Infotour G8 und Landwirtschaft in Göttingen

Basisgruppe Landwirtschaft Göttingen/Wiz 14.03.2007 14:40 Themen: G8 Heiligendamm Gender Soziale Kämpfe Ökologie
Am 8. März machte die Infotour zur globalen Landwirtschaft in Göttingen Station. Die vom Aktionsnetzwerk globale Landwirtschaft organisierte Tour führte von Graz über München, Schorndorf, Heidelberg und Göttingen bis nach Rostock und Berlin. Der Tourstopp in Göttingen fiel mit dem Frauentag zusammen, was thematisch aufgegriffen wurde.
Ziel der Veranstaltung war es, eine inhaltliche Auseinandersetzung zum Thema Landwirtschaft anzuregen und auf die Folgen der derzeitigen profitorientierten, patriarchal geprägten, sozial und ökologisch problematischen Wirtschaftsweise hinzuweisen. Dazu haben wir ein bombastisches Jahrmarkts-Spektakel auf die Beine gestellt, bei dem an zahlreichen Info- und Aktionsständen das Thema vielschichtig beleuchtet wurde. Den aktuellen Anlass für die Infotour bietet der kommende G8- Gipfel, auf dem auch Absprachen getroffen werden, die Landwirtschaft betreffen.
Der Frauentag-
Von uns wurde er thematisiert durch einen Flyer samt Redebeitrag; nebenan hatte das Frauenforum einen Infostand nebst Straßentheater. Mitten in der Fußgängerzone konnte man einer Kurzfilmpremiere per TV beiwohnen.
Hier noch einmal ein Teil unseres Redebeitrages:

Frauen in der Landwirtschaft

Frauen verrichten weltweit 2/3 aller Arbeit (inklusive der sog. Reproduktionsarbeit = Hausarbeit), erhalten aber nur 1/10 des Welteinkommens und besitzen nur 1 % des Eigentums. Sie bekommen im Durchschnitt 40 % weniger Lohn als männliche Arbeiter. Frauen werden bei der Ernährung, Ausbildung sowie der Gesundheitsversorgung benachteiligt. 70% der Armen weltweit sind Frauen. Diese Zahlen geben zu denken. Besonders in der Landwirtschaft lässt sich diese ungleiche Verteilung von Arbeit, Lohn und Besitz wieder finden.
In Afrika zum Beispiel verrichten Frauen 80% der Nahrungsmittelproduktion, besitzen aber nur 10% der Flächen. In vielen Ländern ist Frauen der Flächenbesitz generell nicht möglich, da sie kein Erbrecht auf Boden besitzen – und das, obwohl sie vielfach die Flächen allein bewirtschaften.
Nur lediglich 9% der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland werden von einer Frau geführt, weit weniger als im europäischen Durchschnitt, der auch nur bei 22% liegt. Das ist allerdings nur die sichtbare Spitze des Eisbergs; patriarchale ausschließende Kommunikationsstrukturen und fehlende Anerkennung der Leistung von Frauen in der Landwirtschaft macht diese Männerdomäne zu einem wenig attraktiven Umfeld, was sich auch in der Abwanderung von Frauen in andere Arbeitsfelder und Lebensbereiche niederschlägt. Gender-Mainstreaming-Maßnahmen wie das LEADER- Programm der EU kreieren neue Berufe, deren als „weiblich“ definiertesArbeitsfeld außerhalb der landwirtschaftlichen Produktion allerdings nicht an der patriarchalen Ordnung rüttelt, sondern diese manifestiert. Gilt es wohl, die Frauen auf dem Land zu halten, damit die als Männer sozialisierten Menschen, die niemals aus ihrer Dorfwelt herausgekommen sind, wen zum traditionell patriarchalen Vorgang „Heiraten“ haben?

Was in Göttingen zu Landwirtschaft und G8 stattfand…
Die Leute der Infotour führten ihre Theater-Szenen z.B. zur Lebensrealität der OrangenarbeiterInnen auf, in deren Verlauf Orangen der Bio-Kooperative „Terrasana“ aus Valencia verschenkt wurden. Die Kulisse hierfür bestand aus einer erschütternden Fotoausstellung über die Lebens- und Arbeitsverhältnisse in den Plastikmeeren von El Ejido, wo nicht nur papierlose MigrantInnen aus Afrika, sondern auch SaisonarbeiterInnen aus Osteuropa und Südamerika unter ausbeuterischen Bedingungen für die europäischen Märkte ackern. Spenden über die Finanzierung der Infotour hinaus gehen an die Gewerkschaft SOC, die ein soziales Zentrum in Nihar, Südspanien, aufbauen will- uner anderem zur Organisation der OrangenarbeiterInnen.

Auf dem Marktplatz in Göttingen bot sich an diesem Tag ein buntes Bild. Ein Trecker mit den geladenen Orangen zog Aufmerksamkeit auf sich. Verschiedene Gruppen auch mit Unterstützung von regionalen Bäuer/Innen hatten Gemüse- und Infostände (anstatt Preisschildern Information zu den Produkten, etc), die Internationalen Gärten stellten ihre Integrationsarbeit vor, und es gab Infos zum fairen Kaffeehandel, interaktiven Tafeln (zum Thema: Was habe ich mit Landwirtschaft zu tun?), mensch konnte Saatgut erraten und sich damit eindecken, Büchertische, Infotafeln (Was sind die G8?) und ein liebevoll erstelltes Memory zu den Thema „virtuelles Wasser“ (Wieviel Wasser steckt in der Produktion von einem Glas Milch, ein Paar Schuhen, etc), Regionales Gemüse, Preisbildung etc aufgebaut….

Bei einem Quiz konnten neugieriege PassantInnen Orangionär werden. Die Fragen, die zur Erfüllung dieses Wunschtraumes mitsamt leckerem Schoko-Muffin führten, drehten sich um den G8- Gipfel und die Themen des Infotages.Die Göttinger VoKü sorgte für einen bio-veganen Eintopf aus regional-saisonalem Gemüse. Zum Nachtisch gab es dort noch Infos zum Thema Tierrechte und Veganismus. Trinken konnte mensch Saftkreationen einer um den Erhalt von Streuobstwiesen bemühten Gruppe aus dem Göttinger Raum.
In der Sofacke gabs Filme wie „Leben außer Kontrolle“, und Mars TV- Interviews (auch zum Thema Nahrung, was hat das alles mit mir zu tun? In welchen Zusammenhang steht der Kauf beim Supermarkt mit dem Hunger in der Welt, Was hängt alles mit unser Ernährung zusammen?!) ließ die PassantInnen neugierig werden.

Abendveranstaltung

Abends gab es im gemütlicher Atmosphäre zwei gut besuchte Vorträge: Ein Vortrag thematisierte die weltweite Schieflage von Mast und Sojaanbau, ein weiterer lieferte Informationen bezüglich der Motivation zur Info-Tour sowie eine Skizze einer linken Perspektive auf das Thema weltweite Landwirtschaft. Die anschließende angeregte Diskussion musste um 24.00 Uhr leider der Zeit wegen abgebrochen werden.
Im Saal hatten sich ca. 40 Leute eingefunden, wovon viele sich am der Organisation des Infotages beteiligt hatten.

Insgesamt fand am Aktionstag ein Einstieg in die komplexe Thematik der mit allen Ebenen verquickten Landwirtschaft statt. Zwischen den verschiedenen Göttinger und Witzenhäuser politisch bewegten Umwelt- und Landwirtschaftsgruppen hat sich eine erste Zusammenarbeit ergeben, ebenso mit Gärtnereien der Umgebung, die unsere Aktion solidarisch unterstützt haben.
Die Zusammenarbeit der Gruppen aus den verschiedensten Spektren zur Vorbereitung des Aktionstages klappte trotz kapazitätsmäßiger Überforderung prima - bis auf eine Gruppe, die mit ihrer mangelnden Beteiligung im Vorfeld und dem Nichtbeachten unserer Gesamtintention bei der Aktion leider eine Sonderrolle einnahm.

Für uns war es ein Anschub zum Weitermachen und ein Einstieg in das Ausfüllen der Theorie- und Aufmerksamkleitslücke, die die Bewegungslinke in Bezug auf Landwirtschaft aufweist - kritischer Konsum vs. Kritik an den Verhältnissen - wie kommen wir über diesen Schwarzweiß- Gegensatz hinaus?
Wo findet darin Platz, dass die zu rasender Geschwindigkeit aufgeschwungene Industrialisierung der Landwirtschaft neue Kategorien von Hunger, Herrschaftsinstallation und Naturzerstörung geschaffen hat? Diese Auseinandersetzung dürfen wir nicht Treffen wie dem in Heiligendamm im Juni überlassen.
Wir wollen nicht per se kleinbäuerliche Strukturen zurückhaben oder konservieren, aber wir treten für selbstbestimmtes Leben und Arbeiten ein, das die Natur nicht dem menschlichen Profitstreben unterwirft, sondern einen herrschaftsfreien Platz in ihr findet. Landwirtschaft ist mehr als nur ein Wirtschaftszweig.
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Ergänzungen