Mayday-Parade Tübingen (Teil 1)

Superflex 03.05.2007 22:43 Themen: Freiräume Globalisierung Kultur Soziale Kämpfe
Die erste Tübinger MAYDAY ! PARADE für globale soziale Rechte am Montag 30. April 2007, war ein Riesenerfolg! 5 große Wägen, viele kleine Wägen und bis zu 1000 Leute tanzten vier Stunden durch Tübingens Straßen - vorbei an verschiedenen Stationen, an denen es Redebeiträge und politische Performances gab.
Inspiriert war die Tübinger Mayday-Parade von den politischen Ursprüngen des Karneval, von selbstorganisierten, kritischen Raves und Partys, von den bunten Protesten der globalisierungskritischen Bewegungen und den Gipfelprotesten der letzten Jahre - und von den Euro-Mayday-Paraden bei denen in vielen europäischen Städten seit 2001 zum 1. Mai nicht nur die „klassischen ArbeiterInnen“ auf die Straße gehen, sondern viele, die auf ganz unterschiedliche Art von Prekarisierung und unsicheren Arbeits- und Lebensverhältnissen betroffen sind. Der vollständige Aufruf ist zu finden unter:  http://tuebingermaydayparade.twoday.net/stories/3488539/

Die Parade startete im französischen Viertel in der Südstadt mit einem kurzen Auftritt der Tübinger HipHopper "zweiplus".
Während des Eröffnungsredebeitrags erschienen zwei "Überflüssige" in bekannter Aufmachung (weiße Maske, roter Kapuzenpulli), überbrachten Grüße und stellten klar „Nicht wir sind überflüssig, sondern der Kapitalismus ist überflüssig!“. Auch zwei prekäre SuperheldInnen schauten kurz vorbei, zwischen 2 Jobs und auf ihrem Weg zu den (Euro-)Mayday-Paraden in Berlin, Hamburg, Barcelona, Mailand. Sie waren erfreut über die Tatsache, dass auch in Tübingen Mayday gefeiert wird und wunderten sich nicht über die zu diesem Zeitpunkt noch etwas kleine Menschenmenge - schließlich ist das Französische Viertel Tübingens Mittelstands-Grünen-Hochburg, Prekarisierung und Kapitalismuskritik ist dort dementsprechend (noch) etwas rar...

In der Parade, die sich dann zum Sound von DJ Baptist in Bewegung setzte waren unter anderem dabei: Rente-für-alle-Wagen, Soli-Kaffee-Wagen von Ya Basta, Getränkewagen, zwei Soundwägen, mobiler Umsonstladen, mobiler Infoladen, Ausstellung über den G8-Gipfel, Rebel Clowns, Großpuppen, Pizza der Food Coop "Schwarzwurzel"... und vieles mehr.

Erste Zwischenstation der Parade war dann das räumungsbedrohte Wohnprojekt Lu15 in der Ludwigstraße ( http://www.lu15.de): Schon vor Ankunft der Parade riegelte eine Hundertschaft (Clowns-)PolizistInnen die Lu15 ab, als die Parade vor dem Haus zum Stehen kam, versuchten sie zu räumen, was aber von den BewohnerInnen mit Wasserbomben und (Schaumstoff-)Pflastersteinen in einem 5-minütigen harten Häuserkampf zur Begeisterung der Parade-Teilnehmenden verhindert wurde...

Bis zur Blauen Brücke/Friedrichstraße kamen weitere Leute zur Parade, die dadurch auf 600 anwuchs. Viele hatten sich verkleidet, Transparente, Schilder, Gimmicks und Accessoires mitgebracht, auch mehrere Oettingers (rechtskonservativer „das war alles ganz anders gemeint“-Ministerpräsident von BaWü) waren vertreten.

Auf der Blauen Brücke fand ein Zwischenstop mit zwei Redebeiträgen statt: Der Tübinger social fiction-Autor Marcus Hammerschmitt trug einen Text zur Bahnprivatisierung vor (siehe:  http://germany.indymedia.org/2007/05/174375.shtml) spontan untermalt vom Aufeinandertreffen eines „Bahn-für-alle“-Zuges mit Bahnchef Mehdorn; und das Kneipenkollektiv berichtete von Leuchttürmen der Hochkultur und selbstorganisierter unkommerzieller Kultur, mit Blick auf die Konzerthaus-Bauruine an der Blauen Brücke – die übrigens nach vielen Jahren Leerstand später am Abend ihre erste kulturelle Veranstaltung überhaupt erlebte: mit einer grandiosen Besetzungsparty (siehe:  http://germany.indymedia.org/2007/05/174375.shtml).

An der Neckarbrücke wurde, unter Vorbeten der prekarisierten Brüder und Schwestern von „zatopek“ aus dem Club Voltaire ( http://www.immerdienstags.de/), „San Precario“, der Schutzheilige aller Prekarisierten um Hilfe gegen das Übel des Kapitalismus gebeten.

Eine zentrale Auflage der Stadt Tübingen für die Mayday-Parade war gewesen, dass das Lustnauer Tor um 20:30 passiert sein muss – damit die Polizei dort nicht in ihren Vorbereitungen für das Mai-Singen der Tübinger Verbindungen gestört wird. Der Zeitplan wurde eingehalten, Polizei und Ordnungsamtschef Kaltenmark waren relaxt (keiner ahnte, wie der weitere Abend noch verlaufen würde...).

Auf dem Geschwister Scholl-Platz vor der Neuen Aula der Universität führte der AK Studiengebühren ein Theaterstück mit „Pinjata“ auf, das mit der kollektiven Schlachtung eines Studiengebühren-Sparschweins endete.
Anschließend spannte eine interaktive Performance ein Netz der Macht und Herrschaft über den Platz, in dem alle verwickelt sind und mitknüpfen, das aber gemeinsam zerrissen werden konnte...

Als sich die Parade dann wieder auf den Weg machte, setzte die Dämmerung ein und angeheizt von DJ Lightwood und MC Double J (Santorin Records) begann die Straßenparty mit Drum&Bass dann voll richtig zu rocken...

Am Bürgeramt in der Schmidttorstraße gab es einen weiteren kurzen Stopp an der Grenze zwischen Deutschland und dem „Global Space“, die eingerissen wurde - alle Parade-TeilnehmerInnen erhielten den neuen, globalen Reisepass „Global Passport (Papiere für alle!!!).

Mit dem Auftritt des Bloch Chors ( http://www.ernst-bloch-chor.de/) auf dem Haagtorplatz fand die Mayday-Parade dann einen überraschend ruhigen, würdevollen Abschluss – dass während der zwei Lieder und des Gedichts („Bekenntnis zum Neoliberalismus“) niemand nach Party grölte, sondern alle (inzwischen fast 1000 Leute) ruhig und interessiert zuhörten, war die abschließende Bestätigung der tollen Stimmung und des von allen geteilten Bewusstseins, dass es sich um eine politische und vielfältige Parade handelte, mit Offenheit für unterschiedliche Kulturbeiträge.

Nach der offiziellen Auflösung der Parade ergriff noch ein „Burschenschaftler“ das Mikro, fuchtelte mit seinem Degen durch die Luft und grölte etwas von „Maisingen und Verbindungstraditionen“...

Während der Parade war oft zu hören: "Das ist die tollste Demo, die es je in Tübingen gab!" – bemerkenswert dabei vor allem, dass die Parade ganz eindeutig als politische Aktion aufgefasst wurde – nicht als Party mit politischen Häppchen zwischendurch.
Die Teilnehmenden stammten größtenteils aus der linken Polit-, Kultur-, und Wohnprojekte-Szene - überraschend viele, die sich schon lange nicht mehr auf Aktionen gezeigt hatten, waren gekommen, und immer wieder schlossen sich in der Stadt auch spontan Leute der Parade an. Prekarisierung in verschiedenen Ausprägungen war das inhaltliche Leitmotiv, Lebensfreude das verbindende positive Element der Parade.

Und mit dem Abschluss der Parade um 22 Uhr hatte die lange Tübinger Mainacht gerade erst begonnen:
Ab 23:30 Uhr gab es mehrere Blockaden auf der Aufmarschstrecke der Verbindungen zu ihrem Mai-Singen, woraufhin das Maisingen auf dem Holzmarkt abgesagt wurde (siehe  http://de.indymedia.org/2007/05/174367.shtml und dortige Links).

Und im Anschluss an die Verhinderung des Maisingens wurde die Bauruine an der Blauen Brücke für eine Party besetzt, einige Hundert Leute feierten dort ausgelassen und unglaublich gut gelaunt bis in den Morgen ( http://de.indymedia.org/2007/05/174496.shtml)...
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Ergänzungen

Teil 2 des Berichts mit weiteren Fotos...

Superflex 03.05.2007 - 23:03

Besetzungsparty

kollektive KulturKneipe 04.05.2007 - 10:59
weil der Bericht oben falsch verlinkt ist, hier nochmal der "Klick" zur Besetzungsparty....

 http://de.indymedia.org/2007/05/174496.shtml

Tübinger Mayday auch 2008

Mayday 27.03.2008 - 22:21
Weil das hier so gut gefunden wird, muss man hier auch sagen, dass es auch dieses Jahr eine Mayday Parade in Tübingen geben wird!

 http://tuebingermaydayparade.twoday.net/

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