Bericht aus Schwerin vom 2. Juni

imc roadie 03.06.2007 01:18 Themen: Antifa Antirassismus G8 G8 Heiligendamm Repression
Am Vormittag des 2. Juni gerieten etwa 100 AntifaschistInnen vor dem Schweriner Hauptbahnhof in einen Polizeikessel und wurden daraufhin bis etwa 19:30 in Gewahrsam genommen.
Dies soll der Versuch sein die Ereignisse in Schwerin relativ umfassend darzustellen. Da ich als Beteiligter allerdings nicht zu jeder Zeit überall vor Ort war, können Ergänzungen dieses Darstellungen sicher optimieren.

Da am frühen Morgen das Bundesverfassungsgericht die Demonstration der Nazis wie auch der antifaschisten Gegenveranstaltungen noch nicht endgültig für verboten erklärt hatte, machten sich u.a. aus dem Camp Reddelich AntifaschistInnen auf den Weg nach Schwerin, um im Falle einer entsprechenden Entscheidung vor Ort zu sein.

Bereits auf dem Weg dorthin konnte eine Gruppe von Nazis vor dem Bahnhof in Wismar durch die Überzahl der antifaschisten Bahnfahrer zum eiligen Verlassen des Vorplatzes bewegt werden. Danach setzte die Gruppe ihre Fahrt Richtung Schwerin fort.

Wenige Minuten nach 10:00 erreicht der Zug den Hauptbahnhof in Schwerin, wo nach dem Aussteigen im Bahnhof durch eine große Anzahl von Polizeieinheiten nur der Weg durch den Haupteingang auf den Bahnhofsplatz möglich war. Auf diesem Platz war bereits von drei Seiten ein Polizeikessel vorhanden, der nach wenigen Minuten und nachdem die etwa gut 100 AntifaschistInnen komplett aus dem Bahnhof herausgetreten waren auch hinten, d.h. zurück in Richtung der Gleise, durch eine Reihe von mit Schilden und Tonfas ausgestatetten PolizistInnen geschlossen wurde. Das Verlassen dieses seit der ersten Minute bestehenden Kessels war also nur in den ersten wenigen Minuten möglich, nämlich während die nachrückenden AktivistInnen noch nicht vollständig den Bahnhof verlassen hatten.

Nachdem der Kessel als solcher erkannte und realisiert wurde, entrollten die AntifaschistInnen ein Transparent und warteten das Vorgehen der Polizei ab. Die Polizei vertröstete zunächst mit einer Durchsage auf einen späteren Zeitpunkt, da noch nicht klar sei, ob die Versammlung stattfinden werde können. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch ein einziges Mal das Angebot seitens der Polizei unterbreitet den Bahnhofsvorplatz in Richtung des geplanten Demotreffpunkts zu verlassen. Nahezu die ganze Gruppe der Personen verharrte jedoch und wartete weitere Schritte ab.

Einige Zeit später teilte die Polizei dann jedoch mehrfach mit, dass die sich "vor dem Haupteingang befindende Personengruppe" ihre Vermummung abnehmen, ihr Transparent einrollen und einen Ansprechpartner bestimmten solle. Die auf den polizeiinternen Unterlagen der späteren Ingewahrsamnahme beschriebene Tatsache, dass "die Merheit der Personen" vermummt gewesen sein soll, trifft definitiv nicht zu. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Durchsagen jedoch noch mit Rufen und der kleinen aber gute Stimmung schaffenden Sambagruppe übertönt. Nachdem die Durchsagen einige Male wiederholt wurden und auch die AntifaschistInnen die Lage überblickt hatten, als auch aufgrund einer weiteren mittlerweile in Schwerin eingetroffenen Gruppe von AKtivistInnen, die sich angesichts des Kessels auf den Weg nach Rostock gemacht hatten, wurde die Situation neu besprochen. Daraus ergab sich die Entscheidung seitens der weiterhin konsequent (Toilettengänge waren in Begleitung möglich.) gekesselten AntifaschistInnen, die mittlerweile auch das Transparent eingerollt hatten, dass sie ebenfalls nach Rostock sich begeben wollen. Dies wurde durch einen Vertreter dem Einsatzleiter der Polizei mitgeteilt, der dies annahm und sogar per Durchsage bestätigte, dass sich die Polizei um eine entsprechende Zugverbindung kümmern würde.

Zu diesem Zeitpunkt wurden zur Vervollständigung des Bildes weder Gegenstände geworfen, noch sonstige Provokationen seitens der AntifaschistInnen getätigt. Ganz im Gegenteil war das Einrollen der Transparente, das Stellen eines Ansprechpartners sowie der Entschluss Schwerin zu verlassen die totale Erfüllung der durchgesagten polizeilichen Forderungen. Nach wie vor war der Kessel jedoch geschlossen. Was den Vorwurf der Vermummung anbelangt, so war zu diesem Zeitpunkt keine einzige Person vermummt.

Ebenfalls an diesem Punkt sollte die massive Anwesenheit von Kameras erwähnt werden. Neben den hierzulande üblichen Überwachungsmaßnahmen der Polizei waren zwei Kameras samt Reporter des ZDFs, eine Kamera des NDR sowie weitere nicht zuzuordnende Kameras anwesend. Daneben waren natürlich auch Radio- und Fotoreporter vor Ort.

Entgegen der rückblickend als dreiste Lüge zu bezeichnenden Ankündigung eine Zugverbindung nach Rostock zu organisieren, verkündete der Polizeilautsprecher gegen 11:30, dass die Personen im Kessel nun in Gewahrsam genommen sein, um weitere Verstöße gegen das Versammlungsgesetz zu verhindern. Dies löste verständlicherweise den starken Unmut der aus vielen Ländern stammenden AntifaschistInnen aus, die entgegen den zu vermutenden Erwartungen der Fernsehteams (Hier beziehe ich mich allerdings hauptsächlich auf die Berichterstattung von N24 und n-tv während des ASEM-Gipfels.) jedoch hauptsächlich mit "This is what democracy looks like!"-Rufen antworteten. Während der darauffolgenden Zeit wurde innerhalb des Kessels die Situation beraten und der Ermittlungsausschuss informiert, welcher sofort Anwälte nach Schwerin schickte.

Die Polizei kündigte daraufhin den Abtransport der in Gewahrsam genommenen Personen an und forderte die Personen auf sich freiwillig zur "Büßerstelle" zu bewegen. In mehreren Diskussionsrunde innerhalb des Kessels, die mehr oder weniger bilingual abgehalten wurden, kristallisierten sich zwei Gruppen heraus. Die eine Gruppe, die freiwillig den Kessel verlassen wollte sowie die andere, welche dies nicht für das entsprechende Vorgehen hielten. Relativ langsam verließen die Personen der ersten Gruppe den Kessel, nachdem sie dem EA und den Anwälten ihre Personalien durchgegeben hatten. Zum Thema Rechtsbeistand ist an dieser Stelle zu sagen, dass die Anwälte daran gehindert wurden direkt mit den Personen im Kessel zu sprechen. Als Begründung wurde anscheind der Begriff der "polizeilichen Maßnahme" ins Felde geführt. Die freiwillig den Kessel verlassenden Personen wurden nach Durchsuchung sowie Abfilmen in Busse (ingesamt nach meiner Zählung zwei Gefangenentransporter und zwei Busse des NahVerkehr Schwerins.) gebracht. Das vorgehen der Polizei gegenüber der verbleibenden zweiten Gruppe kann ich nicht schildern, jedoch waren die dabei eingesetzten PolizistInnen behelmt. Die so schließlich auch aus dem Kessel "entfernten" Personen gelangten ebenfalls in die Busse. Während des Abtransportes filmten mehrere Anti-Antifas ungehindert in die Busse (!).

Wenigstens zwei der Busse wurden in eine ziemlich heruntergekommene und laut Aussagen eines Polizisten nur noch wegen "uns" existierende Polizeiinspektion gebracht. In deren Hinterhof wurden die Insassen der Busse zunächst in niedrige und mit Holztüren ausgestattete Garagen verfrachtet, die im Innenraum teilweisse speziell mit Spanplatten ausgekleidet waren. Darin wurden die AntifaschistInnen, durch einen Bauzaun eingesperrt, zunächst belassen. Toilettengänge waren im Gegensatz zur Forderung nach Getränken möglich. Im Anschluß an diese vorübergehende Unterbringungen wurden die Personen nach und nach zur Erfassung in die Bürogebäude geführt. Dort wurden sie erneut abgefilmt, durchsucht und bezüglich ihrer Person befragt. In diesem Zusammenhang soll es zu folgendem Vorfall gekommen sein: Nachdem eine in Gewahrsam genommene Person beim ersten Schreibtisch nach der Möglichkeit zu einer eigenen Aussage gefragt hatte, wurde sie auf den nächsten Raum verwiesen. Dort jedoch war diese mit dem Kommentar "Das hätten Sie vorhin tun müssen, damit habe ich nichts zu tun." ebenfalls nicht möglich. Der Widerspruch gegen die Ingewahrsamnahme wurde schließlich bei einer nicht zuständig erscheinenden Person mit einem ziemlich herablassendem Verhalten auf einen gerade herumliegenden Zettel gekritzelt.

Nach dieser Behandlung wurden die Personen erneut in den Hinterhof geführt, wo die meisten in größere Garagen gebracht wurden, welche ebenfalls mit Bauzäunen zu Sammelzellen verwandelt wurden. Einzelzellen mit Insassen waren allerdings auch vorhanden und in Gebrauch. Die Zellen selbst waren bei kalten Witterungsbedingungen in keinster Weise ausgestattet und nur auf Nachfrage wurden jeder Person Isomatten gebracht. Nun am späten Nachmittag wurden auch zum ersten Mal seit 11:35 Getränke verteilt.

Gegen 19:00 wurden die Gefangenen davon in Kenntnis gesetzt, dass sie in Kürze frei kommen würden. Dies überraschte, da die Insassen sich eigentlich schon auf das in Aussicht gestellte Essen gefreut hatten, wurde jedoch nach einigen Minuten in die Tat umgesetzt. Nach der Rückgabe der persönlichen Gegenstände konnten die meisten AntifaschistInnen zwischen 19:00 und 20:00 das Gelände verlassen.

Die nun wieder freien Personen koordinierten daraufhin auch die Rückfahrt Richtung Rostock und wählten die Bahnverbindung über Wismar. Dort traf die wieder relativ große Gruppe zwei Nazis, die ebenfalls den Zug nehmen wollte. Die Anwesende Polizei verhinderte jedoch zwischenmenschliche Interaktion und verwies auf das in Mecklenburg-Vorpommern legale Tragen der Zahl "88", welche der männliche Nazi groß auf seinem T-Shirt stehen hatte.

Zusammenfassend ist der Tag in Schwerin als eindeutig illegitimes und ebenso eindeutig illegales Vorgehen der Polizei zu bewerten. Denn gekesselten und relativ kooperativen Personen das Nicht-Verlassen des Bahnhofsvorplatzes als Grund für eine Ingewahrsamnahme vorzuwerfen, sollte jeder Mensch als polizeiliche Willkür erkennen.

Da im Zuge von Repression der zwischenmenschliche Zusammenhalt immer hervorgehoben wird, möchte ich mich beim IMC Dispatch Team bedanken, das uns liebe Durchhaltewünsche mit auf den Weg gab und auch sonst gute Arbeit leistet.

Mit der Bitte um Ergänzungen sowie Übersetzungen und einer Entschuldigung für die durch Müdigkeit begründeten Konzentrationsfehler.
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Ergänzungen

Verständigungsprobleme

A.C.A.B. 03.06.2007 - 14:09
Zum Thema Vermummung im Kessel, ja am Anfang waren ein Paar Leute vermummt. Dies allerdings waren nur eine Handvoll Menschen aus den Niederlanden, die sich nicht darüber im klaren waren, das sie damit gegen "deutsches Recht" verstoßen. Nachdem ich sie davon in Kenntnis gesetzt hatte, zogen sie sofort die Tücher runter da auch sie weitergehen wollten.

Die durch den "Ansprechpartner" und mich an die Polizei herangetragene Bitte, doch die Aufforderungen auch in Englisch durchzusagen wurde komplett ignoriert.

Zum Thema Vermummung muss auch noch gesagt werden, das auf dem Platz eine Hasskappe gefunden wurde, als wir uns später im Bus zum Abtransport befanden, ereignete sich folgendes Gespräch zwischen 2 Pigs:

"Pig-1: Was soll ich mit der Hasskappe machen, die können wir ja niemandem zuordnen?
Pig-2: Pack die mal zu den Asservarten!
Pig-1: Und wieso?
Pig-2: Damit können wir das ganze hier rechtfertigen!"



2 Beteiligte - guter Artikel

egal 03.06.2007 - 17:17
Hallo,

waren beide auch dabei. Der Artikel beschreibt sehr gut die Situation. Zur 2ten Gruppe: Die Leute wehrten sich nicht. Sassen auf dem Boden - und immer wenn die Polizei zu fuenft kam, standen die Menschen auf und begleiteten sie zu den Gefangenentransportern (und Linienbussen)

Gedächtnisprotokoll

Streetworker 04.06.2007 - 10:18
Also, ich war NICHT im Kessel, da ich schon kurz vor 9:30 in SN ankam.
Die eigentliche Geschichte meines Werdeganges ist anderswo nachzulesen.

Hier also nur die Schilderungen der Kesselungen im Detail - besonders zu den Randereignissen.

1. Gruppe von Antifaschisten/Innen:

Freiwillige Aufgabe und freiwilliger Gang in den Gefangenentrasporter und Stadtbusse.
Arbeit des EA's (habe mich ihm zu diesem Zeitpunkt angeschlossen) war fast unmöglich. Der Helikopter machte einen Höllenlärm und die Entfernung war sehr groß zum Brüllen!

Die Bitte, dass die Leute einen Zettel und einen Stift kriegen, um ihre Daten aufzuschreiben, wurde verwährt. Auch das Durchlassen einer Aktivistin, um die Daten persönlich aufzunehmen, wurde verweigert! Also blieb es beim lauten Schreien über den halben Bahnhof.

Anti-Antifa:

Ja es waren ca. 4 Leute anwesend, die Filmmitschnitte gemacht haben. Nachdem wir aufmerksam wurden auf diese Leute, haben wir anfänglich nur zurückgefilmt und später sie mit unserer Anwesenheit vor der Kamera irritiert (Kapuze und Sonnenbrille waren da sehr hilfreich, da sie noch in der Unterzahl waren). Sie gaben das dann auch schnell auf.

Jedoch versammelten sich an der Bahnhofsseite - nähe WaWe - weitere von ihnen, die aber allesamt nur gafften. Am Blumenladen sammelten sich noch einmal welche.

Zu allen Leuten habe ich Fotoaufnahmen!! Stelle sie gerne zur Verfügung, auch wenn sie relativ unscharf sind (scheiß Handy).

2. Gruppe von Antifaschisten/Innen:

Sie mussten von der Polizei weggetragen werden, leisteten jedoch keinen Widerstand dabei. Nach 3 Durchsagen, sich zu ergeben (salopp gesagt), zog sich die Polizei ihre Kampfuniform über und setzte die Helme auf.

Am Rande passierte dann noch ein Exzess außerhalb des Bahnhofgeländes (siehe mein anderer Bericht).

Gegen 17Uhr waren alle Leute abtransportiert. ABER: An eine Arbeit des EA war nicht mehr zu denken, denn der Transporter sowie der Bus wurden so geparkt, dass eine Durchgabe von Namen und Gebdaten NICHT mehr möglich war. Maximal durch die offenen Busfenster ...

Die Polizei löste nach der letzten Ingewahrsamnahme und der Abfahrt des Busses den Sperrgürtel auch sofort auf.

Fazit:

Das - unser - Verhalten war nicht nur FRIEDLICH sondern auch von Kompromissbereitschaft geprägt! Wir wollten alle nur noch weg aus SN, aber wir durften ja nicht ...