Feierliche Verleihung der Goldenen Kakerlake

freya fluten 20.05.2007 20:51 Themen: Antirassismus
Feierliche Verleihung der Goldenen Kakerlake – Antirassistische Aktion in Berlin

Am Montag Nachmittag (14.5.2007) haben AktivistInnen der »Initiative gegen das Chipkartensystem« der Berliner Sozialsenatorin Frau Knake-Werner (Die Linke) den antirassistischen Spezialpreis der goldenen Kakerlake überreicht. Im Beisein von knapp 50 aufgebrachten BerlinerInnen versuchte die Initiative trotz Regenschauer und Gewittern ihren Unmut über die rassistische Flüchtlingspolitik des rot-roten Senates Ausdruck zu verleihen.
Der antirassistische Spezialpreis der Goldenen Kakerlake steht symbolisch für die unmenschlichen Lebensbedingungen in der Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende in der Motardstr. / Berlin Spandau. Denn hier entsteht ein heimliches Abschieblager, immer mehr Bezirke weisen hier ‚ausreisepflichtige’ MigrantInnen mit einer Duldung ein, um sie – ohne Bargeld und ‚versorgt’ mit schlechtem Essen der Firma DUSSMANN – zur ‚freiwilligen’ Aufgabe ihres Aufenthalts in Berlin und der Bundesrepublik zu zwingen. Frau Knake-Werner war trotz persönlicher Einladung nicht im Haus und verbat auch ihren MitarbeiterInnen, den Preis für sie entgegen zu nehmen. Kein Wunder, sagte sie doch bei der ‚Besichtigung’ des Lagers in Spandau vor gut einem Monat, so schlimm sei es ja gar nicht und Kakerlaken habe sie bei ihrem Besuch auch keine gesehen. Die ist die zweite Auszeichnung, die die Senatorin von antirassistischen Initiativen verliehen bekommt und sie verweist auf den strukturellen Widerspruch ihres antirassistischen Anspruchs, den sie für sich gerne in reklamiert, und die folgen ihrer ‚Real’-Politik für MigrantInnen. Auf die rote Karte wegen ihrer Nichtkündigung des Chipkartensystems mit der Firma Sodexho reagierte die Sozialsenatorin erst nach massivem weiterem Protest. Und auch wenn die Annahme dieses Preises mal wieder verweigert wurde, so können sich Frau Knake-Werner und der rot-rote Senat sicher sein, dass weitere Proteste und Aktionen folgen werden.
Die Motardstraße, die als landeseigene Zentrale Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge (EAE) bekannt ist, dient eigentlich dazu, die dem Bundesland zugewiesenen Flüchtlinge in den ersten drei Monaten des Aufenthalts unterzubringen. Doch nur etwa die Hälfte der derzeit etwa 400 Menschen, die dort wohnen müssen, ist gerade erst nach Berlin gekommen. Allen anderen wird vom jeweiligen Sozialamt vorgeworfen, nur eingereist zu sein, um Hartz IV zu erhalten bzw. sich nicht ausreichend um die Beschaffung eines Passes zur Abschiebeerleichterung zu kümmern. Beide Vorwürfe genügen, um die ihnen zustehenden Sozialleistungen zu kürzen bzw. Sachleistungen in Form von Vollverpflegung, Unterbringung in Sammellagern und Kostenübernahmescheinen einzuführen.
Faktisch gibt es keinen Unterschied zwischen der Motardstraße und den übrigen bundesdeutschen Ausreiselagern, entgegen den Bekundungen des Berliner Senats, in Berlin solle und werde es so was nicht geben. Die Flüchtlinge leben oft über Jahre in kargen Mehrbettzimmern; erhalten Vollverpflegung in Form von Brötchentüten und einer warmen Mahlzeit der Firma Dussmann; sie bekommen kein Bargeld, was sie dringend für AnwältInnen, BVG-Fahrscheine, Kleidung oder individuelle Bedürfnisse bräuchten; sie leben hinter Stacheldraht in einem Industriegebiet, ohne Anbindung an ein wie auch bescheidenes kulturelles Leben oder Kontakt zur sonstigen Bevölkerung. Dass die baulichen und hygienischen Bedingungen zusätzlich niemandem ernsthaft zugemutet werden können, bleibt zwar ein Skandal für den Betreiber, die AWO-Mitte, ist für uns aber nur weiteres Indiz dafür, dass hier nach dem Prinzip - je schlechter die Bedingungen, desto eher geben sie auf - Menschen in völliger sozialer Isolation entrechtet zusammengepfercht werden, bis zum Ende ihrer Duldungen und der immer präsenten Abschiebung.

In eigener Sache wollen wir aber noch anmerken, dass es schon relativ dreist ist, wie momentan sowohl von den Grünen als auch von der taz versucht wird, den Mut der Betroffenen endlich aufzubegehren und die Arbeit parteiloser antirassistischer Gruppen sowie einzelner sehr engagierter PDS- Basismitglieder politisch zu instrumentalisieren und sich den Erfolg auf die eigene Fahne schreiben zu wollen.
Ohne die Stärke der BewohnerInnen, die mit jedem Protest damit rechnen müssen ins Visier der politisch Verantwortlichen, der Heimleitung und der Ausländerbehörde zu geraten, hätte es keine öffentliche Diskussion über die Zustände im Berliner Randbezirk gegeben.
Ohne sie wäre auch das Engagement der verschiedenen Gruppen, die den Protest seit Mitte letzten Jahres unterstützen, paternalistisch und leer geblieben, schlimmstenfalls sogar reiner Selbstzweck geworden.
Sie sind es, die Bedingungen bis zum Abwinken kennen, die zur Aufgabe und Ausreise genötigt werden sollten und doch stattdessen ihren Anspruch auf ein besseres Leben und menschenwürdige Bedingungen nicht aufgegeben haben.
Statt die Angst vor der Repression gewinnen zu lassen, haben sie sich zusammengetan und laut geäußert, was sie nicht mehr hinnehmen wollen.

➢ Sie sind die SiegerInnen wenn niemand mehr in die Motardstraße muss, weil sie oder er nicht abgeschoben werden kann!
➢ Ihr Kampf war erfolgreich, wenn die Motardstraße ganz geschlossen wird und es eine zentrale Erstaufnahmestelle in Mitte oder im Schloss Bellevue gibt!
➢ Ihre Kraft hat dann auch nicht nur ihnen individuell geholfen, sondern allen, die nach ihnen kommen werden!

Und sie sind es, denen der Respekt für dieses Engagement gebührt, weil sie was zu verlieren haben und trotzdem kämpfen!

Wer das für Wahlkämpfe, Abosteigerungen und persönliche Profilierung missbraucht, macht sich mindestens der Instrumentalisierung verdächtig!

Weder Aushungern noch Zwangskasernierung sind Mittel, um eine weltweite Ungleichverteilung von Wohlstand zu bekämpfen oder den Opfern zu helfen! Wir fordern die Schließung der Motardstraße 101a - das Recht auf freie Wohnungswahl und Bargeld für die Betroffenen!

Kontakt:
Initiative gegen das Chipkartensystem, Haus der Demokratie, Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin phone: 0160-3410547 e-mail:  konsumfuerfreiesfluten@yahoo.com  http://www.chipkartenini.squat.net/

Aus der Laudatio für Sozialsenatorin Frau Knake-Werner

»Wir haben uns hier und heute aus einem besonderen Anlass versammelt. Wir wollen der Senatorin für Soziales, Heidi Knake-Werner ein ganz besonderes Präsent zur Erinnerung und Mahnung überreichen.

Aber zunächst zu den Hintergründen:

Weder die europäische noch die bundespolitische Asylpolitik zeichnen sich durch besondere Humanität aus. Vielmehr werden immer neue Verschärfungen zu Ungunsten der immer weniger werdenden Flüchtlinge für die Verantwortlichen offensichtlich zu einer Selbstverständlichkeit. Nahezu parteiübergreifend scheint es Konsens zu sein, dass es Menschen 2. Klasse gibt, die hier aber bitte nicht existieren sollen. Dies ist ekelhaft, aber nicht neu. Hervorzuheben allerdings ist Frau Heidi Knake-Werner, denn Frau Knake-Werner schafft es, einerseits Mitglied der PDS/Linkspartei zu sein, die sich ja ein Interesse an Antirassismus auf die Fahnen geschrieben hat. Andererseits akzeptiert und verantwortet sie als Sozialsenatorin unmögliche Zustände für Berliner Flüchtlinge. Um diesen Spagat zu würdigen, haben wir uns heute zusammengefunden. Die „Goldene Kakerlake“, die wir Heidi Knake-Werner nun feierlich überreichen wollen steht als Symbol. Sie ist ein Symbol für die katastrophalen Zustände im Flüchtlingslager in der Motardstraße in Berlin-Spandau. Dieses Lager dient einerseits als Zentrale Erstaufnahmeeinrichtung für neu ankommende Flüchtlinge. Andererseits werden Menschen gezwungen dort zu leben, die hier unerwünscht sind. Das schlechte Essen bei der Vollverpflegung, die Kakerlaken in den Zimmern, die fehlenden Schlösser an Duschen und Toiletten sind deshalb ebenfalls ein Symbol, ein Zeichen an diese Menschen, dass sie hier unerwünscht sind. Sie sind ein Symbol für den deutschen Umgang mit Flüchtlingen, ein Symbol dafür, wie Leute hierzulande dazu gekriegt werden sollen, „freiwillig“ auszureisen. Das Lager liegt abgeschottet vom gesellschaftlichen Leben in einem Spandauer Industriegebiet. Die Bewohnerinnen und Bewohnung bekommen keine BVG-Tickets, kein Bargeld und keine Beratung. Diese Bedingungen sind kein Zufall, sie sind ein durchdachtes System. Dieses System dient dazu, den Flüchtlingen ihre Lage so aussichtslos darzustellen und ihre Hoffnungslosigkeit so zu schüren, bis sie in letzter Konsequenz klein beigeben und in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Oder wenigstens in die Illegalität abtauchen, so dass sie aus der Statistik verschwinden und sich als billigste Arbeitskräfte verkaufen müssen.
In einer Zentralen Aufnahmestelle wie der Motardstraße müssen Flüchtlinge meist nur die ersten drei Monate ihres Aufenthalts in Deutschland verbringen, bevor sie in andere Heime oder Wohnungen umziehen können. Anders geht es denjenigen, sie quasi zur Strafe in die Motardstraße eingewiesen werden. Meist sind es Menschen, die bereits seit Jahren in der BRD leben. Manche von ihnen lebten sogar bereits in eigenen Wohnungen und erhielten Bargeld. Für diese Idee ist Frau Knake-Werner verantwortlich. Sie ermöglichte durch ihre Ausführungsverordnung vom 18.1.2006, dass auch Menschen, denen vorgeworfen wird, sie würden an ihrer Ausreise oder Abschiebung nicht genug mitarbeiten, nun zur Strafe mit Vollverpflegung in die Motardstraße verwiesen werden können. Die zermürbenden Verhältnisse dort, die Konzentration von Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus, die abgelegene Lage und mangelnde Beratung sind klassische Strukturen von Ausreisezentren. Frau Knake-Werner ist also letztlich ein außerordentlich kreativer Weg eingefallen, entgegen den Berliner Senatsbeschlüssen auch in Berlin endlich ein Ausreisezentrum aufzubauen. Entgegen den Absichten der Basis der PDS/Linkspartei nutzte sie ihre Stellung als Senatorin, um sich trotz des internen Widerstands zum Beispiel auf dem vergangenen Landesparteitag der Linken/PDS für diese Idee einzusetzen. Nicht nur, dass sie fast ein Jahr lang geflissentlich ignorierte, was ihre Ausführungsverordnung für Folgen hatte, nein, Heidi Knake-Werner schaffte es sogar, die Ohren vor den Protesten verschiedener antirassistischen Gruppen sowie ihrer eigenen Partei zu verschließen. Bei ihrem Besuch im Ausreisezentrum bemängelte sie zwar einen fehlenden Duschvorhang. Sie bestritt aber ansonsten rigoros und Schulter an Schulter mit den Betreibern der Motardstraße, der AWO Mitte, jegliche Missstände. Natürlich ist die Heimleiterin Frau Baier von der AWO eine starke Bündnispartnerin für sie. Frau Baier glänzte nämlich bereits durch Verbote von Sprachkursen, die Studierende kostenlos für die Bewohner und Bewohnerinnen im Lager angeboten hatten. Als die aber begannen, mit den Bewohenrinnen und Bewohnern kritisch über die Zustände im Lager zu sprechen, bekamen sie Hausverbot. Frau Baier ist auch verantwortlich für die Kontrollen von Gästen der Bewohnerinnen und Bewohner am Tor.
Frau Knake-Werner aber vertritt seit über einem Jahr konsequent die originelle These ihrer eigenen Verantwortungslosigkeit. Um die Klagen der antirassistischen Gruppen zu beschwichtigen, schlug sie nach ihrem Besuch in der Motardstraße vor, man könne ja einmal im Jahr ein Fest veranstalten. Dies ist eine bodenlose Unverfrorenheit, Frau Knake-Werner, und einer der Gründe, die bewogen haben, Ihnen heute die „Goldene Kakerlake“ zu überreichen. Sie haben sich ernsthaft bemüht, sich für diese Auszeichnung zu qualifizieren! Bereits vor fünf Jahren verliehen wir Ihnen die antirassistische Rote Karte, um ihr fehlendes Engagement zu ehren, die Chipkarten für Flüchtlinge abzuschaffen. Dieses fehlende Bemühen um antirassistische Belange, liebe Frau Knake-Werner, möchten wir auch heute in den Vordergrund stellen und verleihen Ihnen deshalb hiermit die „Goldene Kakerlake“.

Wir gratulieren Ihnen!«
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Ergänzungen