Lindau gegen G8

K9 30.05.2007 08:37 Themen: Antifa G8 Heiligendamm Globalisierung
Der Lindauer Beitrag zum Anti-G8-Aktionstag war einigermaßen erfolgreich: Ein gut besuchter Infostand am Vormittag, am Nachmittag eine Demo mit über 200 TeilnehmerInnen, kaum Nazis und kein Stress an der Grenze.
Obwohl sich am Donnerstag (24. Mai) schon 65 Leute zu einem Infoabend getroffen hatten, war das Informationsbedürfnis offenbar noch nicht gestillt: Am Samstag (26. Mai) Vormittag gab es einen Infostand in der Innenstadt, der wegen der Vielzahl der Gruppen des Lindauer Bündnisses gegen G8 zu einem Infomarkt ausartete - die Tische mussten im Zickzack aufgestellt werden, damit sie überhaupt auf den Platz vor dem Rathaus passten. Selbstverständlich wurden die behördlich genehmigten vier Quadratmeter Standfläche aber zu keinem Zeitpunkt überschritten-;-) Vom Tierschutz bis zu den Menschenrechten war so ziemlich alles vertreten, und über mangelnden Zulauf konnte sich keine der Gruppen beklagen.

Am Nachmittag versammelten sich dann gut 200 Leute aus den verschiedensten Spektren bei der Stadtverwaltung und zogen gemeinsam über die Insel zum Seehafen. Flüchtlingshilfe (exilio e. V.), Eine-Welt-Gruppe und attac kritisierten die G8 aus ihrer jeweiligen Perspektive. Amnesty international war gegen Krieg und forderte die Menschenrechte ein, und zwar einschließlich des Rechts auf abweichende Meinung und Protest. Gegen Krieg (insbesondere die aggressive deutsche bzw. EU-Außenpolitik) und die Repression gegen den Gipfel-Widerstand gab es auch Redebeiträge von weiter links.

Ein Punk sprach vor dem McDonald's über McDonald's, Coca Cola, George Bush, G8 und darüber, dass der Kampf gegen Symbole eigenes Denken und reales Engagement nicht ersetzen kann. Außerdem erklärte er noch, warum die Globalisierung nicht (wie viele meinen) den Menschen in den armen Ländern hilft, sondern die Ungerechtigkeit in quasi-kolonialer Weise zementiert, und erinnerte an einen anderen Punk, der letzten Sommer an der selben Stelle von Nazis fast tot geschlagen worden war.

Auf der Abschlusskundgebung sprachen zwei argentinische AnarchistInnen über soziale Bewegungen, Prekarisierung, die Finanzkrise von 2001 (als plötzlich nicht nur die "Unterschicht" von der Verelendung betroffen war, sondern auch der Mittelstand durch den Verlust der Spareinlagen enteignet wurde) und die Möglichkeit, dass so etwas auch hier passieren könnte. Dazu zogen sie einige Parallelen zwischen der Situation in Deutschland heute und in Argentinien Ende der 90er, z. B. was die Privatisierungen und andere neoliberale "Errungenschaften" betrifft. Sie wiesen auch darauf hin, dass der heutige weltweite Neoliberalismus seinen Ursprung in den Wirtschaftsreformen hat, die in Lateinamerika seit den 70ern von Militärdiktaturen durchgesetzt worden waren, und erläuterten die hierarchiefreien, horizontalen Organisationsprinzipien ihrer Widerstandsbewegungen.

Künstlerische Beiträge gab's auch noch, und zwar vom Liedermacher John Gillard, der von attac eingeladen worden war, und dem Lindauer Schriftsteller Fritz Reutemann, der mit seinem bekannt trockenen Humor und wenigen Worten den Gipfel und seinen paranoiden Zaun durch den Kakao zog.

Die Polizei hielt sich sehr im Hintergrund: ein Dutzend Uniformierte und zwei Zivis spazierten hinter bzw. neben der Demo her. Lediglich einmal wurden ein paar Robocops aus größerer Entfernung gesichtet. Auch zur befürchteten Sperrung der österreichisch-deutschen Grenze kam es nicht: weder auf den Bahnhöfen noch auf Landstraße oder Autobahn fanden Polizeikontrollen statt. Angeblich hinderte die Polizei "einige Rechtsradikale" an Störaktionen; nur bei der Schlusskundgebung tauchten drei FaschistInnen auf, die zu diesem Zeitpunkt jedoch schon so betrunken waren, dass sie bloß kurz durchs Bild stolperten und ausgelacht wurden, ohne sich groß artikulieren zu können.

Die Aktionen in Lindau waren auf einer regionalen Nazi-Website als Veranstaltungen der "linksextremen Szene" angepriesen worden, die sie "nutzen wird, um Leute für ihre perversen Interessen und ihre Antideutsche Weltanschauung zu gewinnen" (Rechtschreibung im Original). Nun, der linksextremen Szene scheint das gelungen zu sein: Nicht nur, dass sich der Demo am Samstag unterwegs mindestens ein Dutzend Leute spontan anschlossen, sondern es fanden sich auch einige Fahrgemeinschaften nach Rostock zusammen, und zwar teilweise sogar mit Leuten, die erst auf den Veranstaltungen überhaupt auf die Idee kamen, sich am Gipfelsturm zu beteiligen.

Im Juze X-tra sollten nach der Demo noch Filme zum Thema gezeigt werden, was aber abgesagt wurde, da es dem städtischen Sozialarbeiter nicht zusagte. Angeblich, weil er Angst hatte, von der Stadt dafür eins auf den Deckel zu bekommen. Dieser Vorfall verdeutlicht mal wieder die Notwendigkeit autonomer, sozialarbeiterInnenfreier Jugendzentren. Zünftige Nach-Demo-Partys gab's trotzdem im, vorm und gegenüber vom Juze.

Ausschreitungen oder Sachbeschädigungen gab es bei der Demo offenbar nicht, nicht mal am McDonald's; die McWerbetafel auf dem Seeparkplatz trägt allerdings seit Neuestem eindeutig antikapitalistische Botschaften.

Ein hübsches Bild vom Rathaus gibt's noch in diesem Artikel:
 http://de.indymedia.org/2007/05/178762.shtml
Public Domain Dedication Dieses Werk ist gemeinfrei im Sinne der Public Domain
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

SozialarbeiterInnen

Sozialarbeiter 30.05.2007 - 09:43
Tag,

an dieser Stelle möchte sich zmal ein Sozialarbeiter melden und dem gängigen Klischee, dass auch in diesem Artikel eingebaut wurde, widersprechen. Nicht jedeR SozialarbeiterIn nimmt den hat das selbe politische Denken, aber es ist ja auch nicht primär die Arbeit von SozialarbeiterInnen, die Jugend zu politisieren. Es gibt genug andere Probleme/Aufaben welche sehr wichtig und unterstützenswert sind. Will mal sehen wie ein selbsterwaltetes Jugendzentrum versucht misshandelte Kinder zu helfen und unterstützen, wie drogenabhängigen oder kriminelle (und da mein ich nicht Diebstahl) Jugendliche geholfen werden kann. Und gerade bei solchen Angelegenheiten haben SozialarbeiterInnen sehr wohl eine nicht staatskonforme Sicht... Zwar wird der Begriff Devianz verwendet aber viele Sozialarbeiter halten sich an das Modell der Anomietheorie von Merton, welche als Grund für deviantem Verhalten bei der falschen Verteilung und bei falschen gesellschaftlichen Normen und Werte nennt.

Also bitte nicht einfach pauschal über eine Personengruppe urteilen, besonders wenn mensch keine Ahnung davon hat.

Bodensee

Ortskundiger 30.05.2007 - 13:40
Lindau liegt am Bodensee nahe der österreichischen Grenze.

Bilder

Mr.Green 31.05.2007 - 19:06
Bilder von der Demonstration

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 5 Kommentare an

Ortsangabe fehlt — ein Leser

Sozialarbeit ist Politik — noch ein Sozialarbeiter

Verona P. ist Sozialarbeiterin? — asozialarbeiter

mobilisierung? — autonomer