Prozess um Oury Jalloh

Hakan Simsek 27.03.2007 17:22 Themen: Antirassismus Repression
Im Prozess um den qualvollen Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Polizeizelle in Dessau meinten Oberstaatsanwalt Christian Preissner und die angeklagten Polizisten, dass
der Bürgerkriegsflüchtling Oury Jalloh, der mit ausgestreckten Armen und Beinen angebunden war die feuerfeste Matratze selbst angezündet haben soll.
Im Prozess um den qualvollen Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh haben die Polizisten die Vorwürfe im Wesentlichen bestritten.

Der 46 Jahre alte damaliger Dienstgruppenleiter gab zu Prozessbeginn zu, den Warnton des Rauchmelders der Gewahrsamzelle abgestellt zu haben aber er bestritt am Dienstag sich nicht rechtzeitig auf den Weg zur Zelle begeben zu haben. «Nach dem Öffnen der Tür schlug uns schwarzer Qualm und beißender Rauch entgegen. Man konnte weder atmen noch was sehen, es ging nichts mehr», sagte der Angeklagte Polizist.

Der 21 Jahre alte Asylbewerber aus Sierra Leone war im Januar 2005 in einer Polizeizelle in Dessau gestorben. Genaueres unter  http://de.wikipedia.org/wiki/Oury_Jalloh oder  http://www.thevoiceforum.org/dessau. Trotz Fesselung mit ausgestreckten Armen und Beinen soll er mit einem Feuerzeug einen Brand an der feuerfeste Matratze ausgelöst haben. Der damalige Dienstgruppenleiter soll den Rauchmelder ignoriert, sein Kollege zuvor ein Feuerzeug bei dem Afrikaner übersehen haben. Gutachter kamen zu dem Schluss, dass Jalloh noch leben könnte, wenn ihm rechtzeitig geholfen worden wäre.

Der ehemalige Dienstgruppenführer muss sich wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen verantworten, sein 44 Jahre alter Kollege wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen.
Die Mutter von Oury Jalloh tritt als Nebenklägerin auf. Sie konnte den Prozess nur unter äußersten psychischen Anstrengungen verfolgen. Sie wurde von Weinkrämpfen geschüttelt.
Ihre Anwälte bezeichneten die Anklageschrift als eine Hypothese, da für sie unklar ist, wie der an Armen und Beinen gefesselte Asylbewerber das Feuer entzünden konnte.

Weiter Infos unter:

 http://de.wikipedia.org/wiki/Oury_Jalloh

 http://www.thevoiceforum.org/dessau

 http://no-racism.net/article/1517/

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Ergänzungen

Reportage

Antirassist 27.03.2007 - 22:50
Zu diesem Thema sei auch allen Kids der Fernseh-Ära die WDR-"DieStory"-Reportage "Tod in der Zelle" empfohlen, die einigermaßen kritisch an die Sache rangeht und die vorhandenen Widersprüche in der Meinung der Staatsanwaltschaft anspricht.

Doku bei IndyPeer

(muss ausgefüllt werden) 27.03.2007 - 23:34
Ed2K-Link und weitere Infos finden sich auf folgender Seite:

 http://indypeer.org/show_file_page.php?file_id=606

Prozessbeobachtung

link 28.03.2007 - 02:41
Der Prozess wird von einer internationalen Gruppe von BeobachterInnen verfolgt. Damit soll zumindet ein wenig auf den Prozess eingegangen werden, denn schon vor Beginn des Prozesses ist damit zu rechnen, dass die Angeklagte Polizisten nicht - oder wenn, dann nur alibimaessig - verurteilt werden. Leute, die nicht nach Dessau kommen, um den Prozess zu beobachten oder sich an den Aktionen zu beteiligen haben trotzdem die Möglichkeit, sich ein Bild üder die Vorgänge vor Gericht zu verschaffen:

Die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt hat gemeinsam mit der Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit u. Antisemitismus eine Seite im Internet eingerichtet, auf der sich die wichtigsten Informationen finden, wie die Anklagepunkte und vor allem die laufenden Prozessberichte. Zu finden ist die sehr informative Seite unter:

 http://ouryjalloh.wordpress.com

Artikel in der Frankfurter Rundschau

FR-LeserIn 28.03.2007 - 17:42
Verbrannt in einer Zelle

Prozess gegen Polizisten

Berlin - Vor mehr als zwei Jahren verbrannte der Asylbewerber Oury Jalloh in einer Polizeizelle in Dessau. Die genauen Umstände des grausamen Todes sind bis heute ungeklärt. Vom heutigen Dienstag an wird sich die 6. Große Strafkammer des Landgerichts Dessau mit dem Fall befassen. Auf der Anklagebank: zwei Polizisten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen fahrlässige Tötung vor. Andere sprechen von Mord.

Der aus Guinea stammende Jalloh war am Morgen des 7. Januar 2005 betrunken auf der Straße aufgegriffen und in Polizeigewahrsam gebracht worden. Da er sich heftig wehrte, wurde er an Händen und Füßen an eine Pritsche gefesselt und trotz seines Zustandes unbewacht zurückgelassen. Gegen Mittag desselben Tages brach in der Zelle Feuer aus. Der Mann verbrannte qualvoll.

Nach Darstellung der Ankläger soll es Jalloh selbst trotz der Fesseln gelungen sein, ein Feuerzeug aus seiner Hose zu holen, ein Loch in die kunstlederne Matratze zu bohren und den darin befindlichen Schaumstoff zu entzünden. Gleichwohl trügen der Polizeibeamte Hans-Ulrich M. und der Dienstgruppenleiter Andreas S. Mitschuld am Tod des Asylbewerbers. M. habe bei der Durchsuchung Jallohs dessen Feuerzeug übersehen. S. soll den mehrfach ausgelösten Feueralarm minutenlang ignoriert haben. Bei einer sofortigen Reaktion, so die Anklageschrift, "hätte er Ouri Jalloh das Leben retten können."

Der Nebenklagevertreter Ulrich von Klinggräff bezeichnete diese Darstellung am Montag als "reine Hypothese". Es seien auch "gänzlich andere Geschehensabläufe denkbar". Er hoffe, das Gericht werde die "Kette von Unwahrscheinlichkeiten" genau beleuchten. Der Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, Rolf Gössner, ging noch weiter: Manches spräche für "Mord aus rassistischen Motiven". Der Fall werfe mehr Fragen als Antworten auf.

So ist etwa rätselhaft, wieso Jalloh - der offiziell 23, vermutlich aber 35 Jahre alt war - nicht ärztlich betreut wurde, obwohl er fast drei Promille Alkohol im Blut hatte. Ungeklärt ist, woher der Nasenbeinbruch stammt, der posthum bei dem Mann festgestellt wurde. Strittig ist nach wie vor, ob ein Gefesselter das Feuer wirklich hätte legen können. Auch die ungewöhnlich lange Weigerung des Gerichts, die Anklage gegen die Polizisten zuzulassen, hat Menschenrechtler alarmiert. Für den nun beginnenden Prozess hat sich eine internationale Delegation von Beobachtern aus Frankreich, Großbritannien, Südafrika und Deutschland angekündigt. Außerordentlich ernst nimmt man den Fall offenbar auch in Dessau: Dort wurden alle anderen Verfahren in dieser Woche ausgesetzt.

Jörg Schindler

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Im Feuer

VON JÖRG SCHINDLER

Plötzlich ist da dieses kehlige Schluchzen. Es kommt von der Bank der Nebenkläger. Eine winzige Frau sitzt dort, den Kopf zwischen den Armen vergraben und allmählich gehen ihre Laute in eine Art Trauergesang über. Um ihren Körper hat sie ein weißes Tuch geschlungen. Man sieht nur, wie es sich hebt und senkt. Es ist still im Saal.

Mariama Djambo Diallo kommt aus einem Dorf in Guinea. Einen deutschen Gerichtssaal hat sie noch nie gesehen. Vermutlich hätte sie nie gedacht, jemals einen sehen zu müssen. Die schmächtige Frau wirkt merkwürdig deplatziert im Landgericht Dessau. Sie weiß nichts anzufangen mit Begriffen wie "Gewahrsamszelle", "Polizeigruppenleiter" und "StGB". Sie versteht nicht, was die vielen Menschen in ihren schwarzen Roben wollen, die sich da vorn am Richtertisch gerade über ein Foto beugen. Wenn überhaupt, dann hat sie an diesem Morgen genau zwei Worte einordnen können in ihre kleine Welt: "Oury" und "Jalloh". Das war ihr Sohn. Seit 26 Monaten ist er tot. Bevor sie wieder nach Hause fliegt, will sie wenigstens wissen, warum.

Oury Jalloh war Asylbewerber. Man duldete ihn in Deutschland. Der Zufall wollte es, dass er in Dessau landete, einer Kreisstadt in Sachsen-Anhalt. Dort starb er am 7. Januar 2005 einen qualvollen Tod. Festgeschnallt auf eine Pritsche verbrannte er im Keller des örtlichen Polizeireviers. Warum, das interessiert seither nicht nur seine Mutter.

Viel hätte nicht gefehlt, und zu dem Prozess, der nun unter internationaler Beobachtung begann, wäre es niemals gekommen. Am 8. Januar 2005 meldete die Dessauer Polizei lediglich, ein Asylbewerber habe Frauen belästigt und sich später in seiner Zelle das Leben genommen. Erst hartnäckige Recherchen von Menschenrechtlern und Lokalpolitikern brachten peu à peu die Wahrheit ans Licht - und mit ihr eine Reihe von Rätseln, die bis heute ungeklärt sind. Die Dessauer Behörden aber hatten es offenkundig nicht eilig mit dem Fall: Mit immer neuen Anforderungen, immer neuen Gutachten wurde die Akte J. gemästet. Weil es angeblich an Beweisen mangelte, weigerte sich das Landgericht monatelang einen Prozess zu eröffnen. Möglich wurde er erst, als das Oberlandesgericht Anfang Februar ein Machtwort sprach.

Seit Dienstag nun sitzen zwei Polizeibeamte in Dessau auf der Anklagebank. Der eine ist Hans-Ulrich M., ein hochgewachsener Beamter mit Kinnbart und kantiger Nase. Trotz seiner 44 Jahre wirkt er jungenhaft. Aber das kann auch an seinem Ringelshirt liegen, dass den Aufdruck 1969 trägt. Das ist das Geburtsjahr von Oury Jalloh. Der andere heißt Andreas S. und war an jenem unheilvollen Vormittag der Vorgesetzte von M. Der Dienstgruppenleiter S. ist 46 Jahre alt, trägt grauen Anzug und lindgrünes Hemd. Er ist von eher kleiner Statur und gibt sich alle erdenkliche Mühe, neutral und sachdienlich aufzutreten. Neutral und sachdienlich erwähnt S. daher auch zu Anfang, er bedauere "zutiefst, dass es mir nicht vergönnt war, das Leben von Herrn Jalloh zu retten".

Hätte man das Leben von Herrn Jalloh retten können? Gegen 8.30 Uhr wurde der Mann aus Guinea Damals ins Polizeirevier gebracht. Jalloh war kein Kind von Traurigkeit. Wegen Drogendelikten kannte man ihn bei der Polizei. Auch an diesem Tag hatte er Kokain und Cannabis zu sich genommen. Dazu jede Menge Alkohol. 2,98 Promille wurden in seinem Blut gemessen. Aus einer Disco kommend, hatte er drei Frauen der Stadtreinigung gebeten, mit deren Handy telefonieren zu dürfen. Da er nicht locker ließ, wählte eine von ihnen die 110. Dann kam die Polizei. Weil Jalloh sich wehrte und schrie, brachten sie ihn auf dem Revier nicht nur in eine Zelle. Sie fesselten ihn dort auch mit Händen und Füßen an eine Pritsche. Dann ließen sie ihn allein. Kontrolliert wurde er lediglich jede halbe Stunde, zudem akustisch über die Gegensprechanlage im Dienststellenbüro von S. Was genau dann geschah, darüber gehen die Versionen auseinander.

Folgt man der Staatsanwaltschaft hatte der Angeklagte M. bei der Durchsuchung Jallohs schlicht ein Feuerzeug in dessen Hosentasche übersehen. Dieses habe der Asylbewerber trotz seiner Ketten herausfingern können, dann ein Loch in die feuerfeste Matratze gebohrt, auf der er lag, und schließlich den Schaumstoff darin entzündet. Dienstgruppenleiter S. wiederum habe den Feueralarm mehrfach ignoriert und sei erst in den Keller gegangen, als es längst zu spät war. Ja, sagen die Ankläger, man hätte das Leben von Herrn Jalloh retten können.

Die Polizeibeamten M. und S. sind da nicht so sicher. Nein, sagt M., er habe das Feuerzeug nicht übersehen. Mehrfach habe er Jallohs Kleidung durchsucht, mehrfach den Mann abgetastet. "Da war mit Sicherheit kein Feuerzeug". Zweimal sagt er das, "mit Sicherheit". Sonst mag er einstweilen nichts mehr sagen. S. aber redet. Stundenlang. Er erzählt, wie er im zweiten Stock den Feuermelder tatsächlich mehrfach abgestellt habe, weil er glaubte, der habe einen Kurzschluss. Zuvor nämlich hatte er "ein plätscherndes Geräusch" aus der Gegensprechanlage gehört. Also dachte S.: Wasser. Und fand das wohl nicht so dringend. Erst, als der Rauchmelder anschlug, ging er los.

Zunächst in einen Raum, dann in den zweiten, dann in den dritten, wo ein Kollege saß, den er mitnehmen wollte. Der aber telefonierte. Deswegen, sagt S., sei er "zügig" allein runter gegangen, habe aber im Erdgeschoss erneut halt gemacht und einen anderen Kollegen angerufen. Dann kam doch der erste. Im Keller schlug ihnen beißender Rauch entgegen. Also rannte S. wieder nach oben, "um Luft zu holen", wie er sagt, dann wieder runter, um Jalloh zu retten. Es war ihm nicht vergönnt. Wie lange er brauchte? Er weiß es nicht. Im Revier gehe "jede Uhr anders". Vermutlich auch seine. Später haben die Ermittler das nachgestellt. In 50 Sekunden, kam dabei raus, könnte man vom zweiten Stock im Keller sein. Nach 50 Sekunden war S. vermutlich noch in seinem Büro.

Warum also musste Oury Jalloh sterben? Weil zwei Polizisten fahrlässig handelten, wie die Staatsanwaltschaft sagt? Oder steckt doch mehr dahinter, wie die Nebenkläger-Anwältin Regina Goetz glaubt? Nicht nur sie, auch die vielen Menschenrechtler, die den Prozess begleiten, halten die Version der Anklage für eine "Anhäufung von Unwahrscheinlichkeiten". Es könnte auch ganz anders gewesen sein, sagt Goetz. Gibt es nicht eine Reihe seltsamer Indizien?

Etwa den Nasenbeinbruch, der bei Jalloh posthum festgestellt wurde. Oder das Telefongespräch zweier Polizisten, das am Tattag zufällig mitgeschnitten wurde, in dem einer sagt "Es brennt" und einer antwortet: "Ja, ich hätte fast gesagt: gut." Wieso tauchte das Feuerzeug in der ersten Asservatenliste nicht auf und in der zweiten plötzlich doch? Was war da los in Dessau?

Bis 11. Mai will sich die 6. Große Strafkammer mühen, die Wahrheit herauszufinden. Wobei Mühen ein großes Wort ist für die Prozessführung, die Richter Manfred Steinhoff bislang offenbarte. Gelangweilt, fast genervt leitete er am ersten Tag den Prozess. Auch auf den Protest von Zuschauern wusste er eine prompte Antwort: "Das öffentliche Interesse wird überschätzt." Gut möglich, dass er sich da täuscht.




taz-Artikel

taz-LeserIn 28.03.2007 - 18:00
Mysteriöser Feuertod in Fesseln
Gestern begann der Prozess um den Fall des in einer Polizeizelle gestorbenen Oury Jalloh. Wie konnte der Mann verbrennen? Klar ist: Die Brandmelder funktionierten nur bedingt und nach den Feuerlöschern mussten die Beamten erst eine Weile suchen

AUS DESSAU MICHAEL BARTSCH

Mariama Djombo Jalloh, die Mutter des in einer Dessauer Polizeizelle verbrannten Afrikaners Oury Jalloh, brach während der Verhandlung plötzlich schluchzend zusammen. Vertreter der Nebenklage und ihr ebenfalls am Prozess teilnehmender zweiter Sohn trösteten sie. Abgesehen von den festungsartigen Sicherungsmaßnahmen war dies das spektakulärste Ereignis eines ansonsten ruhigen Prozessauftaktes. Der erste Hauptverhandlungstag am Landgericht Dessau erhellte die mysteriösen Todesumstände des Asylbewerbers aus Sierra Leone kaum.

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Angeklagt sind zwei Beamte eines Dessauer Polizeireviers. Die von Oberstaatsanwalt Christian Preißner verlesene Anklage wirft Hans-Ulrich M. fahrlässige Tötung vor. Er soll den Afrikaner nach der Inhaftierung nicht gründlich genug durchsucht haben, so dass dieser möglicherweise ein Feuerzeug in seine Zelle geschmuggelt haben könnte. Seinem vorgesetzten Dienstgruppenleiter Andreas S. wird Körperverletzung mit Todesfolge zur Last gelegt. Der Polizeihauptkommissar soll trotz Feueralarm nicht unverzüglich reagiert haben. Durch seine Nachlässigkeit habe er den Tod des Asylbewerbers billigend in Kauf genommen, sagte Preißner.

Oury Jalloh war am Morgen des 7.Januar 2005 in stark alkoholisiertem Zustand von einem Streifenwagen aufgegriffen worden, nachdem Frauen die Polizei um Hilfe gerufen hatten. Er soll sie angeblich belästigt haben. Auf dem Revier sollte er bis zur Feststellung seiner Identität und zu seinem "Eigenschutz" festgehalten werden. Nach übereinstimmenden Zeugenangaben wehrte er sich heftig und wurde schließlich an Händen und Füßen gefesselt auf eine Pritsche einer Zelle im Keller des Hauses gelegt. Regelmäßige Kontrollen erbrachten außer Geräuschen aus der Abhöranlage und bis zum Anschlagen der Warnsysteme zunächst nichts Verdächtiges. Hans-Ulrich M. wollte über eine vorbereitete Erklärung hinaus eigentlich nichts zur Sache aussagen, beantwortete dann aber doch zahlreiche Fragen. Er bestritt den Vorwurf der Anklage und schilderte die seiner Meinung nach gründliche Durchsuchung. "Ein Feuerzeug hätte ich mit Sicherheit gespürt!" Möglicherweise könne der Afrikaner ein Feuerzeug, mit dem er seine Matratze entzündet haben könnte, auch im Revier gefunden haben.

Der damalige Dienstgruppenleiter Andreas S. bedauerte eingangs das Geschehen vom Januar 2005 und dass es ihm "nicht vergönnt war, das Leben von Oury Jalloh zu retten". Für sich konnte er jedoch kein pflichtwidriges Verhalten erkennen. Über die Abhöranlage seien zwar ständig Geräusche wie Klappern, Schreien und Schimpfen des Inhaftierten und ein "Plätschern" zu hören gewesen. Das hätten er und eine Kollegin für einen Wasserschaden gehalten, der vielleicht auch den Rauchmelder kurzgeschlossen haben könnte. Er habe dann lediglich das akustische Signal abgestellt und nach seinem Empfinden unverzüglich nachgesehen.

Wie konnte in der Zelle mit einer feuerfesten Matratze überhaupt ein Brand ausbrechen? Diese Kernfrage des Geschehens blieb völlig offen. Auch die Herkunft der bei der Obduktion des Toten festgestellten weiteren Verletzungen bleibt offen. Die beiden Polizisten enthüllten mit ihren Aussagen eher fragwürdige Allgemeinzustände im Polizeirevier. Eine Einweisung für die nur teilweise funktionstüchtigen Brandmelder gab es nicht, ebenso wenig einen Lageplan für Feuerlöscher, die nach Entdeckung des Brandes erst gesucht werden mussten. Eine Anweisung des Polizeipräsidiums, nach der eine Leibesvisitation nur bei Verdacht auf schwere Straftaten nötig sei, war später nicht mehr auffindbar.

Die Nebenklage, die die Verwandten des Opfers vertritt, vermutet latenten Rassismus bei den Polizisten, der ihre Nachlässigkeit begünstigt haben könnte. Plakate der etwa zwanzig Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude sahen sogar die "Dessauer Polizei vor Gericht". Doch dafür lieferte der erste Prozesstag keine Anhaltspunkte. Auch Prozessbeobachter Rolf Gössner von der Internationalen Liga für Menschenrechte konnte solche nicht erkennen. Wegen zusätzlicher Zeugenvernehmungen wird die Urteilsverkündung für die zweite Maiwoche erwartet.

taz vom 28.3.2007, S. 5, 141 Z. (TAZ-Bericht), MICHAEL BARTSCH

junge Welt-Artikel

jW-Leserin 28.03.2007 - 18:01
28.03.2007 / Inland / Seite 5

Jalloh-Tod vor Gericht

In Dessau begann der Prozeß gegen zwei Polizeibeamte. Ihnen wird Schuld am Tod eines Asylbewerbers aus Sierra Leone vorgeworfen

Von Birgitt Pötzsch/AP

Immer wieder versteckt die zierliche Mariama Djombo Jalloh am Dienstag vor dem Landgericht in Dessau ihre Tränen unter einem weißen Tuch: Die Frau ist Tausende Kilometer aus ihrer jetzigen Heimat Guinea angereist, um als Nebenklägerin beim Prozeß um den mysteriösen Tod ihres Sohnes anzutreten. Gegenüber auf der Anklagebank sitzen zwei Polizeibeamte, denen die Staatsanwaltschaft der sachsen-anhaltischen Stadt fahrlässige Tötung beziehungsweise Körperverletzung mit Todesfolge vorwirft.

Ihr Sohn, der 23jährige Asylbewerber Oury Jalloh aus Sierra Leone, war am 7. Januar 2005 an einem Hitzetod in einer Polizeizelle in Dessau gestorben. Nach den Ermittlungen von Oberstaatsanwalt Christian Preissner hat der alkoholisierte und an Händen und Füßen gefesselte Mann mit einem Feuerzeug seine Matratze selbst angezündet. Doch Anwältin Regina Götz, die die Nebenklägerin vertritt, hat Zweifel: »Wir halten die Anklage für eine Hypothese, die denkbar, aber wenig plausibel ist.« Es sei unfaßbar, daß es dazu habe kommen können, daß der an allen Gliedmaßen gefesselte Oury Jalloh den Brand ausgelöst haben solle.

Die Aussage des 44jährigen Streifenpolizisten Hans-Ulrich M. könnte diese Zweifel stützen. Ihm wirft die Staatsanwaltschaft Körperverletzung mit Todesfolge vor, weil er bei der Durchsuchung das Feuerzeug übersehen habe. Er habe unter anderem Handy, Brieftasche und Taschentuch gefunden, sagte M. am Dienstag aus. »Ein Feuerzeug war mit Sicherheit nicht da.«

Dem 46jährigen Dienstgruppenleiter Andreas S. wird fahrlässige Tötung vorgeworfen. Er habe das Signal des Rauchmelders der Zelle zweimal ausgeschaltet und ignoriert, erklärt Oberstaatsanwalt Preissner. »Oury Jalloh starb sechs Minuten nach Ausbruch des Feuers an einem Hitzeschock.« Er hätte noch leben können, wenn ihm gleich nach Ertönen des ersten Signals geholfen worden wäre, meint der Ankläger.

Der Polizist schildert, daß die Zelle in regelmäßigen Abständen kontrolliert worden sei. Über die Lautsprecheranlage habe er schließlich ein »plätscherndes Geräusch aus der Zelle« gehört. Zu diesem Zeitpunkt ertönte auch die Rauchmeldeanlage. Andreas S. drückte die Anlage nach eigener Aussage zweimal aus. Vor Gericht begründet er dies damit, er habe »den Dienstablauf gewährleisten« wollen. Zudem habe es in der Vergangenheit zahlreiche Fehl­alarme gegeben. Er reagierte nach eigenen Angaben erst, als der Rauchalarm für den gesamten Zellentrakt ausgelöst wurde. Da kam für den jungen Afrikaner aber bereits jede Hilfe zu spät. Der Dienstgruppenleiter ist mittlerweile vom Dienst suspendiert.

Eine internationale Beobachtergruppe verfolgte am Dienstag das Verfahren vor dem Landgericht Dessau, darunter Anwälte aus Frankreich und Südafrika sowie der Leiter der britischen Beratungsstelle für Opfer von Rassismus und eine Vertreterin von amnesty international.

tv-doku gefunden

archivar 28.03.2007 - 22:03
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