Der Tag des Meeres in Bolivien

Wladek Flakin 26.03.2007 20:00 Themen: Weltweit
“Deine Grossmutter soll sich ergeben!” - Mit diesem Spruch zeigen sich die BolivianerInnen entschlossen, ihren Zugang zum Meer wiederzubekommen, den sie vor 128 Jahren verloren haben. Doch die Feierlichkeiten zum Tag des Meeres in La Paz deckten nur bedingt die Spannungen im Land.
Manche Länder feiern ihre militärischen Siege. Aber Bolivien feiert jedes Jahr am 23. März den “Tag des Meeres” als Gedenken an die Niederlage gegen Chile im Pazifikkrieg. Im Jahr 1879 verlor Bolivien die Provinz Litoral und damit seinen Zugang zum Meer.

Letzten Freitag liess die Regierung von Evo Morales die traditionelle Militär- und Zivilparade in der Hauptstadt La Paz veranstalten. Die “Fahne der Wiedereingliederung des Sees” (Bandera de Reintegracion Maritima), eine blaue Fahne mit goldenen Sternen, wurde auf einem zentralen Platz gehisst als Militärs, Ministerien und alle Schulen von La Paz daran vorbei marschierten.

Der Präsident Evo Morales sagte in seiner kurzen Ansprache, seine Regierung bleibe dem Ziel verpflichtet, “unseren Ausgang zum Meer wiederzubekommen, der uns vor 128 Jahren gestohlen wurde”.

Die Ressentiments gegen Chile sind gross. Als die alte Regierung von Sanchez de Losada im Jahr 2003 versuchte, bolivanisches Erdgas über Chile zu exportieren, führte das zu einem Aufstand (dem “Gaskrieg”) und dem Sturz der Regierung. Beim Tag des Meeres wurden in der Menschenmenge Flugblätter verteilt, mit dem Aufruf, man solle Chile “nicht mal gruessen” bis sie das gestohlene Land zurückgeben.

Morales war bemüht zu erklären, dass die Kriege in Lateinamerika nicht von den Völkern, sondern von multinationalen Konzernen provoziert wurden. Deshalb möchte er einen Dialog mit der chilenischen Regierung, um einen Zugang zum Meer wieder zu bekommen. Dabei hob er die sozialen Bewegungen in Chile hervor, die diese Forderung der BolivianerInnen unterstützen: Durch diese “Diplomatie der Völker” sei eine Lösung im Interesse aller Lateinamerikaner zu finden.

Gleichzeitig beklagte Morales, dass er von den bürgerlichen Medien verfolgt wird. Tatsächlich werden in den letzten Wochen Berichte über Korruption bei der Regierungspartei MAS in den Zeitungen hochgespielt. Die bürgerliche Opposition mobilisiert gegen die sozialen Reformen der Regierung und fordert Autonomie für die reichen Provinzen des Ostens – zuletzt demonstrierten rund eine halbe Million in der Stadt Santa Cruz für diese Forderung.

Aber auch die Basis von Morales, die Bauern auf dem Land und die Armen in den Städten, werden immer unruhiger. Sie werfen der Regierung vor, zu viele Kompromisse mit der Rechten und den multinationalen Konzernen zu machen – die Verstaatlichungen im Gassektor seien nur “Pseudoverstaatlichungen”, weil die multinationalen Konzerne nach wie vor hohe Profite mit bolivianischem Erdgas machen. So gab es diese Woche Strassenblockaden auf der Autobahn zwischen La Paz und Oruro und einen Generalstreik in der armen Grossstadt El Alto neben La Paz.

Der Tag des Meeres bot ein in dieser Zeit ungewöhnliches Bild der nationalen Einheit. Alle konnten sich auf das “oberste Held des Bolivianischen Volkes”, das an diesem Tag gedacht wird, einigen. Eduardo Abaroa starb bei der Verteidigung einer Brücke gegen die chilenischen Invasoren. Als Abaroa von feindlichen Truppen überrannt und zur Kapitulation aufgefordert wurde, rief er seine letzten Worte. Den Spruch gibt es auf Tshirts zu kaufen – es könnte fast als nationales Motto Boliviens gelten: “Mich ergeben? Deine Grossmutter soll sich ergeben, Arschloch!”

Von Wladek Flakin, La Paz, 23. März 2007

von der kommunistischen Jugendorganisation REVOLUTION ( http://www.revolution.de.com)
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

oh

my godness 27.03.2007 - 12:50
hallo,
ich war auch in bolivien, kenne den tag des meeres und bin begeistert das in diesem artikel nicht ein kleinstes bisschen kritik daran geäußert wird.
nun mag bolivien sein meer verloren haben, aber es lebt heute niemand mehr, der sich selbst daran erinnern könnte.
stattdessen dient es eben der beschwörung der nationalen einheit, wie im text auch dargestellt wird.
das aber das militär gegen das bolivianische volk eingesetzt wird, bzw. im militär die ärmsten des landes für die interessen der reichen sterben bleibt irgendwie unerwähnt. stattdessen wird ein motto am ende gefeiert, dass bescheuerter wohl nicht sein könnte. außer von militär-freaks natürlich.
interessant ist zu lesen ist SANGRE DE MESTIZO von Augusto Cespedes, der darin schildert wer im militär für das "vaterland bolivien" stirbt, anhand des krieges gegen paraguay.
und das morales an diesem kult, der betrauerung des verlustes des meeres, mitmacht ist irgendwie lächerlich.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige den folgenden Kommentar an

Zustimmung oh my godness — auch schonmal in Bolivien gewesen