Freispruch für Göttinger Antifaschisten

Haubentaucherin 20.05.2007 15:33 Themen: Repression
Der Prozess gegen einen Antifaschisten, der an den Protesten gegen den Naziaufmarsch am 28.10.06 in Göttingen teilgenommen hatte, endete am 3. Verhandlungstag, den 16.05.07, mit einem Freispruch.
Schon am ersten Verhandlungstag, dem 19.4, war klar geworden, dass der Vorwurf des Widerstandes gemäß 113 StGB nicht haltbar war. Am 2.Verhandlungstag, dem 9. Mai, wurden auf Wunsch der Staatsanwältin trotzdem nochmals Polizeizeug/innen gehört. Zu Beginn seiner zweiten Vernehmung sage der Hauptzeuge Kowalik auf die Frage, inwieweit er sich auf die (neue) Verhandlung vorbereitet habe, dass er im Internet einen längeren Bericht mit dem Titel ''Prozess gegen Antifaschisten in Göttingen'' gelesen hat. Der Polizist hatte sich offenbar hier kundig gemacht und behauptete nun zur allgemeinen Verblüffung im Widerspruch zu seiner vorherigen Aussage, es hätte sich bei der Ansammlung mehrerer Dutzend Natzigegner/innen im Göttinger Bahnhof, die vor der Polizeikette Sprechchöre bildeten, Transparente und Schilder mitführten und Räumungsaufforderungen ignorierten, nicht um eine Versammlung gehandelt, sondern um lauter Einzelpersonen. Ungefragt trug Kowalik dann dem Gericht eine freie Interpretation des Landespolizeirechts vor, um die Polizeiübergriffe gegen die Nazigegner/innen zu rechtfertigen. Anschliessend sollte ein Polizist, der die Nazigegner/innen gefilmt hatte, die Aufzeichnungen des Dokumentationstrupps vorführen. Er scheiterte an einem technischen Problem. Überraschenderweise sagte er aus, nicht zu wissen, wer für die zweite Polizeikamera zuständig war, die mehrere Zeug/innen gesehen hatten - Verhandlung vertagt. Am 3. Verhandlungstag, den 16 Mai, konnte der Polizist nun seine mitgebrachten Aufzeichnungen zeigen. Diese beginnen allerdings merkwürdig verspätet nach den Ereignissen, auf die sich die Anklage bezieht. Die Beweislücke verringerte sich, als die Verteidigung Pressefotos vorlegte. Darauf ist zu erkennen, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Polizeimassnahmen eindeutig an einer Versammlung im Bahnhof teilnahm. Die Fotos zeigen auch die besagte zweite Kamera. Die Polizei konnte oder wollte bis zuletzt keine Auskunft geben, wer dort gefilmt hat und was mit den Aufzeichnungen passiert ist. Warum verschwinden Apparat und Bildmaterial unauffindbar? Eigentlich gibt es dafür nur eine einzige plausible Erklärung: Die Aufzeichnungen könnten beweisen, dass Kowalik im Kern seiner Aussage, nämlich dass der Nazigegner seine Arme weggeschlagen hätte, gelogen hat. Damit wäre der Polizist der strafbaren falschen Anschuldigung und Falschaussage überführt. Die bis dahin sehr hartnäckige Staatsanwältin, die allein zum 3. Verhandlungstag sechs Polizeizeug/innen vorgeladen hatte, verzichtete angesichts dessen lieber auf eine weitere Erforschung des Sachverhaltes und plädierte selber auf Freispruch. Der Verteidiger wies nochmals darauf hin, dass ein sich Widersetzen gegen die Poizeimassnahmen, selbst wenn es tatsächlich so geschehen wäre wie von der Polizei behauptet, keinen strafbaren Widerstand nach 113 StGB darstellt. Denn weil die Spontankundgebung der Nazigegner/innen durch Grundrechte geschützt war und die Versammlung nicht aufgelöst wurde, waren die Polizeimassnahmen rechtswidrig. Der Richter hatte dem nicht hinzuzufügen: Freispruch. Der Versuch der Polizei, ihre Übergriffe auf Nazigegner/innen durch falsche Anschuldigungen nachträglich zu rechtfertigen, ist in diesem Fall also gescheitert. Solche Verfahren zeigen aber, dass es sinnvoll ist, sich zu merken, wer bei einer Aktion oder Kundgebung neben einem stand, und zeitnah Gedächnisprotokolle zu schreiben.
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Ergänzungslink

Beah 20.05.2007 - 16:12
Der Bericht vom ersten Prozesstag steht unter  http://de.indymedia.org/2007/04/173634.shtml

PM der Roten Hilfe Göttingen

Prozeßbeobachter 20.05.2007 - 17:15
Siehe dazu auch die Pressemitteilung der Roten Hilfe Göttingen: www.puk.de/rhgoe

SCHÖNE BESCHERUNG?!?

gemeint sind wir alle 21.05.2007 - 09:24
am 24.05. kommt der Weihnachtsmann vor Gericht
Amtsgericht Göttingen
Prozessbeginn 10 Uhr Saal B110

repression nicht hinnehmen!

hintergrund

egal 21.05.2007 - 09:52

aktuell

soli 21.05.2007 - 10:55
Strafanzeige gegen Polizei wegen Körperverletzung im Amt und Freiheitsberaubung

Am 16.1.2007 wurde Cornelius Yufanyi vor dem Amtsgericht Göttingen vom Vorwurf des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte freigesprochen. Sowohl die Anordnung der Identitätsfeststellung als auch die Art und Weise der Durchführung waren rechtswidrig gewesen.

Jetzt hat Cornelius Yufanyi gegen die Polizei Klage eingereicht wegen Körperverletzung und Freiheitsberaubung. Unter Einsatz von Gewalt und nachdem Cornelius Yufanyi von Polizeibeamten über die Straße verfolgt worden war, wurde er zur Identitätsfeststellung auf die Polizeiwache verbracht und dort festgehalten. Dieses gesamte Vorgehen war rechtswidrig, was auch vom Gericht festgestellt worden war. Aufgrund der ihm zugefügten Verletzungen stellte Cornelius Yufanyi Strafanzeige gegen die Polizeibeamten.

Was war damals passiert?

Am 16. Mai 2006 fand ein Prozess gegen einen Unterstützer der Familie Saado aus Ossenfeld statt, die um ihr Bleiberecht kämpft. Nach Ende des Prozesses gegen 10 Uhr standen mehrerer Einsatzwagen der Polizei vor dem Amtsgericht bereit. Die Beamten gingen auf die ProzessbesucherInnen zu und forderten die Herausgabe der Personalien wegen „Abhalten einer unangemeldeten Versammlung". Es wurde den BesucherInnen des Prozesses - darunter auch JournalistInnen - verboten, den Platz vor dem Amtsgericht zu verlassen. Die Polizei hinderte Leute gewaltsam am Weggehen und wurde zunehmend aggressiv und handgreiflich. Direkt an der Berliner Strasse wurden die meisten Leute in einer Art Kessel festgesetzt. Weitere Personen wurden die Strasse entlang verfolgt und Cornelius wurde schließlich regelrecht über die vielbefahrene Strasse gejagt, mitten auf der Strasse niedergeworfen und festgenommen.



Hintergrundberichte siehe:

 http://thevoiceforum.org/Freispruch_CORNELIUS

"Freispruch für Cornelius Yufanyi"

www.soziales-zentrum-goettingen.de

 http://de.indymedia.org/2007/01/166303.shtml

weitere antirepressiva

ist ausgefüllt 21.05.2007 - 11:02
Preisverleihung an die Polizei in Göttingen
 http://de.indymedia.org/2007/04/174170.shtml
auch die Ergänzungen sind intressant!