Anklage gegen Gießener FeldbefreierInnen

FeldbefreierInnen 28.04.2007 19:19 Themen: Ökologie
„Wir, die UnterzeichnerInnen, kündigen an, Pfingsten 2006 den Genversuch der Uni Gießen am Alten Steinbacher Weg 44 zu beenden. … Sollte unser Handeln von denen kriminalisiert werden, die solche Genversuche schützen und durchsetzen, so werden wir das nutzen, um unsere Motive öffentlich zu benennen.“
So hieß es 2006, als verschiedene Personen ankündigten, die erstmalige Aussaat von gentechnisch veränderter Gerste in Gießen zu verhindern. Am Freitag vor Pfingsten 2006 gelang ihnen trotz umfangreicher Polizeiabsicherung der Sturm auf das von der Universität eingerichtete Feld. 20 Prozent der Gengerste wurden bei der Aktion und der anschließenden Räumung durch die Polizei zerstört. Nun erhebt die Staatsanwaltschaft Gießen Anklage gegen die Beteiligten. Die vier FeldbefreierInnen sollen in einem umfangreichen Prozess bestraft werden, zwei Personen, die in der Nähe des Versuchsfeldes ein Transparent aufgehängt hatten, erhielten bereits Strafbefehle. Zudem wurde und wird ein damals anwesender, unabhängiger Journalist strafrechtlich verfolgt.
Am Freitag vor Pfingsten 2006 machten vier Menschen ihre Ankündigung war, einen riskanten Agro-Feldversuch mit vierfach transgen veränderter Gerste auf dem Gelände der Universität Gießen durch eigene Kraft zu beenden. Der Versuch war mit dem Notstandsmittel des Sofortvollzuges durchgesetzt worden, um Bedenken von AnwohnerInnen und sonstigen EinwenderInnen vom Tisch zu fegen. Ein Großaufgebot der Polizei war zum Schutz der allein Profitinteressen dienenden Forschung bereitgestellt. Es konnte den Sturm auf das Feld aber nicht verhindern, sondern zerstörte bei der Festnahme der vier FeldbefreierInnen große Teile der kleinen Anbaufläche selbst.
Schon in der öffentlichen Ankündigung der Feldbefreiung hatten die UnterzeichnerInnen deutlich gemacht: „Sollte unser Handeln von denen kriminalisiert werden, die solche Genversuche schützen und durchsetzen, so werden wir das nutzen, um unsere Motive öffentlich zu benennen.“ Nun hat die Staatsanwaltschaft Gießen Anklage erhoben, der Prozess steht also bevor. Den staatlichen Behörden, der anzeigeerstattenden Universität und der hinter ihnen stehenden mafiosen Gentechnik-Industrie geht es um Einschüchterung und das gewaltsame Ende von Ungehorsam, der über symbolische Protestnoten hinausgeht. Den Angeklagten und hoffentlich vielen UnterstützerInnen geht es dagegen um das Gegenteil: Nicht der Widerstand gegen die Gentechnik ist illegal, sondern die Gentechnik selbst. Daher geht es bei dem Verfahren um viel, nämlich schlicht um die Frage, ob die Gentechnik auf dem Acker rechtmäßig ist. Ist sie es nicht, so wären Feldbesetzungen und –befreiungen in der Zukunft straffrei. Ein Szenario, das vielen Menschen Hoffnung macht, während die GentechniklobbyistInnen einen solchen Freispruch in Gießen oder auf höheren Instanzen fürchten...


Was ist das Besondere an dem Verfahren?
Der Prozess gegen die Gießener FeldbefreierInnen wird voraussichtlich die erste große Auseinandersetzung um die Frage, ob die Agro-Gentechnik rechtmäßig ist oder nicht. Schon jetzt sind als ZeugInnen neben den eingesetzten PolizeibeamtInnen die wichtigsten ForscherInnen des Gengerste-Versuchs geladen. Es gibt eine Reihe von Gründen, warum die Agro-Gentechnik insgesamt rechtswidrig ist (z.B. fehlende Garantie der Koexistenz) und warum der Gießener Gengersteversuch im Speziellen weder dem Stand der Wissenschaft entspricht noch Ziele verfolgt, die Menschen auch nützen können.
Der Prozess kann die Machenschaften hinter dem konkreten Versuch und hinter der Agro-Gentechnik insgesamt aufdecken. Gleichzeitig bietet er die Chance auf Klärung, ob die Zerstörung oder Verhinderung von Genversuchsfeldern überhaupt bestrafbar ist.

Neben den vier Hauptangeklagten haben zwei weitere Personen einen Strafbefehl erhalten, die in der Nähe der Feldbefreiung ein Protesttransparent befestigten.
Von Bedeutung ist zudem ein dritter Strafbefehl gegen einen unabhängigen Journalisten, der die Aktion fotografierte. Staatsanwaltschaft und Polizei waren bemüht, die Universitätsleitung dazu zu bewegen, auch gegen ihn Strafantrag zu stellen. Nachdenklich stimmt ein weiterer Vorfall: Am 1.4.2007 wurde ein anderer Journalist beim Fotografieren des 2007er-Gengerstefeldes von der Polizei auf der Straße „Alter Steinbacher Weg“ kontrolliert und festgenommen. Der Umgang mit unabhängigen Journalisten zeigt, dass es bei dem Gerstenversuch einiges zu verschweigen gibt ...

Daraus ergeben sich die Chancen:
1. Aufklärung über den konkreten Feldversuch und über Ziele und Verflechtungen in der Gentechnikindustrie insgesamt
2. Rechtliche Klärung der Frage, ob die Agro-Gentechnik nicht insgesamt rechtswidrig ist. Dann wäre es die Aufgabe des Staates und seiner Organe, die Versuche zu verhindern und nicht weiter Menschen wie die FeldbefreierInnen zu verfolgen, die sich u.a. auf den rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB berufen können und werden)
3. Entkriminalisierung des Widerstands gegen Gentechnik: Es wird Zeit, dass der Widerstand gegen die riskante und nutzlose Agro-Gentechnik aus der Ecke des Kriminellen herausgeholt wird. Gentechnik-Widerstand ist ein legitimer, sozialer Ungehorsam für eine Welt, in der Menschen und Umwelt vor Profite gehen.

Der Gießener Prozess wird daher zu einem Pilotprozess von überregionaler Bedeutung. Es wäre schade, wenn diese Chance vertan würde.


Wichtige Ergänzung
Der Gießener Prozess ist – vor allem wegen der juristischen Klärungen – ein wichtiger Baustein im Widerstand gegen die Agro-Gentechnik. Alle Kräfte auf diesen Punkt zu konzentrieren, wäre aber fatal. Ganz im Gegenteil: Der Widerstand gegen die riskante Technik hat nur eine Chance, wenn er an vielen Orten stattfinden. Die Firmensitze der Gentec-Industrie, die ihnen zuarbeitenden Ämter, die vielen Versuchsfelder, Messen und Propagandaveranstaltungen – all das kann Ort von Protest und Ungehorsam sein. Gegen die Gleichmacherei der Gentechnik hilft die Buntheit direkter Aktion!





Wanted
für den bevorstehenden Prozess gegen die FeldbefreierInnen von Gießen:

1. RechtsanwältInnen und –beistände
Vier FeldbefreierInnen werden im Hauptverfahren vor Gericht stehen, drei weitere Personen sind in kleineren Nebenverfahren noch von Strafen bedroht. Gesucht sind AnwältInnen und Rechtsbeistände, die im Prozess, im Vorfeld oder auch in der Begleitung des Verfahrens ihr Wissen und ihre Möglichkeiten einbringen wollen, um nicht nur eine Bestrafung der AktivistInnen zu verhindern, sondern vor allem die Agro-Gentechnik fachlich und rechtlich anzugreifen, um den Anbau von gentechnik veränderten Pflanzen zu delegitimieren und die Illegalität des Anbaus zu belegen.
Geplant ist eine offensive, gentechnikkritische, aber auch juristisch anspruchsvolle Verteidigung. Dafür sind Personen gesucht, die mitwirken. Ob eine Pflichtverteidigung zugestanden wird, ist noch offen – eine Garantie für eine gute Bezahlung kann also zur Zeit niemand geben. Darum sollte es aber auch nicht in erster Linie gehen.


2. Sachverständige
Im Prozess, aber auch für Veranstaltungen, Aktionen und Medienarbeit rundherum sind viele Menschen gesucht, die ihr Wissen und ihre Erfahrungen einbringen können. Ob LandwirtInnen, ImkerInnen, WissenschaftlerInnen, ehemalige Beschäftigte von Genfabriken und Saatgutunternehmen, Autodidakten ... alle sind herzlich eingeladen, auf ihre Weise in die Auseinandersetzung einzugreifen. Die FeldbefreierInnen, die demnächst vor Gericht stehen, wollen gerne viele Menschen mit Wissen und Erfahrungen zu den Auswirkungen der Agro-Gentechnik als Sachverständige vor Gericht einladen.


3. Aktivistis
Die Angeklagtenbank im Gerichtssaal ist nicht der einzige Ort, von dem aus der Gentechnik Widerstand entgegengebracht werden kann. Vor, während und nach den Prozessen gibt es viele Möglichkeiten, in der Stadt, an und auf den weiter bestehenden Versuchsfeldern oder auch an ganz anderen Orten mit Aktionen, Veranstaltungen oder direktem Widerstand auf den Prozess und die dahinterstehenden Streitfragen aufmerksam zu machen, Öffentlichkeit zu erreichen und klare Positionen zu beziehen.


4. JournalistInnen/Medien
Die Gießener Feldbefreiung, die Motive der „TäterInnen“ und der bevorstehende Prozess bieten viel Stoff für interessante Storys. Sei es der Besuch der Tatorte, seien es Blicke hinter die Kulissen der Versuchsbetreiber und der von den Versuchen profitierenden Firmen, seien es biographische Beiträge oder Interviews mit den FeldbefreierInnen – für JournalistInnen gibt es viele Anknüpfungspunkte, die kriminalisierten Handlungen zu thematisieren, Motive zu zeigen und den Prozess zu begleiten. Die meisten lokalen Medien in der Stadt Gießen sind zu stark verfilzt mit den politischen Eliten, die die Gentechnik unterstützen und die FeldbefreierInnen kriminalisieren. Es wird daher entschlossene JournalistInnen brauchen, die die Mauern der Gentechnik-Verfilzungen durchbrechen und die Aufregung um die Gießener Feldbefreiung nutzen, um Spannendes zu berichten, Unglaubliches zu enthüllen und Konkretes zu recherchieren.


Es gibt Flugblätter unter der „Wanted“-Überschrift – wäre schön, wenn die in Umlauf kommen. Die Links zu den PDFs finden sich auf der Internetseite unter „Rechtliches“ und dann „Prozess“.
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Flutlicht

Gärtnerin 28.04.2007 - 23:28
Ne kleine Anmerkung zum Flutlicht:

Sollte dies jede Nacht durchgängig brennen wird der Veruch keine in die Praxis übertragbaren Ergebnisse liefern, da die Länge der Beleuchtung verschiedenste Prozesse im Stoffwechsel von Pflanzen steuert. Um die sog. 'Dunkel-Reaktion' zu unterbrechen, genügen niedrigste Lichtstärken (z.B. Glühlampe) über relativ kurze Zeiträume.

Ich weiß nun nicht welche Faktoren in diesem Versuch erforscht werden sollen. Im Allgemeinen wird jedoch hinsitlich greifbaren Parametern untersucht.
Dies kann z.B. die Standfestigkeit sein, der Ertrag, die Anfälligkeit bezüglich Krankheiten oder Pflanzenschutzmitteln, die Wirkung von Dünger.
Solche Versuche werden oft als vergleichende Versuche angelegt. D.h. man möchte erkunden ob Sorte1 hinsichtlich des untersuchten Parameters besser oder schlechter abschneidet als Sorte 2, 3 oder 4.

Nun kann dieser Verusch schon ein Ergebniss bringen, z.B. dass die gentechnisch manipulierte Sorte weniger krankheitsanfällig ist und/oder einen höheren Ertrag erbringt.
Nur MÜSSEN in jeder Forschungsarbeit mit Pflanzen die Klimabedingungen mit angegeben werden.

Hier kann dann letztendlich nur gesagt werden:
"'Gensorte' verhielt sich unter 24-stündiger Beleuchtung besser als 'Nichtgensorte'. Dieses Ergebniss ist nur bedingt in die bäuerliche Praxis übertragbar."

Nun könnten die Gegner des Versuchs sagen: "Gut, wieder ein Argument mehr, es ist ja nicht wirklich praxisnah."
Aber die Forscher werden es sicher als 'Grundlagenforschung' bezeichenen, auf die dann (bei Erfolg der Grundlagenforschung) eine praxistaugliche weitere Untersuchung folgen 'muss'.


Um zum Punkt zurück zu kommen:
Dauerbeleuchtung verfälscht das Versuchsergebnis.

Selbstüberschätzung

Mambo No. 5 30.04.2007 - 11:02
Eitle Selbstüberschätzung steht hier zu lesen. Im Prozess geht es nach der auf projektwerkstatt.de stehenden Seite mit eingescannter Anklage einzig um Sachbeschädigung. Einen Notstand (§ 34 StGB) zu konstuieren ist genau so absurd als würde hier ein Widerstandsrecht aus Artikel 20 GG (in Verbindung mit dem Staatsziel Tier- und Umweltschutz) herbeifantasiert. Dort, wo es ordentliche Verfahren gibt, ist -zumindest vor den Gerichten - kein Raum für derlei Selbstjustiz aus Saasen. Diese Versuche werden abgebügelt werden und eben als das was sie sind behandelt werden, eitle Selbstüberschätzung. Aber wie die Ankündigung der vier (!!!) "Feldbefreiis" auch keinen großen Wind ausgelöst hat - ausser ggf. im Erregungskorridor in J.B.´s Hose - und niemand ausser der Justiz davon kenntnisgenommen hat (ob da nicht die richtigen aneinander geraten sind, ist immer wieder die Frage), wird auch der hier beschworene Prozess, das "große Tribunal gegen den Wirderstand der Aggro-Gentechnikkonzerne" (im Übrigen wertungsmäßig direkt hinter den Moskauer Prozessen und den Tribunalen der McCarthy-Ära) niemanden interessieren. Schade zwar, könnte aber daran liegen, dass man a) verbal immer ans lächerliche grenzend aufrüstet, b) immer alles auf J.B. zuschneidet.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige den folgenden Kommentar an