(nichts) Neues von der Südgrenze Europas

Sören Maier 11.04.2007 23:40 Themen: Antirassismus Globalisierung Soziale Kämpfe Weltweit
Die Abschottung Europas wird immer perfekter und repressiver. Und vor allem tödlicher.
Ein aktueller Lagebericht von der Situation an der spanischen Südgrenze Europas.
Spanien wird bald 2 Satelliten ins All schicken, um die illegale Migration zwischen Afrika und der Südgrenze Europas noch besser kontrollieren zu können. Das spanische Verteidigungsministerium hat bekannt gegeben, dass die beiden Satelliten ganz Spanien und den Norden Afrikas abdecken werden, und vor allem zur Bekämpfung der illegalen Migration dienen sollen. Bis zum Jahr 2010 soll das Überwachungssystem betriebsbereit sein. Das Projekt wird 350 Millionen Euro kosten.  http://www.rebelion.org/noticia.php?id=49398

Das wird den MigrantInnen nicht helfen, sondern sie noch größerer Gefahr aussetzen. Vor zwei Wochen sind erneut 60 Menschen vor der Küste Guineas in Westafrika gestorben, als ihr Schiff kenterte. Sie waren auf dem Weg auf die Kanarischen Inseln, der Hauptroute der unkontrollierten Migration von Afrika nach Europa.

Vor kurzem veröffentlichte Regierungsdelegation auf den Kanarischen Inseln offizielle Zahlen über die Anzahl der Bootsflüchtlinge.  http://www.elpais.com/articulo/espana/llegada/inmigrantes/Canarias/cae/61/elpepuesp/20070402elpepunac_6/Tes

Vergangenes Jahr gelangten insgesamt 31.245 Menschen in Holzbooten und meist gegen Bezahlung von mehreren tausend Euro auf die Kanaren. Nach Schätzungen des Roten Kreuzes sind im gleichen Jahr an die 6000 bis 7000 Flüchtlinge bei dem Versuch ums Leben gekommen. In den ersten drei Monaten diesen Jahres sind bereits 1525 Immigranten über den Atlantik auf die Kanarischen Inseln gelangt, dies bedeutet einen Rückgang von 61 % gegenüber dem gleichen Zeitraum in 2006. Dies ist aber sicher keine Entwarnung, fast täglich gibt es neue Meldungen über gestrandete oder abgefangene Flüchtlingsboote. Zudem steigt erfahrungsgemäß die Anzahl der Flüchtlingsboote im Frühling und Sommer nochmals an.

Erst am 28.3. waren 138 Menschen vor der senegalesischen Küste an der Weiterfahrt gehindert worden. Kurz darauf hatten 30 Flüchtlinge vor der Küste von Kap Verde versucht, von ihrem Boot aus auf einen Katamaran zu gelangen, mit dem Touristen auf dem Weg nach Gran Canaria waren. Am vergangenen Wochenende kamen insgesamt 98 Flüchtlinge auf den Kanarischen Inseln an. Diese letzte könnte man endlos weiterführen.
Gestern setzten sich zum ersten Mal sogar Flüchtlinge vorübergehend erfolgreich gegen die spanische Grenzpolizei zur Wehr. Mit Molotow-Cocktails griffen sie ein Patrouillenboot an, dass sie an der Weiterfahrt hindern wollte, und konnten es vertreiben. Jedoch wurden sie direkt nach ihrer Ankunft in Gran Canaria festgenommen.  http://www.sz-online.de/nachrichten/artikel.asp?id=1458847

Die Überfahrt wird für die Flüchtlinge immer gefährlicher. Durch die verstärkten Grenzkontrollen beginnen sie die Überfahrt immer weiter im Süden. Anstatt vom 100 Kilometer entfernten Marroko legen sie von Senegal oder Guinea aus an die 1300 Kilometer zurück.

Jedoch werden immer häufiger Flüchtlingsboote noch auf dem Atlantik abgefangen und direkt wieder zurück nach Afrika geleitet. Dafür ist die recht neue europäische Grenzschutzagentur Frontex zuständig. In ihrem Auftrag sind Hubschrauber und Patrouillenboote an den europäischen Küsten im Süden unterwegs, und verweigern Flüchtlingen die Einfahrt in europäische Gewässer, damit sie gar nicht esrt die Möglichkeit haben, Asyl zu beantragen. In der aktuellen Frontex-Mission Hera III wurden nach eigenen Angaben seit dem 12. Februar diesen Jahres bereits 1000 Flüchtlinge auf dem Meer abgefangen und zur Umkehr gezwungen.
 http://www.abc.es/20070411/canarias-canarias/hera-frontex-interceptado-inmigrantes_200704110257.html
 http://www.frontex.europa.eu/

Doch auch die afrikanischen Staaten der Westküste sind meist nicht bereit, die Menschen an Land zu lassen. Zwei aktuelle Beispiele:

Die “Marine I” war Anfang Februar vor den kanarischen Inseln abgefangen worden. An Bord des Schiffes befanden sich 369 Flüchtlinge asiatischer Herkunft, die bereits mindestens zwei Monate auf dem Meer unterwegs gewesen waren. Kein Land war bereit, die Menschen an Land zu lassen, geschweige denn aufzunehmen. 10 Tage lang trieb die Marine 1 auf dem offenen Meer, bis Spanien die mauretanischen Behörden überreden konnte, den Flüchtlingen bis zu ihrer Ausweisung in ihre Herkunftsländer Obdach zu gewähren. Diese wurden daraufhin in der Hafenstadt Nuadibú in einer Fischlagerhalle untergebracht, ohne jegliche sanitäre Einrichtungen und ohne neue Kleidung, dafür mit Bewachung vom Militär.
Die Hilfsorganisation Roter Halbmond stellte die Betreuung der Flüchtlinge bereits nach einer Woche aus Protest ein. Die Zustände seien “erbärmlich” und “unerträglich”, erklärte damals Ahmedu Uld Haye vom Roten Halbmond. Spanien versuchte daraufhin die Identität der Menschen fetzustellen und verhandelte dann mit den Herkunftsländern über ihre Rückkehr.
In verschiedenen Gruppen wurden von dort die Menschen in ihre Herkunftslaender ausgeflogen, erst am Freitag, den 30.3. wurden erneut 115 Pakistaner in ihr Heimatland zurück gebracht. Zehn Wochen nach ihrer Ankunft in Mauretanien befinden sich immer noch 23 Menschen in der Lagerhalle. Vergangene Woche waren diese für 4 Tage in einen Hungerstreil getreten. Nach Angaben der Behörden weigern sie sich beharrlich, Angaben in Bezug auf ihre Nationalität zu machen und können daher nicht abgeschoben werden. Die spanische Flüchtlingsorganisation Cear hat mittlerweile mehrere Klagen gegen die spanische Regierung eingereicht wegen des Umgangs mit den Flüchtlingen der Marine I.
 http://www.taz.de/pt/2007/03/20/a0109.1/text

Der aktuellere Fall ist ein Schiff mit dem zynischen Namen “Happy Day”. Das Schiff lag mehrere Wochen im Hafen von Kamsar im westafrikanischen Guinea. Die Regierung weigerte sich, die 300 Insassen ebenfalls asiatischer Herkunft an Land zu lassen. Die “Happy Day” war unter nordkoreanischer Flagge in Richtung der spanischen Inseln unterwegs, als es am 22.März von einer Patrouille der Grenzschutzagentur Frontex 80 Kilometer vor der senegalesischen Küste gestoppt und zurückgeleitet wurde. Nachdem Mauretanien und Senegal die Aufnahme verweigert hatten, hat in Kamsar angelegt. “Wenn die Herkunft de Bootes nicht bewiesen werden kann, werden die Passagiere nicht von Bord gehen dürfen”, erklärte ein Regierungssprecher von Guinea. Zeitweise stand die Internationale Organisation für Migration (IOM) in Kontakt mit dem spanischen Aussenministerium und verschiedenen afrikanischen Staaten, um die Rückführung zu übernehmen und so eine humanitäre Krise zu verhindern. Die IOM betreibt “Migrationsmanagement”, d.h. vor allen Dingen im Auftrag der EU-Staaten Massen-Abschiebungen zu planen und durchzuführen. Der spanische Beauftragte der IOM, Manuel Pombo, sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Efe, dass die Organisation so auf eine “zweite Auflage” des Dramas um das Schiff “Marine 1” vorbereitet sein will, um “besonnener und weniger kostspielig” reagieren zu können. Das dauerte Guinea aber nun zu lang und vor zwei Tagen nach Angaben von NGOs die Insassen an Land gelassen und befinden sich dort nun in Freiheit. d.h. ohne Geld und ohne Papiere und wahrscheinlich auf der Suche nach einem neuem Schiff.
 http://www.elpais.com/articulo/espana/Exteriores/sabe/hacer/23/inmigrantes/Nuadibu/elpepuesp/20070411elpepinac_15/Tes

Das Menschen aus Pakistan und Indien per Schiff versuchen nach Europa zu gelangen, und vorher dafür ganz Afrika durchqueren müssen, ist ein neues Phänomen. Ebenso wurde vor vier Wochen 86 BolivianerInnen an 3 spanischen Häfen verwehrt, an Land zu gehen. Sie waren auf einem Touristenschiff aus Brasilien gewesen, und konnten dann erst im italienischen Genua von Bord. Von dort wurden sie - über Madrid - direkt wieder nach Bolivien abgeschoben.
 http://www.hispanidad.com/noticia_ep.aspx?ID=20070331210212
Die meisten verschulden sich hoch, um den Transfer bezahlen zu können. Wer sich einmal 5000 Euro oder mehr geliehen hat, in Ländern in denen zum Teil das Monatsgehalt bei 50 Dollar liegt, befindet sich in einer totalen Abhängigkeit. Man muss es nach Europa schaffen, um das Geld irgendwie abbezahlen zu können, und selbst dann ist man als Illegalisierter meist auf Mafia-Netzwerke angewiesen oder muss sich unmenschliche und ausbeuterische Arbeitsbedingungen einlassen. Wer es beim ersten Mal nicht schafft und abgeschoben wird, leiht sich erneut das Geld und gerät so in den Teufelskreis. Die Abschottung der europäischen Grenzen und die Illegalisierung zwingt diese Menschen in die Rechtlosigkeit und in die totale Abhängigkeit, und damit auch in die Kriminalität und in die Prostitution.

Deutschland hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne, und fährt den repressiven Kurs der EU gegenüber den Flüchtlingen weiter. Innenminister Schäuble sagte neulich, dass die Regierung Frontex noch weiter stärken wolle.

Dabei ist es „good old Europe“ dass durch jahrhundertelange Kolonisation, der Ausplünderung der Länder und dem Beharren auf den Auslandsschulden zu einem großen Teil für die Armut und die Instabilität in Afrika verantwortlich ist.

Zur Situation auf den Kanarischen Inseln:
 http://www.jungle-world.com/seiten/2007/14/9678.php

Zu Frontex:
 http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24734/1.html

wir sind hier, weil ihr unsere länder zerstört - solidarität gegen abschiebung:
 http://www.thecaravan.org/node/1158
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Ergänzungen