NS-Arzt: Straße in Münster umbenannt

antifa 31.05.2007 00:19 Themen: Antifa
AntifaschistInnen haben heute den "Jöttenweg" - eine kleine Straße in Münster/Westf. - umbenannt. Der Straßename würdigt den NS-Arzt Karl Wilhelm Jötten, der als "Rassenhygieniker" und Mediziner für Menschenversuche, Zwangstilisierung und Ermordung von "Schwachsinnigen" mitverantwortlich war. Nach dem Krieg konnte Jötten - wie viele seiner Kollegen - in Münster weiter Karriere machen und wurde sogar Leiter des Instituts für Humangenetik. Er bekam für seine Arbeit auch das Bundesverdienstkreuz verliehen.
Jötten war nicht der Einzige, der nach dem Nationalsozialismus ohne Probleme in Münster weiterarbeiten konnte. So kam z.B. Otmar von Verschuer, Doktorvater des KZ-Arztes Mengele, welcher in Auschwitz für die Selektierung und Ermordung tausender Menschen verantwortlich war, 1946 in Münster unter, nachdem er in Frankfurt a.M. auf Grund seiner Vergangenheit abgelehnt wurde. In Münster war der Burschenschaftler Verschuer zeitweise sogar Dekan der Medizinischen Fakultät.

Mit Jöttens Vergangenheit wurde sich in Münster kaum beschäftigt, weder in der Öffentlichkeit, noch an der Uni und erst recht nicht an der Medizinischen Fakultät. Vor einer Woche machte ein Artikel in der Münsterschen Zeitung den Skandal, dass nach Jötten sogar eine Straße benannt ist, öffentlich.

Der Artikel beruft sich vor allem auf die Studie von Jan Nikolas Dicke "Eugenik und Rassenhygiene in Münster zwischen 1918 und 1939" (Weissensee-Verlag), die schon 2004 publiziert wurde.

Verschiedene PolitikerInnen fordern nun die Umbenennung der Straße. VertreterInnen des Uni-Astas klebten vor einer Woche einen alternativen Text zur Erläuterung unter das Straßenschild. Mitglieder der Antifaschistischen Aktion Münster (AFA) wollten nicht auf einen langwierigen, bürokratischen Prozess warten und haben nun die Straße in "Paul-Wulf-Weg" umbenannt. Paul Wulf war ein Münsteraner Antifaschist, der während der NS-Zeit Opfer von Psychatrie und Zwangstilisierung wurde. Er kämpfte zeitlebens gegen den Neofaschismus und forschte ausführlich zu den Verbrechen der NS-Psychatrie, Eugenik und Euthanasie.

Die Antifas fordern die sofortige Umbenennung der Straße und die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit an den medizinischen Instituten.

Schon 1987 gab es übrigens einen Anschlag auf das Humangenetische Institut in Münster durch eine Gruppe der Roten Zora. Dabei ging es vor allem um den Kampf gegen die Humangenetik und die Bevölkerungspolitik, die Frauen in den Industrieländern, aber vor allem auch im Trikont unterdrückt. In der Anschlagserklärung wird auch kurz auf die NS-Geschichte einiger Mediziner des Instiuts eingegangen, so u.a. auch Ottmar von Verschuer.



weitere Infos:

Wer war Paul Wulf?

Der Antifaschist Paul Wulf wurde am 2.Mai 1921 geboren. Mit 11 Jahren wurde er in die jugendpsychiatrische Anstalt Marsberg eingewiesen. Dort wurde er als „Schwachsinniger ersten Grades“ eingestuft. Um ihn vor der Vergasung zu retten stimmten seine Eltern der Zwangssterilisation zu, welche am 12.März 1938 in Paderborn durchgeführt wurde.
Nach seiner Entlassung aus der Psychiatrie beteiligte sich Wulf am Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Auch nach 1945 war er in Münster politisch aktiv. Er war Mitbegründer der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), setzte sich für Entschädigungszahlungen für Euthanasieopfer ein und arbeitete sein Leben lang an der Aufklärung von NS-Verbrechen. Paul Wulf starb am 3.Juli 1999 in Münster.
mehr unter:  http://www.paul-wulf.net


Medienbeiträge zu Jötten:

[Zeit] http://www.zeit.de/campus/online/2007/22/muenster-joetten
[Spiegel] http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,484508,00.html
[WDR] http://www.wdr.de/themen/wissen/bildung/hochschulen/muenster_joetten/index.jhtml
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Dazu eine kleine Reminiszenz:

ex-ms-ler 31.05.2007 - 00:39
Am Tag nach dem Anschlag der Roten Zora (s.o.) traf ich zufällig Paul Wulf vor dem Landesmuseum Münster.
"Darauf hab' ich mir erst mal einen Schnaps getrunken", war sein Kommentar zu der Aktion.
(Er war noch sauer, dass er einstmals erst im Humangenitischen Institut "einen abdrücken" sollte, bevor seine Leidensgeschichte dort für glaubwürdig gelten konnte.)

Erschreckend

Jan Nikolas Dicke 04.06.2007 - 22:14
Als Autor der die Kontroverse (mit-)ausgelöst habende Exemansarbeit reagiere ich mit ziemlichen Entsetzen auf die Verflachung der in Münster geführten Diskussion. Weder halte ich die ausschließliche Konzentration auf Jötten für gerechtfertigt, noch gibt es meines Wissens Belege für den von der Antifaschistischen Aktion Münster erhobenen Vorwurf, Jötten sei "mitverantwortlich für die Ermordung 'lebensunwerten' Lebens" gewesen.

Ich wäre der AfA dankbar, wenn sie die Quellen für solche Anschuldigungen offen legen würde, um so einen wichtigen Beitrag zu der zweifelsohne relevanten, meines Erachtens aber noch längst nicht entschiedene Frage der Rolle Jöttens während der NS-Zeit zu leisten, sich andernfalls jedoch solch schwer wiegender Entschuldigungen zu enthalten.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 8 Kommentare an

sehr — gut

Eure Helden — Giggy

freut mich! — gut

Ja, schon drüber nach gedacht — der Krankenwagenfahrer

Gut gedacht — AJ-Erding

@erdinger — weißbier