Nachbetrachtungen zur Demo gegen den EU-Gipfe

Netzwerk Linke Opposition 28.03.2007 16:09 Themen: Soziale Kämpfe
Obwohl 5000 bis 10000 Teilnehmer erwartet wurden, demonstrierten etwa 4500 Leute gegen die Politik der EU. Dies ist sicher nicht wünschenswert und wirkt für weitere Mobilisierungen eher negativ, da dies von einigen als Niederlage empfunden wird. Entsprechende Berichte auf Indymedia sind schon aufgetaucht. Die bürgerliche Presse wiederum kann ihre Schadenfreude kaum unterdrücken und vergisst dabei, dass sie selbst ständig übertriebene Erwartungen von mindestens 10000 Leuten weckte.
Nachbetrachtungen zur Demo gegen den EU-Gipfel





Obwohl 5000 bis 10000 Teilnehmer erwartet wurden, demonstrierten etwa 4500 Leute gegen die Politik der EU. Dies ist sicher nicht wünschenswert und wirkt für weitere Mobilisierungen eher negativ, da dies von einigen als Niederlage empfunden wird. Entsprechende Berichte auf Indymedia sind schon aufgetaucht. Die bürgerliche Presse wiederum kann ihre Schadenfreude kaum unterdrücken und vergisst dabei, dass sie selbst ständig übertriebene Erwartungen von mindestens 10000 Leuten weckte. Dieses "Zuerst hochpushen, dann ablästern" ist jedoch schon des Öfteren bei der Presse beobachtet worden, ebenso wie die vollkommen unrealistischen Angaben zur Göße der Demo. Wenn auf der Antifa-Demo am 8. Mai 2005 die Karl-Liebknecht-Straße gerade mal zwischen beiden Brücken gefüllt ist, schreibt sie von 5000 Leuten, bei unserer weit größeren Demo reichen die Angaben dann von 500 (Spiegel) bis 2000 (Abendschau). Auch ein Vergleich mit der Ungdomshuset-Demo vor 2 Wochen in Berlin zeigt, dass diese Angaben völlig unrealistisch sind. Waren laut Presse 2000 Leute auf dieser Demo, kann niemand ernsthaft behaupten, dass wir nicht mindestens 4000 waren. Allerdings sind die Kommentare auf Indymedia mit sehr viel Vorsicht zu genießen. Neben diversen Staatsangestellten (einer stellte sich als „Cop“ dar) finden sich dort allzu oft Kommentare von Leuten, die kaum auf die Straße gehen, sondern ihren Tag vor dem Bildschirm verbringen. Für diese ist das Internet ein Fetisch.


Dass aber trotz der sehr umfangreichen Mobilisierung und eines recht großen Bündnisses nur 4500 kamen, lag zudem daran, dass die Polizei den veröffentlichten Auftaktort mehrere hundert Meter in die Alexanderstr. hinter das Hotel verlegte, wodurch auch keine direkte Sicht mehr vom Alex aus möglich war. Einigen hundert Menschen wurde zudem bei Ankunft auf dem Alexanderplatz ein Platzverweis ausgesprochen und der Zutritt verweigert. Außerdem – und dies ist ein Novum in der Berliner Demo-Geschichte – wurde uns zwar der anvisierte Auftaktort verweigert, gleichzeitig aber eine Kundgebung zugelassen, deren politischen Aussagen unseren völlig entgegengesetzt sind. Die Kundgebung der iranischen Volksmudschaheddin für einen US-Angriff auf den Iran ließ viele kehrtmachen, es kommen nun ständig Menschen, die hiervon erzählen.


Als Erfolg ist sicherlich zu werten, dass unsere Initiative von einem sehr breiten Bündnis getragen wurde, das am Ende weit über 40 Gruppen und Organisationen umfasste. Allerdings hat die Demo gezeigt, dass das bloße Verlinken des Demotermins bzw. eine digitale Unterschrift unter einem der Aufrufe nicht reicht (sh. Internet-Fetisch). Wichtig ist trotz Internet eine herkömmliche Mobilisierung und insbesondere das massenweise Verteilen von Flugblättern. Besonders die Mehrheitsfraktion im Landesvorstand der WASG und die SAV haben sich hier handlungsunfähig gezeigt. Obwohl das ganze Bündnis der SAV beim Aufruf entgegenkam, lehnten sowohl die SAV als auch die Mehrheitsfraktion den Bündnisaufruf ab und wollten dafür einen eigenen Aufruf schreiben, was beide jedoch nicht taten. Ein eigener Aufruf wäre aber jederzeit möglich gewesen, wie es neben dem NLO andere Bündnisgruppen auch taten. Anstatt die Wichtigkeit dieser Demonstration zu erkennen, beließen es beide Gruppen mit gerade einmal verbalen, teilweise nicht mal öffentlichen Bekundungen für diese Demo. Da der Mobilisierungsgrad bei beiden auf null liegt, lässt sich vermuten, dass die Kritik am Aufruf nur vorgeschoben war und nicht inhaltlich begründet ist, sondern mit einem Konkurrenzverhalten gegenüber dem NLO, das sich aus der WASG heraus gegründet hat, aber einen anderen Kurs verfolgt als die SAV und der Rest des Landesvorstands der WASG, nämlich den bundesweiten Aufbau einer vor allem außerparlamentarischen Kraft als Alternative zur fusionierten PDS, und nicht einen regionalen Wahlverein. Ähnlich verhält es sich mit der Interventionistischen Linken, bei der einzelne Gruppen zwar zur Demo aufriefen, aber jegliche Mobilisierung vermissen ließen. Die Gruppe Fels hat es nicht einmal geschafft, den Demotermin in ihrem Aufruf layouttechnisch herauszustellen. Zwei Wochen vor der Demo mobilisierte die IL schließlich zu einem zeitgleich stattfindenden Blockade-Workshop nach Rostock, was vermuten lässt, dass hier ebenfalls ein Konkurrenzverhalten existiert, diesmal dem Anti-G8-Bündnis für eine revolutionäre Perspektive gegenüber. Auch das Berliner Sozialforum verhielt sich in ähnlicher Weise, war es doch kaum fähig, sich positiv zur Demo zu positionieren. Als es das schließlich tat, war außer dieser Proklamation nichts mehr von ihm zu hören oder zu sehen.


Was Attac betrifft, so kann deren Verhalten kaum nachvollzogen werden. Einmal wird erklärt, dass Attac an der Demo teilnimmt und auch dazu aufruft, dann folgt prompt eine E-Mail mit einer Distanzierung, dann wieder ein Okay und noch eine Distanzierung, und das bis in die letzte Woche wenige Tage vor der Demo. Letztendlich konnte sich aber weder Attac Berlin noch die EU-AG dazu durchringen, einen Beitrag zur Demo zu leisten.


Sollte dieses Konkurrenzverhalten beibehalten werden, lässt dies für die Zukunft nichts Gutes erahnen. Nicht nur nimmt dabei die Mobilisierungsfähigkeit ab, auch wird die Linke insgesamt nicht die notwendige Stärke entwickeln, die sie braucht, um gegen die verschiedenen Schikanen anzukommen, die sich der Staat natürlich gegen uns ausdenkt. Hierfür kann die Demo gegen den EU-Gipfel einen realistischen Vorgeschmack geben. Angesichts der staatlichen Willkür ist die Einheit der Linken zumindest bei Aktionen unabdingbar.


Im Hinblick auf Heiligendamm ist zu hoffen, dass die Gruppen des Bündnisses gegen den EU-Gipfel sich nicht in einer Realpolitik à la Führungszirkel von Attac verlieren werden, der zusammen mit der IL und vielen NGOs vor allem auf den Gegengipfel setzt und sich diesen vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit bzw. der Ford Foundation bezahlen lassen will. Bei diesen Kräften geht es nicht mehr um die Entwicklung von Protest, sondern um eine umfangreiche Darstellung der eigenen Gruppe in der Presse und um Mitgestaltung, wozu der Protest anderer benutzt wird. Beispiele hierfür sind:


– die Distanzierung Attacs von sog. Gewaltbereiten bei gleichzeitiger Propagierung eines Convergeance Centers als Carlo-Giuliani-Schule, wo doch jeder weiß, dass Carlo Giuliani alles andere als gewaltfrei war. Aber Tote können sich ja nicht distanzieren;


– das Mitwirken verschiedener NGOs auf der Propagandashow der Bundesregierung zum EU-Gipfel wie z.B. Greenpeace, die jedoch zur Großdemo nach Rostock mobilisieren wollen, die sich gegen dieselbe Politik fast genau derselben Regierungen richtet. Logisch ist das nicht.


Für diese Ziele geht man gerne Kompromisse z.B. mit der Polizei ein oder mobilisiert eben nicht zu Demonstrationen. Auch distanziert man sich von der Begrüßung einer ehemaligen RAF-Gefangenen, die nach 24 Jahren endlich aus dem Gefängnis entlassen wurde. Dass der Staat dafür Gelder zur Verfügung stellt, ist mehr als nachvollziehbar, immerhin bieten ihm diese Gruppierungen eine Isolierung der wirklichen Protest wollenden Gruppen an. So ist es auch kein Wunder, dass im Moment das einzige Problem für die Ministerin Wieczorek-Zeul darin besteht, ob die „radikalen Gruppen“ nicht doch die Oberhand gewinnen.


Im Nachhinein ist der Auftaktort sowie die Route zu kritisieren. Der Neptunbrunnen und eine Demoroute eher südlich der Spree zum Potsdamer Platz wären sicherlich besser gewesen. Dies konnte aber vorher kaum gesehen werden, a) weil der Auftakt direkt am Alex sein sollte, b) das gute Wetter Ende März nicht normal ist in Berlin und somit auch der Potsdamer Platz nicht so genutzt wird wie am Sonntag. Außerdem sollte die Demo durch bewohntes Gebiet führen, die Route südlich Richtung Potsdamer Platz ist jedoch fast unbewohnt. Wie wichtig eine Route durch bewohntes Gebiet ist, zeigt sich nicht nur an der guten Stimmung, die auch die Demo gegen den EU-Gipfel kennzeichnete, sondern grade an dem weiteren Zulauf. Bei dieser Demo war der in der Torstr. derart groß, dass die Polizei zusätzliche Ordner haben wollte. Auch dies zeigt, wie unrealistisch manche die Teilnehmerzahl schätzen können. Sicher wären zwei/drei Wochen mehr Mobilisierung auch besser gewesen. Und nicht zuletzt sollte bei der Anmeldung die Teilnehmerzahl eher niedriger angesetzt werden.


Der aktive Teil des Bündnisses hat sich allerdings bewehrt. Zwar gab es zum Ende hin einige Kommunikationsprobleme – grade auch zu unserem Anti-G8-Bündnis hin –, aber insgesamt hat sich das Bündnis als sehr mobilisierungswirksam gezeigt und dabei auch eine solidarische Ebene nicht verlassen. Geeint waren alle in der Einsicht, dass ein Protest – auch in unterschiedlichen Formen – auf der Straße unbedingt notwendig ist: Ohne diesen Protest sind die Verhältnisse kaum zu verändern – egal, welchen konkreten Schwerpunkt die jeweilige Organisation/Gruppe für sich gewählt hat.


Das NLO hat es mit dieser Initiative geschafft, sich der Linken zu präsentieren. Dabei ist das NLO sehr positiv aufgenommen worden. Die Stimmung zumindest bei den Bündnisgruppen ist sehr positiv. Auch medial konnten Akzente gesetzt werden. Auch wenn letztendlich alle sich mehr Leute auf der Demo gewünscht hatten, lag deren Zahl knapp im Bereich dessen, was zuvor erwartet wurde. Wir sollten für die Zukunft lernen, uns nicht von der bürgerlichen Presse blenden zu lassen. Die Demo mit mindestens 4500 Menschen war sicher nicht übergroß, aber klein ganz bestimmt auch nicht. Auch die Stimmung war alles andere als deprimierend, streckenweise erinnerte die Demo in ihrer Ausgelassenheit fast schon an einem Umzug. Darüber hinaus hat die Demo zumindest den Zweck erfüllt, dass die Propagandaveranstaltung der Regierung nicht ohne Widerspruch über die Bühne ging. Auch wenn die Presse hämisch ablästert, kommt sie doch nicht umhin, von der Demo zu berichten. Insofern ist unsere Kritik sichtbar geworden. Die Akzeptanz der Demo bei knapp 5000 Menschen, die Breite des politischen Spektrums des Bündnisses und ihre Medienpräsenz im Vorfeld wie auch nach der Propagandashow machen deutlich, dass es richtig war, eine Demo gegen den EU-Gipfel zu organisieren.


Wer an der Entwicklung von Protest interessiert ist, ist beim NLO herzlich willkommen. Unser Projekt, ein Netzwerk unterschiedlicher Linker aufzubauen, bietet die Möglichkeit, mit anderen zusammenzukommen und trotz unterschiedlicher Vorstellungen an vielen verschiedenen Themen zusammenzuarbeiten. Das Netzwerk Linker Opposition trifft sich das nächste Mal am 10. April um 19 Uhr im Versammlungsraum des Mehringhofs.
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Ergänzungen

gut gemeint... aber knapp daneben

ekmek 29.03.2007 - 03:00
Also der Beitrag mag ja gut gemeint sein, aber ist leider knapp daneben. Wenn auf der Demo so wenig Leute waren, dann liegt das nicht daran das "Die Gruppe Fels hat es nicht einmal geschafft, den Demotermin in ihrem Aufruf layouttechnisch herauszustellen." Meine Güte! Was für ein Problem, abgesehen davon, dass ich nicht einmal weiss was ihr meint. Ich habe von der Demo auf der FelS-Webseite im Aufruf gelesen und auch im Titel den Termin gesehen. Da ich aber die Seite so gut wie besuche, kann ich mir nicht vorstellen es wären nun 1000 Leute mehr gekommen, wenn FelS den Termin "Layouttechnisch" besser postiert hätte... das ist dann doch ein wenig eine Überschätzung der Mobilisierungskraft von FelS.
Die wahren Gründe liegen doch nicht an einem einzigen Termin, sondern darin, dass es der radikalen Linken in den vergangenen Jahren nicht gelungen ist die Rolle und Bedeutung der EU weder intern noch über den Szenekreis hinaus richtig zu thematisieren. Ansonsten kann Hinzu und Kunz richtig oder falsch mobilisieren, ein Seminar organisieren oder auch nicht, das hält nicht viele Leute davon ab zu der Demo zu gehen...

sozialforum und eu-demo

lesender arbeiter 30.03.2007 - 02:04
es ist nicht richtig, dass sich das berliner sozialforum kaum zur demo verhalten. zumindest die g8-ag des berliner sozialforums hat mit einem eigenen aufruf zur demo mobilisiert, hat den tausendfach verteilt, hat eigenständig ein transparent gemalt.


das ist doch wohl ein beitrag zur demo.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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@ anarcho — kommi

zahlen — assel

ähm... — assel

@anarcho — kommi

spektrum — stan laurel

überflüssige Zahlenspiele — Demobeobachter

viel mehr — 20.000

Zahlenspiele... — 1.Mai - Straße Frei!

spaltpilze — apo-spinner

nur mal so — ein leser