Stadtpolitik und Repression in Kopenhagen

ein linksradikaler Aktivist aus Kopenhagen 14.03.2007 08:44 Themen: Freiräume Kultur Repression Soziale Kämpfe
Die Zerstörung des Ungdomshuset als politisches Kalkül

Das autonome Ungdomshuset in Kopenhagen wurde am Montag,den 5.März 2007 von gewerkschaftlich unorganisierten, maskierten Arbeitern abgerissen. Damit verlor das grosse alternative Jugendmilieu das einzige selbstverwaltete Kulturzentrum in Dänemark.
Diese Entwicklung zeichnete sich bereits vor Monaten ab, als es klar wurde, das die Mehrheit des Kopenhagener Stadtrates unter Führung der Sozialdemokraten,im Falle einer konfrontativen Räumung des Ungdomshuset, die Gunst ihrer Stammwähler nicht verlieren würden.
Es ist nicht das erste mal innerhalb der letzten 20 Jahre, dass sich die Sozialdemokraten in Konkurrenz zur politischen Rechten als autoritäre Ordnungsmacht profilieren. Die rücksichtslose Sanierungs – und Kommerzialisierungspolitik der drei sozialdemokratischen Kopenhagener Oberbürgermeistern in dieser Zeit, führte immer wieder zu heftigen Protesten von Seiten der betroffenen Teile der Bevölkerung. Meistens sorgten dann polizeiliche Unterdrückungsmassnahmen für die Durchsetzung sozialdemokratischer Kommunalpolitik.


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Die Verbindung sozialdemokratischer Stadtpolitik mit staatlicher Repression

Für viele ältere Kopenhagener hat sich ein regulärer Volksaufstand anfangs der 80er Jahre im Stadtteil Nørrebro ins Gedächtnis gebrannt. Der Grund dafür waren sozialdemokratischen Abrisspläne eines im Kiez gelegenen riesengrossen Abenteuerspielplatzes, der die einzige Entfaltungsmöglichkeit von hunderten, meist mittellosen Kinder darstellte. Die heftigen Proteste von zehntausend DemonstrantInnen konnte nur durch einen dreitägigen polizeilichen Ausnahmezustand im Zentrum Nörrebros eingedämmt werden. Zweihundert Protestierende aller sozialen Schichten, wurden dabei verhaftet. Rund 40 DemonstrantInnen – darunter der Verfasser dieses Artikels – wurden anschliessend zu monatenlangen Knastaufenthalt verurteilt.

Im Laufe der 80`Jahre folgten zahlreiche paramilitärische Operationen gegen die umsichgreifende, grosse Kopenhagener Jugendszene rund um die Häuserinstandbesetzerbewegung und deren politisch autonomen Ausläufer. Die Sozialdemokraten versuchten damals vergebens die Bewegung bereits in den Anfängen zu spalten und einzudämmen. Der frühere Kopenhagener Oberbürgermeister Egon Weidekamp versuchte dies mit einer formalen, permanenten Übergabe des damaligen besetzten Ungsdomshuset, an die Häuserbewegung im Oktober 1982. Die Bewegung weitete sich trotzdem rasant aus und wurde unter Regieführung der sozialdemokratischen Rathausmehrheit regulär von paramilitären Polizeieinsatzkräften im Laufe der 80`er Jahre buchstäblich aus jeden einzelnen Häuser herausgekämpft.

Weltweit bekannt wurde eine Protestdemonstration der autonomen, linksradikalen Szene gegen die Aberkennung eines Volksentscheids der sich gegen ein EU-Traktat aussprach, durch die damalige sozialdemokratische Regierung. Hier attackierte eine rabiaten Polizeieinheit die DemonstrantInnen mit scharfer Munition.Die Polizei gab 200 Schüsse in die sich auf den Rückzug befindliche Demonstration ab und verletzte dabei 9 DemonstrantInnen.Einige erheblich schwer.

Die Bilanz einer verfehlten sozialdemokratischer Kommunalpolitik in der dänischen Haupstadt ist verheerend lang. So werden die politischen Entscheidungen regelmässig mit Hilfe der Polizei gegen die Proteste der Betroffenen und deren Symphatisanten gewaltsam durchgedrückt.


Der Betrug der Stadtpolitiker:
klammheimlicher Verkauf des Jugendhauses an mysteriösen Fond


Die jetzige Oberbürgermeisterin Kopenhagens, Ritt Bjerregaard – eine Frau des sozialdemokratischen Parteiestablishment, befindet sich gut verankert in dieser autoritären politischen Tradition. Problemlos hätte sie den Betrug ihrer Partei, die das Ungdomshuset vor 6 jahren klammheimlich und korruptionsverdächtig billig, an eine Strohfirma der fundamentalistischen ”Vaterhaus”- Sekte vekaufte, wieder ausgleichen können. Sie hätte nur eines der zahlreichen leerstehenden kommunalen Gebäude in der Hauptstadt an die JugenhausaktivistInnen bedingunslos übergeben brauchen. Dafür hätte die Stadt von einen Gewerkschaftsfond, unabhängig von den UngdomshusaktivistInnen , 12 Millionen dkr (1,5 millionen euro) einkassieren können.... Anstellte dessen, ignorierte sie diese Lösung und stellte provokative Kaufansprüche und verschiedene entmündigende Kontrollbedingungen an die JugenhausaktivistInnen. Aus ”prinzipiellen Gründen”. Dieses "Angebot" wurde dann erwartungsgemäss von den AktivistInnen abgelehnt. Eine offensichtlich kalkulierte Reaktion von Seiten der Sozialdemokraten, die auf Grund dieser schwer durchschaubaren Verwirrungstaktik für die Ôffentlichkeit, laut Meinungsforschungsinstituten stimmenmässig dafür zulegten.


Christlich fundamentalistische ”Vaterhaus”- Sekte feiert Sieg über das ”satanische Nörrebro”


Während sich die Mehrheit der Kopenhagener Bevölkerung vor der Räumung für ein Jugendhaus eintrat, war die Stimmung nach der Räumung und den darauffolgenden tagelangen Konfontationen mit den verselbstständigten Repressionsapparat, umgeschwengt. Die Rolle der Medien als durchgehend verlängerter Arm der Polizeisprechstelle spielte dabei eine zentrale Rolle in diesem Meinungsumschwung.
Allerdings könnte sich dieses äusserst labile Stimmungsbild nach Bekanntwerden der neuesten Tiraden der christlich-fundamentalistischen ”Vaterhaus”– Sekteführerin Ruth Evensen, die laut eigener Aussage, einen ”direkten Draht” zu einen gewissen Jesus hat, durchaus wieder in entgegegesetzte Richtung drehen. Ruth Evensen proklamierte unmittelbar nach dem Abriss des Ungdomshuset auf einem internen Freudenfest der Sektengemeinde mit christlichen Gesang und verkrampften kollektiven Tanzzuckungen, den ”christlichen Sieg” über das ”satanische Nörrebro”. Sie annonzierte in dieser Festrede bereits das nächste christliche Kampfgebiet: eine Kampagne gegen Lesben und Schwule und gegen das freie Recht zur Abtreibung / Selbstbestimmungsrecht der Frau.


Die Gefangenen

Der dänische Polizeiapparat agierte in solchen polarisierten Situationen traditionell brutal und summarisch. Sämtliche verfügbaren Einsatzkräfte wurden am selben Tag als die geheimgehaltenen Räumungsaktion durch ein anti-terror Korps, der sogenannten ”Aktionsgruppe” begann, aus dem ganzen Land nach Kopenhagen zusammengezogen. In den ersten dreitägigen Konfrontationen in Nörrebro und den südlichen Stadtteil Cristianshavn, in dem der ebenfalls sanierungsbedrohte Freistaat Christiania liegt, pumpte die Polizei diese Stadtteile voll mit Tränengas.
Sie verhafteten 765 Jugendliche (Stand: 13.März 07) ab 13 Jahre. Einige dagegen protestierenden Eltern wurden gleich mitverhaftet und in Handschellen gelegt. Nach 24 Stunden Haft wurden bis jetzt 222 dem Haftrichter vorgeführt, während die übrigen nach spätestens 24 Stunden entlassen wurden. Von diesen 222 wurden dann 197 Jugendliche für bis zu 4 Wochen in die Untersuchungshaft gesteckt.

Gestern, Dienstag, am 13.März wurden 94 Gefangene frühzeitig aus der U-haft entlassen, da das Gericht befand, dass sich die Lage jetzt soweit beruhigt hätte, “das die Möglichkeit für eine fortgesetzte Beteiligung der Gefangenen an weiteren Straftaten gering sei”.
Der Hintergrund der frühzeitigen Entlassungen liegt allerdings eher in der Tatsache, dass der Polizeianwaltschaft die Beweismittel fehlen. Die Anwälte der Verhafteten klagen die zuständigen Richter auch folgerichtig an, als verlängerte Instanz der Polizeiforderungen agiert zu haben. Als sogenannte Beweisgrundlage präsentierte die Polizei diffuse, spektakuläre TV-Aufnahmen von brennenden Autos, Barrikaden und vermummten steinewerfenden AktivistInnen, jedoch keinerlei konkrete Beweise im juristischen Sinne. Nach Einschätzungen der Anwälte der politischen Gefangenen werden am kommenden Freitag, den 16.März ein weiterer Teil die Untersuchungshaft verlassen können.


Die Aktivitäten gehen weiter

Zur Zeit finden in Kopenhagen , aber auch in zahlreichen anderen Städten Dänemarks fast täglich Nadelstichaktionen und Happenings statt, die den Kampf für selbstverwaltete Freiräume auf die Tagesordnung der öffentlichen Ereignisse kontinuierlich weiter mitbestimmt. Von ”Reclaim Ungdomshuset” und Verkehrsdämpfende Fahrradkonvois, über Blokaden, Gefangenensolidarität, bis zu den mehr traditionellen Demos.Letztes Wochenende gab es wieder eine Demonstrationen mit bis zu sechtausend TeilnehmerInnen in Kopenhagen. Die daran Beteiligten sind hauptsächlich aktive Jugendliche – Schüler, Gymnasiasten und Studenten. Flankiert von empörten Eltern von verhafteten Jugendlichen, sowie frühere AktivistInnen der autonomen – und Besetzerszene, Musikern, Künstlern,etc.

Die Lage bleibt weiter angespannt. Seit den Konfrontationen der letzten Woche hat die Polizei willkürliche Passkontrolle für Passanten in Nörrebro eingeführt.


La lotta continua!

Viele sehen in den grossen Demonstrationen und wütenden Protesten , die für viele Aussenstehenden ein unerwartetes Ausmass annahm, eine Vorbotin einer neuen gesellschaftskritischen Revolte. Die aktive Teilnahme von feministischen und genderpolitischen Initiativen, Künstlern, Musikern, jungen EmigrantInnen, etc. an den Protesten, deuten in diese Richtung. Die aktive und umfassende globale Unterstützung für das Ungdomshuset (2), ist ein weiterer deutlicher Indikator für das verbreitete Bedürfnis von selbstverwalteten Freiräumen in Zeiten des allgemeinen Kontroll - und Verwertungswahnsinns.


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1) Die Geschichte des Ungsdomshuset von 1897 bis 2007:
Radio FREI:  http://de.indymedia.org/2007/03/170150.shtml


2) siehe dazu indymedia.de:  http://germany.indymedia.org/2007/03/169487.shtml und
indymedia.dk:  http://indymedia.dk/openwire )

infos:

“We only just started”  http://indymedia.dk/article/951

Website von Ungdomshuset:  http://www.ungdomshuset.dk/en.php3?id_rubrique=4


Fotos:
 http://de.indymedia.org/2007/03/170199.shtml

 http://modkraft.dk/spip.php?rubrique8


Fotos von der grossen Solidemos fürs Ungsdomshuset in Kopenhagen, am
10.März 2007, mit bis zu 6000 TeilnehmerInnen:

 http://indymedia.dk/article/1007



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Ergänzungen

16.3. Solidemo in Hamburg

acab 15.03.2007 - 01:36
Am Freitag wird es in Hamburg eine Solidemo geben für das Ungdomshuset.
Treffen ist 21 uhr auf dem neuen Pferdemarkt.

 http://de.indymedia.org/2007/03/170652

Später gibt es dann noch eine Soliparty in der Flora.

Am Samstag ist eine Kundgebung am Hbf für die Freiheit der Politischen Gefangenen !
Beginn ist 12 uhr

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Zur Sache — verdrahtet

Repression — OAR