Mittweida: Bericht zur Antifa-Demo 12.05.07

AntifaschistInnen aus der Region 16.05.2007 15:25 Themen: Antifa Freiräume
Bis zu 1900 DemonstrantInnen gingen am 12.05.07 in Mittweida gegen den Naziterror in der mittelsächsischen Region auf die Straße. Lautstark und friedlich artikulierten sie ihren Protest gegen die grassierende Nazigewalt und die Untätigkeit der politischen Verantwortlichen.
Die Zahlenstärke der Demonstration zeigt, wie bedeutsam die Forderung nach antifaschistischen Freiräumen für Jugendliche in der Region Mittweida ist. An der Demonstration nahmen zahlreiche antifaschistische Gruppen, GewerkschafterInnen, VertreterInnen von Kirchen und Parteien und vor allem viele Jugendliche aus dem Landkreis Mittweida teil.
Bis zu 1900 DemonstrantInnen gingen am 12.05.07 in Mittweida gegen den Naziterror in der mittelsächsischen Region auf die Straße. Lautstark und friedlich artikulierten sie ihren Protest gegen die grassierende Nazigewalt und die Untätigkeit der politischen Verantwortlichen. In zahlreichen Redebeiträgen wurde die Situation im Landkreis Mittweida angeprangert. Seit etwa zwei Jahren gehen dort Nazis mit großer Brutalität gegen Menschen vor, die nicht in ihr rassistisches, antisemitisches und nationalistisches Weltbild passen.
Entschieden protestierte die Demonstration gegen den Standortnationalismus von Landrat Schramm und Bürgermeister Damm, für die Nazis nur dann zum Problem werden, wenn sie als Nazis benannt und damit ein Investitionshindernis darstellen könnten. Die Zahlenstärke der Demonstration zeigt, wie bedeutsam die Forderung nach antifaschistischen Freiräumen für Jugendliche in der Region Mittweida ist. An der Demonstration nahmen zahlreiche antifaschistische Gruppen, GewerkschafterInnen, VertreterInnen von Kirchen und Parteien und vor allem viele Jugendliche aus dem Landkreis Mittweida teil. Trotz vereinzelter Provokationen der Polizei verlief die Demonstration wie geplant durchgehend friedlich.

Zum inhaltlichen Teil der Demonstration:
Zur Auftaktkundgebung in der Feldstraße sprach Pfarrer i. R. Christoph Körner aus Geringswalde. Er erinnerte am Mahnmal des Konzentrationslagers Flossenbürg an die Opfer des KZs und rief im Namen einer Holocaust-Überlebenden die TeilnehmerInnen zu einer friedlichen Demonstration auf. Zu Ehren der im Außenlager des KZs Ermordeten wurden Blumen am Mahnmal niedergelegt.
Michael Leutert, Anmelder der Demonstration, kritisierte die regionale Politik. Der heutige Bundestagsabgeordnete war in den 90er Jahren einer der Jugendlichen, die in Mittweida ein selbstverwaltetes Jugendhaus einrichteten. Die kommunale Politik legte den BetreiberInnen des Jugendhauses schon damals nur Steine in den Weg, was zur Schließung im Jahr 1998 führte. Danach wurde das Haus abgerissen. Die gegenwärtige Situation wurde von Michael Leutert als eine Spätfolge der auch von Schramm und Damm zu verantwortenden Politik charakterisiert.
Die Demonstration setzte sich gegen 15 Uhr in Bewegung. Zu diesem Zeitpunkt mögen es bestimmt schon 1000 TeilnehmerInnen gewesen sein. Auf der 2,5 stündigen Demonstration folgten auf mehreren Zwischenkundgebungen noch weitere Redebeiträge die allesamt immer wieder die zentralen Forderungen der Demonstration "Naziterror stoppen - Alternative Freiräume schaffen" wiederholten. Zudem wurden an die wenigen die Strecke säumenden Bürger Handzettel verteilt.
Ein Redebeitrag der Antifa RDL ( http://aardl.blogsport.de/) verwies auf die die gesellschaftlichen Hintergründe, die den Ideologien der Nazis Vorschub gewähren. „Rassismus, Antisemitismus, Antiamerikanismus, homophobe Diskriminierungen und Sexismus, dies alles sind Phänomene, die in unserer Gesellschaft sehr weit verbreitet sind. Selbst das Bekenntnis zahlreicher Bürger_innen gegen Nazis bedeutet nicht automatisch, dass Mensch solche Diskriminierungsformen nicht selber verinnerlicht hat und diese auch beständig reproduziert. Oft ist es einfach auch nur so, dass sich zahlreiche Menschen durch das offene Auftreten der Nazis nur in ihrem Alltag gestört fühlen. Die Hintergründe der Ideologien, welche diese Nazigruppen propagieren werden erst gar nicht reflektiert. Wäre dies nämlich der Fall, dann würden viele Bürger_innen feststellen, dass die eigenen Gedankengänge häufig eindeutige Schnittmengen zum Naziweltbild offenbaren.“
Antifas aus Dresden erinnerten daran, dass der 8. Mai der Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus und damit ein Tag der Freude ist. Im Zuge des geschichtsrevisionistischen Diskurses um deutsche Opfer gelte es, diesen Fakt immer wieder deutlich zu machen. Weiterhin wurde zur Solidarität mit den aktuell von Repression betroffenen militanten und friedlichen G8-GegnerInnen aufgerufen.
Später auf der Demonstration blieb es einem Vertreter des Mittweidaer VVN/BdA vorbehalten, ein Beispiel für den relativierenden Umgang mit Geschichte zu geben: Er kritisierte die „Schleifung“ des Denkmals für die Befreiung vom Hitlerfaschismus vor einigen Jahren. Vorgeschobener Grund war die Umgestaltung des Standortes, der mittlerweile immer noch genauso aussieht. Dafür gibt es in Mittweida jetzt eine Tafel, die an alle Opfer von Gewaltherrschaft erinnert. Der Redebeitrag setzte sich außerdem mit der Geschichte Mittweidas in der Zeit des Nationalsozialismus auseinander und widersprach der Gleichsetzung des Nationalsozialismus mit der „Diktatur des Proletariats“. Im Namen eines Mittweidaer Widerstandskämpfers gegen den NS, der aus Altersgründen leider nicht an der Demonstration teilnehmen konnte, rief er die TeilnehmerInnen auf, dafür einzutreten, dass sich Geschichte nicht wiederholt.
Ein Mitarbeiter der Opferberatungsinitiative Amal ( http://amal-sachsen.de) wies auf den Anstieg rechter Gewalttaten in Sachsen und speziell im Landkreis Mittweida hin und ermutigte zu zivilgesellschaftlichem Engagement gegen Nazismus. Vergangenes Jahr wurden von Amal in ganz Sachsen 208 Übergriffe mit rechtsextremer bzw. fremdenfeindlicher Tatmotivation registriert, gegenüber 2005 mit 168 solcher Vorfälle - das bedeutet eine Steigerung um fast ein Viertel. „Das Landeskriminalamt Sachsen will hingegen ein Sinken rechtsextremer Straftaten beobachtet haben. Das verwundert nicht: Zahlreiche Übergriffe werden einerseits von der Polizei nicht als politisch motiviert eingestuft, Betroffene verzichten andererseits aufgrund schlechter Erfahrungen häufig auf Anzeigen und Hinzuziehen der Polizei“, so Amal.
Direkt im Anschluss berichtete ein Jugendlicher von einem Angriff von Nazis, bei dem diese mit drei Autos einen Wagen in einen Straßengraben abdrängten. Die Polizei ermittelt hier wegen Tötungsversuch gegen die Nazis und aufgrund deren Gegenanzeigen wegen gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr gegen die Jugendlichen.
AntifaschistInnen aus Freiberg berichteten über die Zustände in Freiberg, wo nach der von der Stadt erzwungenen Schließung des alternativen Zentrums „Barrikade“ seit einigen Jahren ebenso wie in Mittweida ein selbstbestimmter antifaschistischer Treffpunkt fehlt. Aktionen von Jugendlichen gegen Nazis, z. B. gegen eine Veranstaltung der NPD auf dem Freiberger Markt oder gegen den in einem Freiberger Altenheim lebenden ehemaligen SS-Unterscharführer Alfred Mathias Concina, würden von der Polizei kriminalisiert. Auch das dortige CDU-dominierte „Bündnis gegen Extremismus“, welches sich ausgehend von einer Links-Rechts-Gleichsetzung als nationale Standortinitiative präsentiert und dessen politische Wirkung gegen Null geht, wurde thematisiert.
Auf dem Mittweidaer Marktplatz sprach schließlich ein Sprecher des Mittweidaer „Bündnis für Menschenwürde – gegen Rechtsextremismus“ ( http://www.buendnis-mittweida.de). Er bekräftigte nochmals die Forderung nach einem alternativen Kulturzentrum in Mittweida. Ziele und Zusammensetzung des Bündnisses machen deutlich, dass sich hier, entgegen dem oben genannten Beispiel aus Freiberg, antifaschistisch engagierte Menschen zusammengefunden haben. In den Zielen, die den nunmehr über 1500 DemonstrantInnen vorgelesen wurden, sind u.a. "die Rückgewinnung der Marktplätze des Landkreises, das Zurückdrängen der rechtsextremen Gewaltbereitschaft und des rechtsextremistischen Mainstreams, der Kontaktaufbau zu ausländischen MitbürgerInnen und Strategien gegen Antisemitismus" formuliert.

Lokale Politik, Provinz und die Medien:
Im Vorfeld kam es zu einigem Wirbel in den Amtsstuben der Lokalpolitik. Während Landrat Andreas Schramm (CDU) sich für den 12. Mai in den Urlaub abmeldet, schlingerte vor allem Bürgermeister Damm zwischen Instrumentalisierung der Demonstration und offener Hetze dagegen hin und her (vgl.  http://de.indymedia.org/2007/05/176020.shtml). Unrühmlicher Höhepunkt: Vier Tage vor der Demonstration erbittet Damm beim Anmelder Rederecht, nachdem er eine unangemeldete Kundgebung auf dem Marktplatz ankündigte und bewarb. Mit dieser wollte er sich in die Demonstration „integrieren“. Wäre dies glaubhaft gewesen, einer Teilnahme hätte nichts entgegen gestanden. Doch auf allen möglichen lokalen Ebenen wettert Damm weiter gegen die Antifa-Demonstration und unterstellt ihr „Extremismus“. Sein Hauptargument ist das geänderte Motto. Am 9. Mai distanziert sich der Studentenrat der HTW Mittweida „von dieser Art der Demonstration.“ Die Begründung liest sich wie von Bürgermeister Damm oder Rektor Lothar Otto diktiert: „Die Ankündigung vieler Linksextremer Organisationen und die Änderung der Themas und der Ziele der Demonstration in „Naziterror stoppen – alternative Freiräume schaffen!“ von ursprünglich „Für Demokratie und Toleranz gegen Rechtsextremismus!“ bewegten uns zu diesem Schritt. Es ist außer Frage, dass etwas gegen den Rechten Extremismus und die Gewalt getan werden muss. Aber es ist in keiner Art und Weise sinnvoll dies mit Linksextremisten zu tun. Wir vertreten die Meinung, dass jeglicher Art von Extremismus und Gewalt Einhalt geboten werden muss. Was nützt es, wenn die Rechtsextremen Schmierereien durch Linksextreme ersetzt werden und wenn die Gewalt nicht mehr von Rechtsextremen Gruppierungen sondern von Linksextremisten ausgeht.“

Unterschlagen wird dabei, dass ein breites Bündnis, darunter das Mittweidaer „Bündnis für Menschenwürde – gegen Rechtsextremismus“, mit eigenen Aufrufen weiter für die Demonstration mobilisierten. Bürgermeister Damm wollte auch den eingangs zur Demonstration sprechenden Pfarrer i. R. Christoph Körner von einer Teilnahme abbringen, wie dieser mitteilte.
Damm wurde schließlich das Rederecht auf der Demonstration verwehrt. Ob nun in Rücksichtnahme auf das zeitgleich stattfindende Feuerwehrfest, das die Anwesenheit des Bürgermeisters erfordere oder aufgrund der Hetze gegen die Demonstration ist eine Frage wieviel Humor der Begründung beigemessen wird.
So fand die Kundgebung „Für ein weltoffenes Mittweida – für Demokratie und Menschenwürde, gegen Gewalt und Extremismus“ mit etwa 100 TeilnehmerInnen abseits und parallel zur Demonstration statt. Als letztere den Marktplatz erreichte wurde die Kundgebung beendet und Bürgermeister Damm zog sich ins mit zwei großen Bannern geschmückte Rathaus zurück. Auf denen fanden sich Unterschriften „Für ein weltoffenes Mittweida“, gut lesbar vor allem die des Studenrates.

In den ersten Medienmeldungen wurde versucht die Demonstration für die Kundgebung "gegen Rechtsextremismus" zu instrumentalisieren. Das Ordnungsamt spricht zunächst von 2.000 TeilnehmerInnen „gegen Rechtsextremismus“, eine Anzahl die die OrganisatoInnen von sich aus sicher nicht angegeben hätten. Der MDR berichtet wie üblich in einer Randmeldung und erfindet später gerade noch „die von links angekündigte Gewalt“.
Die Demonstration gab der Medienstadt mit ihrer Medienstudenten endlich Nachrichten: "Normalerweise ist hier nichts los, aber jetzt sind alle neugierig, weil die Demonstranten da sind," wie es auf der Medienplattform der Hochschule zu lesen ist ( http://www.medien-mittweida.de). Die Blogs der lokalen MedienstudentInnen übten sich in großstädtischer Gelassenheit, in einer Art „Mitte Feeling“, welches andeutet, dass sie nach abgeschlossenem Studium Mittweida vermutlich Richtung Großstadt verlassen werden. Aber aufgepasst: „You can get out of Mittweida, but you can not get Mittweida out of you.“.

Die Nazis:
Von angekündigten Gegenaktionen der Naziszene war weit und breit nichts zu sehen. In Höhe des Kauflandes dann doch: „Ein paar Nazis im Gebüsch“ ( http://www.medien-mittweida.de). Ihnen blieb an diesem Tag nur das passive Beobachten. Auf dem Marktplatz im Umfeld der Kundgebung des Bürgermeisters wurden einzelne Nazis in Gewahrsam genommen. Sie hatten wohl gehofft in der Bürgermenge wie Fische im Wasser schwimmen zu können, doch die spärliche Deckung gestattete der Polizei leichten Zugriff. Diese berichtet später von 24 Ingewahrsamnahmen auf rechter Seite. Nachdem die DemonstrantInnen die Stadt bereits verlassen hatten, folgten weitere sieben Mitglieder des verbotenen „Sturm 34“ ihren Kameraden.

Fazit:
Es wurde eine eindrucksvolle Bündnisdemonstration durchgeführt. Dank der großen zahlenmäßigen und inhaltlichen Beteiligung von Antifagruppen konnte sich die Demonstration weitgehend von einer Vereinnahmung in den „Aufstand der Anständigen“ abgrenzen. Wichtige Punkte dafür waren sicher die Durchsetzung des Mottos und einer klaren inhaltlichen Linie, welche die Zustände und Forderungen konkret benennen und sie nicht hinter selbstverständlichen Forderungen und Bekenntnissen verschleiern. Lokale Akteure mussten sich positionieren und ihre Haltung offen kommunizieren, abseits kleinstädtischer „unterirdischer Kanäle“. Gerüchte wurden im Rahmen der Demonstration zu Informationen und bieten Punkte für weiteres Engagement und antifaschistische Selbtorganisation vor Ort. Die Ansätze einer möglichen antifaschistischen Politik in Mittweida und Umgebung wurden breit thematisiert.
Ein Anfang ist damit gemacht.

Berichte und Bilder zur Demo in Mittweida:
 http://de.indymedia.org/2007/05/176935.shtml
 http://de.indymedia.org/2007/05/176818.shtml
 http://de.indymedia.org/2007/05/176738.shtml
 http://akubiz.de/
 http://amal-sachsen.de/news.php?art=430
Mittweidosphäre:
 http://casus-belli-blog.de/
 http://www.medienschlampen.com/?p=281
 http://www.medien-mittweida.de/aktuelles/artikel/1235.html
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Ergänzungen

& [redok] berichtet(e) ...

[redok]_Leserin 18.05.2007 - 20:05
... über "Wiederholte Festnahmen in Folge des 'Sturm 34'-Verbotes" ->  http://www.redok.de/content/view/685/38/ (18.05.2007)

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Weiter so! — xyz

& sie gingen — Lokalverbot