Demos und Streiks für Carlos Fuentealba

@narcho 16.04.2007 01:01 Themen: Bildung Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Seit Anfang März werden in Argentinien landesweite Proteste der LehrerInnen für Lohngerechtigkeit unterdrückt. Die Repression erreichte einen traurigen Höhepunkt in der Ermordung des Lehrers und Gewerkschafters Carlos Fuentealba [siehe: de.indymedia.org/2007/04/172632.shtml
In Buenos Aires, Neuquen und Salta demonstrierten darauf Tausende gegen den für von Carlos Fuentealba verantwortlichen Gouverneur der Provinz Neuquen, Jorge Sobisch. Im ganzen Land gab es Kundgebungen und Versammlungen, auf denen von den Gewerkschaften zum Streik aufgerufen wurde. Die öffentlichen Verkehrsbetriebe standen stundenlang still.
In Buenos Aires wurde am Ende der Demonstration, bei der laut Angaben der Veranstalter 50.000 Menschen teilnahmen, der Name Carlos Fuentealba ausgerufen - tausende LehrerInnen antworteten sichtlich bewegt: "Anwesend". Viele der LehrerInnen, gekleidet in ihren Lehreruniformen mit schwarzen Bändern als Zeichen der Trauer um ihren Ermordeten Kollegen, hatten Tränen in den Augen angesichts einer Tragödie, von der sie gedacht hattten, dass sie sich nie wieder in Argentinien wiederholen würde. Die Stimmung schwankte zwischen Verzweiflung und Wut. An der Spitze der Demonstration hielten in weiße Kittel gekleidete Kinder Schilder mit der Losung für die Zukunft hoch: "Nie wieder" (Nunca Mas). Auch wurden viele Porträts des Ermordeten hochgehalten. Auf Schildern stand die simple Erkenntnis: Polizei=Tod.



Auch wenn die LehrerInnen den größten Anteil der DemonstrantInnen stellten beteiligten sich viele Menschen spontan. Weitere Forderungen der DemonstrantInnen waren: Prozess und Bestrafung der Täter, der Abzug der Polizei aus den Schulen, sowie ein genereller Stop der Repression.Die ArbeiterInnen der Gewerkschaft CTA streikten 24 Stunden lang, die in der Gewerkschaft CGT organisierten ArbeiterInnen stoppten ihre Arbeit für eine Stunde und die öffentlichen Verkehrsbetriebe waren zwischen 12 und 24 Stunden lang außer Betrieb. Viele Schulen blieben geschlossen. Auch Beschäftige von Geschäften und Banken beteiligten sich amStreik. Im ganzen Land war die Verurteilung des Mordes und die Forderung nach der Bestrafung des für den Mord Verantwortlichen zu hören. In den Reden wurde der Rücktritt von Gouverneur Jorge Sobisch, der den Befehl zum tödlichen Einsatz gegen die streikenen LehrerInnen gegeben hatte, gefordert.



"Wir wollen keinen Sündenbock" so Hugo Yasky nationaler Sekretär der Lehrergewerkschaft in seiner Rede, über den Kampf der LehrerInnen. Yasky appellierte daran, das Gesetz zurBildungsfinanzierung nicht als "wohltätige Gabe des Präsidenten", sondern als "Erfolg des Kampfes der LehrerInnen zu werten. Er fügte hinzu: "Wir wollen keine Selbstherrlichkeit". Autoritäres Vorgehen gebe es nicht nur in Neuquen, sondern auch in Santa Cruz, wo die Polizei auf Befehl der Gouverneurs Juan Carlos Romero Lehrer zusammengeschlagen habe. Mit diesem Politikstil müsse Schluss sein, denn es stehe "die Demokratie auf dem Spiel".
Nora Cortiñas von den "Madres de Plaza de Mayo" (Müttern des Platzes des Mai) [1], die zusammen mit vielen anderen Gruppen zur Demonstration aufgerufen hatten machte deutlich:
"Der Gouverneur von Neuquen hat öffentlich zugegeben, dass er die Polizei mit der Niederschlagung des Kampfes der LehrerInnen beauftragt hat, aber er will jetzt nicht die Konsequenzen seiner Entscheidung verantworten. Wie die Ex-Befehlshaber der Diktatur versucht er politische Entscheidungen als Fehler oder Exzesse von einigen außer Kontrolle gerateten Untergebenen darzustellen. Die Gasgranate hat nicht nur den Kopf unseres Mitstreiters gesucht, sie muss auch in den Köpfen derer, die sich organisieren, um ein Stück von dem zurückzuerobern, was sie in drei Jahrzehnten anhaltenden Rückschritts verloren haben explodiert sein", so die Sprecherin der Madres.

Am Obelisk im Stadtzentrum [2], dem Ort der Kundgebung waren auch die Gruppen der radikalen Linken, die Arbeitslosenorganisationen und andere Gruppen wie die Quebracho [3] vertreten. Die Mehrheit dieser Gruppen, welche oppositionelle Listen innerhalb der Lehrergewerkschaft haben, beteiligte sich nicht an der gemeinsamen Erklärung der großen Demonstration und kritisierten, dass der Sektretär der Lehrergewerkschaft,Hugo Yasky, der einzige zugelassene Redner war. Sie vermuteten vielmehr, dass eine Teilschuld des Mordes an Carlos Fuentealba bei Präsident Nestor Kirchner liege. Deswegen führten die linksradikalen Gruppen eine Demonstration zum symbolträchtigen "Platz des Mai" durch [4]. Als erste Reaktion auf die Ermordung griffen Aktivisten der quebracho ein Büro des verantwortlichen Provinzgouverneurs Jorge Sobisch an. [5]




In Neuquen verurteilten 30.000 DemonstrantenInnen die Ermordung des Lehrers. Auf der Demonstration sprach auch Sandra Rodriguez die Witwe von Carlos Fuentealba - sie forderte erneut den Rücktritt Sobischs, denn wer wie Sobisch für Ordnung sorge der "drücke den Abzug". Die Gewerkschaft der Lehrer von Neuquen (ATEN) beschloss solange die Regierung zu belagern, bis die politischen Konsequenzen aus dem Fall gezogen und die Forderungen der LehrerInnen nach Lohnerhöhungen erfüllt würden. In der nördlichen Provinz Salta demonstrierten 8.000 LehrerInnen durch die Hauptstadt zum Sitz der Provinzregierung. Wie auch schon bei vergangenen Demonstrationen zogen bald Tränengasschwaden durch die Innenstadt von Salta. Nachdem die Demonstration so brutal aufgelöst wurde verteilte sich die Menge. Das Gros der DemonstrantInnen versammelte sich auf dem größten Platz der Stadt, eine andere Gruppe belagerte weiter die Regierung von Salta.

Wer war Carlos Fuentalba?
Carlos Fuentalba wurde 1966, dem Jahr in welchem mit einem Staatsstreich die Militärdiktatur in Argentinien eingeführt wurde, geboren. Aus ärmlichen Verhältnissen stammend wuchs er in der Nähe des Sees Lanin in San Martin, 400 Kilometer von der Hauptstadt Neuquens entfernt auf. Er arbeitete zunächst nach einer Ausbildungzum Chemie-Techniker, versuchte dann aber schon bald Lehrer zu werden. Um sein Studium finanzieren zu können hatte er mehrere Nebenjobs: Er arbeitete unter anderem in einem Labor,in einem Supermarkt und in einer Fabrik. Seine Freunde glauben, dass seine Politisierung schon während der Schule einsetzte, als er für die Gewerkschaftder Bauarbeiter (Uocra) arbeitete. Schon zwei Jahre bevor er Lehrer wurde, begleitete er seine Aktivisten-Freunde in ihren Kämpfen. Carlos wurde 40 Jahre alt. Er hinterlässt zwei Töchter von 10 und 14 Jahren. Er wurde zum Gewerkschaftsvertreter gewählt und wurde erst kürzlich von den SchülerInnen seiner Schule zum beliebtesten Lehrer der Schule gewählt. Zusammen mit seiner Frau nahm er an Straßensperren der LehrerInnen teil - abwechselnd kümmerten sie sich um ihre Kinder. An jenem Mittwoch den 4. April blieb sie zu Hause - Carlos nicht.

Unterschriftenaktion:
„…Mit unserer solidarischen Unterstützung fordern wir Sie auf, sich um die Aufklärung der Ermordung des Chemielehrers Carlos Fuentealba zu kümmern, die Täter zu finden und das Verbrechen an ihm zur Anklage zu bringen. Außerdem fordern wir einen politischen Prozess wegen der politischen Verantwortung des Gouverneurs Jorge Sobisch.“Weitere Informationen und eine Unterschriftenliste: www.labournet.de/internationales/ar/fuentealba.pdf
Die Unterschriften sollen geschickt werden an; Presidente de la Nación Argentina, Dr. Nestor Kirchner, mit folgender E-mail-Adresse: secretariageneral@presidencia.gov.ar

[1] Die "Abuelas de Plaza de Mayo" sind die www.lateinamerika-studien.at/content/geschichtepolitik/geschichte/geschichte-317.html

[2] Der Obelisk in Buenos Aires liegt am Schnittpunkt der Avenida Corrientes und der Avenida 9 de Julio, zwei der größten Straßen der Welt. Der Obelisk ist ein Wahrzeichen von Buenos Aires und auch Treffpunkt für Touristen, Ort politischer Kundgebungen und von Musik-Aufführungen...

[3] Militante antiimperialistische Gruppe

[4] Am "Plaza de Mayo" liegen mehrere Regierungsgebäude, darunter der Präsidentenpalast und die Nationalbank. Während der Militärdiktatur unter Jorge Videla und seinen Nachfolgern in den 70ern und 80ern des 20. Jahrhunderts wurde die Plaza de Mayo international bekannt durch die Madres de Plaza de Mayo, die dort gegen das "Verschwinden" ihrer Söhne protestierten. de.wikipedia.org/wiki/Plaza_de_Mayo

[5] paris.indymedia.org/article.php3?id_article=79168

Übersetzt von:http://paris.indymedia.org/article.php3?id_article=79168
http://paris.indymedia.org/article.php3?id_article=79410
http://paris.indymedia.org/article.php3?id_article=79411

weitere Fotos der direkten Aktion gegen das Büro von Sobisch: argentina.indymedia.org/news/2007/04/504057.php
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