Erste schriftliche Platzverweise Heiligendamm

Rote Hilfe Greifswald 11.04.2007 16:39 Themen: G8 G8 Heiligendamm Repression Weltweit
Beim Besuch von Heiligendamm werden seit kurzem auch schriftliche Platzverweise verteilt. Bericht über eine Platzverweiserteilung am Gründonnerstag.
Wer sich den 12,5 Mio. Euro teuren G8-Zaun (Polizeijargon: "technische Sperre") rund um Heiligendamm anschauen wollte, wurde in den letzten Wochen immer wieder Ziel polizeilicher Schikane-Aktionen. Offenbar rein nach Augenschein werden Menschen von der Polizei angehalten und zur Personalienabgabe gezwungen. Begleitet wird das meist von einem äußerst ruppigen Verhalten der eingesetzten PolizeibeamtInnen, dem offensichtlichem Fehlen jeglicher Rechtskenntnis der BeamtInnen und einem relativ aggressiv-autoritären Ton - mensch kennt das ja hinlänglich von deutschen UniformträgerInnen. Neben der Personalienaufnahme erfolgte dann stets ein recht vage gehaltener Platzverweis, der auch auf Nachfrage nicht räumlich und zeitlich konkretisiert, geschweige denn schriftlich fixiert wurde.
Beispielhaft für viele Fälle wollen wir auf eine Zaunbesichtung am 25.03.2007 verweisen( http://www.de.indymedia.org/2007/03/171829.shtml sowie  http://gipfelsoli.org/Repression/1124.html).

Offenbar hat die Landespolizei M-V jetzt versucht, ihre Platzverweispraxis, die intellektuell wohl manche BeamtInnen überfordert hatte, rund um Heiligendamm zu verändern: Mittlerweile gibt es ein Standardformular (s. Bilddatei), das bei Platzverweisen zu Rate gezogen und den Betroffenen ausgehändigt werden soll.

Unserer Kenntnis nach erstmalig zum Einsatz kam dieses Formular am Gründonnerstag. Am 06.04. trafen sich vier junge Leute zum Radeln in Bad Doberan. Ihr Ausflugsziel an diesem frühsommerlichen Tag war Heiligendamm. Nach etwa 5 km Radfahrt erreichten sie den Einlaß Galopprennbahn am G8-Zaun. Während alle anderen PassantInnen den "Kontrollpunkt" ohne jegliche Kontrolle passieren konnten, wurden die vier wenige Meter nach Passieren des Durchgangs von mehreren wild gestikulierenden Polizisten aufgehalten und zur Abgabe ihrer Personalien gezwungen. Auf die Frage, weshalb dies geschehe, wurde ihnen (juristisch wohl kaum haltbar) mitgeteilt, daß es sich um eine Überprüfung handele, ob die vier nicht evtl. "zur Fahndungs ausgeschrieben" seien.
Während der Kontrolle wuchs die Zahl der PolizistInnen dann recht schnell an auf 6 Streifenwagen und etwa 10 PolizistInnen. Kontrolliert wurden nicht nur die Personalien, sondern auch die Inhalte der mitgeführten Taschen und Rucksäcke.
Den Vieren wurde ein Platzverweis angedroht, sollten sie noch einmal am Zaun aufgegriffen werden.
Danach konnten die vier weiterfahren - gen Heiligendamm!

Nach ihrem Sightseeing an der Strandpromenade in Heiligendamm wollten die Vier mit ihren Rädern am Strand entlang Richtung Börgerende aus dem umzäunten Gebiet wieder herausfahren.
Doch jetzt wird es vollends skurril: Bei der Ausfahrt (!!!) dort am Zaun vorbei wurden die vier erneut von der Polizei festgehalten, auch diesmal mit einem unverhältnismäßig großen Polizeiaufgebot. Hier wurde ihnen nun ein schriftlicher Platzverweis (s. Anlage) erteilt. Begründet wurde dies mündlich damit, daß die vier "zum wiederholten Male am Zaun angetroffen" wurden (sprich: zum zweiten Mal, nämlich beim Verlassen des umzäunten Gebietes) und daß sie die "technische Sperre" (ergo: der Zaun) fotografiert hätten. (Was übrigens auch etliche andere TouristInnen an besagtem Tag dort ohne Polizeimaßnahmen taten. - Denn mal ehrlich, wo sieht mensch schon einen Zaun, der 1.000 Euro Steuergelder pro Meter kostet?). Die entsprechenden Zaunfotos (es wurde u.a. der jetzt schon entstandene Oberflächenrost auf dem nagelneuen Zaun fotografiert) mußten im Beisein der Polizei digital gelöscht werden. Mündlich wurde den Vieren auf Nachfrage darüber hinaus mitgeteilt, daß der Platzverweis dauerhaft gelte bis zum Ende des G8-Gipfels.

Unseres Wissens ist dies das erste Mal, daß ein entsprechender Platzverweis schriftlich in Heiligendamm ausgesprochen wurde. Wenn ihr euch den Platzverweis mal anschaut, dann seht ihr, daß dort sowohl die "Rote Zone" als auch die beiden See-Sperrgebiete als Platzverweiszone eingezeichnet sind. (Die entsprechende Fläche ist übrigens im Original nicht farblich
schraffiert, die ganze "Anlage 8" wurde als schwarz-weiß-Kopie ausgegeben.)
Wahrscheinlich wird dies nun das offizielle Formblatt sein, das auch beim G8-Gipfel seitens der Polizei benutzt werden wird. - Wahrscheinlich werden diese Formblätter auch schon bei der kommenden Sonntagsdemo zum G8-Zaun (So. 15.04.2007, Beginn: 13 Uhr, mehr dazu unter  http://www.heiligendamm2007.de/index_konferenz.html) eingesetzt.


Wir möchten an dieser Stelle noch einmal allen mitteilen: Laßt euch nicht von Platzverweisen einschüchtern! - Platzverweise sind (als polizeilicher Gummiparagraph) mittlerweile alltägliches Mittel am Rande von Demonstrationen und anderen politischen Aktionen. Natürlich besteht die Gefahr, nach nochmaligem "Aufgreifen" in Gewahrsam genommen zu werden. Aber zum einen ist der zeitlich begrenzt, zum anderen kann die Polizei eben (gerade während der Gipfeltage) nicht alle Leute in Gewahrsam nehmen - dafür stehen ihr letztlich die entsprechenden Unterbringungsmöglichkeiten und die Transportfahrzeuge nicht in ausreichender Form zur Verfügung. Also allein die schiere Masse wird dafür sorgen, daß solche In-Gewahrsamnahmen nicht flächendeckend durchgeführt werden können.

Also kommt nach Heiligendamm und habt ein paar gute Protesttage!


Weil mittlerweile in einigen Teilen der Protestbewegung Widerspruchsvorlagen gegen Platzverweise kursieren, möchten wir kurz nach was dazu sagen.
Mit dem Widerspruch gegen den Platzverweis das ist so eine Sache:
Der Widerspruch hat keine (!!!) aufschiebende Wirkung, also kann mensch den Platzverweis rechtlich nicht (!!!) verhindern. Mit seinem zeitlichen Ablauf ist der Platzverweis erledigt und damit formal auch der Widerspruch. Das heißt in der Praxis, daß mensch nie mehr etwas davon hört. Es kann daher irreführend sein zu denken, daß mensch ja noch ein Widerspruchsverfahren laufen hat, denn dieses ist juristisch längst erledigt.
Ein richtiger Rechtsbehelf ist die nachträgliche Klage beim Verwaltungsgericht. Hierzu muß mensch vorher keinen Widerspruch eingelegt haben. (Bitte vorher mit Deiner nächstgelegenen Rote Hilfe Gruppe bzw. Rechtshilfegruppe absprechen, ob das ein sinnvolles Vorgehen ist, u.a. auch in Bezug auf die entstehenden Kosten.) Rechtlich ist der Widerspruch also für die Tonne. Beeindrucken wird er die Polizei ebenso wenig.

Wesentlich wichtiger erscheint auch aus Sicht der anwaltlichen Praxis, daß der Platzverweis dokumentiert wird, d.h. daß er schriftlich erteilt wird und erkennen lässt, welche Dienststelle und ggf. welcher Beamte ihn ausgesprochen hat. Sonst hat mensch nachher wieder keinen Klagegegner und die Polizei kann die Sache "bedauerlicherweise nicht zuordnen".


Für alle, die nach Heiligendamm fahren, hier noch einmal der Verweis auf unsere Rote Hilfe-Broschüre "Was tun wenns brennt" (als Download zu finden unter:  http://www.rote-hilfe.de/media/files/was_tun_wenn_s_brennt). Sollte eigentlich Standardlektüre sein für alle, die auf politische Aktionen gehen. ;)

Und wo wir schon dabei sind: Repression kostet Geld - ganz besonders im Zusammenhang mit solchen Gipfelprotesten! Es werden daher noch SpenderInnen gesucht, die das zentrale Antirepressionskonto zum G8 stärken. Es müssen nicht immer große Beträge sein (z.B. aus Soli-Partys, Soli-Konzerten, Kollekte auf politischen Veranstaltungen), auch viele kleine Spenden ergeben zusammen ein ordentliches Sümmchen.

Rote Hilfe e.V.
Konto 191 100 462
BLZ 440 100 46
Postbank Dortmund
Stichwort: Gipfelsoli

Die Spenden fließen zu 100% der Unterstützung kriminalisierter GipfelgegnerInnen zu.

Nicht Müsli und Quark - Solidarität macht stark!!!
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Ergänzungen

Sehr merkwürdig

egal 11.04.2007 - 17:04
Mir kommt das rechtlich alles schwammig vor, hier sollten sich mal ein paar Anwälte mit beschäftigen, ob das denn alles so koscher ist. Was immer hilft bei solchen Sachen: Dienstnummer geben lassen (dazu besteht die Pflicht, wenn die Bullen irgendwas schriftlich festhalten, dann kommst du an diese ohnehin ran) und Dienstaufsichtsbeschwerde stellen. Grund dafür kann z.B. ausgesprochene Unhöflichkeit sein, kommt ja immer wieder mal vor... Hat zwar keine rechtlichen Konsequenzen, weil alles gegen die Polizei sowieso im Leeren verläuft, es gibt aber ordentlich Schreibarbeit, denn auch die Einstellung eines Verfahrens oder das Verfassen von Antwortschreiben kostet Zeit uns ist nervig. Anders kann man sich leider nicht wehren.

RAV wurde schon informiert

Rote Helene 11.04.2007 - 17:19
RAV ( http://www.rav.de/) wurde schon informiert. Auch andere prüfen das schon rechtlich.

Was leider nicht ganz stimmt: Zur Abgabe der Dienstnummer ist kein Bulle verpflichtet. Das tun die im Normalfall auch nicht (außer im derben Spaß mal "0815" oder "110"). Mensch steht also immer mit ziemlich leeren Händen da. Auch im Foto kannst Du die Waschbrettköpfe nicht festhalten, weil die dann rummucken und (zu unrecht) ihr "Recht am eigenen Bild" einfordern. (Scheint offenbar in Polizeilehrgängen als Standardfloskel auswendig zu lernen zu sein.)

Rechtlich läßt sich da nur mit einer Klage im Nachhinein was machen, aber dann brauchste entsprechende Daten. Und wie in der Vorlage der Bullen zu sehen ist: auch dort werden weder Dienstnummer noch Name oder Einheit festgehalten. - Die wissen schon ganz gut, warum sie darauf verzichten.

That's Germany - ein Grund mehr Deutschland zu hassen!

Liebe Dummschwätzer

Allwissend 11.04.2007 - 18:54
Ein (schriftlicher) Platzverweis ist ein Verwaltungsakt. Wird dieser angegriffen, entscheidet ein Verwaltungsgericht. Nicht mehr und nicht weniger.

Das ganze Geschwätz über Dienstkartenaushändigung uä. ist hier überflüssig und hat mit dem Platzverweis als solches nichts zu tun. Was die Mär von den tollen Beschwerden (und dem angeblichen "Stress" für Beamte) soll, wissen nur die "Poster" selbst. Substanzlose Schreiben nebst Dienstnummer werden mittels Serienbrief und Textbaustein abgefertigt.

Schließlich ist jeder Polizeibeamte zur Herausgabe seiner Dienstnummer verpflichtet...

Bilder wieder herstellen

pcjunk 11.04.2007 - 20:24
probier mal die fotos wiederherzustellen. da digital aufgenommen normalerweise kein problem.
schau mal hier: http://www.german-sales.com/recovery.htm z.b. , .............

dienstnummer

(muss ausgefüllt werden) 11.04.2007 - 20:50
leute, kommt mal von dieser mär mit den dienstnummern runter. die gibt's (ausser in berlin) gar nicht mehr. es gibt noch eine "interne" nummer (so ne art verwaltungsziffer), die ist aber nur innerhalb der jeweiligen dienststelle von belang. ansonsten hat der bulle name, dienstelle/einheit und dienstrang. also z.b. "polizeihauptmeister karl maier, 3. einsatzhundertschaft niedersachsen." dienstnummer gehören ins reich der filme!

Nicht dienstnummer...

RO 11.04.2007 - 21:30
Wenn man sich eine Polizeiliche Maßnahme über sich ergehen lassen muss so hat man nicht
das recht auf die Dienstnummer, aber auf den Dienstausweiß...
Schlieslich müssen sich die Beamten auf nachfrage als solche zu erkennen geben.
Ob es klapt is natürlich eine andere Frage...
Was auch helfen könnte, Ort und Zeit genau festhalten schlieslich werden die eingesetzten Beamten ja in Protokollen und anderen bürokratischen Romanen festgehalten, ein guter Anwalt könnte es dann bei einem schweren Verbrechen durch Beamte sogar eine Gegenüberstellung rausholen. Diese Praxis is jedoch auch nur rein theoretisch und findet auf Großdemos und der gleichen leider keine Anwendung.

Fotos wiederherstellen

hs 12.04.2007 - 12:10

In Ergänzung zum oben genannten Link gibt es noch PhotoRec, ein freies und kostenloses Programm, das Fotos unter bestimmten Umständen wiederherstellen kann.

Interessant für ausloten der Gerichte

Mrs. Unwichtig 12.04.2007 - 18:33
Das könnte die Chance sein, die Platzverweispraxis der Bullen schon einige Zeit vor dem G8-Gipfel gerichtlich prüfen zu lassen. Im Normalfall wird sich nämlich niemand während der Gipfeltage gerichtlich gegen einen Platzverweis wehren können und wenn doch, dann kann das Ergebnis nicht mehr rechtzeitig kommuniziert werden. Also jetzt gegen diesen Bescheid gerichtlich vorgehen (den Widerspruch könnt ihr ja so aus Spaß machen).

Zur Gipfelzeit wird das Verwaktungsgericht sowieso heillos überfordert wein, so dass es auf so Nichtigkeiten wie Platzverweise nicht so recht eingehen kann. Jetzt hat es aber Zeit sich mit der Sache mehr auseinanderzusetzen. Wenn eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes vor dem Gipfel kommen würde, wäre das eine feine Sache, da sich viele Personen, Camps, Aktionen usw auf das Urteil berufen könnten, sollte es denn positiv ausfallen (wenn nicht, weiß man/frau woran sie/er ist).

Und dass die meisten Entscheidungen diesbezüglich erst im Nachhinein gefällt werden, ist damit zu begründen, dass zum Zeitpunkt der Klageerhebung der Platzverweis meist nicht mehr gültig ist und deshalb kein übergeordnetes Rechtsschutzbedürfnis vorhanden ist. Da in diesem Fall der Platzverweis aber Bestand hat, besteht auch weiterhin ein Rechtsschutzbedürfnis, dass nicht erst in 4 Jahren, sondern in wenigen Tagen verhandelt werden kann.

Deshalb: Bitte, Bitte, Bitte mit Zucker obendrauf, unbedingt vor das Verwaltungsgericht ziehen! Es wird hier auch nicht um zehntausende oder tausende Kosten, sondern wird sich maximal im dreistelligen Bereich abspielen. Auch das kann noch viel Geld für Einzelpersonen sein, aber dafür wird sich etwas finden lassen (müssen). Geht zur Roten Hilfe (falls der Artikel nicht von ebenjener stammt), die könnten euch vielleicht in solchen Sachen unterstützen.

Egal was ihr macht. Viel Erfolg!

Zaundemo 15.4.

inspektor 13.04.2007 - 00:11
Diesrer Beitrag macht es nötig, sxich schon jetzt nicht nur juristiscxh sondern vor allem auch politisch zu wehren
Kommt alle zur Demo gegen den Zaun
Sonntag, den 15.4, ab 13 Uhr, Galopprennbahn Bad Doberan.
Dort ist der Kontrollpunkt 1 des Zaunes
(Bustransfer von der Rostockkonferenz der G8 GegnerInnen)
13Uhr 30 Start
Ende Seebrücke Heiligendamm 16 Uhr.
Die Demo ist angemeldet

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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rechtmässigkeit — muss ausgefüllt werden)

Demo — rfk