Warum starb Oury Jalloh? Der Prozess 1./2. Tag

Prozessbeobachter 29.03.2007 13:57 Themen: Antifa Antirassismus
...regelmäßig Prozessberichte gibt es unter  http://prozessouryjalloh.de

Auch wenn es äusserst fraglich ist, ob die wahren Begebenheiten des 07.01.2005 durch diesen Prozess ans Licht kommen werden, begrüßen wir es ausdrücklich, dass es nach über zwei Jahren endlich zu einem Prozess gegen wenigstens zwei der Schuldigen kommt.

Wir versuchen hier vorwiegen rein objektiv den Ablauf des Prozesses wiederzuspiegeln, auch wenn es jeder/m von uns schwer fällt, diese Arbeit, aufgrund der unzähligen Unklarheiten der Sachverhalte, wertungsfrei zu gewährleisten.
Prozessberichte

1. Prozesstag - 27. März 2007 // 9.00-17.45

„Wir waren da alle nicht eingewiesen und haben damit gelebt“

Beim ersten Prozesstag stand die Befragung des Angeklagten Sch. im Mittelpunkt der Hauptverhandlung

Solche Sicherheitsmaßnahmen erlebt man am Landgericht Dessau nicht alle Tage. Der Auftakt des Oury Jalloh-Prozesses wird außerhalb des Gerichtsgebäudes von einem starken Polizeiaufgebot begleitet. Im Landgericht müssen die interessierten Zuhörer und die zahlreichen Pressevertreter sich umfangreichen Kontrollen unterziehen. Alles außer Stift und Schreibblock muss abgegeben werden. Das Passieren einer elektronischen Schleuse vor dem Betreten des Gerichtsaals ist obligatorisch.

Mit 10minütiger Verspätung eröffnet der vorsitzende Richter der 6. Strafkammer, Manfred Steinhoff, genau 09.10 Uhr die Hauptverhandlung. Ihm zur Seite sitzen die Richter Kniestedt und Linz. Außerdem sind dem Gericht zwei Schöffen beigeordnet. Extra für diese Verhandlung musste die Sitzordnung des Saales 18 im Landgericht Dessau verändert werden. So viele Prozessbeteiligte sind auch für ein Landgericht nicht alltäglich.

Rechts neben dem Richterpult sitzen die Vertreter der Nebenklage. Die Mutter Oury Jallohs, Mariama Djombo Diallo, ist persönlich anwesend und wird von der Berliner Rechtsanwältin (RA`in) Regina Götz vertreten. Der Vater des verbrannten Asylbewerbers, Boubacar Diallo, ist zu krank, um am Prozess teilnehmen zu können. Doch sein Anwalt, Ulrich von Klinggräff, vertritt ihn. Auch der Halbbruder des Westafrikaners, Mamadou Saliou Diallo, ist zur Nebenklage zugelassen. Das Gericht hat ihm den Potsdamer Rechtsanwalt (RA) Felix Isensee beigeordnet. Des weiteren sitzt Prof. Dr. Kleiber, der Gutachter der Gerichtsmedizin Halle, bei. Komplettiert wird die Bank zur rechten Hand von Oberstaatsanwalt Preissner.

Links des Richterpodiums sitzt der Angeklagte Sch. mit seinem Verteidiger Atilla Teuchtler und der Angeschuldigte M., der durch den Dessauer Rechtsanwalt Sven Tamoschus verteidigt wird.

Bevor der Oberstaatsanwalt die Anklageschrift verliest, vereidigt Richter Steinhoff einen Dolmetscher, der für die Mutter in die afrikanische Sprache Fula übersetzt. Außerdem informiert er darüber, dass die Dessauer Polizeipräsidentin Scherber-Schmidt allen Polizeibeamten eine Aussagegenehmigung erteilt hat.

Danach verkündet Preissner die mehrseitige Anklageschrift (mehr dazu hier…). Im Kern geht die These der Staatsanwaltschaft davon aus, dass Oury Jallohs Leben bei rechtzeitigem Einschreiten des beschuldigten Dienstgruppenleiters Sch. hätte gerettet werden können.

Im Vorfeld der eigentlichen Befragung verliest die Nebenklage eine Erklärung und gibt diese zu Protokoll (mehr dazu hier…). Nach einem juristischen Disput mit dem Vorsitzenden über deren Zulässigkeit wird diese dennoch vorgebracht.

Von Klinggräff dazu: „Allein die Tatsache, wie dieses Verfahren in der Öffentlichkeit, auch in der internationalen, diskutiert wird, rechtfertigt das.“

„Für unsere Mandanten ist es weiter unfassbar, wie Oury Jalloh gefesselt in einer Polizeizelle verbrennen konnte“, konkretisiert Götz.

Danach ergeht die obligatorische Anfrage an die Beschuldigten, ob sie sich zur Anklage der Staatsanwaltschaft in der Sache äußern wollen. RA Tamoschus trägt daraufhin für seinen Mandanten eine Erklärung vor. In der Einlassung M.`s heißt es unter anderem: „Der nicht zulässige Schluss, dass das eindeutig durch die Schuld meines Mandanten geschehen ist, ist nicht zwingend“, meint der RA zur Auffassung der Anklagebehörde, dass M. bei der Leibesvisitation ein Feuerzeug übersehen habe. Tamoschus schließt sich ausdrücklich der Aussage der Nebenklage an, dass die Anklageschrift „eine Anhäufung von Unwahrscheinlichkeiten“ sei. In der Erklärung erfährt der interessierte Zuhörer, dass M. bereite zu der Funkstreifenbesatzung gehörte, die Oury Jalloh am 7. Januar 2005 im Bereich der Dessauer Turmstraße (Stadtteil Süd) festnahm, weil er Frauen belästigt haben soll. Bereits in dieser Situation soll es zu Widerstandshandlungen seitens des Westafrikaners gekommen sein. Nachdem Jalloh auf das Polizeirevier Dessau verbracht wurde, hätte M., laut der Erklärung, bei der Durchsuchung des Delinquenten in der Gesäßtasche ein Ausweispapier, die sogenannte „Duldung für Asylbewerber“, gefunden. Da diese für ihn nicht leserlich gewesen sei, wäre eine Identitätsfeststellung erforderlich. M. habe Jalloh im Beisein des Beamten T. gegen 08.45 Uhr im sogenannten „Arztraum“ erneut durchsucht. Dabei wären die Handfesseln, die Jalloh laut der Einlassung zu diesem Zeitpunkt getragen haben soll, teilweise abgelegt worden. „Ein Feuerzeug hätte ich mit Sicherheit gesehen“, führt M. zum Hauptvorwurf gegen ihn aus.

Auch sogenannte ’Zollstocktaschen’ an der Hose Jallohs spielen bei diesem Komplex eine Rolle: “Ein Feuerzeug war da mit Sicherheit nicht drin“, so der Beschuldigte.

Richter Steinhoff fragt im Anschluss, wo es im Gewahrsamstrakt Feuerlöscher gegeben hätte. „Im Abstellraum“, gibt der 44jährige Polizeibeamte zu Protokoll. Die Frage des Vorsitzenden, ob es im Vorraum des Traktes Feuerlöscher gegeben hätte, verneint der Angeschuldigte.

Eine nicht mehr aufzufindende Dienstanweisung kam nun zur Sprache. Es hätte eine klare Regelung des Revierleiters Ko. gegeben, in der im Detail die Fixierung nur „bei begründetem Verdacht“ zu erfolgen hätte. Der Dienstgruppenleiter S. hätte ebenfalls mehrmals auf diese Anweisung hingewiesen. „Die war dann aber nicht mehr aufzufinden“, sagt Angeklagter M. „So ging es uns auch“, ergänzt Richter Steinhoff zu den erfolglosen Ermittlungen des Gerichts in dieser Sache.

Darüber hinaus lehnt es RA Tamoschus ab, dass sein Mandant auf weitere Fragen antwortet. Etliche Versuche der Staatsanwaltschaft und Nebenklage blieben dann auch erfolglos.

Im Anschluss daran lässt sich der Angeklagte Sch. umfassend zur Sache ein. Er eröffnet mit folgendem Statement“: Ich bedauere zutiefst, was am 7. Januar 2005 passiert ist und dass es mir nicht vergönnt war, das Leben des Herrn Jalloh zu retten.“

Der Angeklagte war am besagten Tag als zuständiger Dienstgruppenleiter auch für den Gewahrsamstrakt verantwortlich, in dem Oury Jalloh verbrannte. Die Anklagebehörde wirft

ihm vor, den Feueralarm mehrmals ignoriert zu haben und damit die Rettung des Lebens von Jalloh durch Unterlassung verunmöglicht zu haben. Ein minutiöses Zeitprotokoll soll laut Staatsanwaltschaft dieses Versagen belegen. Sch. äußert sich zu diesen Vorwürfen.

Nach 12.00 Uhr soll der Rauchmelder des Gewahrsamstraktes zum ersten Mal angeschlagen haben. „Ich drückte die Akkustik aus, um den weiteren Dienstverlauf zu gewährleisten“, gibt Sch. vor Gericht zu Protokoll. Auf die Frage, ob ihm, da es ein Rauchmelder gewesen sei, der angeschlagen habe, der Gedanke gekommen sei, dass es sich um ein Feuer hätte handeln können, antwortet Sch.: „Nein, in diesem Augenblick nicht“.

Vor dem ersten Anschlagen des Rauchmelders habe er und seine Kollegin, die Einsatzleiterin H. durch die Wechselsprechanlage im Dienstzimmer ein vermeintliches ‚Plätschern’ in Zelle Fünf wahrgenommen. Er habe einen Wasserrohrbruch vermutet, da sich direkt über der Zelle eine Sanitäranlage befindet. Nach einem kurzen Gespräch mit der Kollegin habe Sch. das Vorhaben gefasst, sich nach unten in den Gewahrsamstrakt zu begeben. Dann jedoch habe ihn ein Telefongespräch mit seinem Leitereinatzdienst Kö. von seinem Vorhaben abgehalten.

Beim zweiten Auslösen des Feueralarmes habe er sich mit dem passenden Schlüssel auf den Weg durch das Dienstzimmer begeben, jedoch nur seinen Kollegen Mö. telefonierend vorgefunden und habe sich deshalb alleine auf den Weg gemacht.

Nun stellt der Vorsitzende die Frage, wie eilig Sch. letztendlich auf den Alarm reagiert habe. „Ich bin nicht langsam gegangen, sondern schnell. Ich habe sogar hin und wieder eine Treppe ausgelassen.“, antwortet Sch.

Als Sch. dann den Vorflur zu den Zellen des Gewahrsamstraktes betrat, seien die Sichtverhältnisse klar und die Zellentür zur Zelle Fünf unauffällig gewesen. Er habe keinen Rauch im Vorflur wahrgenommen, was seiner Meinung nach daran liegen könnte, dass die Zellentüren vermutlich eine Gummidichtung haben. Erst als er die Zelle betreten habe, habe er warmen bis heißen schwarzen Rauch wahrgenommen. Auch habe er eine deutliche Hitzeentwicklung in der Zelle zu Kenntnis genommen. Sein Kollege Mö., der ihm in der Zwischenzeit doch gefolgt sei, habe sich daraufhin auf die Suche nach einem Feuerlöscher begeben. Sch. äußert außerdem, dass er vielleicht die Worte ‚Feuer’ oder ‚es brennt’ gerufen haben könne.

Der Richter geht daraufhin abermals auf die durch die Wechselsprechanlage wahrgenommenen Geräusche und Worte von Oury Jalloh ein. „Man konnte zumindest verstehen, was er wollte“, meint Sch. ‚War so etwas zu hören wie ‚Feuer’ oder ‚Bindet mich los’?’ - Er verneint dies: „In der Zeit, wo ich oben war, sind diese Worte nicht gefallen“.

Bleibt zu klären, warum Sch. den anschlagenden Alarm für einen Fehlalarm gehalten hat.

Im vorangegangenen Jahr 2004 habe es wiederholt Fehlalarme des Rauchmelders gegeben, so der Angeklagte. Bei diesen Fehlalarmen habe sich jedoch nie jemand in den Zellen befunden, bei jedem dieser Fehlalarme sei jemand zur Kontrolle in den Gewahrsamstrakt heruntergeschickt worden. Auch er selbst habe ein bis zwei Fehlalarme persönlich miterlebt.

Zwischenzeitlich wurde vor dem Richter der Lageplan des Dienstzimmers in Augenschein genommen und diverse Fragen zur Lage der verschiedenen Zimmer beantwortet.

Zur Frage, was die Anweisung zur Funktionsweise der Brandmeldeanlage vorsieht, antwortet er: „Wir waren da alle nicht eingewiesen, wir haben damit gelebt“. Auch zur Reaktion auf einen potentiellen Alarm, sowohl von Seiten der Lüftungsanlage als auch des Brandmelders habe es keine vormaligen Einweisungen gegeben. Er sei als Dienstgruppenleiter selbst für die Belehrung zuständig gewesen, habe sich diesbezüglich in Form von Lektüre eigenhändig weitergebildet. Wo sich aber zum Beispiel die Feuerlöscher befinden, sei ihm jedoch selbst nicht ganz klar gewesen. Dies offenbarte sich in einer längeren Diskussion um den Technikraum, in dem sich vermutlich ein Feuerlöscher befunden habe, den Sch. jedoch nie betreten habe.

Der Rechtsanwalt des Nebenklägers Vater von Oury Jalloh, Ullrich von Klinggräff geht daraufhin auf die näheren Umstände nach dem Betreten der verrauchten Zelle ein.

Nachdem die Brandlöschung nicht möglich gewesen war, habe Sch sich auf den Hof begeben, wo er auf seine Kollegen M. und B. gestoßen sei. Sch. könne zudem nicht mehr genau sagen, wer die Feuerwehr schlussendlich gerufen habe, und wie lang der Zeitraum bis zu deren Eintreffen gewesen sein mag. Auch bezüglich der Koordinierung mit der eintreffenden Feuerwehr habe es keine Einweisung geben, und so habe er auch keinen Lageplan des Gewahrsamstraktes vorlegen können. Er wisse zudem nicht mehr, ob die Feuerwehr über die Fixierung des Oury Jalloh informiert worden sei; Herr von Klinggräff betont daraufhin, dass dies aber eine wichtige Frage sei.

Ob er sich in dieser Situation in einer besonderen Verantwortung als Dienstgruppenleiter gesehen habe, fragt ihn später auch sein eigener Rechtsvertreter Attila Teuchtner. „Die geht automatisch über“ entgegnet Sch. seinem Verteidiger, und bezieht sich damit auf die Anwesenheit seiner unmittelbaren Vorgesetzten, des Diensteinsatzleiters K. und des Revierleiters Ko. Nach seiner Meinung hätte zumindest der Revierleiter in dieser Situation die Befehlsgewalt übernehmen müssen.

Zu den weiteren genannten Fakten bezüglich Sch. bleibt zu sagen, dass er sich seit 1992 im polizeilichen Dienst des Landes Sachsen-Anhalt befand, seit 1994/95 sei er als Dienstgruppenleiter tätig gewesen, was quasi effektiv bedeute, dass er im normalen Dienst für etwa 10 bis 12 Personen zuständig gewesen sei. Bezüglich des Umfangs seiner Kontrollaufgabe als Dienstgruppenleitung meinte er, dass er „für alles zuständig“ gewesen sei. Auch der Gewahrsamstrakt habe somit in seinen Verantwortungsbereich gehört. Und er sich abschließend auf Anfrage seines eigenen Anwalts mit der Aufgabe des Dienstleiters „nie überfordert“ gefühlt. Er habe nach eigenen Angeben seine Dienstpostenbeschreibung nie gesehen und sich sein Wissen durch „Abgucken“ bei anderen Kollegen erworben.



Zeugenaussagen

Mamadou B., Mitbewohner von Oury Jalloh im Asylbewerberheim Rosslau

Als erster Zeuge im Fall Oury Jalloh wird heute Herr Mamadou B. vernommen.

Ziel der Befragung sei hierbei, Einblicke in das Leben des Oury Jalloh erhalten zu können und die Möglichkeit zu schaffen, den Menschen Oury Jalloh selbst kennen zu lernen, so die Staatsanwaltschaft.

Zunächst befragt der vorsitzende Richter Steinhoff den Zeugen, wann er Herrn Jalloh kennen gelernt habe. Er habe Oury Jalloh erstmalig in Dessau getroffen und seit 2001/02 mit ihm in einer gemeinsamen Wohnung gelebt, gab B. zu Protokoll. Beide seien sie Asylbewerber gewesen, und haben beide die westafrikanische Sprache Fula gesprochen.

Die Frage des Vorsitzenden, ob Jalloh geraucht habe, bejaht der Befragte, zusätzlich bestätigt er die Aussage, dass Jalloh ab und an getrunken habe. – „ein bisschen schon“, meinte B.

B. wird gebeten, den Charakter des Oury Jalloh zu beschreiben; dabei fallen Adjektive wie ‚freudig’, ‚fröhlich’ und ‚nett’. Befragt nach dem Privatleben des Verstorbenen, weiß B., dass Oury Jalloh über die Geburt seines Sohnes im Jahre 2001/02 (B. ist sich nicht ganz sicher) sei Jalloh durchaus informiert und stolz gewesen. Er habe mit seinen Freunden darüber geredet und auch Fotos seines Sohnes herumgereicht. Herr B. weiß jedoch nicht, wann Oury Jalloh seinen Sohn das letzte Mal gesehen habe.

Auf die Frage von Regina Götz, inwieweit Jalloh bereits in Kontakt mit der Polizei getreten sei, entgegnet B., dass regelmäßige Ausweiskontrollen der Asylbewerber auf offener Straße üblich seien. Jedoch habe Jalloh vor dem Vorfall am 07.Januar 05 keine Probleme mit der Polizei gehabt, sei jedoch durch die regelmäßigen Ausweiskontrollen im Revier bekannt gewesen, so der Zeuge B.

Bezüglich der Zeugenvernehmung durch die Polizei kristallisierte sich ein eklatanter Unterschied zur Verfahrensweise der Befragung vor Gericht heraus; zu seinen im Prozess zitierten Aussagen im Revier betonte B. mehrmals, dass er dies so nie gesagt habe – ein Dolmetscher, der zur damaligen Zeit auf Grund der geringen Deutschkenntnisse B ’s dringend von Nöten gewesen wäre, sei bei der polizeilichen Vernehmung nicht vorhanden gewesen.

Unter anderem sei in der Polizeivernehmung festgehalten worden, dass Oury Jalloh mitunter Probleme gemacht habe, wenn er betrunken war. “Nein, das habe ich nicht gesagt“, stellte B. klar.



Die weiteren Zeugen am heutigen Tag: die Frauen, die am Morgen des 07.Januar 2005 die Polizei gerufen haben.

Als nächstes stand die Befragung der Zeugin Karin R. an. Die 48-jährige habe zusammen mit Kolleginnen am Morgen des 07.Januar 05 im Rahmen eines Ein-Euro-Jobs im Bereich der Turmstraße Dessaus gereinigt. „Wir haben gedacht, der will uns was fragen“ sagte die Zeugin zum plötzlichen Erscheinen des Oury Jalloh am betreffenden Morgen aus.

Er habe ihr in ihren Rucksack greifen wollen, daraufhin sei er „mir hinterhergegangen und wollte telefonieren“. Dann sei sie zum Auto gerannt, da sie nicht gewusst habe, wohin sie sonst gehen solle. Auf die Frage des Vorsitzenden, ob Herr Jalloh Deutsch gesprochen habe, antwortete sie mit „Eigentlich nicht“. Sie habe nicht herausbekommen können, was Jalloh eigentlich gewollt habe. „Wir haben höflich darum gebeten, dass er geht“ äußert sie noch zum weiteren Verlauf des Geschehens, und bestätigt, dass sie Angst gehabt habe.

Beim Eintreffen der Polizei habe Jalloh ihr noch zugeworfen, dass er am Montag wiederkommen würde. Wie die Bedrohungslage aus ihrer Sicht ausgesehen habe, konnte die Zeugin nicht mehr konkretisieren: „Ich weiß nicht mehr, ob er mich berührt hat“. Wer die Polizei gerufen habe, sei zum Zeitpunkt ihres Eintreffens nicht klar gewesen, die Beamten hätten Jalloh Handschellen angelegt; bei dem Versuch, ihn ins Dienstauto zu befördern, habe er sich gewehrt. Wie lange dieses Szenario nach ihrer Wahrnehmung gedauert habe, fragt der Vorsitzende nach, woraufhin R. antwortete: „Vielleicht eine Viertelstunde“. Dass es irgendwelche an ein Ausholen erinnernde Gestiken von Seiten Jallohs gegeben habe , verneint die Zeugin.

Zu einem möglichen Alkoholkonsums Oury Jallohs berichtet sie, dass er sich an einer Wand festgehalten habe. Eine Fahne jedoch habe sie nicht wahrgenommen.

Die letzte Zeugin heute ist Angelika B.

Ihre Aussagen widersprachen sich fortwährend selbst: unter anderem meinte sie: „Der hat aus der Nase oder aus dem Mund geblutet“. „Wer?“ fragt der Richter nach. Sie antwortete: „Der Afrikaner“. Nach einem Einwand kaum eine Minute später äußerte sie jedoch: „Dann hat er halt nicht geblutet“.





2. Prozesstag - 28. März 2007 // 9.00-16.30

„Nicht schon wieder wir. Nicht schon wieder das Pech im Lotto.“

Polizeibeamte sagen am 2. Tag umfassend im Oury Jalloh-Prozess aus

Nach Verständigung der Prozessbeteiligten über organisatorische und terminliche Dinge beginnt der heutige zweite Prozesstag im Fall Oury Jalloh mit der Befragung des Zeugen Bernd M. Mit dem 46jährigen Beamten steht damit im Rahmen dieser Hauptverhandlung erstmals ein Polizist in Uniform im Zeugenstand. M hatte am 07. Januar 2005 Dienst im Polizeirevier Dessau. Er und sein Kollege Jürgen S. hätten gegen 11.00 Uhr durch den Dienstgruppenleiter (DGL) Sch. den Auftrag bekommen, eine Person im Gewahrsamstrakt zu kontrollieren. Später hält der RA Isensee dem Zeugen in diesem Kontext einer Passage aus der Akte vor, die er so bei seiner ersten Vernehmung zu Protokoll gegeben haben soll: „In diesem Moment erwähnt der Dienstgruppenleiter, dass ihm das Klappern da unten langsam auf die Nerven ginge, wir sollten doch mal gucken, was der Herr da macht“. Nachdem sie die entsprechenden Schlüssel erhielten, die immer im DGL-Raum aufbewahrt worden seien, gingen sie laut M. zur Zelle Nr. 5. Dort fanden sie Herrn Jalloh an allen vier Extremitäten gefesselt auf einer Matratze liegend vor. Der Beamte sagte aus, dass es zwischen ihm und dem dort fixierten Oury Jalloh zu einem kurzen Wortwechsel gekommen sei. „Er hat gesagt, dass wir ihn losmachen sollen“, gibt der Zeuge zu Protokoll. Dabei habe er verständliches Deutsch gesprochen. Der Richter will darauf hin wissen, ob er dies in einem erregten Zustand gesagt habe. M. bejaht diese Frage. Isensee fragt M. dazu, ob er mal auf die Idee gekommen sei, dass man die Zelle eines Gefesselten ja nicht noch abschließen müsse, sondern ein Verriegeln ja reiche: „Kann ich nicht sagen, ich habe das immer so gemacht“. Auch offensichtliche Verletzungen habe er an Oury Jalloh nicht wahrnehmen können.

Die Frage des Vorsitzenden Steinhoff, ob dem Beamten in der Zelle etwas Ungewöhnliches aufgefallen sei, verneint der Zeuge. In seiner polizeilichen Vernehmung im Vorfeld äußerte er jedoch neben der Matratze eine Pfütze gesehen zu haben: „Um welche Flüssigkeit es sich handelte, kann ich nicht sagen. Ich kann aber ausschließen, dass es Urin war“, gab M. damals an. „Sind sie oder ihr Kollege S. Raucher?“, will Oberstaatsanwalt Preissner vom Zeugen wissen. Raucher wären sie nicht und hätten am besagten Tag auch kein Feuerzeug dabei gehabt. Er sagt auch, dass er bei der Zellenkontrolle weiter im Raum gestanden habe, als S. Er könne sich nicht erinnern, dass die Hose Oury Jallohs geöffnet war. „Hat Ihr Kollege S. auch mit dem Herrn Jalloh gesprochen“, fragt der Anklagevertreter dann. „Das ist auch so eine Sache, ich kann es nicht mehr sagen“, so der Zeuge.

hm Folgenden befragt der Richter den Zeugen zu den Sicherheitsanlagen im Gewahrsamstrakt, woraufhin der 44jährige einen Feuermelder und eine Wechselsprechanlage angibt, über die auch das Rasseln der Fesseln des jungen Afrikaners zu hören gewesen ware. Er habe dieses Geräusch damals ganz konkret den Hand- und Fußfesseln zuordnen können.

Allerdings kann er auch nach mehrmaligem Nachhaken keinen Standort von Feuerlöschern nennen: “Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten.“, so M. zum Vorsitzenden. „Wissen sie es heute nicht oder wussten sie es damals nicht?“, bohrt Steinhoff weiter. „Heute nicht und damals auch nicht“, lautet die Antwort. Er wisse auch nicht, warum es keine Feuerlöscher gab: „von technischer Ausrüstung habe ich keine Ahnung“. Die Frage der Staatsanwaltschaft, ob unter den Beamten je darüber gesprochen wurde, wo im Zellenbereich Feuerlöscher hängen, verneint er ebenfalls. Heute jedenfalls würde sich im Eingangsbereich des Gewahrsamstrakts einer befinden.

Laut Bernd M. gäbe es eine Brandschutzverordnung und auch regelmäßig Belehrungen dazu, jedoch könne er nicht sagen, wann die letzte war und durch wen sie erfolgte. „Wer macht das?“, fragt Steinhoff bezüglich die Zuständigkeit. „Der Dienstgruppenleiter“, stellt M. fest. Desweiteren sei er nie speziell in die Meldeanlage eingewiesen worden.

Der Zeuge sagt außerdem aus, dass es damals keine eigentliche Ordnung zur Durchführung von Kontrollgängen gegeben habe, aber jetzt sei einiges geändert worden. Steinhoff will wissen: “Was wurde denn geändert?“. M. dazu: „Es wurde generell festgelegt regelmäßige Kontrollgänge durchzuführen“. Der Richter konfrontiert den Zeugen darauf hin mit einem Fakt aus den Akten: „Diese Festlegung gab es doch auch damals schon.“ „Das war mir dann nicht so bewusst“, so der Zeuge. Schließlich erfährt das Gericht und die interessierte Öffentlichkeit, dass der Gewahrsamstrakt im Dessauer Polizeirevier immer noch gesperrt ist. Außerdem dürfe man heute Personen die mehr als 1,99 Promille im Blut haben, nicht mehr in Gewahrsam nehmen. „Es ist alles komplizierter geworden“, meint M.

Ein entscheidender Fakt der heute des Öfteren zur Sprache kommt, ist die Tatsache, dass der Gewahrsamstrakt über zwei Eingänge verfügt. Einmal gäbe es eine Tür, die über das Treppenhaus des Hauptdienstgebäudes zu erreichen sei und ausschließlich für die Kontrollgängen genutzt werden würde. Ein anderer Eingang, der sich auf der gegenüberliegenden Seite des Gewahrsamstraktes am Ende des Zellenbereiches befände, wäre über eine Außentür der Hauptdienstgebäudes zu erreichen. Dabei müsse man allerdings über den Innenhof des Polizeireviers gehen. Diese Tür wäre laut M. mit demselben Schlüssel zu öffnen, wie der Zugang über das Treppenhaus. Diesen Zu- bzw. Ausgang habe er jedoch nie benutzt.

Der Beamte begab sich nach dem Kontrollgang nach eigenen Angaben mit seinem Kollegen auf Fußstreife durch den Dessauer Stadtpark und später fuhren sie mit ihrem Einsatzfahrzeug in den Stadtteil Süd. Etwa eine Stunde später wurden beide zum Revier zurückgerufen. Bei Ankunft in der Wolfgangstraße sei schon starke Rauchentwicklung aus dem Kellergeschoss zu sehen gewesen: „Wir haben dann geparkt und erst einmal abgewartet“. Der Angeklagte Sch., der Leiter des Einsatzdienstes Kö. und der Beamte Mö. hätten russverschmiert auf dem Hof gestanden und auf das Eintreffen der Feuerwehr gewartet. Als die Feuerwehr eintraf und sich ins Gebäude begab, entschlossen sich M. und sein Kollege Jürgen S. wieder auf Streife zu fahren, „um den weiteren Dienstbetrieb zu gewährleisten.“ Auf Nachfrage der RA‚in Götz, ob ihnen bewusst war, dass da noch ein Mensch im Keller liegt, äußerte der Zeuge: „Ja, das war mir schon klar“. Dem RA Ulrich von Klinggräff antwortet M. in der Befragung: „Wir hatten uns ja auch Gedanken gemacht über den armen Bürger, der da unten liegt!“ Ob er denn wisse, wer die Feuerwehr nach ihrer Ankunft eingewiesen habe, will der Nebenklagevertreter weiter wissen. Das wisse er nur vom „Hören-Sagen“. Er habe es im Nachgang durch ein Gespräch mit der stellvertretenden Dienstgruppenleiterin Beate H. erfahren.

Zur Debatte steht dann noch eine weitere vom Zeugen angestellte Vermutung bezüglich des Tagesablaufes. „Wir sind 12.08 Uhr, hat der Kollege in sein Dienstbuch aufgeschrieben, ins Revier zurückgerufen worden“ sagt M. aus. Weswegen er das heute noch so genau wissen könne, wird nachgehakt. Er habe mit seinem Kollegen S. in den vorangegangenen Tagen wiederholte Male über die Vorgänge des 07.Januar 05 gesprochen und da S. noch einmal in seinem Notizbuch von damals nachgeschaut habe, wisse er die Uhrzeit nun noch, bzw. wieder.

Als nächstes steht der 50jährige Polizeibeamte Jürgen S. auf der Zeugenliste. Gemeinsam mit seinem Kollegen M. hat auch er am Vormittag des 07.Januar 05 Dienst gehabt.

Sein Dienst habe um 10 Uhr begonnen und vorerst habe er eine Anzeige gefertigt. Als er die fertige Anzeige zum Dienstzimmer brachte, habe er die Instruktion erhalten, sich auf einen Kontrollgang zu dem Inhaftierten in Zelle 5 zu begeben. Sein Dienstgruppenleiter Sch. habe ihm die Schlüssel zum Gewahrsamstrakt übergeben. Auch der Zeuge S. kann (ebenfalls erst nach einem Vorhalt aus den Akten) bestätigen, dass die Worte des Dienstgruppenleiters, dass „die Klapperei ihm auf die Nerven gehe“ diesbezüglich gefallen seien. Zu der Frage des Richters, wo sich die Schlüssel generell befunden habe, kann sich S. zuerst nicht genau entsinnen, dann jedoch äußert er, dass sich die Schlüssel normalerweise in einer Tasche im Dienstleitungszimmer befunden habe. Der Schlüssel sei mal mit mal ohne der dazugehörigen Tasche ausgehändigt worden, am betreffenden Tage jedoch habe S. die Schlüssel ohne Tasche erhalten. Zum weiteren Verlauf kann S sich nicht erinnern, wann er wieder auf seinen Kollegen M. getroffen sei, jedoch haben beide gemeinsam die Zelle des Oury Jalloh betreten, nicht ohne vorher durch den Türspion geblickt zu haben. In der Zelle selbst habe er keine weiteren Auffälligkeiten bemerkt. Oury Jalloh sei wach und ansprechbar gewesen: „Ich sprach mit ihm, er wollte ab – Ich sagte, Nein, das ist nicht drin“. Der Richter fragte daraufhin, ob er eine Pfütze oder eine Flüssigkeit auf dem Boden der Zelle bemerkt habe, was S. zunächst verneinte, nach einem Vorhalt aus den Akten jedoch entsinnt sich S. dem Vorhandensein einer flüssigen Substanz auf dem Boden der Zelle Fünf. Dass es Urin gewesen sein könnte, schließt auch S. hierbei aus. Zu Oury Jalloh habe er weiterhin gesagt, dass dieser sich beruhigen und „sich hinlegen“ solle. Danach haben sowohl M. als auch S. die Zelle wieder verlassen und sich auf den Weg ins Dienstleistungszimmer begeben, um dort den Schlüssel zurückzugeben und einen Eintrag im Gewahrsamskontrollbuch vorzunehmen. Ob er selbst oder M den Eintrag gemacht habe, wisse S. jedoch nicht mehr. Danach sei er mit M. auf Streife gefahren, zum Zeitpunkt des Rückrufes ins Revier haben sie sich in Dessau Süd befunden. Auch S. bejahte, dass der Rückruf um 12.08 Uhr stattgefunden habe. Daraufhin haben sie sich eiligst zum Revier zurückbegeben, „da bestätigte sich so ein bisschen dann auch schon das ungute Gefühl“, so S. Er begründete dies mit der Aussage, dass bei ihrem Eintreffen sie die Kollegen im Hof vorgefunden haben. Mö. habe vor dem Eingang gestanden und nicht gut ausgesehen. S. habe im Hof Rauch wahrgenommen, die Kollegen haben „hilflos“ im Hof herumgestanden. Sowohl beim Dienstgruppenleiter Sch. und dem Leiter des Einsatzdienstes Kö. als auch bei dem vor dem Hof stehenden Kollegen Mö. sei die Kleidung verrußt gewesen, die Feuerwehr sei jedoch noch nicht eingetroffen. Zunächst habe S. dann mit Sch. gesprochen: „Sag es nicht. Nicht schon wieder wir. Nicht schon wieder das Pech im Lotto.“ S. jedoch habe die Vermutung bestätig, dass sich noch jemand im Zellentrakt befindet, sagt der Zeuge noch aus. „Wir haben dann abgewartet“, so S. - er könne sich daran erinnern, beim Eintreffen der Feuerwehr noch im Hof anwesend gewesen zu sein. Die Einweisung der Feuerwehr habe seines Erachtens nach der Beamte Udo S. vorgenommen, dieser wäre selbst schon „früher mal“ bei der Feuerwehr gewesen und habe die Feuerwehrleute darüber informiert, dass sie sich wohl nicht ohne Atemschutzmasken in den Gewahrsamstrakt begeben könnten. Es liege ebenfalls nahe, dass auch Sch. mit der Feuerwehr gesprochen habe, er könne sich jedoch nicht genau erinnern, da es zu diesem Zeitpunkt auf dem Hof schon ziemlich turbulent zugegangen sei. Ob die Feuerwehr über die Fixierung der sich noch im Gewahrsamstrakt befindlichen Person informiert worden sei, wisse er ebenfalls nicht.

„Es ist genug Kompetenz da, lass uns wieder Raus fahren“, habe er schlussendlich zu seinem Kollegen M. gesagt.

Der Staatsanwalt geht nun noch einmal näher auf den von S. dokumentierten zeitlichen Ablauf ein. Wiederholt fragt er den Zeugen, wie sicher er sich mit seiner Zeitangabe zum Rückruf ins Revier sei und wie er dies begründen könne. S. sagt zunächst aus, dass er sich noch an den Zeitpunkt erinnern könne, jedoch in letzter Zeit nicht noch einmal zur Kontrolle in seinem Notizbuch nachgesehen habe. “Das habe ich nicht noch mal in der Hand gehabt“. Als der Staatsanwalt ihn darauf hinweist, dass der Austausch mit anderen Zeugen vor dem Verfahren keinesfalls strafbar sei, insofern dadurch keine Lügen entstünden, revidiert der Zeuge seine Aussage und gibt zu Protokoll, dass er sich gestern erst noch einmal der Uhrzeit in seinem Notizbuch des Jahres 2005 vergewissert habe. “Wir sind das schon hundert mal durchgegangen in den letzten zwei Jahren“. „Man fragt sich ja schon, ob man der letzte war“ äußert er später noch im Verhör durch Regina Götz.

Auf die gleiche Verwirrung bezüglich der von S. zu Protokoll gegebenen Chronologie geht auch Rechtsanwalt Klinggräff ein. Er gewinne den Eindruck, „dass uns der Zeuge, Herr S., irgendwelche Geschichten erzählt“. Der Vorsitzende interveniert daraufhin bei der Befragung, worauf S. schlussendlich zu Protokoll gibt, er habe gestern und vorgestern mit M. gemeinsam Dienst gehabt, und, Ja “wir haben darüber gesprochen“. Wann sie über was gesprochen haben, will der Vorsitzende wissen, das jedoch könne S. „nicht im einzelnen“ rekonstruieren.

Ob er heute mit dem Angeklagten M. gesprochen habe, fragt Rechtsanwältin Götz. Der Zeuge bejaht dies mit der Aussage, dass der Angeklagte M. ihn darüber informiert habe, dass der Zeuge M. in der vorangegangenen Befragung stark geschwitzt habe, Zudem habe er geäußert, dass dort „Fragen gestellt werden, mit denen rechnet man gar nicht“.

In der darauf folgenden Pause wird der Zeuge S. abgeschottet.

Später dreht sich das Verfahren noch einmal um die Brandschutzordnung. “Das Wort Brandschutzordnung sagt mir was, die wird es sicher geben“, lässt S. verlauten. Eine Brandschutzbelehrung habe stattgefunden, so der Zeuge; zu Art und Umfang und von wen diese durchgeführt worden sei könne er jedoch keinerlei Angaben machen. Bei der Frage des Vorgesetzten auf die Verteilung der Feuerlöscher meint S.: “Wenn ich einen gebraucht hätte, bin ich mir sicher, ich hätte einen gefunden“. Er hätte dann „instinktiv“ nach ebensolchem gesucht.

Ebenfalls zur Sprache kommt heute des Öfteren auch die Diskussion um den Umgang und die Beschaffenheit diverser Schlüssel im Polizeirevier Dessau. S. gibt an, nicht zu wissen, wo sich die Schlüssel für die Fixierung des Oury Jalloh befunden haben. Was er denn getan hätte, wenn sich der Inhaftierte während seines Kontrollgangs beispielsweise erbrochen hätte? Einer der beiden Diensthabenden des Kontrollgangs hätte sich dann auf die Suche nach den Schlüsseln begeben müssen, entgegnet S. „Ich hätte den da unten nicht abbekommen in dem Moment“, sagt er weiter aus. Der Schlüsselbund für den Gewahrsamstrakt bestehe aus drei verschiedenen Schlüsseln (zum Eingang des Gewahrsamstraktes, zum Eingang der Zellen und zu den Fenstern der Zellen), ein Schlüssel für die Fixierung sei jedoch nicht dabei gewesen; der Schlüssel müsse sich dann vermutlich bei der Dienstgruppenleitung befinden, da diese ihn bei der Anordnung einer Fixierung normalerweise aushändigen würde.

Die Zeugenaussagen des Jürgen S. zu den Vorkommnissen im Fall Oury Jalloh wurden heute durch die Erwähnung eines anderen Todesfalles im Dessauer Polizeirevier (durch Rechtsanwältin Götz) unterbrochen, bzw. weiter ausgeführt. Der Rechtsanwalt des Angeklagten M. wollte dies zunächst unterbinden, nach einer kurzen Diskussion unter Abwesenheit des Zeugen genehmigte der Richter jedoch ein näheres Eingehen auf den Fall Bichtemann.

Der im November 02 von der Polizei in Gewahrsam genommene Mario Bichtemann war nach 15 Stunden Inhaftierung in der Zelle Fünf durch einen Schädeldachbruch ums Leben gekommen. Dienst hatte an diesem Tag wie auch am 07.Januar 2005 der Dienstgruppenleiter Sch. und die Einsatzleiterin H. und auch die beiden heute vernommenen Zeugen M. und S.

Zudem war auch der Neurologe P., der auch im Falle Oury Jalloh die Hafttauglichkeit prüfte zu Rate gezogen worden. Rechtsanwalt Klinggräff betonte die Relevanz dieses vorangegangenen Todesfalls für die aktuelle Gerichtsverhandlung, da man dadurch ein Bild über den Angeklagten Sch. gewinnen könne, und über die früheren Ausmaße seiner potentiellen Dienstanweisungsverletzungen.

Das Verfahren gegen Sch. war aufgrund von Kausalitätsschwierigkeiten eingestellt worden.

S. gab zu Protokoll, dass er an diesem Tag Dienst gehabt habe, jedoch nicht über die Vorgeschichte der Inhaftierung des Mario Bichtemann informiert worden sei. Aufgrund der Anweisungen von Sch. habe er zwei Kontrollgänge in Zelle Fünf durchgeführt, von denen einer um 10.00 Uhr und einer seiner Meinung nach um 11.30Uhr stattgefunden habe. Nach Vorhalt des polizeilichen Verhörs von 2002 stellte sich jedoch heraus, dass die zweite Kontrolle erst um 12.20 Uhr gewesen war.

In der ersten Kontrolle habe S. und sein Kollege B. die Möglichkeit zur Entlassung des M. Bichtemann überprüfen sollen, habe diesen jedoch schlafend und schnarchend vorgefunden und dies an den Dienstgruppenleiter weiter getragen. Ihm sei zudem starker Alkoholgeruch aufgefallen, jedoch habe er keine Verletzungen des Inhaftierten bemerkt. S. habe angenommen, dass Bichtemann schlafe, dieser sei auch durch lautes in die Hände Klatschen nicht zu wecken gewesen, woraufhin S. davon ausging, dass der Inhaftierte noch nicht entlassungsfähig sei. Sch. habe sich bei der Inkenntnisnahme überrascht gezeigt.

Beim zweiten Kontrollgang habe S. dann den Inhaftierten nicht mehr auf der Matratze liegend vorgefunden, „er lag schon Richtung Tür und das kam mir komisch vor.“ Er sei daraufhin mit seinem Kollegen B. zum Dienstgruppenleiter Sch. gegangen, um ihn über die Sachlage zu informieren. B habe Sch. gebeten, doch einen Arzt hinzuzuziehen, daraufhin habe Sch. mit dem Neurologen P. telefoniert, der eine an Bichtemann vorgenommene medikamentöse Beruhigung jedoch verneinte und empfahl, die „Person richtig zu wecken und zu entlassen“.

S. habe Sch. sodann darauf hingewiesen, dass dies bereits versucht worden, jedoch nicht möglich sei. Er habe Sch. nachdrücklich aufgefordert, selbst nachschauen zu gehen, was dieser nicht tat. Sch. habe nur entgegnet, dass sie dann wohl noch mit der Entlassung warten müssen.

S. gab außerdem an, dass er erst nach Dienstschluss über einen Eintrag im Protokollbuch informiert worden sei. Sein Kollege B. habe darin erwähnt, dass er bei dem zweiten Kontrollgang um 12.20Uhr eine Blutspur am Ohr des Mario Bichtermann festgestellt habe. Da er nichts darüber gewusst habe, hätte er auch nicht entsprechend reagieren können. Ob er des Weiteren irgendwelche Auffälligkeiten in der Zelle bemerkt hätte, bejahte S. Er könne sich an das Vorhandensein einer Flüssigkeit erinnern, dies sei auch ungewöhnlich gewesen, identifizieren können habe er die Flüssigkeit als solche jedoch nicht.

Im folgendem die Zeugenaussage der Reinigungskraft Siegrind Z. (49)

Im Rahmen der Befragung durch das Gericht, den Staatsanwalt, der Nebenklage und der Verteidigung hat sich die Reinigungskraft des Polizeireviers Dessau, Siegrind Z. (49), ausführlich zu ihren Tätigkeiten auf der Wache geäußert. So wische sie täglich an Werktagen den Gewahrsamstrakt feucht, was sie auch am Morgen des 7. Januar 2005 getan habe. Bevor sie jedoch mit ihrer Arbeit beginne, würde sie immer den Schlüssel für den Zellentrakt von diensthabenden Beamten im DGL-Raum abholen.

An die Reinigungsarbeiten im Gewahrsamsbereich des 7. Januar 2005 habe sich die Zeugin S. gut erinnert. Sie sagte aus, das am Morgen des 7. Januar 2005 keine Zelle belegt gewesen sei. Dies habe sie daran erkannt, das alle Zellentüren offen gestanden haben. So sei das immer, wenn die Zellen nicht belegt sind.

Die Matratze in der Zelle 5 war hochkant an die Wand gestellt gewesen, so die Reinigungskraft weiter. Außerdem gebe es zwei Typen von Matratzen, große und kleine, wobei sich in der Zelle 5 eine große befunden habe. Siegried Z. reinigte die Zelle und wischte die Matratze, auch an ihren Nähten, mit einem Lappen feucht ab, um diese dann auf die Pritsche zu legen. An eine Beschädigung der Matratze könne sie nicht erinnern. Außerdem habe sie keine Gegenstände in der Zelle gefunden, auch kein Feuerzeug. Z: „Sie habe die Zelle im ordentlichen Zustand verlassen.“

Auf Beschädigungen der Matratzen im Gewahrsamsbereich angesprochen, führt die Zeugin Siegrid Z. aus: „Manchmal waren Nähte aufgerissen und einmal Schaumstoff im Raum verteilt.“ Wie oft waren Nähte aufgerissen und was haben sie dann gemacht?“, wollte u.a. Richter Steinhoff wissen. Ein bis zwei mal im letzten Jahr (2004) habe Z. Beschädigungen an Matratzen im Zellentrakt entdeckt und diese stets den dafür Zuständigen gemeldet.

Pfützen habe Z. nur dann in den Zellen entdeckt, wenn diese durch die Beamten mit einem Schlauch ausgespritzt wurden. Dies erfolgte, wenn die Zellen durch Urin oder Blut verunreinigt waren. In der Zelle 5 habe sich am 7. Januar 2005 keine Pfütze befunden.

Bezüglich ihrer Rauchgewohnheiten führte die Reinigungskraft Z. aus, dass sie nur im Speiseraum oder im Umkleideraum rauche. Außerdem lasse sie ihre Zigaretten und ihr Feuerzeug stets im Umkleideraum auf einem Tisch liegen.
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Ergänzungen

löschen Lisa sch

kotz 29.03.2007 - 18:27
Kann jemand mal dieses menschnverachtende Zeugs und Rassistengewäsch von dieser "Lisa sch." lösen - ist ja ekelhaft! danke!

Die Flüssigkeitspfütze, die mehrere Beamte in den Zelle Oury Yallohs gesehen haben wollen, und von der sie sagten, es sei "kein Urin", war wohl Wasser.
Und wie die Putzfrau sagte:
"Pfützen habe Z. nur dann in den Zellen entdeckt, wenn diese durch die Beamten mit einem Schlauch ausgespritzt wurden. Dies erfolgte, wenn die Zellen durch Urin oder Blut verunreinigt waren."
Offenbar haben einige Beamte Blutlachen mit einem Schlauch ausgespritzt, nachdem sie Yalloh ene Sonderbehandlung verpaßt haben. Vielleicht hatten sie ihn schon totgeschlagen, als sie ihn angezündet haben!

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danke — danke