Schwarz-roter 1. Mai in Strasbourg & Freiburg

Autonomes Medienkollektiv Freiburg 03.05.2007 17:55 Themen: Freiräume G8 Heiligendamm Repression Soziale Kämpfe
Am 1. Mai 2007 gab es einen libertären Block auf der Großdemo in Strasbourg, eine Debatte im selbstverwalteten Kulturzentrum Molodoï und die 6. Love or Hate-Parade in Freiburg. Rébellion sans frontières, ouverte jour et nuit...
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    Strasbourg



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In Strasbourg versammelten sich früh um 10 Uhr über 200 Menschen am Place de la Bourse zum libertären 1. Mai. Die Gewerkschaften hatten kurzfristig den Startpunkt ihrer Demo verlegt, doch die AnarchistInnen hielten an dem massenhaft plakatierten Startpunkt fest. Die französischen Bullen waren natürlich auch zugegen: Ein Streifenwagen und der Einsatzleiter. In Freiburg undenkbar, in Strasbourg normal: Eine angekündigte Demonstration kann bei milden Maiwetter ungestört durch die Innenstadt ziehen.

Am Place de l'Homme de Fer reihte sich der seit Jahren größte schwarz-rote Block direkt hinter die Gewerkschaften ein und bildete somit den ersten politischen Block. Der Gewerkschaftsbund CGT hatte einen eigenen Ordnerblock abgestellt, der den anarchistischen Block kontrollieren sollte. Die Anzahl der deutschen Linksradikalen, die sich an der Strasbourger 1. Mai-Demonstration beteiligen, steigt von Jahr zu Jahr und mit ihr die grenzüberschreitende Vernetzung.




    Molodoï

Im Anschluss gab es wieder sehr leckeres Essen im selbstverwalteten Kulturzentrum Molodoï (russisch für „Jugend“). Es wurden Bücher- und Infotische aufgebaut und es wurde fleißig übersetzt. Gegen 15 Uhr gab es eine angekündigte zweisprachige Debatte über die Situation des Molodoï, zu der die Strasbourger Genossinnen und Genossen die KTS eingeladen hatten.

Das Molodoï gibt es seit 1989, alles begann mit dem gleichnamigen Verein. Damals suchten Jugendliche Räume für subkulturelle und alternative Veranstaltungen. Die Stadt förderte das Anliegen und den Bau des heutige Molodoïs, forderte jedoch eine Parteiunabhängigkeit der Gruppen des Hauses. Zeitgleich wurde die Laiterie in direkter Nähe gebaut, um die kommerzialisierte Alternativkultur zu fördern. 1991 wurde ein Mietvertrag mit dem Verein über die Räumlichkeiten unterzeichnet, der 2009 nach 18 Jahren ausläuft.

Verglichen wurde die Situation mit der Bedrohung der KTS im Jahre 2004, wobei im Moment noch gar nicht klar ist, wie die mittlerweile konservative Strasbourger Stadtverwaltung zu einer Verlängerung des Vertrages für das Jugendhaus steht. Es wurden Strategien und Probleme zur Verteidigung von Freiräumen erörtert. Weiter wurden angeregt und intensiv Machtstrukturen und Konfliktlinien in den selbstverwalteten Zentren diskutiert.



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Wie beim Molodoï in Strasbourg ist auch die Zukunft des Autonomen Zentrums Les Tanneries in Dijon ungewiss, das einer Privatklinik weichen soll. Die BesetzerInnen aus Dijon rufen für Samstag, den 19. Mai, um 15 Uhr zu einer Reclaim the Streets-Demo auf dem Place du Bareuzai auf: « Manifestive contre la destruction de l'Espace Autogéré des Tanneries ! »




    Vorkontrollen

Auf dem Weg nach Freiburg zur Love or Hate-Parade am Abend wurde bereits wenige Kilometer nach Kehl der Unterschied zwischen der repressiven deutschen und der deeskalierenden französischen Polizeistrategie deutlich. Die Bullen hatte die zur A5 führende Schnellstraße auf eine Spur verengt und zwangen Autos nach Gesichtskontrolle auf einen Parkplatz. Dort wurden die potentiellen Autonomen gefilzt und die Autos durchsucht.



Der Karlsruher Lautsprecherwagen und ein Begleitfahrzeug wurden von den Bullen 16 km vor Freiburg auf einen Parkplatz gezwungen und dort durchsucht. Erst wollten die Bullen die Anlage sofort beschlagnahmen, doch unsere FreundInnen aus Karlsruhe wehrten sich gegen diese willkürliche Rechtsverletzung. Daraufhin drohten die Bullen mit einer Beschlagnahme an den Grenzen Freiburgs, sollten sich die Linken mit dem Demowagen der Stadt nähern. Auch diese Willkürmaßnahme war offensichtlich rechtswidrig, es gab keine Allgemeinverfügung der Stadt.

Irgendwann sah Parkplatzchef Ahlers das Fehlen einer Rechtsgrundlage für sein Handeln ein und ließ die Wägen mit Bulleneskorte ziehen. Nicht ohne eine verbotene Zone zu definieren – auf Grundlage „irgendein(es) Paragraph(en) aus dem baden-württembergischen Polizeigesetz, so genau kann ich Ihnen das jetzt hier auf der Straße auch nicht sagen“: Das Gebiet zwischen Dreisam, Greifeneggring, Schloßbergring, Leopoldring, Friedrichsring, Bismarckallee und Schnewlinstraße – also die gesamte Innenstadt.



Die Wägen verließen den Autobahnzubringer bei der Abfahrt Mitte, fuhren dann jedoch nach rechts zum Grether Gelände in die verbotenen Zone. Eine Bullensperre auf der Schnewlinbrücke konnte die Wägen nicht aufhalten, die schlecht und viel zu spät erkennbaren Bullen mussten per Hechtsprung die Fahrbahn verlassen. Bullenoberrat Winterer konnte am Grether Gelände mal wieder nur missmutig die Unfähigkeit seiner Untergebenen zur Kenntnis nehmen. Auch anderswo wurden Anreisende intensiv kontrolliert und mit Fahrzeugdurchsuchungen schikaniert.


    Freiburg

Mittlerweile hatten sich bereits hunderte Linke beim traditionellen 1. Mai Straßenfest versammelt. Seit dem Nachmittag kochte dort die DIY-Küche. Fünf Fahrzeuge waren auch schon vor Ort, eines jedoch war bereits am Vorabend beschlagnahmt worden. Nach dem ganzen Bullenstress wurde beschlossen, die Demonstration lediglich mit einer Mindestaustattung von drei Wägen durchzuführen: Ein Saniwagen, ein großer Lautsprecherwagen und ein selbstgeschweißter Demowagen mit Soundsystem, der von einem Trecker gezogen wurde, setzten sich um 20 Uhr in Bewegung.



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Über tausend Menschen zogen die Belfortstraße hoch. Es gab Dancehall- und Elektrosound, Ska und Punkiges wechselten sich ab und der Redebeitrag zur Situation in Freiburg wurde abgespielt. Die Zahlenangaben schwanken zwischen 500 (Badische Zeitung) und 1700 (Polizei, TV Südbaden). Eine energische Action-Sambaband zog die Menge mit sich, Akrobaten spielten und die Pinks hüpften nach etwa zwanzig Minuten in den vorerst noch lockeren Wanderkessel. Auf dem Werderring vor der UB stoppten die Bullen die Parade, da das Amt für öffentliche Ordnung ein Lautiwagenverbot für die Innenstadt erlassen hatte.



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Bis 21 Uhr kamen mehr und mehr Bullen, insgesamt waren 700 im Einsatz, es wurden alle verfügbaren Kräfte eingesetzt. Immer wieder eskalierten die Bullen die Lage und setzten schließlich Schlagstöcke und Pfefferspray ein, die DemonstrantInnen wehrten sich mit Wurfgeschossen und Tritten.



Die Paradierenden ließen sich die Stimmung nicht vermiesen und feierten im nahezu geschlossenen Kessel weiter. Mit einem Beamer wurden Dias an die Wände von UB und Uni projiziert, ein EA/Demosani-Jingle gespielt, sowie ein Redebeitrag des Dissent!-Netzwerkes zum G8 verlesen, der wegen eines Pfeffersprayeinsatzes der Bullen jedoch unterbrochen werden musste. Mehrfach konnte die Bullenkette einige Meter verschoben werden und einige Tanzbeine flogen in Richtung der Spaßbremsen.

Die Redebeiträge von der Antifaschistischen Aktion und La Banda Vaga wurden wegen der hitzigen Situation nicht verlesen, sind jedoch bei den Materialien archiviert. Mr. Salamander und ein Sänger von Irie Révoltés boten Freestyle-Ragga auf dem Dach des Lautsprecherwagens dar und die Sambaband heizte der Menge unermüdlich ein. TurnerInnen jonglierten und bildeten eine Pyramide, während der Pink-Silver-Block die Männer und Frauen in Grün puschelnd ins Schwitzen brachte.


    Straßenfest



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Letztendlich kündigte die Polizei nach anderthalb Stunden ergebnisloser Verhandlungen die gewaltsame Auflösung der illegalen Demo an, woraufhin eine Minimalroute über Sedan- und Moltkestraße zurück auf die Belfortstraße und ins Grün vereinbart wurde. Auf dem Rückweg servierten die Schattenparker Tunes aus der Freiraum- und D.I.Y.-Musikküche. Die Parade ging gegen Mitternacht über in ein von hunderten Bullen gesichertes Straßenfest. Es gab Lagerfeuer, VoKü und Musik auf der Wilhelm-, Belfort- und Adlerstraße.



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Später zog eine kleine Demo mit Sambaband und Transpis auf die Schnewlinstraße, wo nur wenige Bullen versprengt in der Gegend rumstanden. Eine höchst professionell geschulte Streifenwagenbesatzung hielt auf der linken der beiden Stadtauswärtsspuren und der Beifahrer riss die Wagentür auf – ohne in den Rückspiegel zu schauen. Der Corsa auf der rechten Spur konnte noch etwas ausweichen, so dass die Bullentür nur den Seitenspiegel abreißen konnte. Winterer war wie immer patent zur Stelle und dirigierte die vier Wannen, die den Unfall aufnahmen. Mit einem 2-Meter-Stab wurde die Höhe der Kratzer vermessen, immer auf der Suche nach einem Beweis für die Unschuldigkeit der BeamtInnen – denn es kann ja nicht sein, was nicht sein darf. Derweil hatte die Bezugsgruppe « Longtarin » das mit der Blockade der Schnewlinstraße übernommen.



Die Bullen riegelten noch bis spät in die Nacht Szenekneipen und das halbe Sedan-Quartier ab. Einige AnwohnerInnen wollten einfach schlafen, doch viele haben sich mit der 6. Love or Hate-Parade solidarisiert und en famille mitgefeiert. Es gab mindestens zwei Festnahmen und wieder einmal viel Prügel von den Untouchables in Uniform. Eine der Festnahmen geschah vollkommen ohne ersichtlichen Anlass vor der UB. Es hatte den Anschein, dass der Bulle völlig selbstständig handelte. Der festgenommene Feiernde wurde erst zwei Stunden später vom Revier Nord entlassen – ohne Angabe von Gründen für seine Festnahme. Eine andere Festnahme geschah in der Wilhelmstraße gegen Ende der Demo durch einen Greiftrupp.



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    Stadtverwaltung

Walter Rubsamen als Leiter des Amtes für Öffentliche Ordnung setzte weiter auf die harte Linie der Repression statt auf die alte Freiburger Linie der Deeskalation. Im Vorfeld gab es von der Autonomen Szene eine klare Kommunikation der Deeskalation. So wurde als Zugeständnis an die Forderungen von Stadt und Polizei die Bekanntgabe der Route am Tag vor der Love or Hate-Parade angekündigt. Gleichzeitig wurden klare Mindeststandards für die Parade kommuniziert.



Ein grüner Gemeinderat verhandelte in Absprache mit der Autonomen Vorbereitungsgruppe mit den Bullen. Durch die vorherige Bekanntgabe konnte relativ schnell eine Einigung über die Route erzielt werden: Belfortstraße, Werderring, Rotteckring, Friedrichring, KaJo, Salzstraße, Oberlinden, Greifeneggring, Wallstraße, Holzmarkt, Rempartstraße, Belfortstraße. Das Amt für öffentliche Ordnung hatte jedoch unhaltbare Auflagen erlassen: Keine Demo nach Einbruch der Dunkelheit, keine Musik und höchstens einen Wagen. Trotz wiederholter Versuche weigerte sich Rubsamen mit dem grünen Gemeinderat zu verhandeln, obwohl der SPD-Mann die Parade mit Heiner Amann im Revier Süd per Videoüberwachung verfolgte.

Rubsamen wird mit seiner desaströsen Politik der Provokation und Repression zunehmend zum Problem für den CDU-Bürgermeister Neideck und mehr noch für Oberbürgermeister Salomon. Beide tragen die politische Verantwortung für die Sturheit ihres Untergebenen. Es wird immer offensichtlicher, dass die unverhältnismäßigen Polizeieinsätze der letzten zweieinhalb Jahre kein Mehr an öffentlicher Ordnung bedeuten – von gefühlter Sicherheit ganz zu schweigen.



Zu später Stunde gesellte sich dann auch noch der Oberbürgermeister himself zu den Feiernden. Der Mann ist nicht nur skrupellos und abgefeimt, er ist auch dazu noch dreist. Könnte man bei einer distanzierten Selbstironie noch von Chuzpe sprechen, so erinnerte Dieter Salomons Dreistigkeit doch zu sehr an die Ignoranz des zu Macht gekommenen Untertans, als dass sie auch nur einen Hauch von Sympathie verströmen könnte. Der selbstgefällige Dieter suhlte sich gerade in seiner königlichen Geste eines „genehmigten Straßenfestes“, als er auf seine Verantwortung für die Obdachlosigkeit der Strassenpunx angesprochen wurde. Er verließ das Quartier, nachdem ihm per Lautidurchsage und vis-à-vis deutlich gesagt wurde, dass er unerwünscht sei.


    Résumé

Die Mobilisierung, fast ausschließlich über autonome Medien und Kanäle, war erfolgreich. Die DIY-Küche hat seit dem späten Nachmittag stundenlang die Menschen mit Essen versorgt und hat es trotz des schwer kalkulierbaren Bedarfs geschafft, kostendeckend zu planen ohne Profit zu erzielen. Während der gesamten Parade hätten die Demosanistrukturen etwaige Verletzte in den Reihen der DemonstrantInnen effizient und angemessen versorgen können. Die Sambaband war hervorragend aufeinander eingespielt und bewies, dass sie ausdauernd und belastbar ist. Natürlich gab es auch Dinge, die nicht oder schlecht geklappt haben, wie die kurze Route, die Spaltung der Demo durch den Kessel, die nicht gehaltenen Redebeiträge und vor allem die nicht verhinderten Festnahmen.

Dennoch wurde der Konfrontation nicht aus dem Wege gegangen – weder dem politischen Kampf, noch der Bullengewalt auf der Straße. Fünf Stunden lang konnte die Parade ohne AnmelderIn und trotz Bullen lautstark feiern und wütend demonstrieren. Wir bewerten den 1. Mai in Strasbourg und Freiburg unterm Strich als erfolgreich. Erst wurden anarchistische Strukturen in Strasbourg unterstützt und ein sozialrevolutionäres Vernetzungstreffen Autonomer Zentren und Strukturen über Grenzen hinweg organisiert. Schließlich konnten in Freiburg über 1.000 Menschen für autonome Freiräume gegen den Staat mobilisiert werden. Menschen, die ihrem Willen, sich nicht sang- und klanglos mundtot machen zu lassen, mit einem lauten Lachen Ausdruck verleihen.

Keine Demo ist illegal!

Nieder mit dem Kapitalismus!

Wir wollen alles, jetzt und gleich!




   Vorberichte





   Materialien




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   Presse




Badische Zeitung vom Mittwoch, 2. Mai 2007

"Love or Hate-Parade" drohte zu eskalieren

Mehrere hundert Polizisten stoppen Umzug durch Freiburg


FREIBURG (gmk). Zu eskalieren drohte gestern Abend am 1. Mai eine von mehreren autonomen Gruppen angekündigte "Love or Hate-Parade" in Freiburg. Nachdem sich der Umzug gegen 20.30 Uhr im Quartier "Im Grün" mit (laut Polizei) rund 1700 Teilnehmenden in Bewegung gesetzt hatte, wurde er von der Polizei, die ebenfalls einige hundert Beamte und Beamtinnen im Einsatz hatte, an der Universitätsbibliothek aufgehalten. Grund: Verstoß gegen die Auflage des Freiburger Amts für öffentliche Ordnung, das Kraftfahrzeuge und Lautsprecher bei dem Umzug verboten hatte.

Als etliche Teilnehmende versuchten, den von der Polizei gebildeten Ring zu durchbrechen, setzte diese Schlagstöcke ein. Nach Angaben des Polizeisprechers Karl-Heinz Schmidt sind zuvor schon aus der Menge heraus "massiv" Eier geworfen worden. Eine Polizistin sei von einer geworfenen Flasche im Gesicht verletzt worden. Ob auch "Parade"-Teilnehmende verletzt wurden, war bei Redaktionsschluss nicht bekannt.

Während Organisatoren des Aufzugs über Lautsprecher verkündeten "Wir werden uns die Stadt nicht nehmen lassen - heute wollen wir Freiburg in Beschlag nehmen und Musik machen!", forderte Polizei-Einsatzleiter Harry Hochuli die inzwischen noch etwa 500 Teilnehmenden wiederholt auf, sich friedlich zu verhalten, um Verhandlungen zwischen beiden Seiten nicht zu stören.

Diese Verhandlungen, an denen sich auch der grüne Stadtrat Coinneach McCabe immer wieder als Vermittler beteiligte, führten schließlich gegen 22 Uhr zu einem Ergebnis: Der Umzug sollte auf kürzestem Weg in das Quartier zurück kehren, wo er begonnen hatte, um sich dort aufzulösen. Kurz nach 22 Uhr war es dann tatsächlich so weit: "Parade" und Polizei setzten sich in Bewegung.



Kurz vor der Eskalation : die "Love or Hate-Parade". (FOTO: INGO SCHNEIDER)



Badische Zeitung vom Mittwoch, 2. Mai 2007

Umzug kam kaum in Gang

Bei Redaktionsschluss unklare Lage bei "Love or Hate-Parade"


Eine Stunde nach ihrem angekündigten Beginn um 19 Uhr hatte sich die "Love or Hate-Parade", zu der mehrere autonome Gruppen aufgerufen hatten, gestern abend noch immer nicht in Bewegung gesetzt. Zwar fuhren gegen 20 Uhr mehrere große Kraftfahrzeuge mit Lautsprechern auf der Belfortstraße auf. Dennoch kam der Zug zunächst nicht in Gang.

Denn die Parade-Organisatoren wollten nicht auf die Fahrzeuge verzichten. Die Polizei mit ihrem Einsatzleiter Harry Hochuli beharrte dagegen darauf, dass die Auflagen des Freiburger Amtes für öffentliche Ordnung erfüllt würden: keine Kraftfahrzeuge, keine Techno-Ausrüstung. Zuvor hatten sich beide Seiten durch Vermittlung des Stadtrats Coinneach Mc Cabe (Bündnis 90/Die Grünen) darauf offenbar geeinigt, eine leicht veränderte Umzugsroute zu der von den Organisatoren geplanten einzuhalten.

Nachdem sich die Polizei lange nur sehr sparsam gezeigt hatte, zogen gegen 20.15 Uhr auf der Belfortstraße einige Dutzend Uniformierte mit Helmen und Schlagstöcken auf. Kurz danach setzte sich der Umzug - bei dem unter anderem gefordert wurde "Freiburg! Gib uns Spielraum und mehr Lebensraum!" doch noch in Bewegung - mit den Fahrzeugen. An der Universitätsbibliothek hielt ihn die Polizei aber wieder an, weil die Kraftfahrzeuge gegen die Auflagen verstießen. Bei Redaktionsschluss zeichnete sich ab, dass die Parade die Polizeiabsperrung durchbrechen wollte. Was die Polizei jedoch verhinderte.

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Kurz vor Beginn der "Love or Hate-Parade" tauchten gestern gegen 20.15 Uhr auf der Belfortstraße große Kraftfahrzeuge mit Lautsprechern auf, was das Ordnungsamt verboten hatte. (FOTO: INGO SCHNEIDER)



Badische Zeitung vom Donnerstag, 3. Mai 2007

Viel Lärm und viele Glasscherben im Sedanquartier

Die "Love or Hate" -Parade am 1. Mai war für die Teilnehmer ein Happening, für etliche Anwohner eine ziemliche Strapaze


Die erste Mainacht war ungewollt lang und laut für die Anwohner von Wilhelmstraße und Belfortstraße: Was am Dienstag um 19 Uhr als "Love or Hate"-Parade begonnen hatte, wurde nach einem Umzug in Richtung Stadt zunächst mittels Einkesselung von Polizeikräften gestoppt (die BZ berichtete). Nach Verhandlungen, die vor allem Grünen-Stadtrat Coinneach McCabe führte, gewährte die Polizei den etwa 500 Parade-Demonstranten gegen 22 Uhr den Rückzug auf die Wilhelmstraße. Drei mit üppigen Musikanlagen gut bestückte Fahrzeuge beschallten von da an bis um eins in der Nacht das Viertel - um halb zwei kehrte dann Ruhe ein.

Bis es endlich soweit war, sagt Hanne Beyermann-Grubert vom Bürgerforum Sedanquartier, waren etliche Anwohner bereits ziemlich verzweifelt: "Die Lautstärke von jedem der drei Musikwagen war heftig und in der Summe eine wahnsinnige Überstrapazierung." Eigentlich war der Einsatz der mobilen Diskos ohnehin untersagt - dass sie dennoch mitfuhren war ein Verstoß gegen versammlungsrechtliche Auflagen, erläutert Petra Zint häfner vom Presseamt der Stadt Freiburg. Über dieses widerrechtliche Verhalten sei der Leiter des Amtes für öffentliche Ordnung informiert gewesen - er habe sich in der Leitstelle der Polizei aufgehalten - und in Absprache mit ihm sei der Einsatz gelaufen. Den beschreibt Ulrich Brecht, Pressesprecher der Polizei, als unspektakulär: "Es gab nichts Besonderes." Durchaus besonders war allerdings, dass Oberbürgermeister Dieter Salomon sich von halb elf an eine Stunde lang vor Ort aufhielt und mit der Einsatzleitung das weitere Vorgehen besprach. Den Anwohnern dauerte das alles zu lange: Sie sprachen erst mit den Demonstranten, dann mit dem OB - und schließlich mit der Einsatzleitung. Die Paradeteilnehmer sollten mitsamt Fahrzeugen abziehen können, so das Verhandlungsergebnis, das kurz nach eins umgesetzt wurde. Ruhe herrschte da noch nicht im Quartier: Zwischen zwei und fünf Uhr war ein Kehrfahrzeug der Stadtreinigung im Einsatz. "Der Flaschenbruch bei dieser Veranstaltung war enorm", erklärt Michael Broglin, Geschäftsführer der Abfallwirtschaft und Stadtreinigung, "derartig viele Glasscherben - das ist sehr mühselig."

lit



Badische Zeitung vom Donnerstag, 3. Mai 2007

MÜNSTERECK: Mehr Musik und mehr Bier

Anders demonstrieren


"Eine ganz neue Generation Demonstranten", stellt ein schick ergrauter Anwohner in der Wilhelmstraße halblaut fest. Es ist elf Uhr nachts, als es sich einige hundert Menschen ringsherum, vor seiner Haustür und auch rechts und links die Straße rauf und runter bequem machen. Einige sitzen auf dem warmen Asphalt, andere stehen in Grüppchen, lehnen einzeln an Hauswänden, manche rauchen, andere küssen, die meisten reden. Alles, wie auch der schick ergraute Herr es aus seinen eigenen jungen Jahren kennt. Was er so neu findet an dieser Parade-Demo-Generation? "Die Musik war früher nicht so laut." Früher, wohlgemerkt, das war vor 25 Jahren. Da haben Ton Steine Scherben noch vom Balkon der besetzten Willi 36 auf die Straße runtergetönt. In der 1.-Mai-Nacht vibriert dort der edel aufgehübschte Dielenboden unter den Reggae-Sounds, die mit deutlich mehr Dezibel von draußen reinhämmern als einst die "Scherben". Das stimmt. Und dass sich heute drei Musiken überlagern ist nicht nur neu, sondern auch krass kakophonisch. Das ist nicht alles? "Wir sind mit weniger Bier ausgekommen", sagt der schick Ergraute, "nur eins ist nicht neu: lange Nächte gab's schon immer auf der Willistraße."

Julia Littmann



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Ergänzungen

Definitiv erfolgreich

SAR 03.05.2007 - 21:12
Ein super (ausführlicher) Bericht der ziemlich objektiv wiedergibt was passiert ist.
Vieleicht sollten hier die...mal runter kommen welche meinen ALLES war scheiße.
Und was soll hier überhaupt diese Spalterei und Lästerei über "Hippis" etc.

Wir haben einfach deshalb schon gewonnen, weil es eine tolle Parade war auch wenn sie nur einmal ums Quartier ziehen konnte.
Wir haben auch bewiesen, dass die Polizei sich nicht an Absprachen hält, provoziert und alles andere als deeskalierend vorgegangen ist.
Auch haben wir nachgegeben (die Klügeren geben nach, nicht zu verwechseln mit klein bei gegeben) als wir darauf verzichteten in die Innenstadt vorzustoßen.

Natürlich gab es eine Menge alkoholisierte Leute, aber wer sich die Punx einlädt dem muss klar sein, dass bei denen weder mit noch ohne Alkohol irgendwas geht.

Jetzt alle Aktivisten als blöde Hippis abzustempeln und dermaßen anzupissen ist einfach nur arm.
Denn was hat denn der tolle Black Block an der Spitze gemacht? Größtenteils nur dazu beigetragen die Bullen dazuzubringen noch repressiver vorzugehen.

Denn lächerlich war es nicht dass die vielen Aktivisten aus Klugheit auf Gewalt verzichtet haben, lächerlich war es, dass einige Möchtegern-Autonome dermaßen geil auf eine Eskalation aus waren. Viele Leute aus dem harten Kern der KTS-Aktivisten waren sehr besonnen drauf und ließen sich trotzdem nicht einschüchtern.

Im übrigen sollten hier die paar Hooligans unter den Autonomen auch mal darüber nachdenken, dass auch einige Eltern und Kinder dabei waren!
Gewaltsam wäre die Demo sowieso nicht weitergekommen, sie wäre platt gemacht worden (mit einer entsprechenden Anzahl an Verletzten und Festgenommenen).


Photos vom Libertären Block in Strasburg

bisounours 03.05.2007 - 21:53
Einen Bericht über die 1.Mai Demo in Strasburg:

 http://fastrasbg.lautre.net/spip.php?article343

und photos

 http://fastrasbg.lautre.net/spip.php?article340

Solidarité sans frontières!!!

BZ-Interview

BZ-LeserIn 04.05.2007 - 11:43
Badische Zeitung vom Freitag, 4. Mai 2007

Zur Versammlungsfreiheit gehört ein Lautsprecher

BZ-INTERVIEW mit den Jura-Studenten Lion Hippler und Philipp Thurn über die Demo-Beobachtung am 1. Mai

Ein bisschen Lob für die Polizei, viel Kritik an der Stadt: Das ist das Fazit der Demo-Beobachtung "Love-or-Hate-Parade" vom 1. Mai. Vorgelegt hat diese Beobachtung der Arbeitskreis kritischer Juristinnen und Juristen Freiburg, kurz "akj" genannt, der mit zwölf Mitgliedern die Demonstration begleitete. Julia Littmann sprach mit Lion Hippler und Philipp Thurn vom akj über ihre Eindrücke als Demo-Beobachter.

BZ: Was hat die kritischen Juristen veranlasst, diese "Love-or-Hate-Parade" beobachtend zu begleiten?

Lion Hippler: Andernorts ist das längst üblich, dass beispielsweise Jura-Fachschaftsgruppen Demos begleiten — hier war es jetzt das erste Mal und wir werden das sicher in Zukunft regelmäßiger tun.

Philipp Thurn: Es geht darum, zu überprüfen, ob die Versammlungsfreiheit bei solchen Gelegenheiten gewährleistet ist. Immerhin gab es in Freiburg in letzter Zeit einige Demo-Veranstaltungen, bei denen das etlichen Menschen zumindest zweifelhaft erschien.

BZ: Wie haben Veranstalter und Polizei auf den Einsatz des akj reagiert?

Hippler: Wir haben das im Vorfeld mit beiden Seiten besprochen — das Echo war jeweils ausgesprochen positiv.

Thurn: Demo-Beobachter ist ja kein rechtlicher Status. Es war aber so, dass eines unserer sechs Zweierteams eigentlich ständig in Kontakt mit der Einsatzleitung war.

BZ: Die Demo war nicht angemeldet — hat das bei Ihrem Einsatz eine Rolle gespielt?

Hippler: Nein. Grundsätzlich ist das erstmal nicht unsere Veranstaltung. Und es steht uns nicht zu, das zu bewerten, ob und warum andere ihre Demo nicht anmelden. Das war nicht unser Thema.

BZ: Was ist Ihnen während der Demo negativ aufgefallen?

Thurn: Zunächst mal etwas, das optisch gar nicht auffiel, das aber außerordentlich wirksam war — nämlich die Auflagen und Einschränkungen, die die Stadt gemacht hat. Ohne Lautsprecherwagen eine Demo veranstalten, zu der etwa 700 Personen erwartet werden — da gibt es auch in der Rechtsprechung die klare Auffassung, dass zur Versammlungsfreiheit das Mitführen einer Lautsprecheranlage gehört. Sonst kann man nicht kommunizieren.

Hippler: Negativ war auch das massive Polizeiaufgebot — das hat nach außen hin abschreckend gewirkt. Und es hat auch physisch verhindert, dass die Teilnehmer ihre Anliegen vermitteln konnten — hinter den Reihen von Polizisten waren die Transparente gar nicht mehr zu sehen. Außerdem scheint die ausufernde Kameraüberwachung seitens der Polizei zwar allmählich zum Standard zu werden, aber rechtlich ist das höchst zweifelhaft.

BZ: Gab es auch gute Eindrücke?

Hippler: Auf jeden Fall, dass die Veranstaltung bis zum Schluss weitgehend friedlich war.

Thurn: Trotzdem — es könnte besser laufen. Vor allem von Seiten der Stadt. Und wir werden unseren detaillierten Bericht von dieser Demo-Beobachtung mit allen Beteiligten nachbereiten.

fudder.de Foto-Galerie: "Love or Hate"-Parade

fudder-LeserIn 04.05.2007 - 11:44

Bitte um Link

thorsten 04.05.2007 - 16:41
Liebe AutorInnen,

der Demo-Bericht des akj ist in diesem Artikel leider nur als "Pressemeldung" bei fudder.de verlinkt. Wir wären euch dankbar, wenn ihr auf den "direkten" Bericht auf unserer Homepage unter  http://www.akj-freiburg.de/index.php?page=1-mai-2007 verlinken könntet.

Vielen Dank!

Thorsten

Es geht immer weiter...

Autonom@ntifA 04.05.2007 - 18:59

nostra culpa, nostra maxima culpa

Autonomes Medienkollektiv Freiburg 05.05.2007 - 12:18
Für eine Welt ohne Bosse und Staat: Die FAU Freiburg in Strasbourg

Communiqué und Videoclip

Autonome Antifa Freiburg 06.05.2007 - 04:59
   Communiqué vom 06.05.2007

Qui sème la misère, récolte la colère !

Am 1. Mai 2007 beteiligten sich in Freiburg über 1.000 Menschen an der 6. Love or Hate-Parade. Neben grundsätzlicher Kapitalismuskritik war auch die unsoziale Politik der Stadt Freiburg Thema der Parade. Die Stadtverwaltung versuchte diese Kritik durch unhaltbare Auflagen wie einem Demonstrationsverbot nach Einbruch der Dunkelheit und einem Verbot des Mitführens einer Lautsprecheranlage mundtot zu machen.

Die Polizei errichtete in einem Radius von 70 km zahlreiche Straßensperren in und um Freiburg, um anreisende DemonstrantInnen zu schikanieren und einzuschüchtern. Willkürlich und ohne Rechtsgrundlage wurden Beschlagnahmungen angedroht. Einigen Fahrzeugen wurde die Fahrt in die Freiburger Innenstadt verwehrt. Später wurden grundlos DemonstrantInnen in Gewahrsam genommen.

Die OrganisatorInnen der Demonstration hatten im Vorfeld bewusst deeskaliert, indem die Route der Parade bekannt gegeben und ein Stadtrat als Vermittlungsperson eingeschaltet wurde. Dadurch konnte am Tag der Parade zügig eine Einigung über die Route mit der Polizei erzielt werden und einem friedlichen Verlauf der politischen Versammlung stand eigentlich nichts mehr im Wege.

Vor der Universitätsbibliothek wurde die Demonstration von der Polizei wegen der Auflagen der Stadtverwaltung gestoppt und gekesselt. Der Leiter des Amtes für öffentliche Ordnung, Walter Rubsamen, weigerte sich trotz seiner Anwesenheit im Polizeirevier Süd, mit der Vermittlungsperson zu sprechen. Dadurch war es nicht möglich, über die Auflagen der Stadtverwaltung zu verhandeln und die Polizei zwang letztendlich die Parade auf dem kürzesten Weg zurück zu ihrem Startpunkt im Grün.

Die Stadtverwaltung hat mit diesen versammlungsfeindlichen Entscheidungen gezeigt, dass sie keine öffentliche Kritik an ihrer Politik der Sozialkürzungen und Repression duldet. Statt mit Argumenten zu überzeugen, versucht die Stadt Freiburg kritische Stimmen zu ersticken. Wir aber werden weiter gegen Staat und Kapital und für eine Welt des Friedens und der Freiheit kämpfen.

Autonome Antifa Freiburg



  → Videoclip

Es wird voraussichtlich später noch ein Video von Cine Rebelde zur Love or Hate-Parade geben. Hier sind erst einmal ein paar Videosequenzen aneinandergereiht, die dem einen oder der anderen die Erinnerung an die trotz der Spaßbremsen in Uniform außergewöhnliche Party wachrufen soll. See you on the streets...

Videoclip im Format: ogg (29,4 MB) • divx (39,4 MB) • mp4 (61,3 MB)

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Kommt mal runter — automat

Herr Automat — Demonstrantin

@sar — udpov

DER MOB IST UNTER UNS — kamikatze