Leipzig: 700 gegen EU-Stadtpolitik-Treffen

Badewannenkapitän 25.05.2007 00:33 Themen: Freiräume Globalisierung Soziale Kämpfe
In Leipzig findet zur Zeit ein EU-Ministertreffen für Stadtentwicklungspolitik statt. Außer Luft und Papier wird dort nicht viel produziert. Da die aktuelle Stadtentwicklungspolitik jedoch eine Reihe von Zumutungen bereithält, war Protest angebracht. Unter anderem gab es am Donnerstag Abend eine Demonstration gegen das Ministertreffen, an der sich 700 Leute beteiligten.
Das Ministertreffen: Heiße Luft und Propaganda

Leipzig ist für den 24. und 25. Mai der Schauplatz für das informelle Treffen der für Stadtentwicklung zuständigen Minister der Europäischen Union. Auf Einladung des ehemaligen Leipziger Oberbürgermeisters und jetzigen Verkehrsministers Wolfgang Tiefensee soll auf dem Treffen über "nachhaltige Stadtentwicklung" und "territorialen Zusammenhalt" der europäischen Städte gesprochen werden. So vage diese zwei Begriffe klingen, so unkonkret sind denn auch die Beschlüsse, die das Ministertreffen treffen will.

Verabschiedet wurde am Donnerstag bereits die "Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt". Dort ist zwar von stärkerer Bürgerbeteiligung, Integration von MigrantInnen und einer Verringerung der sozialen Differenzierung die Rede, aber liest man zwischen den Zeilen, so ist leicht zu erkennen, daß es in dem Papier nicht um die Stadt als einen Ort zum Leben, sondern nur um den Standort geht, den es für potentielle Investoren fitzumachen gilt. Und gleich zu Beginn wird unter dem Stichwort "Lissabon" ganz offen für eine Fortsetzung neoliberaler Strategien geworben.

Die Stadtentwicklungspolitik: Unsozial, ausgrenzend, repressiv

Papier hin, Ministertreffen her: Die Stadtentwicklung sieht momentan auch so nicht gerade so aus, wie das wünschenswert wäre. So werden etwa der städtische Raum und kommunales Eigentum zunehmend der Privatisierung und Kommerzialisierung unterworfen. Im Zuge dieser Entwicklung werden immer mehr Menschen aus verschiedenen Stadtteilen, vor allem den Innenstädten, verdrängt. Durch die "bauliche Aufwertung" werden Menschen, die sich höhere Mieten nicht leisten können, gezwungen, in andere Stadtteile zu ziehen. Und wer nicht ins Bild des braven Konsumenten passt, braucht sich in den Innenstädten auch nicht sehen lassen.

Abgesichert wird diese Verdrängung durch zunehmende Überwachung und Repression. So ist Leipzig beispielsweise Voreiter in Sachen Videoüberwachung; allein in der Innenstadt darf man sich von (nach älteren Zählungen) 700 Kameras beobachten lassen. Und in der Innenstadt patroulliert nicht nur die Polizei, sondern auch eine Reihe von privaten Sicherheitsdiensten. Nicht zuletzt werden linke und alternative Zentren, die der momentanen Stadtentwicklungspolitik ohnehin ein Dorn im Auge sind, zu Keimzellen des Terrorismus gestempelt, wie beispielsweise zuletzt in Hamburg und Berlin.

Der Protest: Gegenerklärung, kleine Aktionen, erfolgreiche Demo

Ausreichend Gründe also für Protest, den es denn am Donnerstag dann auch gegeben hat. Schon vor dem Ministerreffen wurde von einigen Leipziger Gruppen und Organisationen eine "Leipziger Erklärung" als Gegenentwurf zur "Leipzig-Charta" verfasst und in Umlauf gebracht. Bereits am Mittag wurde versucht, während einer Stippvisite der MinisterInnen in einem der sogenannten Wächterhäuser (Projekte, mit denen denkmalsgeschützte Häuser vor dem Verfall gerettet werden sollen) an den umliegenden Häusern Transparente aufzuhängen; die Polizei versuchte jedoch recht vehement, alle nicht ins Bild passende Deko zu entfernen und schabte am Hauseingang des Wächterhauses auch noch fleißig Aufkleber ab.

Am Abend schließlich startete vom Leipziger Hauptbahnhof eine Demonstration gegen das Ministertreffen unter dem Motto "Stadt für alle - gegen Privatisierung, Ausgrenzung, Überwachung!" Eigentliches Ziel der Demonstration war das Bundesverwaltungsgericht, in dem die Minister tagten, aber die Polizei hatte dieses sowie das Bildermuseum und das Westin-Hotel, wo ebenfalls Termine des Ministertreffens geplant waren, abgeriegelt. Gegen 18:30 Uhr zog der Demonstrationszug los und wuchs zwischenzeitlich auf über 700 Leute an.

Dem Aufruf des Vorbereitungsbündnisses waren mehrheitlich Leute aus der autonomen Szene gefolgt, da aber die "Leipziger Kamere.Initiative gegen Überwachung" Luftballons mit einem "Stadt-für-alle"-Aufdruck verteilte und sich eine Rebel-Clown-Army-Gruppe an der Demo beteiligte, erschien diese nicht als schwarzer Block. Das war der anwesenden Polizei dann aber auch wieder nicht recht; einer der Clowns der RCA wurde, weil er sich nicht ausweisen wollte, erstmal von Team Green mitgenommen. Die Demo stoppte daraufhin und ging nicht weiter, bis eine Freilassung durchgesetzt wurde und der Clown wieder auf seinem Posten war.

Ansonsten verlief die lautstarke und kraftvolle Demo störungsfrei, womöglich zum Ärger der Lokalpresse (Leipziger Volkszeitung), die sich im Vorfeld der Demo schon mal bei den VorbereiterInnen erkundigt hatte, ob und wo man denn Randale zu sehen bekommen könnte.

Stadt für alle -
Vergesellschaftung statt Privatisierung!

Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Keine Ergänzung / Frage

sumsujm 25.05.2007 - 06:05
"womöglich zum Ärger der Lokalpresse (Leipziger Volkszeitung), die sich im Vorfeld der Demo schon mal bei den VorbereiterInnen erkundigt hatte, ob und wo man denn Randale zu sehen bekommen könnte."

Könnt ihr das konkretisieren?

konkretisieren@leipziger.volkszeitung

(ich zitiere) 25.05.2007 - 13:08
[===>BITTE LÖSCHEN, FALLS DOPPELT GEPOSTET!CLOWNS STATT KRAWALLE / demonstration von g8-gegnern verläuft ohne zwischenfälle / bis zu 700 teilnehmer
>
>Es war gegen 17.30uhr, als ein dutzend jugendliche mit auf protest gekämmten frisuren den sonnigen platz vor dem mobilitätszentrum der leipziger verkehrsbetriebe gegenüber vom hauptbahnhof einnahmen und sich mit bier zuprosteten. später dann wurden luftballons verteilt und die demonstrationsteilnehmer per lautsprecher darauf hingewiesen, dass sie ihr leergut bitteschön in dem eigens aufgestellten glascontainer entsorgen und die grünflächen nicht beschmutzen sollen. er begann arg verspätet, aber überaus geordnet, der gestrige aufmarsch hunderter globalisierungskritiker durch leipzigs innenstadt. die polizei schätzte die teilnehmerzahl auf bis zu 700.
Bis kurz vorher war nicht klar, was da auf die stadt am rande des eu-ministertreffens und zwei wochen vor dem g8-gipfel in heiligendamm zukommt. immer wieder hatten autonome in den vergangenen tagen mit spontanen demos, bei denen es auch zu krawallen gekommen war, die polizei beschäftigt.
Entsprechend war die ordnungsmacht auch präsent. mehrere hundert bereitschaftspolizisten aus leipzig und chemnitz sowie kräfte der polizeidirektion begleiteten die zumeist jungen demonstranten. wohlweislich hatte das städtische ordnungsamt den protest nur mit mehreren auflagen genehmigt. sitzblockaden in kreuzungsbereichen waren ebenso untersagt wie"plötzlicher laufschritt". zudem durften die demonstranten, die sich unter der losung "stadt für alle" versammelt hatten, nur den rechten fahrbahnrand benutzen, um dern verkehr nicht zum erliegen zu bringen. bis zu abschlußkungebung gegen 20.15 sei "alles total friedlich" geblieben, so polizeisprecherin diana v[.]. "es gab keinerlei zwischenfälle".
Zumal unter den demonstranten auch weniger gewaltbereite autonome zu sein schienen. stattdessen sorgten angehörige einer bunten spaßguerilla [anmerkung: cool, lvz hat ein wort dazugelernt!] in clownskostümen selbst bei sonnenbebrillten einsatzkräften für zuckende mundwinkel. bereits zuvor hatte veranstalterin karla rosenbeet [name beim abtippen geändert] den festen willen bekräftigt, "einen geordneten protest" zum ausdruck bringen zu wollen. "gegen privatisierung, ausgrenzung, überwachung" hatten verschiedene linksalternative und globalisierungskritische initiativen ihre aktion überschrieben.
auch den ganzen tag über blieben die im vorfeld befürchteten aktionen militanter gipfelgegner gegen das ministertreffen aus. lediglich bei einer exkursion der ministeriellen delegationen zu einem wächterhaus in der zschocherschen straße hatten sich am mittag fünf protestler mit einem transparent auf einem hausdach versammelt - bestenfalls eine anekdote am rande.
>frank d[...]spaßguerilla statt krawalle: der protest von globalisierungsgegnern bleibt friedlich.sicherheitszone vor dem bundesverwaltungsgericht: hier tagen die eu-ministermit transparenten machen die demonstranten ihre meinung deutlich.sicher ist sicher: hunderte bereitschaftspolizisten begleiten den protestzug.< [sic!]


[...ganze zwei fotos sind, wen's interessieren könnte, von der startseite 'www*lvz-online*de' verlinkt]

gespräch mit leipziger Kamera vor Demo

radio corax 25.05.2007 - 17:03
wir schauen jetzt nach leipzig. das hat einen ganz einleuchtenden grund. heute findet nämlich in Leipzig ein inoffizielles EU-Ministertreffen für Stadtentwicklung statt. Oha. Ein breites Bündnis hat dann auch gleich Proteste gegen dieses Treffen und die momentane Stadtentwicklungspolitik angekündigt. Wieso und warum - konnte Peter von der Leipziger Kamera Judith sagen.