So lang mer noch Wetter hamm ...

-------- 18.04.2007 14:21
Warum wir das Soziales Zentrum aufgeben haben.
Nach einem Vorlauf von etwa einem Jahr eröffneten wir im Oktober 2004 das
Soziale Zentrum Göttingen, in den Räumen in der Geiststr. 2. Nach ca. 2 ½
Jahren haben wir den Ansatz Soziales Zentrum beendet. Seit April 2007 gibt
es kein Soziales Zentrum mehr in Göttingen.
Vor ein paar Wochen haben wir in einer Mitteilung von der problematischen
finanziellen Situation gesprochen, in der wir uns befinden. Dies ist zwar
richtig, aber nicht der entscheidende Grund für die Beendigung des Sozialen
Zentrums.
Zur finanziellen Situation
Zur Unterhaltung der Räume und zur Finanzierung notwendiger Ausrüstungen und
anderer Aktivitäten benötigten wir jährlich mehrere tausend Euro. Die
Benutzung der Räume und anderer Dinge sollte zudem grundsätzlich für andere
kostenfrei sein. Da wir uns immer als Teil der sozialemanzipatorischen
linken Bewegung verstanden haben, war klar, dass wir keine kommunale
Sozialpolitik betreiben und uns dafür bezahlen lassen würden. Der Verzicht
auf öffentliche Förderungen bedeutete aber, dass wir von Anfang an einen
gewissen Teil unserer Aktivitäten in die Akquirierung von Knete stecken
mussten.
Da wir nur ein sehr spärliches Spendenaufkommen hatten, war der Wegfall
erhoffter Finanzzuflüsse im Laufe des Jahres 2006 ein Alarmsignal.
Spätestens Mitte 2006 war klar, dass wir ein sehr sorgfältiges
Finanzmanagement betreiben müssen, um uns nicht zu verschulden. Anfang 2007
war aber dann endgültig klar, dass wir uns mittelfristig verschulden, wenn
wir wie bisher weitermachen würden. Es gab nur noch zwei Optionen: Entweder
wir stecken noch mehr Energie in die Knetebeschaffung oder wir beenden das
Soziale Zentrum? Schon nach kurzer politischer Diskussion war klar, dass uns
nur die zweite Option offen steht. Wir beenden den Ansatz Soziales Zentrum
aber schuldenfrei.
Warum die Beendigung des Ansatzes ‚Soziales Zentrum Göttingen’ die einzig
realistische Option war?
„Eine wirkliche Bewegung, die den jetzigen Zustand aufhebt, entsteht nicht
auf dem Papier und der Widerstand gegen das bestehende System ist keine
Attitüde, sondern eine praktische Politik der Konfrontation, in der die
verschiedenen Facetten der Blockade und des Widerstandes, des Ungehorsams
und der Verweigerung zusammenkommen und das herrschaftliche Projekt
bekämpfen.
Dieser Kampf benötigt Orte, an denen diskutiert und sich informiert werden
kann, an denen Unterstützung organisiert sowie Aktionen und Kampagnen
geplant werden, in denen Menschen praktische Hilfen bekommen, um ihren
Alltag zu bewältigen, ohne entmündigt zu werden, und in denen neue Wege
gegangen werden.“
Mit diesen Worten luden wir im Januar 2004 zur Mitarbeit am Aufbau für ein
Soziales Zentrum in Göttingen ein.
Die Initiative für ein Soziales Zentrum entstand in einer Phase als die
Mitte 2004 anrollende Anti-Hartz-Bewegung noch nicht im geringsten absehbar
war. Und doch war die Initiative eigentlich schon dieser kommenden Bewegung
geschuldet: Der Impuls für die Schaffung des Sozialen Zentrums war in
unserer politischen Einschätzung begründet, dass die rot-grünen
Sozialreformen eine Konfrontationspolitik darstellten, die den sozialen
Krieg in neuer Form in die Metropolen der Kapitalakkumulation verlängerten.
Unsere Erwartung war, dass auch hier neue Konfrontationslinien entstehen
würden. In diesem Prozess wollten wir uns verorten und das Soziale Zentrum
war als Teil dieser von uns erwarteten Bewegung konzipiert. Dabei versuchten
wir die Struktur des Sozialen Zentrums konzeptionell offen zu halten, weil
wir davon ausgingen, dass der sozialpolitische Angriff vor allem Gruppen
mobilisieren würde, die nicht bruchlos in das traditionelle linke Bewegungs-
und Organisationsschema integrierbar sind. Konzeptionelle Offenheit und
linke emanzipatorische Politik verlangt natürlich trotz alledem nach
Orientierungspunkten, die dies gewährleisten. Um einen politischen
Institutionalisierungsprozess zu vermeiden war daher klar, dass wir weder
Bündnisse noch eine Zusammenarbeit mit staatlichen oder staatstragenden
Institutionen suchen oder eingehen werden und dass diese im Sozialen Zentrum
auch nichts zu suchen haben. Statt dessen galt uns als Orientierung: „Das
Soziale Zentrum Göttingen versteht sich als Teil des internationalen Kampfs
um Emanzipation und ein besseres Leben. Es steht an der Seite aller
Flüchtlinge, LandbesetzerInnen und Streikenden, die gegen Ausbeutung und das
Kapital und für ein besseres und gleiches Leben und Überleben aller Menschen
kämpfen.“
Die Anfangszeit des Sozialen Zentrums war begleitet von reichlich
Aktivitäten in unterschiedlichsten Bereichen. Besonders wichtig war für uns
die Einrichtung des Mobilen Sozialen Zentrums: Zunächst als Notlösung für
die fehlenden Räume und als Überbrückung bis wir feste Räume haben, gedacht,
entpuppte sich diese Idee als wesentlich mehr. Mit dem MSZ besuchten wir
nahezu alle Göttinger Stadtteile und hatten in der Regel sehr schnell und
guten Kontakt mit den Menschen, die wir dort antrafen. Obwohl dies natürlich
nicht immer leicht war und wir auch vieles zu hören bekamen, was uns nicht
passte, war es insgesamt eine sehr positive Erfahrung: Eine
Auseinandersetzung mit unseren Positionen war fast überall möglich und
nirgends wurden wir als Spinner abgetan oder angemacht.
Im Oktober konnten wir dann die Räume in der Geiststr. anmieten und damit
begann auch eine ganz neue Geschichte, mit sehr vielen Veränderungen
gegenüber der vorigen Zeit.
Die wesentlichste Veränderung war, dass die im Spätsommer anlaufenden
Anti-Hartz-Proteste unsere Analyse bestätigten, wegen derer wir die
Initiative für ein Soziales Zentrum starteten. Es zeigte sich aber auch sehr
schnell, dass die entstehende Bewegung im Westen wesentlich schwächer als im
Osten Deutschlands war. Und schon nach wenigen Monaten war auch klar, dass
die entstandenen neuen Bewegungsmuster und Aktions- und Organisationsformen
sich nicht so weit entwickelt hatten, dass der politischen Taktiererei und
der Einvernahmepolitik traditioneller BewegungspolitikerInnen und anderer
IntergriererInnen substanziell etwas entgegengesetzt werden konnte. Und so
verschwand die Bewegung im wesentlichen schon vor dem angekündigten ‚Heißen
Herbst’ von der Strasse oder institutionalisierte sich, häufig auch in neuen
Formen.
Auch wir haben in diesem Prozess Federn gelassen, wobei zu den geschilderten
politischen Großbewegungen auch hausgemachte Konflikte hinzukamen, wodurch
nochmals viele Leute nicht weiter mitarbeiteten und wegblieben.
Sei es nun der Verlust vieler MitstreiterInnen oder eine politische
Fehleinschätzung: letztlich wurden auch wir von der Wirklichkeit überrollt
und haben an diesem Punkt zu wenig die neue Situation reflektiert. Im
wesentlichen machten wir nämlich genau das weiter, was wir uns vor Beginn
der Bewegung für das Soziale Zentrum vorgestellt hatten. Die dünner werdende
personelle Decke führte aber dazu, dass sich unsere Aktivitäten immer enger
um das Soziale Zentrum als konkretem Ort bewegten und wir die Überschreitung
der eigenen Erfahrung, wie es das MSZ und die Besuche im Arbeitsamt und
Jobcenter ermöglichten, immer mehr aus den Augen verloren. Immer wieder
haben wir es uns vorgenommen an diesen Aktionsformen anzusetzen, und immer
wieder haben wir es nicht geschafft. Statt dessen entwickelten wir eine
Praxis, die entweder direkt an das Soziale Zentrum als Ort angekoppelt war
oder den Konjunkturen der linken Bewegung in Göttingen folgte. Im ersten
Fall war dies v.a. die Beratungsarbeit, im zweiten Fall Mobilisierungen wie
bspw. die zur Fußball-WM: Für sich genommen alles sicherlich lobenswerte und
notwendige Dinge. Mit der Entwicklung einer sozialemanzipatorischen linken
Politik hatte dies aber nicht mehr sehr viel zu tun.
Wir waren also in dem Maße selbst immobil geworden, wie wir uns auf das
Soziale Zentrum zurückzogen. Anstatt nach dem Abflauen der Bewegung wieder
in die Stadtteile und zu den Leuten direkt zu gehen, haben wir gedacht, dass
diese jetzt zu uns kommen müssten, weil wir ja diesen Ort genau auch für
solche Situationen der Reflexion aufbauen wollten.
Und auch die Hoffnung, dass das Soziale Zentrum zu einem potenziellen
Treffpunkte für neue Initiativen werden könne, erfüllte sich nicht. Als
Beratungszentrum hat das Soziale Zentrum sicherlich einen guten Ruf und die
unterschiedlichsten Personengruppen – vom Fabrikarbeiter aus dem Landkreis
Northeim, über die Umschülerin und die autonome Antifa bis zum Göttinger
Antideutschen – angezogen. Ein signifikanter Unterschied in der subjektiven
Bearbeitung des ‚Problems Arbeitslosigkeit’ oder Unterschiede in der
Konfrontation mit den Verarmungsstrategien des Regimes sind nach unserer
Erfahrung weder bildungsabhängig, noch eine Frage der politischen Gesinnung.
Nun entsprach auch dies unserer grundsätzlichen Einschätzung, allein die
Frage, wie sich diese Erkenntnis operationell umsetzen lässt, ließ sich
damit nicht beantwortet.
Wir haben das Soziale Zentrum immer wieder anderen Gruppen und für
Koordinierungstreffen zur Verfügung gestellt. Zu einem kontinuierlichen
Austausch, einer Zusammenarbeit oder gar einer Vernetzung ist es aber noch
nicht einmal in den Fällen gekommen, bei denen es thematisch sehr
naheliegend war. Zu einem Ort des Austauschs, der Reflexion ist das Soziale
Zentrum nie geworden.
Letztlich haben wir uns mit dem Sozialen Zentrum genauso von den sozialen
Bewegungsformen abgekoppelt wie dies andere Gruppen auch gemacht haben.
Während die meisten Menschen, die bei den Demos gegen den Sozialabbau
mitgemacht haben, sich von der Strasse und aus der Bewegung zurückgezogen
und sich nicht auf politische Institutionalisierungsprozesse eingelassen
haben, haben wir versucht das vermeintliche Ende der Bewegung durch einen
Institutionalisierungsprozess aus unserem Blickfeld zu vertreiben. Wir haben
zu lange ignoriert, dass die Bewegung offensichtlich unsere Räume nicht
braucht und vielleicht auch gar keine Räume gebraucht hat, weil Räume
gleichbedeutend mit Immobilität sind und damit die Handlungs- und
Gedankenspielräume und ebenso die Möglichkeit von Angriff und Flucht
begrenzen.
Und in dem gleichem Maße, in dem nun die Sache „Soziales Zentrum“ ins
Zentrum unserer Aktivitäten rückte, waren wir immer mehr auf das Beharren
und das Sichern des scheinbar Erreichten ausgerichtet. Anstatt uns bspw. mit
den sich entwickelnden informellen Widerstandsformen auseinander zu setzen –
so nimmt bspw. das Mietnomadentum immer weiter zu und jüngste Untersuchungen
bestätigen, dass die Jobcenter für die SachbearbeiterInnen immer
gefährlicher werden – und eine darauf zielende politische Praxis zu
entwickeln, haben wir den Fehler gemacht, unsere politischen Einschätzungen
zu schnell in Formen zu gießen und schließlich konnten wir mit der
Wirklichkeit nicht mehr konstruktiv umgehen.
Wir haben im Sozialen Zentrum sehr vieles Richtiges und sehr vieles Gutes
gemacht. Aber nicht das was klappt, ist das worauf es letztlich ankommt.
Worauf es ankommt ist, ob dass, was wir machen, von uns politisch vertreten
und gestaltet werden kann.
Unser Ziel war nicht irgendeine Praxis, sondern eine sozialemanzipatorische
Praxis. Und obwohl wir dieses Ziel nicht wirklich aus den Augen verloren
haben, ist es uns aus den Händen geglitten und im Alltagsgeschäft verloren
gegangen. Nicht das Ziel haben wir verloren, sondern die Praxis, die uns
diesem Ziel näher bringt. Und diese gilt es wieder zu entwickeln.
Ein weiteres Festhalten an der Immobilie Soziales Zentrum hätte bedeutet,
dass wir noch mehr Zeit und Energie in die Kohlebeschaffung hätten stecken
müssen. Damit wären wir nie aus der Institutionalisierungsfalle
rausgekommen. Die Auflösung des Soziales Zentrum war daher die einzige
Möglichkeit.
Wie weiter?
Das Soziale Zentrum ist mittlerweile nicht mehr existent. Dies betrifft auch
die Beratungsarbeit, die wir ebenfalls eingestellt haben – wir wollten ja
nie ein alternatives oder linksradikales Beratungszentrum werden.
Auch werden wir den Namen Soziales Zentrum in Zukunft nicht mehr benutzen.
Der Begriff sollte für eine Sache stehen und nicht von uns okkupiert werden.
Wenn in Göttingen zukünftig nochmals eine Initiative für ein Soziales
Zentrum entsteht, soll dies nicht durch Vergangenes erschwert werden. Wir
haben das Soziale Zentrum beendet und legen damit auch den Namen ab.
Als Gruppe werden wir den begonnen Prozess einer Neubestimmung unserer
Politik weitergehen und uns sicherlich in absehbarer Zeit wieder bemerkbar
machen. Mit Sicherheit werden wir uns aber zur Neubestimmung nicht ins
„stille Kämmerlein“ oder an den Schreibtisch zurückziehen. Die Entwicklung
einer sozialemanzipatorischen linken Politik ist keine Theoriearbeit,
sondern kann nur als Praxisprojekt ernst genommen werden.
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Ergänzungen