Der 1. Mai- Ursprung und Gegenwart

Livia 27.04.2007 18:08 Themen: Soziale Kämpfe
In vielen Ländern der Welt wird der 1.Mai als „Tag der Arbeit“ begangen : Volksfeste, Fahrradtouren und hoher Alkoholkonsum bestimmen das Bild. Nur wenige nehmen an den ritualisierten Demonstrationen der etablierten Gewerkschaften teil. Kaum jemand kennt den kämpferischen Ursprung des 1.Mai als Kampftag der internationalen ArbeiteInnenbewegung. Ein Blick zurück in die Geschichte bringt längst vergessene Ziele und Träume von ArbeiterInnen ans Tageslicht, die weit über heutige Forderungen wie Lohnerhöhungen hinausgingen...
19.Jahrhundert : Die Situation der ArbeiterInnen in den USA

Obwohl der 8-Stunden-Tag in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schon Gesetz war, wurde er von den ArbeitgeberInnen ignoriert. Mindestens 12 Stunden täglicher Arbeit und Kinderarbeit trotz gleichzeitiger hoher Arbeitslosigkeit bei den Erwachsenen waren an der Tagesordnung. ArbeitnehmerInnenrechte gab es in der Realität nicht. Gewohnt wurde in völlig überfüllten Baracken und Mietskasernen, in denen übelste hygienische Bedingungen herrschtenForderungen und AktionenDurchgesetzt wurde die gesetzliche Anerkennung des 8-Stunden-Tages durch kämpferische Streiks, bei denen immer wieder Polizei, Armee und private Sicherheitskräfte gegen die Streikenden eingesetzt wurden. In Chicago waren bei dieser Bewegung auch anarchistische Gruppen stark engagiert. Deren Forderungen und Ziele schlossen die Überwindung des kapitalistischen Systems mit ein. Direkte Aktion und die „Propaganda der Tat“ waren ihre Kampfmittel. Sie vertrieben eigene Zeitungen und gründeten bewaffnete ArbeiterInnenorganisationen. Die AnarchistInnen waren eine treibende Kraft der Bewegung und in den Gewerkschaften verwurzelt. Im Frühjahr 1886 erreichte die Bewegung zur tatsächlichen Umsetzung des 8-Stunden-Tages ihren Höhepunkt. Die ArbeiterInnen setzten den 1.Mai als Stichtag für dessen Verwirklichung an.



Der 1.Mai 1886, Haymarket Riot und die Folgen

Am 1.Mai streikten allein in Chicago 40000 ArbeiterInnen für den 8-Stunden-Tag. 80000 Menschen gingen für diese Forderung auf die Straße. Vor der McCormick-Landmaschinenfabrik kam es am 3.Mai zu einer Auseinandersetzung zwischen Streikenden und StreikbrecherInnen. Bei dem anschließenden Polizeieinsatz wurden mehrere ArbeiterInnen getötet und unzählige verletzt. Als Reaktion darauf riefen die AnarchistInnen für den folgenden Abend zu einer Protestkundgebung auf dem „Haymarket“ auf. Es versammelten sich über 2000 Menschen friedlich. Kurz vor der Auflösung der Kundgebung wurden die verbliebenen 300 DemonstrantInnen ohne erkennbaren Grund von 200 Polizisten angegriffen. Bei der folgenden Auseinandersetzung detonierte in den Reihen der Polizei eine Bombe. Ein Polizist stirbt sofort, weitere sechs erliegen in den folgenden Wochen ihren Verletzungen. Unklar bleibt, ob sie durch die Bombe oder, wie verschiedene Quellen behaupten, durch ihre wild in die Menge schießenden Kollegen verletzt wurden.

Die Repressionswelle


Bereits in den frühen Morgenstunden des folgenden Tages begann die Polizei eine großangelegte Repressionswelle : es gab unzählige Hausdurchsuchungen, hunderte von Verhaftungen und Verhöre. Von Seiten der Staatsanwaltschaft gab es grünes Licht für Rechtsbrüche aller Art : „Machen sie erst die Razzien und schauen danach im Gesetz nach.“. Die Polizei zögerte nicht, selbst angelegte Waffenlager aufzudecken und diese als Beweise für eine anarchistische Verschwörung zu benutzen. Begleitet und gerechtfertigt wurden diese Machenschaften von hetzerischen Zeitungsberichten, die große Teile der Chicagoer Presse verbreiteten. Von den unzähligen Verhafteten und auch Angeklagten wurden letzendlich acht bekannte und aktive Anarchisten des Mordes angeklagt : August Spieß, Samuel Fielden, Michael Schwab, Georg Engel, Adolf Fischer, Oskar Neebe, Louis Lingg und Albert R. Parsons, der sich aus Solidaritätzu Prozessbeginn freiwillig den Behörden stellte.




Der Prozess

„Das Gesetz klagt die Anarchie an ! Diese Männer wurden anstelle von tausenden vor Gericht gestellt, nicht etwa weil sie schuldiger sind, sondern weil sie deren Anführer waren. Gentlemen ! Statuiert ein Exempel an ihnen, hängt sie ! Nur so retten wir unsere Institutionen, unsere Gesellschaftsordnung !“ Dieses Zitat der Chicagoer Staatsanwaltschaft sagt schon alles über den Charakter des Prozesses aus. Voreingenommene Geschworene, gefolterte und bestochene Zeugen, fehlende Beweise und die begleitende Hetze der Presse sorgten dafür , dass der Prozess zum Schauprozess wurde und das gewünschte Urteil schnell feststand : sieben Angeklagte werden zum Tod verurteilt, einer wird zu langer Haftstrafe verurteilt. Der erst 23 Jahre alte Lingg brachte sich im Gefängnis um und kam somit seinen Henkern zuvor. Am 11. November 1887 werden Parsons, Fischer, Spieß und Engel erhängt. Fielden und Schwab konnten durch Gnadengesuche an den Gouverneur eine Umwandlung des Todesurteils in eine langjährige Haftstrafe erreichen.


Die Folgen

Bereits während des Prozesses kam es zu großer Solidarität der internationalen ArbeiterInnenbewegung mit den Inhaftierten. Im Jahr 1889 wurde der 1. Mai in Verbindung mit der Generalstreikdebatte in Paris zum internationalen Kampftag der ArbeiterInnen erklärt. Dennoch verlor die starke anarchistische Bewegung in den USA völlig an Bedeutung und das Wort „Anarchie“ wird seither von der weltweiten Öffentlichkeit mit Gewalt und Chaos in Verbindung gebracht. Im Jahr 1893 wurde der Prozess offiziell zum Justizmord erklärt und die drei noch Inhaftierten Neebe, Schwab und Fielden freigelassen.„Der Anarchismus bedeutet nicht Blutvergießen, bedeutet nicht Räuberei, Brandstiftung usw. Diese Ungeheuerlichkeiten sind vielmehr charakteristische Züge des Kapitalismus. Anarchismus und Sozialismus bedeuten Friede und Ruhe für alle.“ [August Spieß aus seiner „Anklage der Angeklagten“]


Kapitalistische Gegenwart und anarchistische Utopie

Die Situation der ArbeitnehmerInnen ist zumindest in den reichen Ländern des Nordens nicht mehr vergleichbar mit den Bedingungungen am Ende des 19. Jh. Errungenschaften wie das Streikrecht, der 8-Stunden Tag, soziale Absicherung usw. wurden erkämpft. Seit Jahren werden diese jedoch von der kapitalistischen Realität in Frage gestellt und nach und nach zerschlagen. Unabhängig von diesen kosmetischen Verschönerungen waren die Grundstrukturen der Ausbeutung über die Jahre hinweg immer die Gleichen. Ein Zustand der auch nicht mehr in Frage gestellt wird seit die radikale ArbeiterInnenbewegung in der Bedeutungslosigkeit versank. Heute bestimmen Diskussionen über 2% mehr oder weniger Lohn die Arbeitskämpfe. Die hierarchisch aufgebauten Gewerkschaften bieten keine Lösungen sondern sind inzwischen selbst Teil der kapitalistischen Verwertungslogik geworden. Letzendlich wird nur an Symptomen herumgedoktert – eine grundlegende Kritik an den Ursachen und eine Utopie abseits kapitalistischer Verhältnisse findet in der breiten Öffentlichkeit nicht statt. Aber genau das und die Umsetzung dieser Utopie ist notwendig, wenn wir eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung wollen. Dabei können und dürfen wir nicht darauf hoffen, dass uns jemand zu dieser Utopie hinführt. Nur wenn wir aus eigener Motivation selbstorganisierte widerständige Netzwerke aufbauen, die herrschaftsfrei organisierte Alternativen aufzeigen und leben - und aus diesen heraus die kapitalistische Realität angreifen und in Frage stellen – wird unser Widerstand von Dauer sein und zu einer konkreten Bedrohung für die bestehenden Verhältnisse werden.
Dafür ist es wichtig unsere Nischenkämpfe zusammenzuführen. Egal ob soziale Kämpfe, Antifaschismus, Widerstand gegen Bildungsabbau oder Ökologiebewegung : es muss der Kampf ums Ganze sein. Denn das eine hängt mit dem anderen untrennbar zusammen.
Wir fordern alle Menschen auf, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, anstatt die Verantwortung bei Wahlen an PolitikerInnen und FunktionärInnen abzugeben.


Raus auf die Strasse zum 1. Mai:


-Strasburg, Auf zum schwarzroten Block, 10 Uhr Place de la Bourse

-Freiburg, Love or hate parade, 19 Uhr Wilhelmstr./Belforstr.
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Heraus zur autonomen 1. Mai Demo

puMuckl 28.04.2007 - 14:51

1. Mai - Straße frei und Spaß dabei.

14:00 Uhr Platz der Republik in Wuppertal
anschl. Straßenfest auf dem Schusterplatz

Broschüre

rainer 28.04.2007 - 16:27
hier nochmal unsere broschüre mit texten zum haymarket , 1 mai von rechts und Mayday

Interessanter Bericht zum Berliner MayDay

Mick 30.04.2007 - 10:50

Lieber nach Stuttgart

www.erstermai-stuttgart.de.am 30.04.2007 - 11:29
Heraus zum 1. Mai in Stuttgart!
Gemeinsam Kämpfen | Streiken | Blockieren | Organisieren!
Für eine Revolutionäre Perspektive

9:30 Uhr Marienplatz - Anti-G8 Block auf der Demo des DGB
11:30 Uhr Marktplatz - Revolutionäre 1. Mai Demonstration
13:30 Uhr Generationenhaus - Internationalistisches Fest

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 4 Kommentare an

iran — scheis kapitalismus

Tradition — Traditionist