, zu kompliziert waren, um sie zu verstehen, weil er/sie an dem Bild vom Polithooligan zu stricken hat und es nicht darum geht zu berichten, auf welchem Stand die Kapitalismuskritik im 21. Jahrhundert ist. Auch jene JournalistInnen, die zumindest an die Macht der Bilder gebunden sein müssten, setzen sich souverän über diese Macht hinweg, wenn es ihrem Darstellungsintessse schadet. Kein Problem haben die Sprecher zu erklären, dass die Polizei gegen Steine- und FlaschenwerferInnen mit Wasserwerfern und Schlagstöcken vorgegangen ist, während die Bilder zeigen, wie der Wasserwerfer eine Sitzblockade von der Straße spült und ein Polizist eine Person an den Haaren aus einer Sitzblockade zerrt.

Damit sind wir wieder bei der Frage, wie solche offensichtlichen Falschdarstellungen entstehen, wie sie oben beschrieben wurden. Der arme Journalist hatte vermutlich die Aufgabe bekommen, zu zeigen, wie sich die „friedlich-kreativen“ Protestierenden von „den Autonomen“ distanzieren. Also geht er sein Bildmaterial durch und schaut was er findet. Da ist das einzig brauchbare Material leider, wie eine Gruppe diesen Schwarzgekleideten angreift, von dem inzwischen längst bekannt ist, dass er ein Zivilpolizist ist. Schnell ein Text drüber gesprochen und schon haben wir wieder ein bisschen Realität produziert. Die selben Gesten, die gestern noch für gewaltbereite Autonome stehen sollten, stehen nun für zivilcouragierte ProtestlerInnen. Damit hat er getan, was seine Kollegen jeden Tag tun. Bilder zu dem geliefert, was an Aussage schon vorher fest stand und sie entsprechend der gewünschten Aussage gerahmt. Das macht die Sache nicht weniger skandalös. Nur ist der Skandal leider alltäglich.
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Ergänzungen

Variante 3

hotzenplotz 09.06.2007 - 23:56
Die dritte Variante ging so:
RTL-News:
Bilder von frieldlichen Blockierern "Blockaden, es kam auch schon", Szene mit dem Vermummten wird ganz kurz eingeblendet, zu Gewalt."

Ich glaube trotzdem, dass der Chefredakteut genau vorgibt welche Meldungen wie interpretiert werden, und dem wird schon klar sein was er bringen darf, und was nicht, wenn er seinen Posten behalten will.

Seit der Manipilation der Anti-Hartz Demos durch falsche Teilnehmerzahlen, glaube ich an von oben gesteuerte Medienmanipulationen.

Es gab keine Zeitung, keinen Sender der die richtigen Zahlen brachte, und es wird an dem Tag nach dieser Entarnung keinen deutschen TV-Sender gegeben haben, der die Gechichte richtig dasstellte.

LG

nennt man eher

fehler 09.06.2007 - 23:59
Man kann ja von den Medien halten was man will, aber das kling für mich eher danach, das jemand den Kommentar zu nem Video schreiben musste der keine Ahnung hatte was da gefilmt wurde. Wie du schon richtig gesagt hast: in anderen Medien wurde ja die richtige Variante wiedergegeben. Wenn man es dort also fast überall richtig sehen und lesen kann, was hat es dann für einen Sinn anders wo "absichtlich" die Wahrheit umzudrehen? Ich kann hier keine Manipulation oder gezielte Desinformation erkennen. Höchstens Dummheit, aber das kann man verzeihen...

Wachsamkeit Ja - aber ohne Paranoia!

Manufacturing Consent

Noam Chomsky 10.06.2007 - 03:00
Manufacturing Consent - Die Konsens-Fabrik

Bei den Berliner Filmfestspielen 1993 gab es lange Schlangen vor den Kinos. Nicht wenige versuchten mehrmals vergeblich eine Kinokarte zu bekommen. Steven Spielberg? Billy Wilder? Randy Newman? Dustin Hoffmann? Nein, ein Film über Noam Chomsky war das Objekt der Begierde. Noam Chomsky, wer ist das? Genau davon handelt der Film. Und von Medien. Und von Ost-Timor. Und ...

Noam Chomsky wurde im jüdisch-intellektuellen Milieu New Yorks groß. Schon früh interessierte er sich für Geschichte und Sprache. Politisch geprägt wurde er von den Werten der Arbeiterbewegung. Mit 12 schrieb er seinen ersten Aufsatz über den spanischen Bürgerkrieg. Sein Weg führte ihn an die Elite-Uni Bostons, dem Massachusetts Institute of Technology (MIT), wo er einen Lehrstuhl für Linguistik besetzt hält. Weltweit macht er sich einen Namen durch aufsehenerregende Schriften zur allgemeingültigen Struktur aller Sprachen, von der allerdings heute manch anderer Linguist heute mehr überzeugt ist als Chomsky selbst.

1964 beginnt Chomsky sich von seinem Lehrstuhl aus politisch zu betätigen. Er weiß, was er tut, als er sich aus der Sicherheit, die er als Professor hatte, herausbegibt auf's tagespolitische Glatteis. Am MIT diskutiert er mit StudentInnen über den Vietnam-Krieg. Seither gab Chomsky zahlreiche Bücher zu politischen Themen heraus, in deren Mittelpunkt immer wieder die Rolle der US-amerikanischen Medien steht.

Manufacturing consent - die Aufgabe der Medien ist es, eine Standardmeinung zu schaffen, die von oben nach unten vermittelt wird. Totalitäre Regime kontrollieren die Menschen direkt, in der Demokratie sind subtilere Mittel gefragt. Das Denken wird kontrolliert.

20 % der amerikanischen Gesellschaft zählen zur politischen Klasse. Sie haben eine gute Ausbildung, sind Manager, Anwälte, Lehrer. Auf sie kommt es an. Sie haben Verantwortung, sie treffen Entscheidungen. Ihre Meinung muß in eine Richtung gelenkt werden. Die restlichen 80 % der Bevölkerung werden nur zum Mitmachen und Geschehenlassen benötigt. Ziel der Medien ist es, sie zu unterhalten, zu zerstreuen - und fernzuhalten von den wichtigen Dingen. Sex and Crime, Fußball, Astrologie sind die Mittel, mit denen die Verdummung gesteuert wird. Nebenwirkungen sind erwünscht. "Warum ist es wichtig, daß das Football-Team meiner High-School gewinnt?", fragt Chomsky. Dabei werde Hurra-Patriotismus trainiert, Leute werden erzogen, sich Autoritäten zu unterwerfen.

Mark Achbar und Peter Wintonick aus Kanada haben in ihrem Film über drei Stunden Material montiert, um der ZuschauerIn Noam Chomskys Thesen näherzubringen. Es wird der Mensch und der Wissenschaftler Chomsky gezeigt, der es versteht, seinen Spaß am Streiten und an der eigenen Zivilcourage zu vermitteln. Dabei hangelt sich der Film an Gedankenketten, Assoziationen und thematischen Schwerpunkten entlang. Interviews und öffentliche Veranstaltungen werden von den Filmemachern gekonnt geschnitten, die Runden eines Streitgespräches werden z.B. mit Szenen aus einem Boxkampf untermalt. Dabei verlangt der Film der ZuschauerIn einiges ab, denn die Flut der Bilder sowie der geschriebenen und gesprochenen Texte ist nicht leicht zu verarbeiten. Dennoch, der Film läßt sich Zeit. "Man kann einen einigermaßen komplexen Gedanken nicht in den zwei Minuten zwischen den Werbeblöcken einer Talk-Show darlegen," meint Chomsky. Der Film gibt ihm ein 80faches dieser Zeit und manchmal hat man das Gefühl, Chomsky kostet es aus. Stellenweise riecht der Film sehr stark nach Selbstdarstellung, insbesondere wenn sich das Gefühl einstellt, daß Chomsky trotz aller Informationsfülle eigentlich nichts sagt, was man nicht auch schon vorher gewußt hat. Aber schön zusammengefaßt und dennoch nicht ganz leicht...

Interessant ist ein Beispiel, mit dem Chomsky seine These untermauert und sich dabei gleichzeitig als engagierter Menschenrechtler zeigt. Chomsky vergleicht die Berichterstattung über zwei ähnliche weltpolitische Vorkommnisse in den amerikanischen Medien, hier insbesondere in der New York Times, die als Trendsetter im Nachrichtenbereich fungiert. Verglichen wird die Gewaltherrschaft Pol Pots in Kambodscha mit der indonesischen Besetzung Ost-Timors. Beide Fälle sind insoweit vergleichbar, als eine nach einfachen Mustern lebende Gesellschaft massiv unter politischen Machtgelüsten zu leiden hatte. In beiden Fällen erreichte die Zahl der Opfer Dimensionen, die es rechtfertigen, von Völkermord zu reden. Der relative Anteil der Opfer in Ost-Timor, ein Drittel des Volkes kam während des Krieges um, übersteigt dabei sogar die Zahl der Opfer Pol Pots.

Doch was berichtete die New York Times über die beiden Fälle? In Kambodscha starben bis 1957 ca. 600.000 Menschen aufgrund der Bombardements durch die US Air Force. Doch später als Pol Pot noch kaum an der Macht war und die ersten 1.000 Opfer forderte, schrie die New York Times bereits: "Völkermord". Chomsky will keineswegs die Herrschaft Pol Pots rechtfertigen, sondern auf die unausgewogene Berichterstattung hinweisen. Pol Pot war ein "Böser", die Story paßte ins Konzept.

Anders in Ost-Timor. Die Beziehungen zwischen Indonesien und den USA Mitte der 70er Jahre waren gut. Amerikanisches Militär nutzt den Tiefseegraben im Timor Gap, Amerika liefert Waffen an das befreundete - weil antikommunistische - Regime in Jakarta. Aus Rücksichtnahme auf Präsident Ford und seinen Außenminister Kissinger, die 1975 auf Staatsbesuch in Jakarta waren, wurde die Invasion nach Ost-Timor verschoben - sie fand zwei Tage nach Abflug der beiden Gäste statt. Nach der Invasion verfaßte die UNO eine Reihe von Resolutionen, um die Invasion Ost-Timors zu verurteilen, aber die USA sorgten regelmäßig dafür, daß den Resolutionen keine Taten folgten. 90 % der Waffen, die die indonesische Armee in Ost-Timor einsetzte, stammten aus den USA. 1978, drei Jahre nach dem gewaltsamen Einmarsch bewilligte Präsident Carter die Lieferung neuer Waffen. Was zählt ist der Profit.

Die New York Times berichtete viel über Ost-Timor - in der Zeit vor dem indonesischen Einmarsch. Es herrschte Angst, daß die Sowjetunion vom Zusammenbruch der portugiesischen Herrschaft profitieren könnte und die FRETILIN an die Regierung kommt. 1978, zum Höhepunkt der kriegerischen Auseinandersetzungen in Ost-Timor berichtete die New York Times nichts - "that is just the wrong story". Es waren die "Guten", die hier ein Volk massakrierten.

Chomsky klebte jeweils sämtliche Zeitungsmeldungen der New York Times zu Kambodscha und Ost-Timor aus den Jahren 1975-1990 untereinander. Vor der Kamera entrollen sich eindrucksvoll die zwei Papierrollen: Die Meldungen über Ost-Timor erreichen eine Gesamtlänge von 70 Zoll, die über Kambodscha 1.175 Zoll. Die Filmemacher stöberten in Archiven von Menschenrechtsorganisationen und fanden etliches Bildmaterial zu beiden Fällen, das in dem Film gezeigt wird, um das Defizit in der New York Times wettzumachen.

Der Film ist sehenswert. Nur ein Bruchteil der von Chomsky angesprochenen Themen kann hier gewürdigt werden. Einige seiner Standpunkte sind angreifbar. Sein relativ gutes Bild der Medien außerhalb der USA beispielsweise scheint in zu schönen Farben gemalt zu sein, denkt man an Tycoons wie Murdoch, Springer, Kirch etc. Auch das von Chomsky geschriebene Vorwort zu einem Buch des französischen Autors Fauvisson, der die Existenz der Gaskammern von Auschwitz leugnet, reizt zum Widerspruch. Chomsky ist keineswegs einverstanden mit Fauvissons Geschichtsinterpretation, verteidigt aber sein Vorwort mit dem Argument, eine ernst gemeinte Meinungsfreiheit müsse auch eine unbequeme, ja irrige Meinung, wie die Fauvissons, zulassen. Deshalb habe er das Vorwort geschrieben und es handele im übrigen von nichts anderem als eben dieser Meinungsfreiheit.

Man wünscht sich, solche Ansichten eingehender mit Chomsky zu diskutieren. Sieht sich Chomsky angesichts des in Europa neu aufblühenden Rechtsextremismus genötigt, seine Erklärungen zum Fall Fauvisson zu revidieren? Wenn nicht, welche Rezepte empfiehlt er, der rechten Meinungsmache Einhalt zu gebieten? Chomsky gibt einem das Gefühl, daß solch eine Diskussion fruchtbar sein könnte. Er wirkt nicht arrogant, drückt sich klar und für alle verständlich aus. Schade, daß er zu einem während der Filmfestspiele in Berlin angesetzten Diskussionstermin nicht erschienen ist. Wegen Krankheit, wie es hieß.

Trotz großer Nachfrage ist von dem Film derzeit nur eine Kopie in Deutschland im Umlauf!!

Literatur:
Noam Chomsky - Nach dem kalten Krieg: US-Außenpolitik im mittleren Osten; in Norbert Mattes (Hrsg.) - Wir sind die Herren, 1991
Noam Chomsky - Turning the Tide, 1985
Noam Chomsky - On Power and Ideology, 1987
Noam Chomsky - The Culture of Terrorism, 1988
Noam Chomsky, Edward S. Herman - The Washington Connection and Third World Fascism, the political economy of human rights, vol I & II, 1979

Bürgerwehr gegen Autonome

sei Ordnung 10.06.2007 - 07:34
Der Zweck von sollcher Meinungsmanipulation ist es nicht nur zu denunzieren, nicht nur zu spalten, sondern auch die Menschen aufeinander zu hetzen.
Außerdem, nicht nur passive Gewaltfreiheit wird - als Demonstrantentugend - von den Demonstranten eingefordert, sondern aktive.
Laut Medienberichten haben sich bei der Protesten der 150.000 - in Rom zum Bush-Besuch - aktiv-gewaltfreie Demonstranten sich zwischen die Polizei und angeblich aggerssiv-gewalttätigen "Autonomen" gestellt. Der aktiv-gewaltfreie Demonstrant schützt die Polizei und unterstützt sie bei ihrem Tun.
Bald wird man die Frage hören, warum diese aktiv-gewaltfreien Demonstranten denn nicht "energisch" gegen Aggessiv-Gewalttätigen vorgehen - das heißt. gewaltbereit! Als gewaltbereite Bürgerwehr der Aktiv-Friedlichen, die als Vorfeldorgansiation und Hilfstruppe der Polizei agiert!
Bald werden wir erleben, daß sog. "friedliche" aktiv-gewaltfreie energische Demonstranten als Undercovers enttarnt werden, die den Auftrag hatten, verdeckt Militante zusammenzuschlagen, Schlägereien in den Demos zu provozieren, und ähnliches mehr. Was ihre Polizeifüher natürlich nicht zugeben werden!
Und auf ein Codewort verwandelt sich diese Gruppe der "energischen" aktiv-gewaltfreien Demonstranten dann in eine getarnte Festnahmeeinheit - im Einsatz!
Und der berüchtigte Ruf nach "Ordnung" gellt wieder über alle Kanäle!

"von oben gesteuert"

fernsehgucker 10.06.2007 - 08:23
Ohne die Zustimmung der Chefredakteute und der "Verantwortlichen" geht nichts raus. Die BRD hat als politisches System die Eigenschaft, ein sog. Parteienstaat zu sein. Das heißt, auch öffentliche Posten wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk werden mit Leuten besetzt, die das richtige Parteibuch haben. So ist sichergestellt, dass Kritik nur im Rahmen der aktuellen parteipolitischen Auseinandersetzung geäußert wird.

Über BILD, RTL und Co brauchen wir gar nicht erst reden, welche Interessen da dahinterstecken dürfte klar sein.

man bedankt sich ja auch dafür...

hdis 10.06.2007 - 09:29
Die schlimmsten Falschmeldungen - und dies wurde in Ansätzen ja hier, auf Telepolis oder in der Jungen Welt aufbereitet - waren:
- Anzahl der verletzten Polizisten (am Samstag)
- ätzende Flüssigkeit der Clowns-Armee (die dadurch erst Aufmerksamkeit erhielt, müsste man anmerken)
- Bewaffnung an der Galopprennbahn, zu dem Zeitpunkt, als die Zivis enttarnt wurden:  http://www.polizei.mvnet.de/index.php?option=content&task=view&id=3923&Itemid=265
- Dementi, das Zivis eingesetzt werden
- Vorbereitung von mit Nägeln oder Rasierklingen gespickten Kartoffeln

Wenn man die Medienberichterstattung verfolgt hat, kann man den Eindruck gewinnen, dass die Falschmeldungen ganz zentral über die Pressesprecher der Polizei abgesetzt bzw. verstärkt wurden, die v.a. sehr oft in Phoenix live und unkritisch interviewt wurden.

Das macht es aus meiner Sicht notwendig, die Betreuung der Medien bei vergleichbaren Aktionen deutlich zu verbessern. Vielleicht ist es sinnvoll, denen sendefähiges Material anzubieten, Gesprächspartner (auch per Handy im Feld) zu vermitteln etc. Ich kann mir gut vorstellen, dass insbesondere Phoenix schon aufgrund der vielen Zeit, in der sie senden müssen, durchaus darauf zurückgreifen würde.

bürgerliche medien und eigene defizite

Jacques Cousteau 10.06.2007 - 10:18
Ja, es ist wahr das manipuliert wird, aber ich glaube das wird überbewertet. Problematisch fand ich hingegen, dass Verlautbarungen der Bullen unhinterfragt von der Bürgerlichen Presse übernommen wurden. Vielleicht waren sie auch von den rein propagandistischen Äusserungen überrascht, die langsam aber jedem Journalisten klarmachen sollten dass hier die Grundsätze der Kriegsberichterstattung zu gelten haben. D.h. *jede* verlautbarung sollte zumindest über andere Quellen geprüft werden.
Andererseits ist die Pressefeindlichkeit mancher Leute einfach nur dumm. Natürlich ist die bürgerliche Presse grundsätzlich feindlich, hier sticht traditionell der Springer-Konzern hervor, aber von einem heterogenen Block zu sprechen ist übertrieben, finde ich. Vielmehr muss man den Falschinformationen offensiv entgegentreten. D.h. Pressesprecher ernennen, der Presse selber Informationen liefern, also selber iniativ werden.
Eine andere Massnahme ist, eigene Strukturen zu gründen und fördern, wie indymedia, nadir.org etc.

man bedankt sich ja auch dafür... (Teil 2)

hdis 10.06.2007 - 12:18
Was ich vergessen hatte, mir wichtig war und der Überschrift erst einen Sinn ergibt:

Das bizarrste jedoch ist, dass sich der selbst ernannte "Polizeiführer" Knut Abramowski in der Abschlusspressekonferenz bei den Medien bedankt hat, dass sie immer die Botschaften der Polizei so gut verbreitet hätten.

Ich glaube in der Tat auch, dass man mit den bürgerlichen Medien (insbesondere den eher linken Qualitätszeitungen und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk) noch einiges mehr machen kann.

links zu g8 protest in rostock

autor 10.06.2007 - 12:31

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