Convergence Space Berlin + FIGHT ANTISEMITISM

Karl und Rosa Kemper 24.05.2007 16:48 Themen: Antifa G8 G8 Heiligendamm Globalisierung Soziale Kämpfe
Seit Montag ist Kreuzberg 36 der "Convergence Space Berlin". Der CSB ist ein grob abgesteckten Raum in dem sich Aktivist_innen untereinander und mit der Bevölkerung annähern und austauschen können und daraus entstehen eventuell Denkanstöße und Aktionen. Seit heute hängt am Eingang des New Yorck im Bethanien ein "FIGHT ANTISEMITISM"-Transparent. Dies ist u.a. eine Reaktion auf den Brandanschlag auf die größte Synagoge in Genf.
Neben den Convergence Centern für die G8-Proteste in Hamburg (25.5. - 10.6.2007, in der Roten Flora) und Rostock (25.5. - 2.6.2007) gibt es in Berlin den Convergence Space (21.5. - 16.6.2007). Dabei handelt es sich nicht um ein einzelnes Center, sondern um gesamt Kreuzberg 36: "Konvergenz bedeutet Annäherung; so ist die Idee des CS, dass Aktivist_innen untereinander und mit der Bevölkerung sich auf einem grob abgesteckten Raum annähern, austauschen und daraus phantasievolle Aktionen entstehen werden. Space bedeutet Raum; so soll der CS kein abgekapselter Ort sein, sondern ein offener Raum, der allen zugänglich ist." In der Zeit des CSB gibt es drei feste Anlaufstellen:

- das Clash, Gneisenaustrasse 2, Hinterhof (U-Bhf) Mehringdamm
geöffnet täglich von 12 bis 2 Uhr, freitags/samstags bis 4 Uhr

- die Köpi, Köpenickerstrasse 137, Berlin Mitte S-Bhf Ostbahnhof
geöffnet täglich von 12 bis 15 Uhr

- New Yorck im Bethanien, Mariannenplatz , Seitenflügel
geöffnet vom 21.05. bis 1.6. und vom 9.6-16.6 täglich von 8 Uhr bis 23 Uhr

An einer dieser Anlaufstellen, dem New Yorck im Bethanien, wurde heute ein Transparent mit der Aufschrift "FIGHT ANTISEMITISM" über den Eingang gehangen. Dabei handelt es sich zum einen um eine direkte Reaktion auf den Brandanschlag heute Nacht in der Schweiz, bei dem die größte Synagoge in Genf zerstört wurde ( http://de.indymedia.org/2007/05/178308.shtml). Zum anderen ist es ganz allgemein ein Versuch das Thema Antisemitismus in der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel präsenter zu machen. Denn wie so oft, wird sich auch und gerade in der Gipfel-Mobilisierung und -Aktionsplanung selten bis garnicht mit Antisemitismus beschäftigt. Wenn überhaupt, dann nur wenn es Kritik an verkürtzter und personalisierender Kapitalismuskritik oder "Solidarität" mit nationalen Befreiungsbewegungen gibt, oder sich von den Positionen von Neonazis abgegrenzt werden soll. Doch Antisemitismus muß für jede emanzipatorische Bewegung neben Kapitalismus, Sexismus und Rassimus einen festen Platz auf der Liste der zu analysierenden und zu bekämpfenden Herrschaftsverhältnisse haben. In diesem Sinne werden wir auch in Hamburg, Rostock und Heiligendamm aktiv sein und fordern alle auf dies auch zu tun! Das breite Schweigen zu antisemitischen Pöbeleien, Übergriffen und Anschlägen, ob nun in der Schweiz, Deutschland, Frankreich,... muss gebrochen werden. Antisemitismus muss bei einem Großereigniss wie dem G8-Gipfel und auch darüber hinaus thematisiert und bekämpft werden.
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Ergänzungen

sehr gute aktion

antifa 24.05.2007 - 17:08
ich erinnere mich noch daran, das es auf dem grenzcamp in straßbourg eine aktion gab, bei der versucht wurde aus der demo herraus eine synagoge anzugreifen. sowas darf nicht nur nicht geduldet werden, da müssen klare konsequenzen folgen. leider wurde sich z.b. mit diesem furchtbaren ereingnis in der linken viel zu wenig beschäftigt. antisemitismus ist bis auf wirre sekten-auseinandersetzungen noch immer eine art blinder fleck in der bewegung.

G8 - Never! KÖPI - Forever!

Köpi 24.05.2007 - 18:13
Und damit die Köpi auch in Zukunft Anti-G8-Infopunkte und ähnliches realisieren kann, braucht sie eure tatkräftige Unterstützung!
Am 12.6. ist Global Actionday für die Köpi
und am 16.6. ist G8-Antirepressionsdemo und Köpi-Demo in einem.

Darüberhinaus sind alle UnterstützerInnen eingeladen, einfach mal vorbeizukommen, sich ans Tor zu setzen ein Bierchen oder ein Bionädchen zu trinken, zu den Konzerten oder auch ins Kino zu kommen. Usw. Usf...
Und natürlich ist bis zum 16.6. Anti-G8-Infopunkt in der Köpi: täglich geöffnet mindestens von 12-15 Uhr.

Haut rein, werdet aktiv!

Viva Köpi!

Sinnvoll für die Auseinandersetzung ...

bikepunk 089 24.05.2007 - 19:59
...ist die Broschüre "The past didn't go anywhere" von April Rosenblum, einer linken Aktivistin aus (ich glaube) Philadelphia. Hier findet eine Auseinandersetzung mit Antisemitismus gerade in derLinken statt, die nicht von der Feindseligkeit gegenüber linker Politk geprägt ist, wie sie oft das Feulliton von FAZ bis Jungle World prägt. Stattdessen wird beim lesen klar, dass sich die Autorin klar in einer Bewegungslinken verortet und auch eine andere Auseinandersetzung mit Antisemitismus promoted als weite Teile der deutschen antideutschen Linken. Bikepunk 089 rät: Runterladen, lesen, diskutieren, vielleicht drucken und verteilen:
 http://www.pinteleyid.com/past/
bzw.
htt://www.thepast.info

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Verstecke die folgenden 12 Kommentare

Antisemitischer Übergriff in Berlin

egal 24.05.2007 - 16:59
Berlin (ddp-bln). Ein 16-Jähriger, der die jüdische Kopfbedeckung Kippa trug, ist am Sonntagabend in Berlin-Mitte von Jugendlichen beleidigt und geschlagen worden. Wie die Polizei am Montag mitteilte, war der 16-Jährige zusammen mit einem 15 Jahre alten Begleiter in einem S-Bahnzug der Linie 1 zwischen den Bahnhöfen Unter den Linden und Friedrichstraße zunächst von Jugendlichen antisemitisch beleidigt worden. Kurz bevor die drei bis vier Tatverdächtigen den Waggon verließen, schlug einer dem 16-Jährigen mit der Hand ins Gesicht. Die Täter flüchteten in unbekannte Richtung. Das Opfer wurde leicht verletzt und erstattete Anzeige bei der Polizei. Der Staatsschutz nahm die Ermittlungen auf.

straßbourg

@antifa 24.05.2007 - 17:22
bei dieser sache in straßbourg, war es für die menschen erst nicht erkennbar, dass es sich um eine synagoge handelt, als die menschen dann darauf hingewiesen wurden. wurde davon abgesehen, die wand zu besprühen.

Straßbourg - Geschichtsfälschung

Camper 24.05.2007 - 17:39
Das ist doch Blödsinn! Es sollte nicht einfach eine Wand besprüht werden. Es ging gezielt gegen die Synagoge - auch mit Farbeiern. Das das verhindert wurde ist natürlich gut, aber danach war nichts mehr dazu zu hören. Und nun, nach Jahren, wird auch noch aufs Vergessen gesetzt und einfach mal behauptet, das nur irgendeine Wand besprüht werden sollte. SO EIN SCHEIß! Antisemiten aufs Maul!

Antisemitismus, der nahe Ostens und Attac

ungalublich 24.05.2007 - 17:49
Auf der Seite von Attac gibt es eine Übersetzung eines Textes aus Frankreich. Das Ganze zeigt ganz gut, warum etwa Attac so große Schwierigkeiten hat sich mit Antisemitismus zu beschäftigen. Das müßte dann nämlich zwangsweise eine sehr selbstkritische Sache sein und da haben ja viele ein Problem mit:

"Zur bedeutung des nahen Ostens für attac
Der Kampf gegen den totalen Krieg von Israel gegen Palästina und Libanon ,Eine P
Dieser Artikel zeigt auf, wie die Konflikte im Nahen Osten mit den attac-Themen zusammenhängen und warum die Beteiligung von attac am Widerstand gegen den Krieg wichtig ist. vom 09.12.2006 20:02:00

Die Autorin ist Soziologin, Spezialistin für den Mittleren Osten/Mittelmeerraum beim CNRS (Centre National de la recherche scientifique, Frankreich), aktiv bei attac Frankreich in der Groupe Méditerrannée. Sie hat an der Sommerakademie von attac schweiz Anfang September 2006 einen Workshop zum Thema geleitet. Der Text wurde während des jüngsten Krieges von Israel gegen Libanon im Sommer 2006 geschrieben (Redaktion von Sand im Getriebe).

Ungeachtet der ursprünglichen Vorwände ist der Krieg der totalen Zerstörung, den Israel im Libanon und im Gazastreifen seit einigen Wochen führt, nichts anderes als der Ausdruck seiner Weigerung, die internationalen Resolutionen, das Recht der PalästinenserInnen auf einen Staat sowie die Souveränität des Libanon anzuerkennen. (...)"

Wer sich diesen Scheiß weiter antun will, kann das gerne tun ( http://attac-gk.net-hh.de/index.php?id=673) und vielleicht bringt es ja auch was, Attac massenhaft per mail die Meinung zu sowas zu sagen ( http://attac-gk.net-hh.de/index.php?rubrik=agk-kontakt).

Wie steht die Bewegung zum Antisemitismus?

NORA STERNFELD 24.05.2007 - 17:54
Nicht der Antisemitismus sondern der Antisemitismusvorwurf stehen im Zentrum der Auseinandersetzungen

Seit Ende der neunziger Jahre – und damit seit ihren Anfängen - kam es zu zahlreichen offen und strukturell antisemitischen Vorfällen im Kontext der Antiglobalisierungsbewegung. Die Bewegung sah sich diesbezüglich, vor allem in Deutschland, mit unterschiedlichen Angriffen und Infragestellungen im Feuilleton und in der radikalen antideutschen Linken konfrontiert. Der Streit zwischen Antideutschen und Bewegungslinken eskalierte mit dem Zusammenkommen von Antiglobalisierungs- und neuer Friedensbewegung, als diese in Deutschland Seite an Seite und noch dazu gemeinsam mit der deutschen Bundesregierung gegen den Hauptfeind USA protestierten. Im Jahr 2003 wurde ein Bericht der Europäischen Beobachtungsstelle für Rassismus herausgegeben, der auf den Antisemitismus in der Antiglobalisierungsbewegung explizit hinwies. Attac sah sich vor allem in Deutschland und Österreich zur Reaktion gezwungen. Im Folgenden sollen die Reaktionen der Bewegung in Deutschland und Österreich, insbesondere von Attac, diskutiert werden. Dabei stellt sich nicht zuletzt die Frage nach der »Unterlassung von Protest und Gegenwehr«(2) in Bezug auf vergangenheitspolitische Relativierungen, antisemitische Gewalt und die Globalisierung des Antisemitismus.
Drei Hauptlinien der Kritik am Antisemitismus in der Bewegung lassen sich ausmachen, wobei die kritisierten Phänomene oft gemeinsam auftreten. Erstens werden die klassischen Motive des linken Antisemitismus kritisiert, d.h. die Personalisierung von Herrschaftsverhältnissen, verdichtet im antisemitischen Phantasma eines »die Welt beherrschenden, global operierenden Finanzkapitals«. Zweitens werden mit den Begriffen »Antiisraelismus« und »Antiamerikanismus« Haltungen thematisiert, die mit einer essenzialisierenden Kritik an Israel und den USA zwei konkrete Nationalstaaten zum Feindbild stilisieren. Dabei werden oftmals antisemitische Stereotype auf die USA und Israel verwandt und im Ruf nach »Widerstand« sich imaginär einem zumeist antisemitisch legitimierten Terror angeschlossen. Drittens wird die Anschlussfähigkeit für rechtsradikale Gruppen thematisiert. Es wird aufgezeigt, dass sowohl Anknüpfungspunkte zu einem völkischen Antikapitalismus als auch Verbindungslinien zwischen rechtsextremen und propalästinensischen oder proirakischen Organisationen existieren, die zu einer neuen Form der Globalisierung des Antisemitismus führen.

»Die Positionen von Attac sind nicht antisemitisch.«

Im September 2003 werden die Kritiken an der Antiglobalisierungsbewegung in Deutschland und insbesondere an Attac immer unüberhörbarer. Heftige Auseinandersetzungen finden nicht nur innerhalb der radikalen Linken statt, auch Medien wie Die Zeit und die TAZ veröffentlichen kritische Berichte über antisemitische Tendenzen in der Bewegung. Als auf den Internetseiten der Attac Arbeitsgemeinschaft »AG Globalisierung und Krieg« eine Unterschriftensammlung vorangetrieben wird, die »Keine Warenimporte aus den israelischen Siedlungen auf besetztem Gebiet in die EU«, forderte, regen sich auch innerhalb von Attac Deutschland Stimmen gegen vereinfachende Solidarisierungen, schließlich erinnere dies zu sehr an den nationalsozialistischen Aufruf »Kauft nicht beim Juden«. Die Unterschriftenliste wurde vom Netz genommen, die Kritik an den antisemitischen Motiven allerdings schnell abgetan. Eine Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft meinte dazu einfach: »Wir haben mit Antisemitismus nichts im Sinn«(3). Attac Deutschland sah sich gezwungen zu reagieren. Am 19. Oktober 2003 gibt der Attac-Ratschlag (das höchste Entscheidungsgremium von Attac Deutschland) eine »Erklärung zu Antisemitismus und zum Nahostkonflikt« heraus. Diese beginnt mit der eiligen Verlautbarung: »Die Positionen von Attac sind nicht antisemitisch.«(4) Die notwendige Auseinandersetzung mit den antisemitischen Motiven war damit schnell beendet und wurde zu einer Auseinandersetzung mit dem »Antisemitismus-Vorwurf« umgekehrt. An einer anderen Stelle macht die Erklärung dann auch sehr deutlich, dass man sich nicht von »Karikaturen einer Kritik, wie sie von einigen der sog. ›Antideutschen‹ kommt« unter Druck setzen lasse.
Bereits ein Jahr davor, im Dezember 2002 hatte der Koordinierungskreis von Attac Deutschland ein um einiges deutlicheres Positionspapier verfasst, das den Titel »Grenzen der Offenheit« trug(5). In diesem wurde eine prinzipielle und kategorische Abgrenzung von antisemitischen Positionen verlangt und klargestellt, dass jeglicher Pluralismus dort seine Grenzen finden müsse, »wo Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus ins Spiel« kommen. Das Papier wurde innerhalb von Attac jedoch schlichtweg ignoriert. Auch der Bericht des Koordinierungskreises an den Ratschlag am 17. Oktober 2003 war sehr viel klarer, als die letztendlich verfasste Erklärung vermuten lässt. Da war etwa von der spezifischen deutschen Verantwortung die Rede und von »Essentials, die nicht verhandelbar sind«. »Zu diesen Essentials gehört zu aller erst«, konnte man dort lesen, »dass wir als Deutsche nicht von der Singularität des Holocaust, von einer historisch einmaligen Konstellation, in der wir uns bewegen und von einer besonderen Verantwortung abstrahieren können.« Warum ist nichts von diesen Forderungen in das Papier des Ratschlags eingegangen? Warum konnten diese Attac-internen Positionen keinen Konsens im höchsten Gremium finden? Einigen konnte man sich offenbar bloß auf die klassischste aller Beteuerungen, »die Positionen von Attac sind nicht antisemitisch«. Für eine klare Positionierung zum Antisemitismus, zur spezifischen deutschen Verantwortung und ihren notwendigen politischen Konsequenzen sowie zu den »Grenzen der Offenheit« gegenüber antisemitischen Tendenzen scheint kein kleinster gemeinsamer Nenner gefunden worden zu sein.

Vom Antisemitismus zum »Antisemitismusvorwurf«

Ein halbes Jahr nach dem Positionspapier des Attac-Ratschlages erscheint ein Reader des wissenschaftlichen Beirates von Attac-Deutschland, der sich mit »Globalisierungskritik und Antisemitismus« auseinandersetzt. Die massive Kritik hatte Folgen gezeitigt, die Diskussion und Auseinandersetzung fand auch innerhalb von Attac ihren Niederschlag. Doch bereits im ersten Text verschiebt Peter Wahl die Diskussion über den Antisemitismus zu einer »Antisemitismusdiskussion um Attac«. Nicht der Antisemitismus, sondern der »Antisemitismusvorwurf« rückt dabei in den Vordergrund. So schreibt er: »Überraschender als die Kritik an der globalisierungskritischen Bewegung wäre es, wenn sie nicht attackiert würde. Und was wäre dafür wirksamer als der Antisemitismusvorwurf? Sollte sich herausstellen, dass der Antisemitismusvorwurf instrumentalisiert wird, um ein gesellschaftskritisches Projekt mundtot zu machen, so wäre dem ebenso offensiv entgegenzutreten.«(6) Nimmt sich der Reader des Themas an, so scheint es also nicht selten bloß darum zu gehen, den »Vorwurf« zu entkräften oder sogar zu diskreditieren. Immer wieder ist es der »Antisemitismusverdacht« der als »schmerzliches Unrecht«(7) empfunden wird. Die Debatte gerät bei Wolfgang Fritz Haug – wie schon erwähnt ? gar zum »vergifteten Zankapfel«. Neben der notwendigen Auseinandersetzung enthält der Reader zahlreiche mehr oder weniger empörte Zurückweisungen. Teilweise gerieren sich die eingeladenen AdvokatInnen der Bewegung so, als hätte die Diskussion um den linken Antisemitismus nie stattgefunden. Wolfgang Fritz Haug argumentiert klassisch antiimperialistisch und fragt, ob man dem Terrorismus, den man zwar nicht billigen könne, »jedes Verständnis verweigern« könne. Er verortet in der Diskussion um den Antisemitismus einen »Hinterhalt machtpolitischer Interessen« und spricht sich gegen die Vergangenheitsbezogenheit der Diskussion um die Finanzmärkte aus. Allgemein vermitteln die meisten Beiträge im Reader den Eindruck, als würde die Auseinandersetzung vor allem im Hinblick darauf geführt, die Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit wieder herzustellen. Was völlig ausbleibt, sind konkrete politische Perspektiven, um den Kampf gegen Antisemitismus zu einem Bestandteil der politischen Strategien von Attac werden zu lassen.

Das Reale am »strukturellen Antisemitismus«

Eine besondere Aufmerksamkeit wird im Kontext des Readers hingegen der Infragestellung des Konzepts des »strukturellen Antisemitismus« gewidmet. Einerseits scheint es in der Logik der Zurückweisungen notwendig, zu beweisen, dass der strukturelle Antisemitismus gar kein Antisemitismus ist, da er ja nicht nur Juden treffen muss. Andererseits wird besprochen, dass es sich bei Kritik an Juden, nicht immer um Antisemitismus handeln muss. Am Schluss scheint es gar keinen Antisemitismus mehr zu geben.
In seinem Text »Attac, Globalisierungskritik und ›struktureller Antisemitismus‹« sieht Gerhard Hanloser in dieser Stoßrichtung offenbar wesentliche Errungenschaften. Auch er konzentriert sich auf eine Zurückweisung der »Politik der Verdächtigungen« und hält die Broschüre für »plausibel«, wo sie zeigt »welchen Täuschungen, Projektionen und Syllogismen die Kritiker erliegen«(8). Hanloser stellt die Analysekategorie des »strukturellen Antisemitismus« in Frage und kritisiert, dass sie sich auch dort mit den historischen Argumentationsmustern des Antisemitismus auseinandersetzt, wo nicht explizit JüdInnen angegriffen werden. Er schreibt: »Um von Antisemitismus in sinnhafter Weise sprechen zu können, muss eine Identifizierung und Personalisierung eines gesellschaftlichen Phänomens und Verhältnisses im ›Juden‹ vorliegen.«
Diese Argumentation unterschlägt, dass die meisten Kritikpunkte auf einer strukturellen Ebene analysieren, was sich nicht selten als realer und manifester Antisemitismus äußert. »Struktureller Antisemitismus« bezeichnet verkürzte Deutungsmuster in einem historischen Zusammenhang, deren vereinfachende Logiken heute nicht nur auf Juden angewendet werden. Hanlosers Versuch der Differenzierung verliert jedoch seine Tragkraft, wenn man sich vor Augen führt, dass der Zusammenhang, in dem strukturell antisemitische Fragerichtungen auftreten – und vor allem die Angebote für einfachen Antworten – allzu eindeutig sind. Eigentlich müsste man sich nicht mit der Geschichte der Verbindungslinien zwischen Antiamerikanismus und Antisemitismus, mit den Bildtraditionen der Nazis und mit der Personalisierung von Herrschaftsverhältnissen auseinandersetzen, um sich klar zu machen, dass die Darstellung von Donald Rumsfeld mit einem gelben Davidstern (auf dem statt »Jude« »Sheriff« gekritzelt wurde) die Markierung der Nazis zitiert und den Verteidigungsminister der USA nicht als solchen kritisiert, sondern zu einem »Juden« macht. Die Beschäftigung mit den »strukturellen« Aspekten an dieser Bildsprache macht allerdings deutlich, dass es nicht reichen würde, den Stern einfach wegzuwerfen um eine »politisch korrekte« Aktion durchzuführen. Denn es ist die Logik der vereinfachenden Fragestellungen und die Suche nach eindeutigen Schuldigen, die im Stern ihren Ausdruck fand. Die einfachen Antworten stellen also auch die Fragen, die zu ihnen führen, infrage und genau damit beschäftigt sich die Auseinandersetzung mit dem »strukturellen Antisemitismus«.

Die Gegenwart des Antisemitismus

Von 18.–20. Juni 2004 organisierte Attac Österreich auf dem Campus der Universität Wien einen Kongress zum Thema »Antisemitismus und Globalisierungskritik«. Im Sommer 2005 wurde daran anknüpfend unter dem Titel »Blinde Flecken der Globalisierungskritik. Gegen antisemitische Tendenzen und rechtsextreme Vereinnahmung« ein Reader produziert, der sich in vielen Ansätzen und Positionen von der in Deutschland erschienenen Publikation deutlich unterscheidet. So scheint es im österreichischen Kontext vor allem einen Nachholbedarf in der Auseinandersetzung mit der Geschichte und Gegenwart des Antisemitismus zu geben. Dieser Ausgangslage sollte mit dem Reader entsprochen werden. Die differenzierten und materialreichen Beiträge machen die Aktualität des Antisemitismus deutlich, beschäftigen sich mit rechter Globalisierungskritik sowie mit antisemitischer Sprache und Symbolik. Sehr klar kommt zum Ausdruck, dass der Antisemitismus ein Problem in den gegenwärtigen Gesellschaften ist. Allerdings scheint diese Analyse auch hier teilweise einer Entlastung zu dienen. So lautete etwa der Tenor des Vortrages des Kölner Wissenschaftlers Christoph Butterwegge auf dem Kongress, dass der Antisemitismus doch gefälligst in der Rechten, bei Neonazis, in den Mainstream-Medien und in der offiziellen Politik zu suchen sei und nicht in der Bewegung. Auch das Attac-Organisationsteam des Wiener Kongresses betont im Vorwort: »Denn das Problem ist nicht Attac, sondern der latente und manifeste Antisemitismus in der heutigen Gesellschaft«(9). Gerade Feststellungen wie diese müssten eigentlich dazu führen, dass der Kampf gegen Antisemitismus als integraler Bestandteil der Bewegung herausgearbeitet wird. Dies schlägt sich allerdings auch in diesem Reader keineswegs nieder. Trotz der vielschichtigen Auseinandersetzungen, scheint es mitunter darum zu gehen, sich des unangenehmen »Vorwurfs« zu entledigen und das Problem nach Außen zu verschieben.

3. Antisemitismus bekämpfen und nicht vermeiden

Sieht man sich die beiden Reader von Attac Österreich und Deutschland genauer an, so fällt auf, dass an keiner einzigen Stelle konkrete Strategien gegen Antisemitismus entwickelt werden. Wo sie gerade noch einleuchten, lesen sie sich im besten Fall wie Handbücher für Vermeidungsstrategien von Antisemitismus. Die Frage, wie der Kampf gegen Antisemitismus zu einem Bestandteil der Politik von Attac werden könnte, taucht allerdings niemals auf. In diesem Sinne handelt es sich um grundlegend unpolitische Positionierungen, denn das Thema Antisemitismus wird bloß im Hinblick auf seine Vermeidung und nicht im Hinblick auf seine Bekämpfung thematisiert.
Der Kampf gegen Antisemitismus ist aus den Positionspapieren und Aktionismen also weitgehend ausgeblendet. Fast so, als müsste er eine Bewegung, die sich mit den Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnissen in der Welt beschäftigt, nichts angehen. Erst in der Konfrontation mit den eigenen Antisemitismen taucht er überhaupt als Thema auf. Besteht nicht in dieser offensichtlichen Lücke der eigentliche »blinde Fleck« einer Bewegung, die sich einer »anderen Welt« verschrieben hat?
Das ist nicht bei allen Themen so. Mittlerweile scheint Attac zumindest teilweise klar geworden zu sein, dass ein Kampf für eine andere Welt nicht nur eine Auseinandersetzung mit den Finanzmärkten beinhalten kann, sondern auch die vielfältigen anderen Unterdrückungs- und Ausschlussverhältnisse in der Gesellschaft berücksichtigen muss. In Bezug auf den Feminismus wurde daraus wenigstens in manchen Bereichen der berechtigte Schluss gezogen, dass Sexismus nicht einfach vermieden werden kann, sondern bekämpft werden muss. In diesem Zusammenhang wurden – nach heftigen feministischen Interventionen – zahlreiche feministische Untergruppierungen gegründet und konnten feministische Forderungen eingebracht werden. Das Attac-Infopaket zum Thema Feminismus heißt nun auch FeministAttac. Feminismus musste zum integralen Bestandteil einer Bewegung werden, die sich längst – zumindest in Teilen – auch als antisexistisch und antirassistisch begreift und diesbezüglich politische Strategien ausarbeitet.
Gerade die ungeteilte und sehr oft unkritische Solidarität mit der Friedensbewegung zeigt überdeutlich, dass sich die Kämpfe von Attac längst ausgeweitet haben. Im November 2003 widmete sich ein Attac Rundbrief unter dem Titel »gegen Besatzung!« ausschließlich der Kritik Israels. Wieso ist das beim Thema Antisemitismus so anders? Es gibt kein Infopaket, das dazu aufruft, den Antisemitismus zu bekämpfen und keinen Attac Rundbrief, der »gegen Antisemitismus!« titelt. Das Thema »Antisemitismus« wird vielmehr sehr gerne im Zusammenhang mit dem Beiwort »Vorwurf« besprochen und offensichtlich nicht als konkreter Kampfplatz der Bewegung anerkannt.
Zwar heißt es im Vorwort des deutschen Attac-Readers die »konsequente Bekämpfung des Antisemitismus« sei integraler Bestandteil der Bemühungen von Attac im Streit um eine andere Welt.(10) Nur schlägt sich das leider nirgendwo in politischen Strategien und Aktionsformen nieder. Dabei kann heute gewissermaßen von einer Globalisierung des Antisemitismus gesprochen werden. So stellt etwa Moshe Zuckermann im Tel Aviver Jahrbuch für Deutsche Geschichte 2005 fest: »In Europa scheint sich in letzter Zeit der über Jahre weitgehend latent gebliebene bzw. nicht akut manifest gewordenen Antisemitismus neu zu beleben. Flankiert wird er von einem neuen ‚Verbündeten', dem neuerdings über die Region des Nahen Ostens hinaus verbreiteten islamistisch motivierten Antisemitismus.«(11) Auch der österreichische Attac-»Antisemitismus Reader« macht die Brisanz aktueller Erscheinungs- und Ausdrucksformen von Antisemitismus sehr anschaulich. Dass das nirgendwo Folgen in konkreten politischen Strategien zeitigt, zeigt, wie wenig integrales Selbstverständnis es für die Bekämpfung des Antisemitismus in sozialen Bewegungen in Deutschland und Österreich gibt.
Angesichts der realen gegenwärtigen Bedingungen von gewaltsamen Übergriffen und Beleidigungen von Juden und Jüdinnen auf offener Straße, Angriffen gegen Repräsentanten des Judentums, Brandanschlägen auf Synagogen und israelische Einrichtungen, sowie Schändungen jüdischer Friedhöfe ist es ebenso auffallend wie erstaunlich, wie wenig Protest und Gegenwehr diesbezüglich im Kontext der Antiglobalisierungsbewegung formuliert wird. Die Demonstrationen gegen die antisemitischen Geschichtsverleugnungen Ahmadinejads sind scheinbar nicht anschlussfähig an die Bewegung, während es die Kritik an der israelischen Besatzungspolitik sehr wohl ist. Auch gab es keine Stellungnahmen auf indymedia oder Attac-Mailinglisten als Mohamad Mahatir, Premierminister von Malaysia, auf der zehnten Gipfelkonferenz islamischer Staaten 2003 unter großem Beifall den Mythos von der jüdischen Weltverschwörung beschwor. Auf dem ESF in Paris 2004 wurden Antifa-AktivistInnen vielmehr mit Gewalt daran gehindert, ein Flugblatt zum Existenzrecht Israels zu verteilen.(12) Einer von ihnen erhielt daraufhin einen Platzverweis durch den ESF-Ordnungsdienst. Auf dem Austrian Social Forum in Linz 2004 fanden sich Positionierungen gegen Antisemitismus bedenklicherweise nur bei Veranstaltungen der politischen Parteien.
Eine Bewegung, die sich den gesellschaftlichen Unterdrückungs-, Ausbeutungs- und Ausschlussverhältnissen widmet, müsste doch aus der Analyse einer zunehmenden Globalisierung des Antisemitismus und eines Anstiegs des Antisemitismus in Europa den Schluss ziehen, dass es – im Hinblick auf eine andere Welt – einiges zu tun gibt.

Fazit

Bei der Antiglobalisierungsbewegung handelt es sich ja bekanntlich um alles andere als um eine homogene politische Organisation. Ihre Definition besteht vielmehr gerade darin, kein geschlossenes Weltbild zu verkörpern, sondern eine Pluralität von Positionen, Kritikweisen, Analysen und Aktionismen zu vereinen. Sie kann daher sicherlich nicht einheitlich bewertet werden. Genau in diesem Zusammenhang stellt sich allerdings die Frage, welche Positionen in ihrem Kontext unterkommen und welche gerade nicht Teil davon sein können.
Die »Anschlußfähigkeit« für Antisemitismen und die weitgehende Ausblendung von Strategien des Kampfes gegen Antisemitismus stehen vor dem Hintergrund der »Pluralität der Positionen« nicht weniger, sondern umso mehr auf dem Spiel. Die Bewegung muss sich den Vorwurf gefallen lassen der Pluralismus verkomme zur Beliebigkeit oder zur leeren Floskel.(13) Gerade wenn keine »Parteilinie« vorgegeben werden soll, scheint es notwendig, zu diskutieren, welche Kontinuitäten und Wiederholungen und welche Lücken und Unterlassungen sich in einer Bewegung wiederfinden lassen, die sich selbst als emanzipatorisch versteht. Klare Positionierungen und politische Strategien werden gerade dort notwendig, wo sie nicht durch ein Parteiprogramm vorgegeben sind.
Es kann daher nicht ausreichen, zu beteuern, dass Antisemitismus in der Bewegung nichts verloren hat. Vielmehr müsste es darum gehen, Strategien zu entwickeln, die darauf abzielen, dass Antisemitismus in einer »anderen Welt« nichts verloren hat. Das würde auch das Scheinproblem der »Anschlussfähigkeit« für rechtsradikale und antisemitische Positionen lösen, die – wie Attac so gerne beteuert – ja niemand verhindern kann. Einer Bewegung, die sich gezielt gegen die Ausbreitung des Antisemitismus in Europa, gegen Neonazis und antisemitische Terrorattentate richtet, werden sich nämlich weder Neonazis noch radikale islamistische Gruppen anschließen. Wie und unter welchen Bedingungen eine solche Bewegung »möglich« werden kann, bleibt offen.


Anmerkungen

(1) Der Text ist die gekürzte Fassung eines Beitrages von Nora Sternfeld in: O. Marchardt/R. Weinzierl (Hrsg.), Stand der Bewegung? Protest, Globalisierung, Demokratie – eine Bestandsaufnahme, Westfälisches Dampfboot, Münster 2006.

(2) Günther Jacob, Die Juden sind unser Unglück. Antiisraelismus nach dem 11. September 2001 in: Referat für politische Bildung im AStA der Uni Münster & Offene Antifa Münster (Hrsg.), Themen der Mitte, Themen der Rechten (Reader), München 2002, 16.

(3) Mathias Braun, Antisemitismus-Streit bei Attac, Taz, 8.September 2003, auf:  http://www.klick-nach-rechts.de/ticker/2003/09/attac.htm.

(4) Erklärung des Attac-Ratschlags zu Antisemitismus und zum Nahostkonflikt,  http://www.attac.de/globkrieg/gegen-antisemitismus.php.

(5) Grenzen der Offenheit. Eine Klarstellung. Diskussionspapier des Attac Koordinierungskreises zu Antisemitismus, Rassismus und Nationalsozialismus, in: Attac Reader Nr. 3, Globalisierungskritik und Antisemitismus, Zur Antisemitismusdiskussion in Attac, Frankfurt am Main 2004, 60.

(6) Peter Wahl, Zur Antisemitismusdiskussion in und um Attac, Attac Reader Nr. 3, 5.

(7) Werner Onken, »Für eine andere Welt mit einem anderen Geld«, Beitrag zur Attac-Sommerakademie am 1. August 2004 in Dresden, www.berndsenf.de/pdf/Altvater_Kritik_Freiwirtschaft.pdf.

(8) Gerhard Hanloser, Attac, Globalisierungskritik und struktureller Antisemitismus, in: Grundrisse. Zeitschrift für linke Theorie und Debatte.

(9) Attac Österreich (Hrsg.), Blinde Flecken der Globalisierungskritik. Gegen antisemitische Tendenzen und rechtsextreme Vereinnahmung, Wien 2005, 2.

(10) Attac Reader Nr. 3 des wissenschaftlichen Beirats von Attac Deutschland, 4.

(11) Moshe Zuckermann (Hrsg.), Tel Aviver Jahrbuch für Deutsche Geschichte 2005. Antisemitismus. Antizionismus. Israelkritik, Göttingen 2005, 9.

(12) Vgl. Aktion 3. Welt Saar, Gewaltsame Hinderung von Flugblattverteilung, http//www.de.indymedia.org/2003/11/66297.shtml.

(13) AStA der Geschwister-Scholl-Universität München, Forward, in: dies. (Hrsg.), Spiel ohne Grenzen. Zu- und Gegenstand der Antiglobalisierungsbewegung, Berlin 2004, 4.


Die Autorin ist Lehrbeauftragte an der Akademie der Bildenden Künste Wien.

»Linke Avantgarde«

Phase2 24.05.2007 - 17:56
Ein Streitgespräch über eine mögliche Verschiebung des globalisierungskritischen Blocks nach links und die Kritik des Antisemitismus mit Thomas Seibert und Christian Stock

Christian Stock und Thomas Seibert begleiten die globalisierungskritische
Bewegung seit ihren Anfängen. Christian Stock ist Redakteur der
Zeitschrift iz3w. Er war bereits 1985 aktiv an den Protesten gegen den
Weltwirtschaftsgipfel in Bonn beteiligt. Thomas Seibert ist Redakteur der
Zeitschrift Fantômas und ist in attac und in der
Interventionistischen Linken (IL) aktiv. Phase 2 sprach mit ihnen
über ihre Einschätzung der bisherigen Entwicklung der Bewegung und
ihre Potentiale.


PHASE2: Als vor knapp zehn Jahren zum ersten Mal über
Globalisierung in der Linken diskutiert wurde, befürchteten manche, dass
damit Kapitalismus als umfassendes gesellschaftliches Verhältnis aus dem
Blick gerät und sich linke Kritik lediglich an den Erscheinungen des
Kapitalismus abarbeitet. Haben sich diese Befürchtungen bewahrheitet, oder
stellen die Begriffe Globalisierung und Neoliberalismus brauchbare
Analysekategorien zur Erfassung der aktuellen Formen des Kapitalismus dar?

Thomas Seibert: Weder noch. In der antikapitalistischen Linken ist der
Kapitalismus wohl nicht aus dem Blick geraten. Neoliberalismus war und ist
dagegen eine Analysekategorie, die nur bestimmte Momente der gesellschaftlichen
Transformation fasst, und Globalisierung wiederum war und ist eine
propagandistische, keine analytische Kategorie.

Christian Stock: Beides ist eingetroffen. Mitte der neunziger Jahre haben viele
KapitalismuskritikerInnen gesagt: »Nothing new under the sun.«
Schon Marx habe den weltumspannenden Charakter kapitalistischer Ökonomie
betont, und die Veränderungen seit den siebziger Jahren rechtfertigten
nicht die Rede von der angeblich so neuen Globalisierung. Demgegenüber ist
festzuhalten, dass es in den letzten drei Dekaden sehr wohl massive
quantitative und qualitative Veränderungen des Kapitalismus gab und gibt,
die einer neuen kapitalistischen Formation gleichkommen. Die ständige Rede
von der »neoliberalen Globalisierung« ist allerdings nur bedingt
geeignet, diese Prozesse zu erfassen. Sie ist überaus vereinfachend, und
sie kommt damit vor allem einem Bedürfnis der Antiglobalisierungsbewegung
nach.

PHASE2: Thomas, was meinst Du damit, wenn Du Globalisierung als
propagandistische Kategorie bezeichnest? Im Allgemeinen wird der Begriff ja
verwandt, um damit die Ausweitung internationaler Kapitalverflechtungen zu
beschreiben, und erhält somit eine gewisse analytische Ebene.

Thomas Seibert: Damit begeben wir uns gleich in die internen Differenzen des
Spektrums der antikapitalistischen Linken. Einen Pol markiert dabei die
Position, Kapitalismus als im Kern unveränderliches Verhältnis zu
begreifen. Für die Gegenposition existiert »der«
Kapitalismus nicht, weil »er« nur im Prozess seiner aktuellen
Transformation gefasst werden kann, »hinter« der kein
»Kapitalismus an sich« auszumachen ist. Theoretisch beziehe ich
mich auf diese letztgenannte Position, und von dort stimme ich Christian zu,
dass es seit über 20 Jahren so tiefgreifende Veränderungen gegeben
hat, dass von einem »Epochenbruch« gesprochen werden kann. Nur
würde ich diese Transformationen analytisch nicht über die
Kategorie der »Globalisierung« fassen, sondern über Begriffe
wie Postfordismus, biopolitisches Empire oder
»High-Tech-Kapitalismus«.

Christian Stock: Es wäre falsch, die Kategorien Neoliberalismus und
Globalisierung lediglich als Verwässerung radikaler, etwa wertkritischer
Kapitalismuskritik abzuqualifizieren. Ihnen kommt bei der Beschreibung der
aktuellen kapitalistischen Formation durchaus analytischer Gehalt zu.
Allerdings werden die Begriffe massiv überstrapaziert, und es wird so
getan, als handele es sich bei beidem um etwas wirklich Neues. Es ist doch eher
die quantitative Zunahme von Kapitalbewegungen, Verflechtungen und
Deregulierung sowie die ständig fortschreitende Entwicklung der
Produktivkräfte, die in eine neue Qualität des Kapitalismus
umschlagen. Das Problem mit dem Neoliberalismus-Begriff ist, dass er das
Hauptwiderspruchsdenken wieder in die Linke einführt. Was früher
»der Arbeiterklasse« der Kampf gegen »die
Kapitalisten« war, ist heute der Kampf gegen den Neoliberalismus und
seine durchsetzungsfähigsten Vertreter. Sämtliche gesellschaftlichen
und ökonomischen Probleme werden unter das Feindbild
»Neoliberalismus« subsumiert, auch wenn sie nur sehr bedingt
damit zu tun haben, wie z.B. die Unterdrückung indigener Gruppen in
Chiapas, die zu allererst auf postkolonialen semifeudalen Strukturen beruht und
nur in zweiter Linie auf der Neoliberalisierung kapitalistischer
Ökonomie.

Thomas Seibert: In einem gesellschaftlichen Feld, das von der Linken im
weitesten Sinn über die sozialen Protest-, Widerstands- und
Alternativbewegungen bis zur kritischen Zivilgesellschaft reicht, werden
»Globalisierung« und »Neoliberalismus« in
überbestimmter Weise als »Epochenbegriffe« gefasst, die die
gegenwärtige historische Situation fassen sollen. Dabei kommt es zu
Verkürzungen in theoretischer und agitatorisch-propagandistischer
Hinsicht, die gleichwohl - so funktionieren gesellschaftliche
Auseinandersetzungen - ein problematisches, doch effektiv zu mobilisierendes
Potenzial bereitstellen, mit dem Linke in differenzierter Weise arbeiten
können und müssen. Aber eben deshalb sind es nicht
»meine« Analysekategorien, sie markieren lediglich ein
gesellschaftliches Spektrum, auf das ich mich beziehe.

Christian Stock: Über Sinn und Zweck von einzelnen Begriffen bei der
Analyse kapitalistischer Ökonomie lässt sich lange streiten.
Wichtiger und problematischer erscheinen mir die politischen
Schlussfolgerungen, die daraus gezogen werden. Und da sind sich der
»radikale« und der »reformistische« Flügel der
Bewegung nicht so fern. Bei beiden stehen eigentlich immer die großen
Konzerne und deren Stellvertreter in den westlichen Regierungen, allen voran
die USA, im Mittelpunkt der Kritik. Ob die Einen von
»Imperialismus« oder »Empire« sprechen oder die
Anderen von »Unilateralismus«, gemeint ist dasselbe: die
Verortung fast aller Weltprobleme in den USA. Deshalb demonstrieren sowohl
Militante als auch NGOs, wenn Bush nach Deutschland kommt. Es wird in beiden
Spektren munter personifiziert und verdinglicht. Unterschiede innerhalb der
Bewegung bestehen im Wesentlichen nur in den Aktionsformen und in der
Reichweite der politischen Forderungen, die von partieller Entschuldung der
ärmsten Dritte-Welt-Länder bis hin zu »Smash
capitalism« reichen.

Thomas Seibert: Das scheint mir eine Analyse zu sein, die quasi von oben auf
die Bewegung blickt. Selbstverständlich gibt es einen breiten
Antiamerikanismus, und es gibt eine problematische Fokussierung auf die
transnationalen Konzerne. Auf den großen Demonstrationen ist das sogar
majoritär. Das Problematische daran ist die Anschlussfähigkeit an
einen rechten Antikapitalismus. Andererseits sind dieselben Leute subjektiv
entschlossen, diesen Anschluss nicht zu meinen und nicht zu wollen. Die
Ablehnung und Bekämpfung von Nazis ist breiter Konsens. In dem, was ich
die Kerne der Bewegung nennen würde - lokale Sozialforen, örtliche
Attac-Gruppen, GewerkschaftsaktivistInnen, versprengte Alt- und Ex-Linke
- werden Antiamerikanismus und eine Verkürzung der Kapitalismus- auf
Konzernkritik als Problem gesehen, selbst wenn es schwer fällt, sich davon
zu lösen. Man muss aber auch sehen, dass die USA und die Konzerne
Machtkomplexe darstellen, die aufgrund ihrer Position im imperialen Netz und
aufgrund ihres aktuellen Handelns Kritik schneller auf sich ziehen als andere.
Das aber die organisiert intervenierenden Linken und unter denen die Leute, die
den Begriff »Empire« ernsthaft benutzen,
»antiamerikanisch« sein sollen, halte ich für Unsinn.

Christian Stock: Gerade diese simplifizierende Fokussierung der Kritik ist es
aber, aus der schnell Antiamerikanismus erwachsen kann. Dass die USA ein
Machtpol sind, bestreite ich nicht. Aus der Sicht der Bewegung scheinen sie
allerdings der einzig maßgebliche Übeltäter zu sein, und genau
deshalb setzt man auf ein »soziales Europa« oder die
»nationale Befreiung« wie etwa in Venezuela. Spätestens nach
dem 11. September 2001 hat sich gezeigt, dass die globalisierungskritische
Analyse des internationalen Systems oft nur ein schaler Aufguss des
antiimperialistischen Weltbildes der siebziger Jahre ist. Der US-Krieg gegen
den Terror - so kritikwürdig dieser in vielerlei Hinsicht ist - wird von
den No Globals als imperialistisches Programm zur Aneignung globaler Ressourcen
interpretiert. Letzteres ist, wie bei jeder Kriegspolitik, sicherlich
auch ein handlungsleitendes Motiv. Doch der Krieg gegen den Terror
erschöpft sich nicht allein darin. Er beruht zugleich auf einem realen
cultural clash, oder anders gesagt: auf einem Kampf der Ideologien. Der Krieg
gegen den Terror ist ein Kampf um die Köpfe, nicht allein um Ressourcen.

Thomas Seibert: Va bene, und ich stimme Dir auch zu, dass die Prominenz, die
die Idee eines »sozialen Europa« genießt, auf ein Problem
verweist. Andererseits sind die Auseinandersetzungen um ein solches Europa eine
unumgängliche strategische Orientierung, gerade als Antwort auf die
historisch irreversible und von links ja nur zu begrüßende
Transformation der Nationalstaaten. Europa ist der für uns hier
entscheidende politische Raum. Hier wird in den nächsten Jahren
ausgemacht, was transnationale Staatlichkeit ist und was - um mit Poulantzas zu
reden - die »Anwesenheit« der sozialen Kämpfe und
Widersprüche in solcher Staatlichkeit sein wird. Deshalb ist die Ablehnung
der EU-Verfassung ein Sieg gewesen - allerdings ein problematischer Sieg. Aber
ich gehe konstitutiv davon aus, dass es wenn überhaupt dann nur
problematische Siege gibt.

PHASE2: Von Außen betrachtet erscheint der Verweis auf die Intention der
Akteure lediglich als Feigenblatt. So stand im Mittelpunkt der
Auseinandersetzung um Antisemitismus bei Attac nicht das Ziel, eine
Politik gegen Antisemitismus zu organisieren, sondern den Vorwurf des
Antisemitismus nicht auf sich zu ziehen. Selbst wenn die Beteiligten
Antisemitismus, Antiamerikanismus usw. ablehnen, so scheint dennoch aus diesen
Verlautbarungen nichts zu folgen. Gerade vor dem Hintergrund der meist positiv
bewerteten inhaltlichen und thematischen Heterogenität der Bewegung
erscheint es fraglich, ob eine Auseinandersetzung mit diesen Positionen
überhaupt erfolgen kann. Auf der Ebene der öffentlichen Wahrnehmung
und Repräsentation sind es dann auch genau diese platten, vereinfachenden
und antiamerikanischen Positionen, die das Bild der Bewegung bestimmen.

Thomas Seibert: Es gab tatsächlich Leute, deren primäres Ziel war,
Attac aus der Schusslinie zu bringen. Deren Verhalten folgte der Logik:
der Vorwurf ist absurd, also muss er vom Tisch. Das ist zwar subjektiv
aufrichtig, politisch aber unangemessen. Für noch mehr Leute ging es
allerdings ernsthaft um eine Klärung, und die haben im Lauf der
Auseinandersetzung auch die Relevanz des Themas erkannt. Diese Leute sind heute
ein Kern, der - natürlich in anderer Form - gerade das will, was Ihr zu
Recht verlangt: eine Politik gegen Antisemitismus und überhaupt gegen jede
Form von rechtem »Antikapitalismus«. Schließlich gibt es
eine von Alt-68ern, aber auch von Linksruck u.a. getragene
»antiimperialistische« Tendenz. Die haben sich immerhin der
Auseinandersetzung gestellt, aber nicht wirklich begriffen, worum es geht. Das
bleibt problematisch, ist aber mit Denunziation nicht aus der Welt zu schaffen,
ganz abgesehen davon, dass Denunziation subjektiv unangemessen ist. Dagegen ist
die Frage nach der Heterogenität der Bewegung und der Möglichkeit,
unter deren Bedingung die Auseinandersetzung mit diesen Positionen zu
führen, wahrscheinlich die eigentliche Differenz zwischen uns. Ich gehe
davon aus, dass eine emanzipatorische Transformation der Gesellschaft kein
Zentralsubjekt hat, also strategisch nur durch einen heterogenen Block
unterschiedlicher Kräfte erreicht werden kann - von Kräften, deren
strategischer Konsens auf unabsehbare Zeit nicht einmal auf Antikapitalismus
fokussiert werden kann. Hier beginnt erst das Feld linker
Interventionsmöglichkeiten. »Linke Intervention«
heißt, den ganzen Block nach links verschieben. Heißt aber nicht,
den Block zum linken Block machen wollen. Deshalb feiere ich auch die
Heterogenität und Pluralität so wenig ab wie die Multitude. Diese ist
lediglich die subjektive Materialität der Emanzipation - aber nicht ihr
»Subjekt«. Die Frage nach der öffentlichen Wahrnehmung der
Bewegung verweist dagegen auf deren massenmediale Repräsentation, also auf
ein eigenes Problem.

PHASE2: Was genau meinst Du mit Denunziation, und vor allem: was ist an der
Denunziation antisemitischer Tendenzen problematisch? Ist es nicht gerade beim
Problem des Antisemitismus angebracht, polarisierend zu wirken?

Thomas Seibert: Ich habe nichts dagegen, Antisemiten zu denunzieren und kann
mir in dieser Hinsicht noch ganz andere Verfahren vorstellen als die der
Denunziation. Mir geht es um das Übergangsfeld von linkem und rechtem
Antikapitalismus, das eine Frage des kollektiven Imaginären ist, sich
unterhalb des subjektiven Bewusstseins konstituiert und deshalb auch Leute im
Griff hat, die aufrichtig empört sind, wenn man ihnen zeigen will, wie sie
von Strukturen beherrscht werden, die sich ihrer Intention entziehen, die ihre
Intention gegen das kehren, was subjektiv über diese Intention verneint
wird. Ich rede - ein Beispiel nur - von Leuten, deren politische
Kontinuität vom SDS zu Attac reicht, die man locker dazu
bringen kann, einem antisemitischen Mob militant in den Weg zu treten, und die
trotzdem für bestimmte Verkürzungen anfällig sind. Auch auf
diesem Feld kann man gezielt mit Denunziation operieren - taktisch eingesetzt.
Das Problematische daran ist, dass sich mit Denunziation allein kollektiv
Imaginäres nicht dekonstruieren lässt.

Christian Stock: Thomas, Dein Begriff der Intervention klingt für mich
nach Entrismus(1). Im G8-Protest-Aufruf der Interventionistischen Linken,
in der Du aktiv bist, heißt es, ihr wollt »in die Bewegung
linksradikal intervenieren«, um das »System
aufzusprengen«. Das hat einen gewissen avantgardistischen Anspruch.
Ebenso ist das der Fall, wenn Du bestimmten globalisierungskritischen
Strömungen nachsagst, sie hätten nicht begriffen, worum es bei der
Debatte um Antisemitismus und verkürzte Kapitalismuskritik geht.
Linksruck und Co. wollen aber genau diese
»Vereinfachungen«, die Personalisierung, die Plattheiten, die
Dämonisierung. Das ist keine Strategie von Massenmedien, sondern von
Bewegungseliten, die die Massen hinter sich sehen wollen. So wie neuerdings der
Lafontaine-Freund Jürgen Elsässer, der offen einem linken Populismus
das Wort redet.

Thomas Seibert: Elsässer persönlich interessiert mich nicht. Mit
Linksruck werde ich mich politisch immer konfligierend, subjektiv
höflich und im Einzelfall solidarisch auseinandersetzen. Ich kann nicht
ignorieren, dass es diese Position gibt. Sie ist für mich ein Faktor, den
man wahrnehmen und in Rechnung stellen muss. Auch unabhängig von der
konkreten Organisation, weil eine begrenzte Rationalität für diese
Position spricht. Aber das ist eine Differenz, die ausgehalten und ausgetragen
sein will. Der Populismus ist dabei einer der wichtigsten Kritikpunkte. Damit
bin ich beim zentralen Punkt. Meine strategischen Vorstellungen beinhalten
durchaus »entristische« und »avantgardistische«
Elemente. Ausgangspunkt ist dabei eine Kritik des historischen Entrismus und
Avantgardismus - bei Anerkennung und Übernahme der Problemstellung.

Christian Stock: Das ist genau das Dilemma des Politikmachens, auch und gerade
in Bewegungen: Dinge hinnehmen zu müssen, die man eigentlich nicht will.
Ich bin nicht mehr bereit, populistische Strategien anderer mitzutragen. Da
gibt es nichts zu intervenieren, sondern nur offene Ablehnung.

Gerne gestehe ich aber zu, dass es inzwischen eine gewisse Kanonisierung der
Kritik an den No Globals gibt. Teile der radikalen und der antideutschen Linken
charakterisieren die Bewegung pauschal als strukturell oder gar offen
antisemitisch, unterstellen ihr Aufklärungsverrat und vieles mehr. Das
greift insofern zu kurz, als die Mehrheit der Bewegung nicht antisemitisch ist.
Ihr Problem ist vielmehr, dass sie teilweise Analysen und Positionen vertritt,
die potenziell anschlussfähig an antisemitische Formen des
»Antikapitalismus« sind, und dass sie die Gründe dafür
partout nicht wahrhaben oder auch nur diskutieren will. Ebenso verweigert sie
sich der »De-Solidarisierung« (um Walden Bellos Begriff der
»De-Globalisierung« abzuwandeln) mit jenen Feinden des Westens,
die ein reaktionäres Programm vertreten. Und so kommt es, dass Walden
Bello als prominenter Vertreter der Globalisierungskritik den so genannten
irakischen Widerstand unterstützt und sich zusammen mit einigen anderen
globalisierungskritischen Gruppen von der Hisbollah zu einer Konferenz nach
Beirut einladen lässt. Hier fehlt die Trennschärfe, die bei aller
Vielfalt unverzichtbar ist.

Ein Streitgespräch über eine mögliche Verschiebung des globalisierungskritischen Blocks nach links und die Kritik des Antisemitismus mit Thomas Seibert und Christian Stock: Eben weil es im durchschnittlichen globalisierungskritischen
Antikapitalismus eine »Anschlussfähigkeit« an rechten
Antikapitalismus gibt, stellt er ein zentrales Feld der Intervention dar. Hier
wäre über (Post-)Entrismus und (Post-)Avantgardismus
zu reden, weil emanzipatorische Gesellschaftsveränderung ein
massenpolitisches Projekt ist. Allerdings ist es nicht richtig, dass die
Mehrheit der Bewegung »partout nicht wahrhaben oder auch nur diskutieren
will«, dass es diese Anschlussfähigkeit, dieses Übergangsfeld
gibt - die Auseinandersetzung damit ist einfach nicht das primäre Problem.
Haben die Leute da ganz Unrecht? Sie finden Bello cool, er ist ein Star der
Bewegung, und sie stimmen ihm zu, wenn er die US-Politik angreift, auch und
gerade im Bezug auf den Irak. Dennoch wäre eine »Solidarisierung
mit dem irakischen Widerstand« in Attac nicht im Ansatz
durchsetzbar, es handelt sich dabei um eine aussichtslose Minderheitenposition.
Die Frage ist: Wie denken wir soziale Kämpfe, soziale Bewegungen - die so
problematisch sind, wie wir uns das in gemeinsamem Pessimismus gegenseitig
bestätigen - und wie denken wir die Rolle der Linken in diesen
Kämpfen und Bewegungen? Christian, Du sprichst vom »Dilemma des
Politikmachens« - genau das ist das Problem, zu dem es keine Alternative
gibt, vom Rückzug in die schöne Seele mal abgesehen. Ich will es mal
als Frage formulieren: Teilen wir die prinzipielle Position, nach der die
Geschichte die Geschichte der sozialen Kämpfe ist? Teilen wir die
historische Lehre, dass »hinter« diesen Kämpfen kein Subjekt
steht, das von sich aus durch die Dunkelheit nach den Sternen strebt? Dass
diese Kämpfe in Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen
ausgefochten werden, die symbolisch bzw. ideologisch überbestimmt sind,
und dass sie deshalb von diesen Verhältnissen markiert sind? Wenn das so
ist und wenn linke Politik - im Unterschied zur rechten - nur
»Massenpolitik« sein kann, was fangen wir damit an?

Christian Stock: Ja, Geschichte besteht aus sozialen Kämpfen. Aber
deswegen sollte sie sich nicht als Farce wiederholen, auch wenn mancher
munkelt, dass sie nur das könne. Es geht darum, dass die sozialen
KämpferInnen historische Sackgassen nicht erneut betreten, in denen sich
schon ihre VorgängerInnen verirrt haben. Diese Sackgassen sind jede Form
von nationaler Befreiung, von Populismus, von staatszentrierter Ökonomie,
von Abspaltung einer »Finanzsphäre« usw. usf. Deswegen halte
ich es für Kraftverschwendung, einen Block nach links zu verschieben, wenn
der Block in die komplett falsche Richtung will. Das ist im Falle des
»sozialen Europas« so. Es gibt allerdings tatsächlich viele
gute Gründe zum Protest gegen die Zumutungen globaler kapitalistischer
Verhältnisse und immer wieder kluge Ansätze kapitalismuskritischer
Agitation, wie etwa die Aktion »Agenturschluss«, bei der unter
anderem die Workfare-Programme der Agentur für Arbeit wie die
Ein-Euro-Jobs konfrontativ angegangen wurden. Der Zwang zum Arbeiten, gleich
wie sinnlos und entwürdigend die Arbeit ist, ist ja nicht nur in
Deutschland gesellschaftsfähig, sondern beherrscht weltweit die Debatten
über »Arbeitslosigkeit«. Hieran lässt sich
anknüpfen.

PHASE2: Thomas, Du sprichst vom Ziel einer emanzipatorischen Transformation
durch den heterogenen Block der globalisierungskritischen Bewegung. Wir sehen
in diesem Block mehr Gemeinsamkeiten, z.B. sich auf bestimmte Ideologien zu
einigen, insbesondere da sonst nicht viele konkrete politische Interessen
geteilt werden. Für uns stellt sich hier die Frage, wie eine relativ
marginale Linke diesen Block nach links verschieben soll. Wir sehen hier eher
die Gefahr, dass die Linke in diesem Block untergeht. Das beste Beispiel
dafür findet sich in der Auseinandersetzung mit Europa, wenn dieser neuen
Identitätskonstruktion, einfach weil sie verspricht
»sozialer« zu sein, von linker Seite nichts entgegengesetzt
wird.

Thomas Seibert: Die Verschiebung des Blocks nach links kann nicht als
»Machwerk« der linken Strömung gedacht werden. Die Frage ist
vielmehr, wie man einen Prozess initiieren und vertiefen kann, in dem sich der
Block nach links verschiebt? Das ist eine Frage, die zu stellen, zu erproben
und mit Glück zu beantworten sich lohnt. Dabei stellt die
Auseinandersetzung um die EU-Verfassung, um ein »soziales Europa«
etc. ein lohnendes Untersuchungs- und Bewährungsfeld - natürlich ein
widersprüchliches.

PHASE2: Wie soll dieser Prozess der Verschiebung konkret aussehen? Nehmen wir
das Beispiel Heiligendamm. Es ist zu erwarten, dass auch dort gegen den
»US-Imperialismus« und für das »soziale
Europa« demonstriert wird. Angesichts des Kräfteverhältnisses
und der Entwicklung scheint es unmöglich dem vor Ort etwas
entgegenzusetzen.

Thomas Seibert: Es wird sicher einen Fokus auf den US-Imperialismus geben, dem
in eurochauvinistischer Grundierung ein »soziales Europa«
entgegengesetzt werden wird. Demgegenüber müssen Linke von den
innerimperial(istisch)en Widersprüchen zwischen dem US- und dem EU-Komplex
reden und deshalb zuerst überhaupt davon, dass die EU eine imperiale
Formation ist. Gleichzeitig muss aber von links auch die Frage aufgeworfen
werden, ob in dieser Situation ein wirklich »soziales Europa«
eine strategische Option darstellt, d.h. ob in der imperialen Formation EU eine
»Anwesenheit« (Poulantzas) sozialer Kämpfe erreicht werden
kann, die diese Formation aufbricht, deshalb im gesamt-imperialen Netz Schnitte
setzt und eine innere Front mit unbeherrschbaren Effekten eröffnet.
Ansatzpunkte dafür könnten in der Problematik der Migration liegen,
z.B. wie im Prozess der Herausbildung supranationaler Staatlichkeit
»Staatsbürgerschaft« definiert wird. Da kann sich eine
Konstellation zusammenfinden, die jede nationalisierte, erst recht eine
ethnifizierte Definition abweist und Staatsbürgerschaft über den
egalitären Zugang zu sozialen und politischen Rechten definiert, einen
Zugang, der strukturell offen sein muss, auch wenn das nicht umstandslos
»Grenzen auf für alle« heißt. Dieser Block wird kein
»linker« Block sein, er wird den Antikapitalismus nicht zum
Konsens haben und braucht das auch nicht. Ich verweise dafür auf die
Überlegungen im Umfeld Etienne Balibars - und auf den Umstand, dass diese
Überlegungen de facto dem nicht fern stehen, was in Attac- und
Sozialforen- oder auch Euromarsch-Zusammenhängen gedacht wird. Zugegeben,
auf der Demonstration in Heiligendamm wird das nicht der erste Punkt sein -
aber es kann via Heiligendamm in die Bewegungen eingeschrieben werden. Dazu
braucht es natürlich Linke, die genau das vorbereiten - nicht:
»machen«. Vergleichbares ist auch auf anderen Feldern
möglich, z.B. in den Auseinandersetzungen um einen europaweiten
Transnationalismus der Gewerkschaften.

Christian Stock: Ich bezweifle, dass komplexere Fragen wie Eurochauvinismus bei
der Mobilisierung zu Heiligendamm diskutiert werden, abgesehen von vereinzelten
Gruppen, die dafür Respekt verdienen. Deswegen verstehe ich Deinen
Optimismus nicht, Thomas. Ich kann auch keinen Fortschritt gegenüber dem
G8-Gipfel in Köln 1999 sehen. Dort gab es noch so etwas wie einen
Minimalkonsens von Linken und NGOs: die Forderung nach der Entschuldung der
armen Länder. Eine Forderung, die freilich bestens von Schröder &
Bono zwecks Eigendarstellung usurpiert werden konnte. Daraus hat man aber nicht
gelernt. Bei Heiligendamm scheinen mir kaum noch konkrete Forderungen
vorzuliegen, sondern nur eine diffuse Gemengelage von verschiedensten
Forderungen. Diese werden wieder usurpiert werden, etwa von Herbert
Grönemeyer.

In den aktuellen Aufrufen zu Heiligendamm wird vor allem eine inhaltliche
Ermüdung der Bewegung deutlich. Viele BewegungsaktivistInnen recyceln
ebenso wie NGO-Kader seit Jahren nur noch ihre Festplatten. Ihre Sprache ist
kanonisiert, die Aktionen ritualisiert. Die meisten Aufrufe sind Phraseologie.
Erst werden »Chiapas 1994«, »Seattle 1999« und
»Genua 2001« angeführt, dann folgt ein aktuelles Beispiel
für das »Aufbegehren gegen den Neoliberalismus«, zur Zeit
ist es Oaxaca. Dann kommt eine möglichst pauschal gehaltene
Aufzählung der Vergehen, derer sich »der Neoliberalismus«,
die »konzerngetriebene Globalisierung« und die »Herren der
Welt« schuldig machen, wie Privatisierung, Profitstreben, Biopiraterie
und Kriegstreiberei. Es folgt die Beschwörung des
»Widerstandes« mit Vokabeln wie »ya basta« oder
»Globalisierung von unten«. Da es zum guten Ton gehört,
selbst nicht zu wissen, wie eine andere Welt möglich ist, gipfeln die
Aufrufe in einem entschlossenen »fragend gehen wir voran«. Mit
Verlaub, das ist keine Kapitalismus- und Herrschaftskritik auf der Höhe
der Zeit, und dieser Einheitsphrasenbrei macht nicht an, demonstrieren zu
gehen.

Die Bewegung braucht hierzulande nicht die x-te Mobilisierung, sondern
beispielsweise eine Debatte über Nation, Nationalismus, Transnationalismus
und deren eurochauvinistische Formen. Sie wäre damit wesentlich näher
an einer politischen Intervention, etwa zugunsten der Autonomie der Migration,
als mit der Belagerung der roten Zone.

Thomas Seibert: »The proof of the cake is the eating«, sagte
Engels an solchen Stellen. Lassen wir ihm das letzte Wort.

PHASE2: Wir bedanken uns für das Gespräch.


Anmerkung



(1) Entrismus ist eine von trotzkistischen Organisationen entwickelte Strategie.
Die Beteiligung an bzw. Unterwanderung von anderen Organisationen oder
Bewegungen soll deren Politik beeinflussen und neue Mitglieder werben. Die
Taktik wurde erstmals in den zwanziger Jahren von Mitgliedern der
Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschlands angewandt. In den
fünfziger Jahren sollten von Seiten der Vierten Internationale
sozialdemokratische und kommunistische Parteien in Westeuropa zur Zuspitzung
des Klassenkampfs gebracht werden, was aber mit der 68er Bewegung - die andere
revolutionäre Subjekte hervorbrachte - ein Ende fand. Aktuelle Versionen
des Entrismus praktizieren Linksruck und die Sozialistische
Alternative Voran (SAV) im Rahmen der WASG bzw.
Linkspartei. [Anm. d. Red.]


== PHASE 2 ==
[Nummer:23/2007 ]

Wenn schon Kritik...

who cares 24.05.2007 - 19:18
...dann bitte richtig.
Bei so viel Dummheit bezüglich des angeblichen Antisemitismus in der Linken bekomme ich Brechreiz.
Zum einen: was soll es bringen hier meterlange Texte zu posten? Ein wirklich sinnvoller Beitrag fasst das Wesentliche zusammen anstatt die geneigte LeserInnenschaft stundenlang anzuöden.

Es wäre schön, wenn es ein Zeilen- oder Zeichenlimit gäbe, damit nicht irgendwer, der die Texte wahrscheinlich nicht mal begriffen hat, hier die Seiten zumüllt.

Abgesehen davon, Ihr ach so politisch korrekten Vollfaschisten:

Palästinenser sind auch Semiten (wer hätte das geahnt....) und "Antisemiten aufs Maul" ist nun eine Parole, die mich davon überzeugt, dass das Gewaltpotential des Menschen, der das verfasst hat, sehr hoch und der Intellekt sehr niedrig ist. Diese Hau-drauf-Mentalität findet sich leider immer häufiger in der Linken.

Ist Gewalt denn gut, bloss weil man glaubt, die richtigen Ziele zu verfolgen? Das denken die EntscheidungsträgerInnen nämlich alle, bei den Nazis, in Palästina, Amerika und Israel.
Zu guter letzt sind die meisten Frauen den meisten Männern körperlich unterlegen, also ist das Kozept auch noch sexistisch, wenn man ernsthaft nach dem Recht des Stärkeren geht.

Im Endeffekt: Gewalt ändert überhaupt nichts, höchstens das Problem der Überbevölkerung.

Herzlich willkommen im Sozialdarwinismus...

Nur einer frage

gegen alle faschismus , imperialismus ,.... 24.05.2007 - 19:29
Wenn nur ein mal eine Transparent in der "Alternativ-Szene" wo steht "FIGHT ISLAMOPHOBIA" oder gegen taglischer racismus gegen Roma ??

Über Islamophobia in europa

 http://eumc.europa.eu/eumc/material/pub/muslim/Manifestations_EN.pdf

Rassismus gegen Roma in Deutschland

 http://www.uni-koeln.de/phil-fak/philtrat/51/s10rez1.html

RASSISMUS GEGEN DIE ROMA UND SINTI IN DEN MEDIEN DER EUROPÄISCHEN UNION

 http://www.unionromani.org/racismediaue_al.htm


Rassismus gegen Roma und Sinti im vereinigten Deutschland

 http://www.linkesbuch.de/index14711.htm?PHPSESSID=6


Fight ALLES form racismus !!!

@ who cares

antirassist 24.05.2007 - 19:40
"Palästinenser sind auch Semiten" - vielleicht solltest du auch mal ein paar der texte lesen, die es so zum thema antisemitismus gibt, dann würdest du hier nicht son scheiß schreiben! du schreibst hier zeug, das sich auf rassistischen argumetationen begründet...
antisemitismus und rassismus bekämpfen!

@ Nur einer frage

nur eine Antwort 24.05.2007 - 19:46
Es ist schon ein ziemlich durchsichtiges Manöver zu versuchen, verschiedene Unterdrückungsverhältnisse gegeneinander auszuspielen, aber trotzdem ein paar Worte dazu. "Islamophobie" ist ein irreführender Propagandabegriff - verwendete lieber den Begriff “antimuslimischer Rassismus” und nicht Islamophobie oder Antiislamismus und zwar aus folgenden Gründen:
-es eröffnet eine Perspektive auf die Positionen der Mehrheitsgesellschaft
-der Rassismus richtet sich nicht nur gegen die Religionsangehörigen sondern alle, die unter die Kategorien islamisch, arabisch, türkisch subsummiert werden
-der antimuslimischer Rassismus ist keine Religionskritik und hat auch nicht die Kritik am Islamismus als Kernziel
-der antimuslimischer Rassismus ist ahistorisch, er verkennt die geschichtlichen Wechselwirkungen des “Orient” und des “Okzident” und das jahrhunderte zurückreichende Ressentiment gegenüber dem “Orient”
Und Antisemitismus als eine Form des Rassismus zu bezeichnen ist schlicht falsch.
Aber darum gehts dir wohl eh nicht wirklich - du wolltest je eher eine Aktion dissen, die sich gegen Antisemitismus richtet - warum ist wohl klar...

Zu den Vorfällen bei der Demo in Strasbourg..

La Banda Vaga 24.05.2007 - 21:38
...haben wir damals folgenden Text veröffentlicht:

Antisemitismus = Rassismus

No Nation 24.05.2007 - 23:52
Antisemitismus ist Rassismus.
Ich bin dagegen es von einander zu trennen.
Da es jedoch nich von allen begriffen wird muss natürlich auch der Antisemitismus benannt werden.
Und der Antisemitismus sollte dann aber auch als Rassismus benannt werden.
AntisemitInnen sind RassistInnen.

Über den Begriff des Antisemitismus:
Dieser ist besonders mit dem hass auf "die Juden" verbunden (gerade aber nicht nur in D-land)
Es ließe sich vielleicht darüber streiten, ob der hass auf PalästinänserInnen als Antisemitismus zu bezeichnen wäre oder nicht, darum geht es hier aber nicht.

Es ist selbst Rassenideologie zu sagen, die PalästinenserInnen wären Semiten und von daher könnten sie nicht antisemitisch sein...
Aber es geht sich doch darum, ob sie "die Juden" hassen oder nicht.
Wenn sie dies tun sind sie rassistisch und können dann auch als antisemitisch bezeichnet werden (ob es jetzt Rassenideologisch korrekt ist oder nicht). Basta!

Gegen Antiziganismus!
Gegen Antisemitismus!
Gegen jeden Rassismus!